13
Das Klopfen an der Tür klang erst zögernd, dann bestimmt.
Verdammt, was war denn nun schon wieder?
»Ist offen.«
Die Tür quietschte in den Angeln und fiel dann ins Schloß.
»Hast du einen Augenblick Zeit, Mike?«
Ness rührte sich nicht. Er hielt einen Unterarm vors Gesicht, die Beine waren ausgestreckt, die Füße hingen seitlich über die Bettkante.
»Mike?«
»Ich hab dich gehört. Ich hoffe, es dauert nicht lange.«
Keine Antwort. Ness hörte Schritte auf und ab gehen. Er nahm den Arm von den Augen und stützte sich auf die Ellbogen. »Setz dich hin, Jeffs. Du machst mich nervös.«
Ness beobachtete, wie Eubie Jeffers einen Stuhl neben sein Bett zog und sich setzte. Jeffs trug immer noch die weißen Tennissachen und hielt den Griff seines Schlägers umklammert. Eine dünne Schweißschicht bedeckte sein milchkaffeefarbenes Gesicht. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der Typ zappelte wie ein Fisch an der Angel.
Ness wandte den Blick von Jeffs und sah sich im Zimmer um. Nichts als alter Plunder. Die Tagesdecke war zerrissen, an der Kommode blätterte die Farbe ab, und der Teppichboden war stark abgenutzt. Es gab nur ein einziges winziges Fenster, und von dort sah man auf die Filteranlage des Pools. Doch schließlich zahlte er fürs Wohnen keinen Cent. Und das war nach jahrelangem Abrackern eine Menge wert.
»Erzählst du mir, was los ist, oder muß ich dir die Würmer einzeln aus der Nase ziehen?«
»Hast du schon mit dem Lady-Detective gesprochen, Nessy?«
Ness verzog den Mund zu einem Lächeln. Jeffers hellbraune Augen strahlten Angst aus. Er kaute auf seiner Unterlippe herum.
»Hat sie dich drangekriegt oder was, Eubie?«
»Unsinn. Ich würde Lilah niemals weh tun. Ich liebe die Frauen, ich mißhandle sie nicht.«
»Du bist ein Arschloch, Jeffs. Sonst gar nichts.«
Jeffers senkte den Blick und ging auf das Bett zu. »Kannst du nicht sagen, ich war letzte Nacht mit dir zusammen?«
»Nein.«
»Es ist aber wichtig.«
Ness fing an zu lachen.
»Mike. Bitte!«
Ness sprang auf und faßte Jeffers am Kinn. »Du kannst mich mal! Hast du verstanden? Du kannst mich mal!«
Jeffers spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. »Wenn es rauskommt, verlier ich meinen Job, Mike! Ich hab Schulden auf der einzigen Kreditkarte, die ich noch besitze. Und ich bin zwei Monate mit der Miete im Rückstand. Du mußt mir helfen!«
Ness stieß Jeffers Kinn von sich. »Du widerst mich an, weißt du das?«
»Bitte! Ich schwöre, es ist das allerletzte Mal.«
»Wie viele weiße Frauen mußt du denn ficken, bevor du dich nicht mehr wie ein Schwarzer fühlst, Jeffs? Hundert reichen nicht? Wie viele brauchst du? Tausend? Eine Mill …«
»Mike.«
»Verdammt noch mal!« Ness saß mit gekreuzten Beinen aufrecht auf dem Bett und schüttelte den Kopf. »Jeffs, ich hab dem Lady-Detective bereits erzählt, daß ich die ganze Nacht allein war. Wenn ich jetzt plötzlich meine Geschichte ändere, um dir den Arsch zu retten, wird sie mich ganz komisch angucken.« Er blickte auf. »Stell dich doch nicht so an. Wenn du nichts mit der Sache mit Lilah zu tun hast, wird die Dame dich in Ruhe lassen.«
»Ich habe Lilah nichts getan, Mike. Und das weißt du auch. Aber wenn der Lady-Cop auf die Idee kommt, mit der Frau zu reden, mit der ich tatsächlich zusammen war? Mike, wenn das passiert, wird diese Frau sehr wütend werden. Du weißt doch, wie die Leute, die hier her kommen, auf Diskretion stehen. Das gehört mit zum Spiel. Wenn sie es Lilah erzählt, wird Lilah denken, daß die gleiche Scheiße wieder losgeht wie im letzten Jahr. Bloß diesmal werd ich ganz bestimmt meinen Job verlieren …«
»Wie viel hat sie dir für deine Dienste gezahlt?«
»Das kannst du alles haben, Nessy.«
»So hab ich das nicht gemeint. Ich hab nur gefragt, wie viel sie dir gezahlt hat.«
Jeffers zögerte. »Fünfzig.«
»Du lügst wie ein Politiker, Jeffs. Versuch’s noch mal.«
»Zweihundert.«
»Zweihundert?« Ness lachte. »Sag der Lady, ich besorg’s ihr mit schwarzer Schminke im Gesicht für die Hälfte.«
»Mike …?«
»Warum weiß der Lady-Cop, daß du letzte Nacht mit einer Dame zusammen warst?«
»Ich … , sie hat mich auf dem falschen Fuß erwischt, Mike. Ich kann eben nicht so schnell denken wie du. Ich wußte, daß ich schlecht dastand, also hab ich ihr die Wahrheit gesagt.
