26
Der Hund bellte, der Fernseher plärrte, und die Kinder redeten beide gleichzeitig auf ihn ein. Und genau in dem Moment, als Rina sagte, das Essen sei fertig, klingelte das Telefon. Nicht gerade der Inbegriff des trauten Heims, aber es war Deckers Chaos, und deshalb war es gut.
Rina stellte eine Platte mit gegrillten Hähnchenbrüsten auf den Tisch. »Warum geht denn keiner ans Telefon?«
»Ich geh dran.« Jacob schnappte sich den Hörer. »Hallo?«
Der Hund sprang kläffend um Decker herum.
»Kümmer dich um den Hund, Peter«, sagte Rina. »Shmuli, kannst du mir bitte helfen?«
»Warum denn ich?«
»Weil ich dich darum bitte«, sagte Rina.
»Ist für dich, Shmuli«, sagte Jacob.
»Ruf zurück«, befahl Rina. »Wir versuchen nämlich gerade zu Abend zu essen.«
Der ältere Junge verdrehte die Augen und ging zum Telefon.
»Sieh mich nicht so an.« Rina ging in die Küche und holte eine Schüssel Salat. »Yonkie, stell den Fernseher ab. Und dann bring bitte den Krug mit dem Orangensaft und eine Flasche Bier für deinen Vater.«
»Kein Bier.« Decker überprüfte die hintere Tür. Fest verriegelt. »Ich muß zurück zur Arbeit.«
»Peter, du bist jetzt seit sechzehn Stunden auf!«
»Ich würd ja gern Schluß machen, aber das Verbrechen hält sich nicht an Geschäftszeiten.«
»Du solltest ja haufenweise Geld für Überstunden scheffeln.«
»Das wird wohl leider nicht passieren.« Decker setzte sich an den Eßtisch, dessen Kirschholzplatte immer noch so glänzte wie an dem Tag, an dem er sie lackiert hatte. Rina gab sich besondere Mühe mit den Möbeln, die er selbst gemacht hatte. Er legte auf jeden Teller eine Hähnchenbrust, sich selbst gab er zwei Stücke. Dann riß er ein Stück Fleisch von der noch übrig gebliebenen Brust und gab sie dem Hund. »Wie fühlst du dich, Darling?«
»Mir geht’s gut.« Rina stellte eine Glasschüssel auf ein Stövchen. »Fett wie ein Schwein, aber immer noch auf beiden Beinen. Vorsicht, das ist heiß.«
Decker hob den Deckel, und eine Dampfwolke strömte heraus – gebratene rote Kartoffeln mit Jalapeño-Paprika und Zwiebeln. Er nahm sich zwei gehäufte Löffel.
»Ich hab mich heute Abend für ein Dinner im Southwestern-Stil entschieden«, sagte Rina. »Das ist zur Zeit très chic. Oder vielleicht sollte ich sagen muy chic. Yonkie, hol doch mal die Salsa für das Huhn. Shmuli, hör endlich auf zu telefonieren!«
»Noch eine Minute, Ima.«
Decker schnitt ein Stück von seinem Huhn ab und steckte es in den Mund. »Irgendwelche interessanten Anrufe?«
»Cindy hat sich gemeldet.« Rina runzelte die Stirn. »Ich fürchte, ich hab mich übertrieben besorgt angehört.«
Decker hob lauschend den Kopf. Draußen war kein Geräusch – alles Einbildung. »Übertrieben besorgt weswegen?«
»Daß sie sich auch nur ja willkommen fühlt.« Rina nahm eine Gabel voll Salat. »Es war ihr so peinlich, dich zu fragen, ob sie den Sommer über bei uns sein kann. Ich fühle mich ein bißchen schuldig deswegen. Als ob unsere Beziehung deine Beziehung zu ihr verändert hätte.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Decker kauend.
