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Ich spuckte Haferflockenbrösel aus. Pfui! Wenn ich etwas hasse, dann sind es Haferflocken, die sich auf niederträchtige Weise überall verstecken, sogar zwischen Zucker, Butter und Mehl. Warum nur? Warum nur müssen sie so was Leckeres wie einen Keks ruinieren, indem sie Haferflocken reinstopfen? Nicht mal Cadence würde so etwas Dämliches tun.

Als ich aufwachte, wähnte ich zunächst, mich in einer modernen Folterkammer zu befinden. Überall lagen Opfer herum, denen Schläuche und Pumpen den Lebenssaft aus den Armen sogen (manche saugten sogar die kostbare Flüssigkeit aus dem einen Arm und speisten ihn in den anderen ein teuflisch!), und zwischen ihnen bewegten sich mehrere weiß bekittelte geheimnisvolle Gestalten. Ach ja, und nicht zu vergessen die abscheulichen Haferkekse.

Dann sprang plötzlich eines der Folteropfer auf und durchquerte den Raum, ohne im Geringsten lädiert auszusehen. Auf seinem Hemd prangte ein fröhlich-bunter Sticker mit der Aufschrift ICH HABE HEUTE BLUT GESPENDET!

Pfui und noch mal pfui. Schlimmer als ein Folterkeller eine Blutbank. Und jetzt wusste ich auch, warum ich hier war. Cadence würde niemals lügen.

Aufgemerkt: Ich habe würde statt könnte gesagt. Eine von Cadence’ vielen nutzlosen Allüren. Natürlich konnte sie lügen. Aber stattdessen zog sie es vor zu verschwinden. Und mich an ihrer Stelle zurückzulassen.

»Hab mich schon gefragt, wann Sie wohl genug haben?«, bemerkte eine amüsierte, mir unbekannte Männerstimme. Ich schaute nach links und erblickte etwas Merkwürdiges: einen Arzt, der eher wie ein Crystal-Dealer wirkte, und weniger wie ein besorgter Wohltäter der kranken Menschheit.

Seine Augen. Das Erste, was mir auffiel, waren seine Augen. Doch gleichzeitig drängten sich mir verschiedene andere Eindrücke auf: Dieser Arzt besaß den schlanken und doch muskulösen Körper eines Meisterschwimmers. Er trug ein blassblaues, sackartiges T-Shirt und Hospitalhosen, die durch häufiges Waschen derart ausgeblichen waren, dass sie geradezu samtig weich und doch so dünn wirkten, als könnten sie bei der nächsten hastigen Bewegung zerreißen.

Sein Haar war tiefschwarz und ziemlich lang es reichte über die Ohren, doch nicht bis zu den Schultern. Überdies versuchte es sich zu locken, was ihm aber nicht ganz gelang. Auch seine Augen waren so schwarz, dass man nicht zu erkennen vermochte, wo die Iris aufhörte und die Pupille anfing. Träge, fast eulenhaft, blinzelte er mich an. Und dies verlieh ihm zusammen mit der Schwärze seiner Augen ein fast haiähnliches Aussehen.

Raubtierhaft also und weiter? Da war noch etwas anderes, etwas, das ich nicht ganz zu identifizieren vermochte. Denn wenn man die körperlichen Merkmale beiseiteließ, blieb noch sein Gesichtsausdruck, der seltsam erwartungsvoll wirkte, als lauere er geradezu darauf, dass der zweite Schuh herabfiele. Oder der nächste Ziegelstein. Der ihn genau auf den Kopf träfe. Wie ging der Song noch gleich? Eyes glazed over in the thousand yard stare.

Seine Krankenhaus-ID wies ihn als MAX GALLO, Dr. med., aus. Auf dem Foto machte er ein finsteres Gesicht.

Alles in allem ein erstaunlicher Mann Mitte zwanzig, der (zumindest in meiner Wahrnehmung) urplötzlich aufgetaucht war wie eine Kugel aus einer Pistole.

Und was hatte er eben gesagt? »Wie bitte?«

»Die Kekse.« Seine Stimme war tief, hatte einen belustigten Klang. Seine Augen lächelten, sein Mund hingegen nicht. Auch ein Trick, den ich zu gern lernen würde. »Ich kann kaum glauben, dass ich hier gesessen und Ihnen zugesehen habe, wie Sie acht Stück hintereinander verschlungen haben. Wir wissen Ihre Spendenbereitschaft durchaus zu schätzen, aber könnten Sie es vielleicht möglich machen, sich vor den Spendeterminen auch ausreichend zu ernähren?«

Ach, du lieber Gott. Mein Magen rumpelte vernehmlich, und ich schmeckte und spürte die vermaledeiten Haferflocken bereits im Hals. Adrienne, du elende Schurkin, dafür wirst du mir ewig bezahlen.

Während mein Schwur noch wie eine dröhnende Glocke in meinem Hirn nachhallte, beugte ich mich über den Bettrand und kotzte Dr. Gallo auf die Turnschuhe.