Oder zumindest teilweise. Daß ich letzte Nacht hier war, um einer verheirateten Frau eine private Tennisstunde zu geben. Und ich hätt es geheim gehalten, weil ich nicht wollte, daß rauskommt, daß ich der Lady einen Rabatt gegeben hab.«
»Warum hast du nicht einfach gesagt, du wärst mit Natanya zusammen gewesen?«
»Daran hab ich nicht gedacht.«
»Aber an mich hast du gedacht! Gott, was bist du nur für ein Idiot.«
»Yeah, das war blöd von mir. Vor allem weil ich sofort gemerkt hab, daß sich der Lady-Detective einen Dreck drum scherte, was mich betraf. Und sie hat mich noch nicht mal unter Druck gesetzt. Dann dachte ich … okay, jetzt kann ich nicht mehr zurücknehmen, was ich gesagt habe. Aber mal angenommen, ich war auch mit dir zusammen. Dann könntest du für mich bürgen, und der Lady-Cop brauchte die Frau nicht zu belästigen.«
»Was genau soll ich denn deiner Meinung nach sagen, Jeffs?«
»Danke …«
»Hey, ich hab nicht gesagt, ich mach’s.«
»Ich weiß, ich weiß. Kannst du denn nicht … wenn der Lady-Detective anfängt zu bohren, kann du dann nicht einfach sagen, ich war von zehn bis zwei Uhr morgens bei dir gewesen?«
»Zu lange.«
»Okay, okay. Zwölf bis zwei?«
»Ich geb dir eine Stunde. Zwölf bis eins. Und ich hab dem Lady-Cop beim ersten Mal nichts davon gesagt, weil du …« Ness zog mehrmals ostentativ die Nase hoch.
»Nein, nein, bitte sag davon nichts. Ich bin doch offiziell clean. Lilah glaubt jedenfalls, ich war clean.«
»Dann hattest du eben einen Rückfall. Du hast mit der Frau gekokst, deshalb wolltest du auch ihren Namen nicht nennen hey, deshalb bist du zu mir gekommen! Du warst so verzweifelt über deinen Rückfall, daß du mit jemand reden mußtest.
Und ich wollte dich nicht reinziehen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Ich bin halt ein netter Mensch. Du tatest mir leid.« Ness lächelte. »Schließlich bist du ja ein armer, kranker Kerl, Jeffs, und das ist nicht gelogen. Du bist süchtig.« Er hielt die Finger hoch und fing an abzuzählen. »Drogensüchtig, sportsüchtig, sexsüchtig …«
»Mike …«
»Bei dir wird halt alles zur Sucht.«
Jeffers senkte den Kopf. »Hör auf damit.«
»Schluchz, schluchz, Jeffs. Die Betham will mich am Arsch kriegen, nicht dich. Wenn du sie nicht gefickt hättest, war sie nicht sauer auf mich gewesen, als ich nein sagte.«
»Ich weiß, Nessy. Reit bitte nicht darauf rum.«
»Ich hab dir doch gesagt, daß die ein Fall für den Psychiater ist.«
»Du hattest ja recht.«
»Wen hast du überhaupt letzte Nacht gebumst?«
»Patsy.«
Ness lächelte. »Die kleine Patsy Levington. Wie groß ist die überhaupt? Noch keine einsfünfzig?«
»Im Liegen sehen sie alle gleich aus.«
Einen Augenblick sagte keiner etwas. Dann fingen beide Männer schallend an zu lachen. Sie lachten, bis ihnen die Tränen die Wangen hinunterliefen. Ness wischte sich durch das Gesicht.