»Es ist eine Umstellung für sie, Peter. Sie ist daran gewöhnt, dich für sich zu haben. Jetzt muß sie sich mit mir abfinden.« Rina wägte ihre Worte genau ab. »Ich hab selbst ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater. Ich kann ihre widersprüchlichen Gefühle verstehen.«
»Sie hat sich doch von Anfang gut mit dir verstanden«, sagte Decker. »Außerdem hat ihre Mutter als erste wieder geheiratet – das entschärft unsere Situation. Es wird schon alles okay, wenn sie erst mal hier ist.«
»Wenn sie sieht, daß ich eigentlich keine böse Stiefmutter bin.« Sie drehte den Kopf. »Shmuli, hör jetzt endlich auf zu telefonieren!«
Jacob lächelte. »Mach dir keine Sorgen, Ima. Ich werd ihr sagen, daß du als Stiefmutter nicht mehr böse bist als als richtige Mutter.«
Rina starrte ihn wütend an. »Danke, Yonkie. Mehr böse sagt man außerdem nicht.«
»Böser.« Sammy setzte sich hin. »Gib mir mal die Salsa.«
Decker löffelte Sauce über das Huhn des Jungen, hob erneut den Kopf und wandte sich dann seinen Kartoffeln zu.
»Erwartest du jemanden, Peter?« fragte Rina.
»Nein. Wieso?«
»Du scheinst irgendwie mit den Gedanken woanders.«
Decker zuckte die Achseln. »Ist nicht so einfach abzuschalten.«
Rina tätschelte ihm die Hand. »Versuch dich ein bißchen zu entspannen, Schatz.«
Sammy stopfte sich ein riesiges Stück Kartoffel in den Mund. »Yeah, wär nicht schlecht, zur Abwechslung mal ein ruhiges Elternteil zu haben.«
»Willst du etwa damit sagen, daß ich in letzter Zeit keine vorbildliche Mutter gewesen bin, Shmuli?« fragte Rina.
»Um Himmels willen, nein!« Sammy lächelte schelmisch. »Du machst ganz vorbildliche Kartoffeln, Ima.«
Rina tat so, als ob sie sauer wäre.
»Ginger, hör auf zu betteln«, sagte Jacob. »Darf ich ihr was von meinem Hühnchen geben?«
»Nicht, nachdem du’s bereits in Salsa ertränkt hast«, sagte Rina. »Das hätte ihrem armen Magen gerade noch gefehlt.«
»Vielleicht mag sie Salsa, Ima«, sagte Sammy.
»Machst du dann auch freiwillig sauber, wenn sie Durchfall kriegt?« fragte Rina.
Der Junge schüttelte hastig den Kopf.
»Sonst noch irgendwelche Anrufe?« fragte Decker.
»Nichts Wichtiges.«
Decker schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. »Was meinst du mit: nichts Wichtiges?«
Rina lachte. »Wie bitte?«
»Ich meine, was für Anrufe hast du als nicht wichtig betrachtet?«
Rina sah ihn an. »Was ist mit dir los, Peter?«
»Nichts. Ich frag dich nur nach eventuellen Anrufen.«
Sie starrte ihn weiter an.
»Ich hab mich nur gefragt, obwohl du vielleicht Anrufe gekriegt hast, wo jemand sofort eingehängt hat … ohne was zu sagen.«
»Peter, dein offensichtliches Bemühen, ganz locker zu wirken, macht uns alle nervös. Worum geht’s?«
»Lilah …«
Rina knallte ihre Gabel auf den Tisch. »Schon wieder?«
»Ist das die Verrückte, die uns heute morgen alle wach gemacht hat?« fragte Sammy.
»Ja«, antwortete Decker.
»Mach dir keine Sorgen, Dad«, sagte Jacob. »Wenn die irgendwas Komisches versucht, wird Ima sie einfach erschießen.«
»Das befürchte ich ja gerade«, sagte Decker. »Vielleicht war es eine gute Idee, wenn ihr heute Abend deine Eltern besucht.«
Rina lehnte sich zurück. »Hat sie mich bedroht?«
»Nein.«
»Sie …« Decker legte seine Gabel hin. »Sie hat uns … verflucht.«
»Regst du dich auf, weil sie das schlimme Wort mit F benutzt hat?« fragte Yonkie.
