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»... ihnen gemacht?«
George trat beiseite, damit der Wachhabende die Zellentür aufschließen konnte. Officer Crayon (der Ärmste! Was für ein Name) war ebenfalls darauf bedacht, Sicherheitsabstand zu halten, als ich die Zelle verließ.
»Wie war das bitte, George? Hab das nicht ganz mitbekommen.« Die meisten Leute würden so etwas wohl für eine kurze Zerstreutheit halten, oder als habe man nicht richtig zugehört. So was passiert mir aber nie. Blöde verflixte MP. Shiro hatte wohl wie üblich erneut das Ruder übernommen und sich darin gefallen, irgendeine blödsinnige, obskure Bemerkung abzusondern. Denn dass sie zum Vorschein kam, um mir zu helfen, passierte äußerst selten.
Dennoch: Ich versuchte, mein inneres Gewinsel unter Kontrolle zu halten. Es hätte schlimmer kommen können. Es hätte viel schlimmer kommen können. Es gab wesentlich Schlimmeres als eine Shiro, die das Ruder übernahm.
»Ich habe gefragt – und versuch doch mal eine halbe Minute lang in deinem Körper zu bleiben, wenn’s nicht zu viel verdammte Mühe macht! –, was du den armen Tussen da drin angetan hast?«
»Nenn sie nicht so!« Ich war so erschrocken, dass ich glatt wieder zurück in die Zelle gefallen wäre, hätte der Officer nicht bereits die Tür geschlossen. »Das sind auch Menschen, George Pinkman, und sie verdienen Achtung.«
»In der Zelle sitzen zwei Nutten und eine Mannweib-Lesbe, die ihre Freundin schlägt.« Er drehte sich um und sprach im Rückwärtsgehen zu meinen ehemaligen Zellengenossinnen: »Und dass ihr mich ja nicht falsch versteht: Mir gefällt’s. Hey, häusliche Gewalt sollte jeden treffen, nicht bloß Heteros. Also munter weiter so, Mädels. Hipp-hipp-hurra auf das gleiche Recht für alle!«
»Du hältst sofort deinen frechen Mund!« Ich wedelte wie verrückt mit den Armen und versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. »Sie könnten dich doch hören!«
»Wenn du so mit den Armen wedelst, siehst du aus wie ’ne Ente auf der Flucht. Und klar können sie mich hören«, erklärte er vernünftig, ohne eine Ahnung davon zu haben, was mich aufregte. »Wir sind doch nur zwei Meter entfernt. Wenn wir allerdings durch diese schwere Stahltür da gehen und sie hinter uns zugeknallt wird, dann können sie mich natürlich nicht mehr hören.«
»Du … du begreifst es einfach nicht, wie? Und du wirst es auch nie begreifen. Du schaust sie an, und du schaust mich an, aber nie schaltest du dein Gefühl ein. Du siehst die Menschen überhaupt nicht. Für dich sind sie nur Spielzeug. Bestenfalls.« Ich wollte es nicht sagen. Ich würde es nicht sagen! »Tut mir leid.«
Schon wieder! Verflixt!
George gähnte. Natürlich hatte er ähnliche Vorwürfe schon von seinen Chefs, Therapeuten, Kollegen, Verwandten und auch Fremden gehört. Ich wusste gar nicht, warum ich mir die Mühe machte. Ich wusste auch nicht, warum sein widerlicher Quatsch mir noch mehr als sonst zusetzte.
Stimmt nicht, ich wusste es doch. Denn ich hatte meinem Psychiater versprochen, ich würde mich wirklich anstrengen, mich nicht mehr selbst zu belügen. »Wir lügen am besten, wenn wir uns selbst belügen«, hatte er gesagt, und ich fand, das klang tiefsinnig und treffend, während meine Schwester Shiro es ...