»Patsy hat dir also zweihundert gezahlt?«
»Die sind alle ganz wild drauf, einen Nigger zu ficken, Nessy.«
»Du bist doch gar kein richtiger Nigger, Jeffs.«
»Deshalb bin ich für die ja so perfekt. Echt genug, um gefährlich zu wirken, aber nicht so schwarz, daß ich …«
»Daß du bedrohlich wärst.«
»Genau, Mann. Weiße Lady mag keinen bedrohlichen Nigger.«
»Gott, ich kann es kaum fassen, daß sie dir zweihundert gezahlt hat.«
»Du läßt dir da eine Goldmine entgehen. Das sag ich dir doch immer wieder.«
»Und ich sag dir immer wieder, wenn du damit nicht aufhörst, fällst du auf den Arsch.«
»Ich hör ja auf …«
»Jeffs …«
»Ja, ganz bestimmt.« Jeffers legte den Schläger auf seinen Schoß. »Ich such mir ein reiches weißes Mädchen …«
»Yeah, klar doch!«
»Warte … ich such mir ein reiches weißes Mädchen, das seinen Vater haßt.«
»Das wäre eine Möglichkeit.«
Jeffers lächelte. »Bring sie dazu, daß sie sich ganz schlimm findet, weil sie einen schwarzen Mann fickt.«
»Weiter.«
»Vielleicht mach ich ihr sogar ein Kind …«
»Schon mal was von Abtreibung gehört?«
»Yeah, aber ich werd behaupten, ich wollte das Baby.« Jeffers lächelte. »Das Produkt unserer Liebe.«
Ness lachte.
»Dann …« Jeffers hob einen Finger. »Dann hau ich ihren Alten für Knete an. Keine Beauty-Farm mehr, kein Tennis mehr. Dann bin ich hier raus.«
Ness klopfte dem Tennislehrer grinsend auf die Schulter. »Träum weiter, Jeffs. Das ist gut für die Seele.«
Jeffers nahm seinen Schläger und stand auf. »Dann ist also alles klar?«
»Fast.« Ness erhob sich langsam von seinem Bett und öffnete lächelnd Jeffers’ Gürtel. »Du schuldest mir noch was.«
»Ich weiß.«
»Du hast dich noch immer nicht für Betham revanchiert.«
»Ich weiß.«
»Als Lilah mich fragte, hab ich kein Wort gesagt …«
»Ja doch, Mann!«
»Kein Grund zu schreien, Jeffs. Ich will das ja nur klarstellen.«
»Wenn ich zu Schotter komm, Mike, kriegst du die Hälfte. Ich schwör’s dir. Die volle Hälfte.«
»Nichts für ungut, Jeffs, aber das haut mich nicht um.« Ness zog Jeffers’s Gürtel aus den Schlaufen. Im Geldfach war ein Bündel Zwanziger. Glatte zweihundert. Ness zählte fünf Scheine ab und steckte sie sich in die Tasche. Dann drückte er das restliche Geld Jeffers zusammen mit dem Gürtel in die Hand. »Weißt du, was ich an deiner Stelle tun würd, Eub?«
»Was denn?«
»Ich würd mir ’nen Zehner nehmen und eine einzelne langstielige rote Rose für Patsy kaufen. Sie ist noch eine Woche hier. Und ich würd sagen, zehn Dollar für eine Rose ist eine gute Investition in die Zukunft.«
Jeffers zog seinen Gürtel wieder um die Taille und steckte die restlichen Zwanziger zurück in das Fach.
»Gute Idee?« fragte Ness.
»Gute Idee«, antwortete Jeffers.
Decker schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich hin. Wenn er schlecht geschlafen hatte, kam er morgens nur schwer in Gang. Zu dumm, daß Menschen keine Batterien hatten, denn eine Starthilfe wäre jetzt genau das richtige.