»Nein, das war nicht fluchen«, sagte Decker. »Das war verfluchen, … das was Hexen tun.«
»Fluchen wie in kelalah«, erklärte Rina den Jungen. »Nicht niwul peh.« Sie tat so, als ob sie mehrere Male in die Luft spuckte. »Puh, puh, puh! Das halte ich von ihren Verwünschungen. Und sie soll es bloß wagen, irgendwas zu versuchen – den Zorn einer grantigen, temperamentvollen, schwangeren Frau heraufzubeschwören. Da hat sie keine Chance, Peter.«
Decker begrub das Gesicht in den Händen.
»Ich hab doch nur Spaß gemacht«, sagte Rina. »Machst du dir wirklich Sorgen? Dann verziehen wir uns eben zu meinen Eltern.«
»Wär mir lieber.«
»Sollen wir dort übernachten?«
»Wenn ich meine, daß ich bis neun zu Hause bin, ruf’ ich an. Wenn nicht, wäre eine Nacht bei Oma und Opa vielleicht nicht das schlechteste.« Decker seufzte. »Das wird mich bei deiner Mutter mal wieder besonders beliebt machen … ›Du bringen meine Tochter in Gefahr …«‹
»Du kannst keinen ungarischen Akzent nachmachen.« Rina wandte sich ihren Söhnen zu. »Eßt auf, und dann packt ihr eure Taschen. Ich muß einen Augenblick mir eurem Vater reden.«
Jacob sah seinen Bruder an. »Er wird ihr die blutigen Details erzählen, wenn sie unter sich sind.«
»Es gibt keine blutigen Details«, sagte Decker.
»Eßt bitte auf«, sagte Rina.
Sammy stand auf. »War lecker, Ima.« Er küßte seine Mutter auf die Wange. »Komm, Yonkie. Ist ’ne lange Fahrt bis zu Sawta und Sabba. Wenn es irgendwelche blutigen Details gibt, werden wir sie schon aus ihr rauskriegen.«
»Es gibt keine blutigen Details«, beharrte Decker.
Nachdem die Jungen gegangen waren, um ihre Sachen zu packen, flüsterte Rina: »Was sind die blutigen Details?«
»Nichts«, sagte Decker. »Lilah Brecht ist zur Zeit sehr labil – erst die Vergewaltigung, dann ein fast tödlicher Reitunfall, und jetzt ist auch noch ihr Bruder tot. Sie läßt das an mir aus und folglich auch an dir. Ich hab ein ungutes Gefühl, dich allein zu lassen, während ich arbeiten gehe – zumindest heute Abend.«
»Worum geht’s da?«
»Ich bin mit einem Kollegen von Devonshire wegen eines Mords verabredet, der was mit dem Fall zu tun haben könnte.«
»Ist außer dem Bruder noch jemand tot?«
Decker nickte.
»Ist das der Grund, weshalb sie dich plötzlich verflucht?«
»Nein. Wir haben heute ihren Stallburschen wegen der Vergewaltigung verhaftet. Wir haben konkrete Beweise gegen ihn. Lilah war stinkwütend auf uns und hat geschworen, er wär es nicht gewesen. Dann hab ich angedeutet, daß das Beweismaterial ziemlich eindeutig wäre, es sein denn, man ginge davon aus, daß sie in dieser Nacht freiwillig mit Totes geschlafen hätte. Da ist sie ausgerastet. Ihre Reaktion stand in keinem Verhältnis zum Anlaß, deshalb hab ich sofort gedacht, daß sie irgendwie eine Affäre haben müssen. Ich weiß ehrlich gesagt langsam nicht mehr, was ich glauben soll.«
Rina schauderte. »Zu viele Morde. Sei bitte vorsichtig, Peter.«
Decker beugte sich zu ihr und küßte sie auf die Wange. »Ich bin immer vorsichtig. Und jetzt ganz besonders – wo so viele Leute von mir abhängig sind.«
»Wo so viele Leute dich lieben, Peter.«
Decker betrachtete das schöne Gesicht seiner Frau, dann nahm er ihre Hände und küßte sie. Seine Frau. Sie hatte ihn tatsächlich geheiratet! Wie hatte er das nur geschafft?
