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»Hoho!«

Ich blickte auf und unterdrückte ein Stöhnen. Vor den Gitterstäben der Arrestzelle stand mein Partner George Pinkman, hielt sich mit der einen Hand den Bauch und zeigte mit der anderen auf mich. »Oh mein Gott! Und ich hab schon geglaubt, der Polizeibericht hätte übertrieben. Aber du hast es tatsächlich getan: Pudel geschoren!« Er wieherte noch sekundenlang, selten hatte ich ihn so guter Laune gesehen.

»Das hast du nicht geglaubt«, entgegnete ich entsetzt. »Polizisten pflegen in einem amtlichen Dokument nicht zu übertreiben.«

»Als ob ich einen Scheiß dadrum gäbe«, knurrte er abgrundtief gelangweilt der klassische Stimmungsumschwung eines eiskalten Soziopathen. Er beäugte das Innere der Zelle, die genauso aussah und roch wie alle Arrestzellen im Lande. Leider musste ich zugeben, dass ich mich in dieser Hinsicht gut auskannte. »Okay, aber das dürfte noch ganz interessant werden. Meine Lage kann sich nur verbessern.«

Sehen Sie, was ich meine? Seine Lage. Wie schon gesagt: klassisch.

George warf argwöhnische Blicke in den Korridor. »Und wie ist es da drin? Ist es so wie in Das Frauenlager

»Du bist widerlich.«

»Verdirb mir doch nicht den Spaß«, meckerte er. »Ich hab so wenig vom Leben. Frauengefängnis

»George.«

»Mädchen schutzlos hinter Gittern

»Willst du mich zum Kotzen bringen, oder ist das nur die Nebenwirkung, wenn man mit dir redet?« Autsch! Ich musste wohl angeschlagener sein, als ich dachte. Normalerweise bringe ich ein wenig mehr Höflichkeit auf. »Sorry.«

(Ich neige dazu, mich zwanghaft zu entschuldigen. War deswegen sogar beim Arzt/Therapeuten. Ich bin sehr auf Harmonie bedacht: Solange nicht alle zufrieden wirken, muss ich mich andauernd entschuldigen. Meine Schwestern hassen das.)

»So jung und so schlecht? Frauen für Zellenblock 9? Verbannt hinter Gittern

»Tut mir leid, wieder darauf hinweisen zu müssen.« Es tat mir wirklich leid! »Und vielleicht entsinnst du dich, dass ich dir das schon mal gesagt habe, aber mit dir ist wirklich etwas grundverkehrt.«

Er bedachte mich mit einem Fluch. »Verdammt. Dann wenigstens Mädchen in Uniform

Ich schüttelte den Kopf. »Welch schreckliche Dinge ich über dich erfahre, während ich in einer Zelle festsitze.«

»Kaffee?«

»Nein, danke. Ich steh nur auf Kakao.«

»Ich habe gemeint, ob du mir einen Kaffee spendierst, du nutzlose Hyäne.« Er gähnte herzhaft und fuhr sich mit den Fingern Pianistenfinger, Chirurgenfinger, Psychokillerfinger hingebungsvoll durch die dichten schwarzen Haare. »Die gottverdammte Michaela hat mich in aller Herrgottsfrühe rausgeklingelt, und ich musste meinen knackigen, wunderschönen Hintern hierher bewegen, um dich aus dem Knast zu eisen. An meinem einzigen freien Tag muss ich früh aufstehen und deinen traurigen Arsch retten!«

»Es ist zwei Uhr nachmittags.«

»Halt’s Maul. Ich hatte vorher noch was zu erledigen.« Er rieb sich die Augen, die absolut grün waren. »Hey, ich hab Gott und Arsch in ein und demselben Satz gesagt. Gehen wir.«

Ich wandte mich den drei Frauen zu, mit denen ich die vergangenen Stunden verbracht hatte. Zwei von ihnen drückten sich in die hintere linke Zellenecke. Die dritte kauerte neben der unteren Koje. Alle starrten mich an. Meine Güte, was für große Augen ihr habt, meine Zellengenossinnen. »War nett, mit euch zu reden.«

»Bitte, tun Sie uns nicht mehr weh.«

»Nein, nein«, beruhigte ich sie. »Natürlich nicht. Und, ähm, es tut mir sehr leid.« Was auch immer ich getan haben mochte.

Falls ich raten müsste (und das war gar nicht nötig, denn ich wusste es ganz genau), dann würde ich darauf tippen, dass meine Schwester Shiro ihnen einen Besuch abgestattet hatte. Das war schon schlimm genug. Wäre jedoch meine jüngste Schwester Adrienne aufgetaucht, hätten die Folgen noch wesentlich schrecklicher ausfallen können.

Natürlich konnte ich mich an nichts erinnern. Ein Umstand, an den ich gewöhnt war, der mir für gewöhnlich aber nichts ausmachte. Ich weiß noch, wie ich einmal vor Jahren Sybil von Flora Rheta Schreiber gelesen habe und nur dachte: Gott sei Dank, jemand hat’s begriffen, jemand hat’s wirklich begriffen, diese Frau schreibt über mich!

Manchmal hasste ich die Art, wie sich meine Schwestern meines Körpers bemächtigten und ihn dazu brachten, alle möglichen seltsamen und unerträglichen Dinge zu tun, um ihn dann nach vollbrachten Schandtaten wieder meiner Obhut zu überlassen.

Damit will ich sagen: Ich wusste nicht, welchen Blödsinn meine Zellengenossinnen angestellt hatten, und auch nicht, wie Shiro es ihnen heimgezahlt hatte, aber ich bin kein Mensch, der anderen etwas nachträgt.

»Also. Ähem. War nett, euch kennenzulernen.«

Das Mädel am Boden neben der Koje würde ein prächtiges Veilchen davontragen. Und was die anderen beiden anging bereits in dem Moment, als ich meinen Körper zurückbekommen hatte, stillte ich mit großem Eifer ihr Nasenbluten. Ich möchte anderen ja nichts Übles nachsagen, aber ich glaube wirklich, sie haben diese ganze Angelegenheit übermäßig aufgebauscht.