Duschen half ein bißchen; ebenso das Brennen des Rasierwassers. Während er sich anzog, dachte er über Rina nach. Sie war schon immer ein Energiebündel gewesen, doch jetzt entwickelte sie einen übermenschlichen Tatendrang. Sie hatte nicht nur ein riesiges Frühstück vorbereitet, sondern bereits morgens um halb sechs das Mittagessen gekocht, summend in den Töpfen gerührt, gemixt und gebraten. Um diese Uhrzeit hatte sie nur den Hund, die Vögel und ein paar Turteltauben als Gesellschaft. Noch halb schlafend, stellte er sich vor, wie sie in einem einfachen weiten Kleid mit einer Schürze drüber durch die Küche tanzte und mit den Tieren redete – ein schwangeres Aschenputtel. Er bedauerte nur, daß er nicht mehr von einem Märchenprinzen an sich hatte.
Sich die Haare mit einem Handtuch trocken reibend, kam er gerade in die Küche, als das Telefon klingelte. Rina hatte vor ihm den Hörer abgenommen.
»Hallo«, sagte sie singend in die Sprechmuschel.
Am anderen Ende herrschte erst Schweigen, dann kam eine heisere Frauenstimme.
»Könnte ich bitte Peter sprechen?«
Decker sah Rinas Lächeln schwinden.
Die heisere Stimme sagte: »Das ist doch der Anschluß von Peter Decker?«
»Ja, das ist richtig«, antwortete Rina. »Wer ist da, bitte?«
»Lilah Brecht.«
Decker sah, wie Rinas Augen größer wurden.
»Wer ist da?« fragte Decker.
»Lilah Brecht.« Rina legte eine Hand über die Sprechmuschel. »Was will sie von dir?«
»Kann ich bitte das Telefon haben, Rina?«
Widerwillig gab Rina ihm den Hörer.
Decker lächelte seine Frau an und sagte: »Hier ist Decker. Wie sind Sie an meine Privatnummer gekommen, Ms. Brecht?«
»Lilah.«
»Wie sind Sie an meine Nummer gekommen?«
»Peter, es tut mir sehr leid, daß ich Sie zu Hause belästige. Ich hab’s bei Ihrer Dienststelle versucht … es tut mir leid.«
Er stieß seine Zunge gegen die Wangen und betrachtete Rina, die eher verblüfft als wütend zu sein schien. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich muß mit Ihnen reden, Peter.«
»Okay. Ich bin ganz Ohr.«
»Ich würde gerne persönlich mit Ihnen sprechen.«
»In Ordnung. Dann kommen Sie doch gegen elf in mein Büro.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie gegen elf zu meiner Ranch kommen könnten.«
Decker spürte, wie sich seine Kinnlade anspannte, während sein Blick wieder zu Rina wanderte.
»Schon gut, ich geh raus«, sagte sie.
»Warte!« rief Decker.
»Wie bitte?«
»Bleiben Sie dran, Lilah.« Seine Stimme klang heftiger, als er beabsichtigt hatte. Er legte eine Hand über die Sprechmuschel und flüsterte: »Ich hab nicht gesagt, daß du rausgehen sollst.«
»Du hattest aber diesen Ausdruck im Gesicht.«
»Was für einen Ausdruck?«
»Diesen ›Sie-könnte-was-mithören‹-Ausdruck.«
»Rina …«
»Vergiß es, Peter. Ich geh die Jungs wecken.« Sie stapfte aus dem Zimmer.
Er sah auf die Uhr. Sieben Uhr drei, und er spürte schon jetzt, wie er Kopfschmerzen bekam. Er kümmerte sich wieder um die Anruferin. »Lilah, ich hoffe, daß wir in Ihrem Fall sehr bald einen Durchbruch erleben. Mir ist klar, daß Sie Schreckliches durchgemacht haben …«
»Ich hab letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen. Ich mochte nicht in … dem Zimmer schlafen. Es ist alles noch durcheinander und … Ich hab dann im Gästezimmer geschlafen, bin aber alle fünf Minuten aufgewacht … in kalten Schweiß gebadet. Um vier Uhr morgens konnte ich es schließlich nicht mehr aushalten und hab Freddy gebeten zu kommen. Er hat auf der Couch gepennt. Ich … ich hab einfach nicht gedacht, daß es so furchtbar sein würde, Peter. Und jetzt …« Sie holte tief Luft. »Dieser … dieser Zwischenfall war für alle schlimm, aber für mich ist es besonders schrecklich. Ich muß mich um mein Geschäft kümmern. Ich muß Leuten gegenübertreten und gesund und glücklich sein und …«
Sie brach in Tränen aus.