Die Nummer, unter der man den Verlust oder Diebstahl von Kreditkarten melden konnte, war jetzt am Abend nicht mehr besetzt. Ness knallte den Hörer auf, dann ermahnte er sich, tief durchzuatmen. Er saß mitten auf seinem Bett und rutschte so lange hin und her, bis er die perfekte Lotusposition gefunden hatte. Korrekte Haltung, aber falsche Einstellung – eine verfluchte Spirale. Der Körper konnte sich nicht entspannen, wenn der Geist keinen Frieden fand, und wie sollte man einen klaren Kopf bekommen, wenn der Körper angespannt wie ein Drahtseil war? Er spürte, wie sanfte warme Hände ihm den Nacken massierten. Unter den Händen seiner Schwester erlaubte er sich den Luxus, sich zu entspannen.
»Tu mir bitte einen Gefallen, Kell. Guck doch mal die Nummer nach, unter der man vierundzwanzig Stunden lang verlorene oder gestohlene Kreditkarten melden kann.«
»Bei welcher Bank bist du?«
»Security International.« Ness schlug sich mit einer Faust gegen den Kopf. »Ich kann es nicht fassen … irgendwie … das macht mich völlig fertig. So was kann nur mir passieren.«
»Hier ist die Nummer.«
Ness schrieb sie auf einen Zettel und wählte. Besetzt. Vorsichtig legte er den Hörer wieder auf die Gabel. »Funktioniert bei mir denn überhaupt nichts?«
»Michael, wo könntest du sie denn vergessen haben?«
»Ich weiß noch nicht mal, ob ich sie irgendwo vergessen hab. Genauso gut könnte sie mir jemand geklaut haben. Ich glaub, irgendwer versucht mich fertigzumachen.«
»Uns fällt schon was ein. Mir fällt schon was ein.«
Er schüttelte ihre Hände ab und klopfte auf die Matratze. »Setz dich.«
Kelley zögerte, dann setzte sie sich neben ihn. »Wenn ich dich bloß nicht gedrängt hätte, hierher zu kommen …«
»Hör auf, dich selbst zu kasteien, Kell. Du kennst doch Davida. Wenn die irgendwas will, kann sie keiner aufhalten. Eigentlich sollte ich das als Kompliment auffassen. Reiche alte Frauen wie sie können sich jeden Sexprotz leisten, aber sie wollte mich!« Ness zuckte die Achseln. »Eigentlich war es ja auch gar nicht so schlimm. Regelmäßig Geld. Regelmäßig Sex – das ist doch was. Besser, als sich von betrunkenen Seeleuten einen blasen zu lassen …«
»Ach, Michael!«
»Oder vollgedröhnten Nutten.«
»Mike, laß dir doch bitte von mir helfen!«
Ness küßte seine Schwester auf die Wange. »Du hältst dich aus dem Schlamassel heraus. Wenn sich einer von uns die Finger verbrennt, dann ich.«
Sie schlang ihrem Bruder die Arme um den Hals. »Mike, kannst du den Bullen denn nicht einfach die Wahrheit sagen? Daß du nichts mit dieser ganzen Sache zu tun …«
»Das stimmt leider nicht so ganz.«
»Du hattest nichts mit dem Mord zu tun.« Sie hielt inne. »Oder mit der Vergewaltigung von Lilah, das stimmt doch?«
Ness fuhr herum. Ihm lief es eisig den Rücken hinunter. »Du mußt überzeugender klingen, wenn du meine Unschuld beteuerst.«
Kelleys Stimme wurde zu einem Flüstern. »Ich glaube dir, Mike. Ich hab dir immer geglaubt – und an dich geglaubt, oder etwa nicht? Im Gegensatz zu anderen. Gab es auch nur einen einzigen Punkt in unserem Leben, wo ich nicht an dich geglaubt habe?«
Ness blickte in die Augen seiner Schwester und sah dort all den Schmerz, den er ihr bereitet hatte – und schämte sich dafür. Er streckte die Arme aus, sie kam zu ihm und ließ sich in seine schützende Umarmung sinken.
