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Hat sie mich gerade eine ehrgeizige Datentechnikerin genannt? Meine Güte! Ich, Shiro Jones, bin ebenso Field Agent wie Cadence. Es ist wirklich nicht nötig, mit ungenauen Berufsbezeichnungen um sich zu werfen, bloß weil ich in meiner knapp bemessenen Freizeit gern Daten analysiere.

Niemand ist überraschter als ich gewesen, dort ein Muster zu erkennen, wo wir vorher nur etwas gesehen hatten, das Michaela das Zufällige zu nennen pflegt.

Als wir noch sehr jung waren, keine sieben, haben Cadence und ich mal ein 500-Teile-Puzzle gelegt. Es war ein vollkommen schwarzes Bild mit einer Mandarine in der Mitte. Wir brauchten länger als ein Jahr, um es zu vollenden.

Wenn ich den Körper bewohnte, legte ich ein paar Teile, und wenn Cadence wieder übernahm, gab sie ihr Bestes. Was Adrienne mit dem Puzzle anstellte, will ich gar nicht erst erwähnen, jedenfalls mussten wir viele Male neu beginnen. Aber keine von uns wollte aufhören. Wir wollten uns nicht durch Adriennes Wutanfälle von der Vollendung unseres Puzzles abhalten lassen.

Selbst heute weiß ich noch nicht, warum wir so hartnäckig weitermachten. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Cadence und ich uns vollkommen einig waren. Eine der seltenen Gelegenheiten, da wir nicht ständig um den gleichen Körper kämpften.

Ich gebe es ja nur ungern zu, aber wenn mich Adrienne nicht gezwungen hätte, das Puzzle immer wieder neu zusammenzusetzen, wenn ich nicht hätte anfangen und aufhören und meine Züge überdenken müssen dann hätte ich das Muster im JB-Fall vielleicht niemals entdeckt.

Ich bin keine Freundin von Mutmaßungen, doch gelegentlich gebe ich solchen Anwandlungen nach. Und dass ich lange Zeit nicht fähig war, hinter den JB-Morden das Muster zu erkennen, lag daran, dass in unserem Land jeden Monat junge Menschen ermordet werden. Und nicht nur in unserem Land, sondern überall, nur in der Antarktis nicht. So eine giftige Spezies sind wir wo immer wir uns niederlassen, verletzen und töten wir einander.

Manchmal ist es unmöglich, aus der ganzen Datenflut einen Sinn zu extrahieren. Doch dann wieder, wenn man die Zahlen nur lange genug betrachtet hat gerade wenn man innehält und von Neuem beginnt , findet man etwas.

Ich legte Michaela sofort meine Ergebnisse vor, wie es unsere internen Richtlinien erfordern. Die Morde waren in verschiedenen Bundesstaaten begangen worden (mithin war das FBI zuständig), und zwar an unterschiedlichen Tagen im Juni, doch es war stets nur ein Opfer pro Juni gewesen.

Was unserem Material jedoch fehlte, war die Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien sich der Mörder seine Opfer aussuchte. Was uns wie reiner Zufall erschien, war für ihn (oder sie oder sogar mehrere Täter) selbstredend alles andere als ein Zufall.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie von ein und demselben Täter/Tätern erschlagen worden waren, hatten die Jugendlichen nichts gemeinsam. Sie waren unterschiedlicher Herkunft, Religion, Erziehung. Sie hatten verschiedene Haar- und Augenfarben und glichen sich auch nicht im Körperbau. Manche waren ein Kind in einer Geschwisterreihe, andere Einzelkinder. Manche waren in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen, zwei stammten aus Pflegefamilien. Manche kamen aus ärmlichen Verhältnissen, andere wieder verfügten über achtstellige Treuhandvermögen.

Und nun verfügte ich auch über eine Information, die mir noch vor zwei Stunden unbekannt gewesen war: Dr. Gallos Neffe war das siebente und letzte Opfer gewesen. Das machte die Zeitachse nahezu perfekt: Dem Täter war zwischen den Morden genug Zeit verblieben, um seine Arbeitsstelle zu kündigen, seinen Kram zu packen, eine neue Wohnung zu suchen und von einer Stadt in die andere zu ziehen.

Doch selbst dieses Wissen bescherte uns niemanden, der wirklich verdächtig war. Der ganze Fall blieb verwirrend. Und unerträglich. Sich vorzustellen, dass da draußen ein Schuft herumlief, der sich wahllos Kinder griff und abschlachtete, wie es der Farmer mit diesem oder jenem Huhn in seinem Stall tut. O ja, ich wollte den Mörder so einiges fragen. Und ich erwartete, meine Fragen eines Tages auch tatsächlich stellen zu können.

Denn ich würde den Fall lösen.