Decker wartete einen Moment. »Ich weiß, daß das eine furchtbare Zeit für Sie ist, und es tut mir leid …«
»Das weiß ich doch.« Ihre Stimme wurde sanft und verführerisch. »Ich kann Ihren Schmerz durch das Telefon spüren.«
Mike Hollanders Worte schossen durch Deckers dröhnenden Schädel. Mit Betonung auf dem »sehr, sehr«. Tatsache war, die Frau war sehr schön und sehr unglücklich – eine gefährliche Mischung.
»Lilah, ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu harsch, aber wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen wir einige Grundregeln festsetzen. Erstens, rufen Sie mich auf gar keinen Fall wieder zu Hause an …«
»Angst, daß ich das kleine Frauchen erschrecke?«
Vor allen Dingen, Deck, bist du Profi.
»Wenn Sie sich mit mir in Verbindung setzen müssen, rufen Sie bei meiner Dienststelle an, und die rufen dann mich an. Sind wir uns darüber einig?«
»Kommen Sie nun zur Ranch raus oder nicht?«
»Dieses eine Mal komme ich.«
»Oh, danke, Peter …«
»Ich weiß, daß Sie viel durchgemacht haben, deshalb komme ich dieses eine Mal. Aber danach, wenn Sie mit mir reden müssen oder wenn Sie sich einfach nur mit mir unterhalten wollen, rufen Sie mich über meine Dienststelle an. Sie können mich zehnmal anrufen, wenn Sie wollen, aber rufen Sie bei der Dienst …«
»Sie sind aber ganz schön überheblich, Peter.«
»Weil ich, genauso wie Sie, mein Berufsleben von meinem Privatleben trennen will.«
»Angesichts meiner Situation kann man doch wohl mal eine Ausnahme machen.«
»Lilah, wenn Sie das Gefühl haben, sich nicht an die Grundregeln halten zu können, übergebe ich den Fall gern einem anderen Detective …«
Decker hörte, wie das Telefon aufgeknallt wurde, und dann ertönte das Freizeichen. Langsam hängte er ein.
»Alles okay, Dad?«
Decker drehte sich um. »Morgen, Sammy.« Er ging zu dem Jungen und küßte ihn auf die Stirn. »Du siehst schon wieder besser aus.«
»Ich fühl mich auch viel besser.«
»Sehr gut.« Decker umarmte ihn kurz. »Deine Mutter hat ein riesiges Frühstück gemacht. Was hättest du gern? Eier? Toast? Pfannkuchen mit Sirup?«
»Ima ist sauer.«
»Yeah, das fürchte ich auch.«
»Ist sie wütend auf dich?«
»Ich glaub ja.«
»Kann ich irgendwas tun?«
»Nein. Das gibt sich schon wieder.«
Mit verschlafenen Augen kam Jacob in die Küche. Sein schwarzes Haar stand nach allen Seiten ab, eine Jarmulke saß links auf seinem Kopf. Er hatte seine Schuluniform an, doch das blaue Hemd steckte noch nicht richtig in der marineblauen Hose. Fransen von seinem tzitzit, dem religiösen Kleidungsstück, das er unter dem Hemd trug, lugten hervor.
»Hi«, sagte er mit krächzender Stimme.
»Morgen, Jake.« Decker legte einen Arm um seinen jüngeren Stiefsohn. »Gut geschlafen?«
»Yeah.«
»Kann ich dir was zu essen holen?«
»Nur eine Schale Cornflakes.«
»Ich mach sie ihm«, sagte Sammy zu Decker. »Geh du mit Ima reden.«
»Ich kann mir meine Cornflakes selber machen«, sagte Jacob. »Warum mußt du mit Ima reden, Pete – äh, Dad. Ich darf dich doch auch Dad nennen, oder?«
»Natürlich. Find ich toll, daß du das willst.«
Jacob ließ sich auf keine Gefühlsduseleien ein. »Ist Ima böse auf dich oder was?«
»Irgend so was«, sagte Decker.