»Es tut mir leid …«
»Hör auf …«
»Nein, laß es mich sagen, Kell.« Ness räusperte sich. »Ich hab dich lieb, und es tut mir leid … alles.«
Sie antwortete nicht, aber er spürte ihre Tränen auf seinem Hemd.
Es mußte der Typ mit der verspiegelten Porsche-Sonnenbrille, dem blauen Blazer über dem Arm und dem Aktenkoffer aus Eidechsleder sein. Sobald er Decker sah, stand er auf, setzte die Sonnenbrille ab, streckte eine Hand aus und sagte, er sei Scott Oliver.
Er war Ende Dreißig, einsachtundsiebzig groß, wog etwa fünfundachtzig Kilo und hatte die typisch wuchtigen Schultern eines Gewichthebers. Seine welligen schwarzen Haare waren oben voll, aber an den Seiten kurz geschnitten. Er hatte tief liegende dunkle Augen, dichte Augenbrauen und eine absolut gerade Nase. Seine glatte Haut spannte sich über den hohen Wangenknochen, und er zeigte ein strahlendes Lächeln. Marge würde es in Devonshire gefallen. Decker ergriff die ausgestreckte Hand.
»Ich bin froh, daß Sie angerufen haben, Scott. Ich konnte eine Abwechslung gebrauchen.«
»Das können wir alle.«
Oliver zwinkerte der wasserstoffblonden Kellnerin zu und sagte, sie möchten an ihren Tisch geführt werden. Sie folgten ihrem schwankenden Hinterteil zu einer Nische mit braunen Kunstlederbänken im hinteren Teil der Imbißstube. Die Kellnerin reichte ihnen die Speisekarten und fragte, ob sie Kaffee wollten. Beide wollten.
»Ich muß langsam senil werden oder so«, sagte Oliver. »Sie sind doch der Typ, der für die Stelle von MacDougal vorgeschlagen wurde. Werden Sie sie nehmen?«
»Könnte schon sein. Wie ist denn das Klima da drüben?«
»Nicht schlecht. Der Superintendent ist ein patenter Typ, und der neue Lieutenant scheint ganz gut einzuschlagen – muß nicht vierundzwanzig Stunden am Tag den Politiker spielen. Der letzte, den wir hatten, war ein richtiger Schmock. Ist gegangen, weil er in irgendeinem Kaff im Südosten den Posten des Polizeichefs gekriegt hat. Mit dem Müll, den er hinterlassen hat, darf sich jetzt jemand anders amüsieren. Wie dem auch sei, haben Sie schon mal bei der Mordkommission gearbeitet?«
»Sechs Jahre lang.«
»Dann kennen Sie sich ja aus und müssen nicht gleich beim ersten Fall den großen Macker spielen.« Oliver fummelte an seiner Serviette herum. »Das ist immer eine große Hilfe. Ein Neuling, der meint, sich profilieren zu müssen, macht allen das Leben schwer.«
»Wenn ich komme, dann komme ich als Duo«, sagte Decker.
»Ach, so einer sind Sie also – Sie und Ihr Partner sind sozusagen unzertrennlich. Verstehn Sie mich bitte nicht falsch, bei einigen Leuten funktioniert das ja. Ich fühl mich ehrlich gesagt durch Partner immer nur genervt.«
»Sie halten also nichts von Teamarbeit, Scott?«
»Nein, das ist es nicht. Ich geb Ihnen jederzeit meine Akten.« Oliver breitete die Arme weit aus. »Ich mag nur nicht, wenn mir ständig einer über die Schulter guckt. Ich weiß nicht. Vielleicht hab ich bisher noch nicht den richtigen Partner gehabt. Und Ihrer ist ein guter Typ?«
»Eine Frau …«
»Aha, jetzt versteh ich.«
»Rein dienstlich.«
»Wenn Sie sie bumsen, kommt das irgendwann raus, das wissen Sie doch.«
Decker verzog keine Miene. »Unser Verhältnis ist rein dienstlich.«
»Ist sie denn gut … rein dienstlich, mein ich.«
»Sie ist hervorragend.«
»Wie alt ist sie?«
»Dreißig.«
Oliver zog die Augenbrauen hoch. »Ist sie hübsch?«
»Wenn Sie sie bumsen, kommt das irgendwann raus«, sagte Decker.
