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»Wenn Sie wegen heute Abend kommen«, sagte Loun statt einer Begrüßung, »dann können Sie das einfach unter legale Versammlung abheften und sich wieder auf die Socken machen.«
»Ooch. Und ich dachte schon, ihr würdet mich zum Maskottchen ernennen und den Jungs vorstellen.« George hatte den Blick auf die gerahmten Verbrecherfotos geheftet. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Dieser belustigte Ausdruck war mir bestens vertraut. Ich glaubte nicht, dass wir uns Sorgen darüber machen mussten, dass Adrienne unversehens auftauchen würde – eher schon galt es, George im Auge zu behalten.
»Wir haben bloß ein paar Fragen zu den Good Citizens«, begann Emma Jan.
Behrman feixte. »Ich glaub ja nicht, dass das Ihr Ding ist.«
»Aber wir sind den ganzen weiten Weg hergekommen, bloß um eine Anmeldung zu bekommen«, nahm ich das Wort. »So, und jetzt kommt der lustige Teil: Meine Kollegen und ich bearbeiten doch diesen lästigen Fall, JB – alles klar? Schrecklich. Es ist einfach nur schrecklich. Und in der Tasche des letzten Opfers haben wir einen Parkschein gefunden, der Ihnen gehört.«
Loun und Behrman starrten sich offenen Mundes an, dann richteten sie ungläubige Blicke auf mich. »Sie haben was?«
»Tja, wir konnten’s auch nicht glauben. Ich meine, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit?« Darüber wollte ich selber lieber nicht nachdenken. Jemand hat uns geholfen. Wir wären niemals auf Loun und Behrman zurückgekommen, wäre da nicht dieser Parkschein gewesen. Und der Mörder hatte ihn beileibe nicht hinterlassen, weil er nachlässig wurde. Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken, wie viele Vierzehnjährige noch hätten sterben müssen, wenn uns der Mörder nicht ein wenig auf die Sprünge geholfen hätte. Es machte einen wahnsinnig – und wütend. Depressiv. Vor allem Letzteres. »Dazu möchten wir Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Wichtige Frage Nummer eins«, begann George, der gerade das Verbrecherfoto der weißen Frau betrachtete. »Seid ihr die June-Boys-Mörder?«
Sie überboten sich beinahe gegenseitig mit Beteuerungen, dass sie niemals, niemals, nicht in einer Million Jahren – klar, als Teenager hätten sie schon mal den einen oder anderen Mist gebaut – aber sie würden niemals einen weißen Jungen ermorden! Allein der Gedanke! Die bloße Vorstellung! Wir würden sie zu Unrecht verdächtigen!
»Ja, schon gut, beruhigen Sie sich. Mensch, Behrman, setzen Sie sich bloß hin, bevor Sie mir in Ohnmacht fallen.« Belustigt bugsierte George Behrman in einen Polstersessel, dessen Bezug Farbe und Geruch maisgelber Nachos hatte. »Wir haben diese Theorie vorerst aufgegeben. Könnten euch aber jederzeit verhaften. Stellt euch nur mal die Schlagzeilen vor: Hiesige Frömmler sind die geifernden Mörder weißer Jungen.«
»Au, Jesus!«, stieß Loun hervor, dessen Gesicht die Farbe fahler Baumwolle angenommen hatte. »Ihr könnt doch nicht einfach … wir haben keinen getötet!«
»Okay. Aber wenn das stimmt …«
»Es stimmt! Es stimmt! Mensch, wir war’n das nicht!«
»Okay, aber wenn es stimmt, dann … kennt der Mörder euch. Oder ihr ihn.«
Sie, eigentlich. Loun und Behrman kannten die Mörder, dessen war ich mir sicher. Aber ich glaubte nicht, dass sie wussten, inwiefern sie ihn oder sie kannten. Wie also sollten wir diese Information aus ihnen herausbekommen, wenn sie es doch selbst nicht wussten?
Ich dachte wieder an das, was George vorhin gesagt hatte: Wenn wir das Motiv kannten, dann kannten wir auch den Mörder. Aber würde auch der Umkehrschluss gelten? Wenn wir den Mörder kannten, dann würde sich uns auch das Motiv enthüllen?
»Sie können damit anfangen, indem Sie uns erzählen, was Ihr Wagen am Tag des Mordes in dem Parkhaus zu suchen hatte«, sagte Emma Jan.
Also berichteten sie. Und es klang gut, es klang stimmig. Es war ein Rekrutierungstreffen für ihre blöde Möchtegern-Miliz gewesen. Mir fiel es jedoch schwer, mich auf ihren Bericht zu konzentrieren. Ich konnte meine Augen einfach nicht von den Verbrecherfotos lösen.
Schwarze Männer. Und die weiße Frau. Alte erkennungsdienstliche Fotos aus den 50er-Jahren, wenn ich richtig tippte. Warum hingen sie hier rum? Warum waren sie nachgedruckt und sorgfältig gerahmt und im Trailer eines eingefleischten Frömmlers aufgehängt worden?
Wenn ich Behrman fragte, würde er es mir sagen. Aber ich wollte gar nicht wissen, was er mir sagen würde. Ich wollte nur für mich wissen, was diese Fotos mit dem Fall zu tun hatten. Denn ich spürte, dass sie wichtig waren, auch wenn ich nicht wusste, warum.
Schwarze Männer. Eine weiße Frau. Alt. Sie waren alt … wie JB. Zumindest der JB, der den ersten Mord verübt hatte. Er musste inzwischen ziemlich alt sein. Vielleicht sogar tot. Aber als er angefangen hatte, musste er sehr viel jünger gewesen sein.
Und er hatte angefangen
(angefangen)
er hatte angefangen als als als
Allmählich bekam ich Kopfschmerzen. Oder konnte Blau riechen. Vielleicht war es das. Ist es so, wenn man Blau riechen kann? Weil es wirklich unangenehm war. Es fühlte sich an, als ob mein Kopf gleich ...