»Yeah, sie wirkte heute morgen ein bißchen nervös. Sie wird ja in letzter Zeit oft wütend. Liegt wohl an all diesen Hormonen, oder?«
»Manchmal ja. Manchmal hat sie aber auch wirklich Grund, wütend zu sein.«
»Ich wünschte, sie hätte das Baby schon«, sagte Jacob. »Erst mußte sie dauernd brechen, und jetzt wird sie ständig wütend und weint ohne jeden Grund. Ist das normal?«
»Ganz normal«, versicherte Decker ihm.
Jacob schüttelte nur den Kopf und kippte sich eine Ladung Crunchies in eine Schüssel. »Meinst du, sie regt sich auf, weil ich Cornflakes esse und nicht das gesunde Zeug?«
»Iß doch einen Pfannkuchen«, schlug Decker vor.
»Ima hat an einem Schultag Pfannkuchen gemacht?« Jacob schob die Schüssel beiseite. »Das ist auch nicht normal. Aber wenigstens was Gutes.«
»Wenn ihr beide mich nicht braucht, werd ich jetzt mal mit eurer Mutter reden.«
»Haben wir Sirup?«
»Steht auf dem Tisch, Yonkel.«
»Kannst du dich erinnern, daß Ima je an einem Schultag Pfannkuchen gemacht hat?« sagte Jacob zu Sam.
»Vielleicht ein- oder zweimal.«
»Wann denn?«
»Ich weiß nicht. Aber ich glaub, sie hat.«
»Kann ich mich nicht dran erinnern.«
»Vielleicht an meinem Geburtstag«, sagte Sammy.
»Kann ich mich nicht dran erinnern.«
»Vielleicht an deinem Geburtstag.«
»Ich hab im Sommer Geburtstag. Da ist keine Schule.«
Decker verzog sich, während die Jungen zu vertieft in ihr Gespräch über Pfannkuchen waren, um ihn rausgehen zu hören. Er fand Rina im Schlafzimmer, wo sie Laken und Kopfkissenbezüge von ihrem großen California-King-Bett riß.
»Kann ich dir helfen?«
»Nein.«
»Könntest du vielleicht einen Augenblick aufhören?«
»Auf einen Mann wartet ja keine schmutzige Wäsche.«
»Bitte.«
Rina verharrte, die Arme um ein abgezogenes Kissen gelegt. »Wie ist Lilah an unsere Telefonnummer gekommen?«
Decker ignorierte ihren Tonfall. »Das weiß ich nicht.«
»Hast du ihr gesagt, sie soll nicht hier anrufen?«
»Natürlich hab ich ihr gesagt, sie soll nicht hier anrufen!«
»Hast du ihr auch gesagt, sie soll dich nicht Peter nennen?«
»Ich kann nichts daran machen, wie sie mich anredet.«
»Aber du könntest ihr sagen, sie soll es nicht tun.«
»Rina, das ist eine rein berufliche Angelegenheit. Um Himmels willen, sie ist einer meiner Fälle. Ich würd doch keinem meiner Fälle meine Privatnummer geben.«
»Mir hast du sie auch gegeben!«
»Augenblick mal …«
»Allerdings hab ich dich nicht von Anfang an Peter genannt.« Sie verließ das Schlafzimmer und machte sich an die Betten im Kinderzimmer. Decker folgte ihr.
»Das ist nicht fair.«
»Es mag zwar nicht fair sein, aber es ist die Wahrheit!«
»Rina, da besteht ein großer Unterschied. Als ich dir meine Nummer gegeben hab, war ich nicht verheiratet.«
»Verheiratet oder nicht, ich bin sicher, daß es als unprofessionell gilt, mit deinen Fällen auszugehen!«
»Ich bin mit niemandem ausgegangen!«
»Ich wette, ich war nicht der erste Fall, dem du deine Privatnummer gegeben hast.«
»Rina …«
»Nun, war ich die erste?«
In seinem Kopf begann ein Hammer mit voller Wucht zu dröhnen. »Du warst zwar vielleicht nicht die erste« – er lächelte jungenhaft –, »aber bestimmt warst du die letzte.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Rina ließ sich auf das Bett sinken. Decker setzte sich neben sie.
»Worum streiten wir uns eigentlich?« fragte er.