Oliver dachte darüber nach. »Sie sind verheiratet, Pete?«
»Yep.«
»Ich auch.« Oliver grinste. »Was soll ich also sagen?«
»Schon viele aufs Kreuz gelegt, Scott?«
»So einige, aber es gibt schlimmere.« Oliver zuckte die Achseln. »Ich bin halt neugierig. Deshalb bin ich ja Detective.«
Eine Kellnerin mit schmalen Hüften brachte zwei Tassen Kaffee und nahm ihre Bestellung auf. Oliver entschied sich für das Truthahn-Menü, Decker wollte nichts weiter als Kaffee. Bis Decker ihm den ganzen Fall auseinandergesetzt hatte, wischte Oliver bereits den letzten Rest der bräunlichen Sauce mit einem Brötchen auf.
»Ich hab Burbank angerufen und denen mitgeteilt, daß ich mich hier mit Ihnen treffe«, sagte Decker. »Ich hatte gehofft, daß die bereits was rausgekriegt hätten. Aber vermutlich sind die immer noch mit der Aufnahme der Fakten beschäftigt.«
»Sind das solche Korinthenkacker?«
»Nein, die schienen ganz okay … ganz wild auf die Arbeit.«
»Das ist gut. Also was haben wir bisher?« Oliver schob seinen Teller beiseite. »Wir haben eine verbrannte Leiche in Davida Eversongs Limousine.«
»War das ganz sicher ihre Limousine?«
»Kann ich noch nicht hundertprozentig sagen, aber wir nehmen es an. Die alte Dame hat sich übrigens gerade noch einen neuen BMW gekauft. Muß sie mal fragen, wozu.«
»Deshalb konnte Lilah also gestern nicht von der Limousine zum Essen gefahren werden«, sagte Decker. »Davida hatte andere Pläne damit.«
»Ich hab die alte Dame telefonisch nicht erreicht, deshalb wollte ich zur Beauty-Farm rausfahren, um sie direkt zu befragen. Aber zuerst wollte ich mit Ihnen reden. Nach dem, was Sie erzählt haben, scheint die Tochter ja nicht mehr ganz dicht zu sein.«
»Sie hat einiges durchgemacht.« Aber sie schafft es immer noch, sich umwerfend anzuziehen, dachte Decker. »Sie ist außerdem ein echtes Schätzchen, Scott. Wenn Sie ne Schwäche für edle Katzen haben, passen Sie auf sich auf.«
»Wissen Sie, was man mit so einer verführerischen Mieze am besten tut?«
»Was denn?«
»Wenn man darauf eingeht, verlöschen die wie ein Streichholz. Das funktioniert immer. Sie waren bestimmt ganz dienstlich, mit einem verlegenen Grinsen im Gesicht, und haben ihr Ihren Ehering unter die Nase gehalten. Verdammt, auf so ein Tierchen wirkt ein Ring wie Lachs auf einen Hai.«
Decker nippte an seinem Kaffee. Der Typ war helle.
