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»... machen Sie hier?«
Ich blinzelte die Frau mir gegenüber erstaunt an. Sie wirkte ganz und gar nicht erfreut. Ihre Frisur, ein brünetter Pagenkopf, sah aus, als hätte sie ihn mit der Drahtbürste gekämmt. Das Gesicht war rot und glänzte. Ihre Kleidung schien schwer in Unordnung geraten – eine Laufmasche in der Strumpfhose, die Bluse aus dem Rockbund gerutscht, ein fehlender Schuh – und sie stand knöcheltief in einer Schneewehe. Der Blick ihrer braunen Augen wirkte äußerst starr.
»Und? Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«
»Ich hab doch hoffentlich Weihnachten nicht verpasst?«, fragte ich. Dies war beileibe keine müßige Frage. Alles, woran ich mich erinnerte, war, dass wir Dezember hatten, aber Schnee war meines Wissens nicht gefallen – es war ein merkwürdig grüner Winter.
»Das interessiert Sie?«
Ich überlegte, ob sie womöglich schwerhörig war. »Ähm. Ja. Das interessiert mich wirklich. Ich hoffe inständig, dass ich nicht schon wieder Weihnachten verpasst habe.«
»Haben Sie nicht zugehört?«, krächzte die Frau. Ihre Stimme klang sehr belegt, als wäre sie krank oder hätte erst vor Kurzem jemanden angeschrien. Vermutlich mich. Die Ärmste. Oder sie war heiser und krank. Die Ärmste! »Die Polizei ist bereits unterwegs! Das ist … ist … das ist Zerstörung von Eigentum! Glauben Sie, ich wüsste das nicht? Das weiß doch jeder! Sie haben … haben Eigentum vernichtet! Mein Eigentum!«
Das klang ja wirklich schlimm. Ich nickte heftig (»ja, oje, ist ja schrecklich, wirklich, wirklich schrecklich«), doch schien sie das nicht im Geringsten zu beruhigen.
Dann überlegte ich, wo ich mich eigentlich befand. Zeitungen lagen nicht herum, deshalb hatte ich keine Ahnung, in welcher Stadt ich war oder welchen Tag wir hatten. Und nirgendwo ein Fernseher in Sicht, auf dem der allgegenwärtige CNN-Stream lief. Fenster gab es zwar, aber die waren zu hoch angebracht, um Reklametafeln oder das typische Gelbe M oder sonst ein Wahrzeichen erspähen zu können. (Mmmmmh. Das Gelbe M! Plötzlich hatte ich einen Riesenappetit auf einen FishMac oder besser gleich fünf.) Keinerlei Hinweise auf den Namen des Gebäudes, in dem das arme Ding und ich gefangen waren. Bloß Gebell.
Viel Gebell von, wie ich kombinierte (da ich eine hervorragend ausgebildete FBI-Agentin bin, beherrsche ich das: aus allem und jedem Schlüsse ziehen), vielen Hunden.
Hunde.
Aha.
Ich schaute zu Boden und erkannte, dass sich der Schnee, in dem ich zu stehen meinte, aus etlichen Ballen Pudelwolle zusammensetzte.
»Oh-oh.«
»Das war’s? Das ist alles, was Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen haben? Nach allem, was Sie angerichtet haben?«
»Äh … oh, herrje?« (Fluchen ist was für die Fantasielosen.) »Es tut mir leid?« Eine Entschuldigung schien angebracht. Wenn man an einem fremden Ort in Gesellschaft einer wütenden Unbekannten knöcheltief in Pudelwolle aufwacht, dann ist eine Entschuldigung ganz gewiss angebracht.
»Und da sind sie auch schon!«, kreischte sie und wies mit schwungvoller Geste auf zwei Streifenpolizisten, die in der Tür erschienen. »Kommt doch, Jungs! Kommt her und … und holt sie euch.«
»Mich holen?«, fragte ich entsetzt. »Aber Sie kennen mich doch gar nicht!«
»Jetzt tun Sie nicht so, als hätten wir nicht zehn grässliche Minuten miteinander verbracht.«
Na ja. Wir eher nicht. Die Frau und ich, meine ich. Sie hatte Zeit mit meinem Körper verbracht, aber nicht mit mir. Keine Sorge: Ist nicht so verdorben, wie es klingt.
»Sie hat an meinen Showpudeln schwere Körperverletzungen begangen!«
Streichen Sie das. Das ist ganz genauso verdorben, wie es sich anhört.
Langsam kamen die Polizisten auf uns zu. »Ohhhhh, das klingt aber schlimm«, beeilte ich mich zu versichern. Ich bemühte mich um einen erschrockenen Tonfall und versuchte, nicht gefährlich auszusehen. Die Officer gehörten der Polizei von St. Paul an, wie ich sah. Beide waren groß und blond und beleibt, der eine hatte blaue Augen, der andere braune.
»Sie haben einen Überfall gemeldet, Ma’am?«, fragte Blauauge.
»Ich glaube schon, Officer«, erwiderte ich, ganz die bereitwillige Zeugin.
»Mund halten! Ich hab Sie gerufen.« Die Pudelbesitzerin blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ihr Atem roch nach Eiern. »Sie hat hier alles überfallen, ich werde jetzt verlieren, und die Arbeit von Monaten – von Monaten! – ist für die Katz.«
»Das Beste wäre, Sie verhaften mich«, trieb ich meine Kooperation noch ein Stück weiter. Ich wollte meinen Mokkabecher hinstellen, merkte dann aber, dass ich gar keinen in der Hand hielt. Kein Wunder, dass ich solchen Durst hatte. »Ich komme ohne weitere Umstände mit.«
Was ich auch tat.