»Darum, daß deine Fälle dich nicht zu Hause anrufen und in unser Privatleben eindringen sollen!«
»Einverstanden.«
»Und deine Fälle sollten dich nicht mit dem Vornamen anreden.«
»Sie ist nicht die erste, die mich mit Vornamen anredet.«
»Aber bestimmt die hübscheste.«
Bingo! Da hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
»Darling, darf ich ganz ehrlich zu dir sein?«
»Klar, Peter, öfter mal was Neues.«
»Rina …«
»Tut mir leid.«
Decker lächelte. »Ich glaube, du bist eifersüchtig.«
»Was?«
»Und ich bin überglücklich darüber.«
»Ich bin nicht eifersüchtig. Ich bin wütend! Und das solltest du auch sein. Du hast bestimmt keinen Grund, überglücklich zu sein.«
»Das seh ich nicht so.« Decker hielt inne. »Rina, ich glaube, du bist die schönste Frau auf diesem Planeten …«
»Ich bin fett wie eine Kuh.«
»Du bist nicht fett, du bist schwanger …«
»Hör doch auf …«
»Ich kann den Unterschied erkennen, und das kann jeder andere auch. Darling, ich seh, wie dich Jungen im Teenageralter gierig beäugen. Als ob du meine … meine unverheiratete Tochter wärst, die sich in Schwierigkeiten gebracht hat. Und was Männer in meinem Alter angeht, da brauchen wir gar nicht drüber zu reden. Das ganze Büro kriegt feuchte Hände, wenn du nur reinkommst.«
»Das ist einfach lächerlich.«
»Bis auf Marge und Kate. Auf die hast du keine Wirkung. Bei Ellen bin ich mir allerdings nicht so sicher.«
»Peter, du redest Unsinn.«
»Rina, ich will ja nur sagen, daß ich mir nach den zweieinhalb Jahren, die wir nun zusammen sind, immer noch vorkomme wie in Die Schöne und das Biest, und daß ich mich freue, wie sehr du mich magst.«
Rina nahm seine Hand. »Irgendwie hab ich das Gefühl, daß du ganz schön Süßholz raspelst.«
Decker lachte.
»Du hast Lilah also gesagt, sie soll nicht hier anrufen?«
»Yep. Außerdem hab ich ihr gesagt, wenn ihr das nicht gefällt, würde ich den Fall gern einem anderen Detective übergeben?«
»Das hast du ihr gesagt?«
»Yep.«
»Und was hat sie darauf geantwortet?«
»Sie hat eingehängt.«
Rina lächelte.
»Tatsächlich?«
»Yep.«
»Nun ja …« Sie tätschelte seine Hand. »Ich weiß, wie dich deine ungelösten Fälle belasten. Du darfst zurückrufen und es wieder gutmachen.«
»Nee, ist schon okay. Sie wollte mir persönlich was sagen. Ich bin um elf mit ihr auf ihrer Ranch verabredet. Ich fahr mal hin und seh, wie ich empfangen werde. Wenn sie sich an mich ranmachen will, gebe ich die Sache an Marge weiter.«
»Du fährst zu ihrer Ranch? Zu ihr nach Hause?«
»Ja, Rina, das mach ich.«
»Na schön.« Sie entzog ihm seine Hand. »Ich brauch dir ja nicht zu sagen, wie du deine Arbeit tun sollst.«
»Danke.«
Rina sah auf ihre Uhr. »Du solltest besser los, wenn du die Jungs zur Schule bringen willst.«
»Sind wir wieder Freunde?«
»Überleg ich mir noch.« Rina beugte sich zu ihm und küßte ihn auf die Wange. »Natürlich sind wir Freunde. Und jetzt ab.«
»Soll ich zum Mittagessen nach Hause kommen?«
»Aber nicht zu früh – so gegen eins, halb zwei.«
»Kein Problem, mein Schatz.« Decker stand auf. »Bist du heute Vormittag zu Hause?«
»Nein. Die Schule hat angerufen und gefragt, ob ich Vertretung bei den Mädchen der siebten Klasse machen könnte. Warum?«
»Es ist nicht so dringend. Aber falls du dazu kommst, ruf bei der Telefongesellschaft an und laß unsere Nummer ändern.«
»Nur für den Fall?«
»Nur für den Fall.«