»Also …« Oliver fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Wollen Sie mit Ness reden? Ihn fragen, was denn seine Brieftasche neben einem Toten in einer ausgebrannten Limousine verloren hat? Ist doch klar, was er sagen wird.«
»Yeah, daß Donnally ihm die Brieftasche geklaut hat. Haben Sie überprüft, ob die Kreditkarten gesperrt wurden?«
Oliver runzelte die Stirn. »Nein. Das hätt ich tun sollen. Um festzustellen, wie weit Ness vorausgedacht hat. Andererseits – vielleicht hat Donnally Ness ja tatsächlich die Brieftasche gestohlen.«
»Vielleicht.«
»Was glauben Sie denn, wie Donnally in die ganze Sache reinpaßt?«
»Deshalb hoffe ich ja, daß Burbank möglichst bald zurückruft. Wenn das Blut in Merritts Büro nämlich von Donnally stammt, muß man davon ausgehen, daß er und Merritt zusammen umgebracht wurden. Dann hat irgendwer Donnally aus dem Büro getragen und ihn in der Limousine verbrannt. Haben Sie bereits die offizielle Todesursache für Donnally?«
»Einen Augenblick.« Oliver nahm einen Ordner aus seinem Aktenkoffer. »Ich hab den vorläufigen pathologischen Bericht, etwa fünf Minuten bevor ich losgefahren bin, bekommen. Mal sehen …« Er blätterte mehrere Seiten um. »Okay, die offizielle Todesursache sind zwei Achtunddreißiger in der Brust. Ich hab Ihnen doch schon gesagt, daß er erschossen wurde?«
Decker schüttelte den Kopf.
»Mein Gedächtnis wird von Minute zu Minute schlechter«, klagte Oliver. »Ich muß mir alles aufschreiben. Das nervt mich echt, weil ich früher ein Gedächtnis wie ein Computer hatte. Aber ab Fünfunddreißig ist das alles vorbei.«
»Sie sind offenbar noch keine Vierzig.«
Oliver lachte und nippte an seinem Kaffee. »Da steht mir also noch einiges bevor, was, Pete?«
»Lieber alt werden als wie Donnally enden.«
»Das stimmt.« Oliver wandte sich wieder dem pathologischen Bericht zu. »Yeah, obwohl Donnally geröstet wurde, konnte das Labor die Eintrittswunden feststellen. Natürlich war es unmöglich zu sagen, aus welcher Entfernung die Schüsse abgegeben wurden. An Briketts kann man schließlich keine Schmauchspuren erkennen.«
»Was steht in dem Bericht über die Lunge?«
»Moment …« Er blätterte weiter. »Leber, Nieren, Milz …«
»Etwas zurück«, sagte Decker. »Sie sind schon im Bauchbereich.«
»Yeah, ich hasse es, diese verdammten Dinger zu lesen. Okay, die Lunge war sauber, also haben ihn die Schüsse umgebracht. Keine Rauchinhalation; er war bereits tot, als er gegrillt wurde.«
»Das würde die Vermutung bestätigen, daß er dabei war, als Merritt ermordet wurde, Scott. Der Labortechniker hat gesagt, es wäre eine riesige Blutlache von einer anderen Person dort gewesen. Ich wette, daß diese Leiche Donnally war und daß jemand drittes ihn vom Tatort entfernt hat.«
»Ness.«
»Oder jemand, der Ness’ Brieftasche hatte. Ich weiß nicht, ob diese dritte Person die Schüsse auf die beiden abgegeben hat oder ob sie nur ein unbeteiligter Zuschauer war, während die beiden sich gegenseitig umgelegt haben.« Decker dachte einen Augenblick nach. »Vielleicht hat Ness ja nur für irgendwen aufgeräumt.«
»Das werden wir wohl nie erfahren, wenn wir ihn nicht fragen. Und vielleicht auch dann noch nicht mal.« Oliver sah auf seine Uhr. »Es ist noch früh. Was halten Sie davon, wenn wir Mr. Ness mal in der Beauty Farm besuchen?«
»Von mir aus ja«, sagte Decker. »Ich gebe das nur schnell an Burbank durch. Ich möchte die nicht völlig übergehen.«
»Yeah, bringt nichts, wenn die Kollegen sauer auf einen sind.« Oliver ließ einen Zehner auf dem Tisch liegen. Das waren nach Deckers Berechnungen vier Dollar Trinkgeld bei einer Rechnung von sechs Dollar. Kein Wunder, daß Scottie beliebt bei den Damen war.