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»Sein Name ist Jackson«, sagte Webster.
»Wie lange ist er denn schon bei denen?«, wollte Milosevic wissen.
»Fast ein Jahr«, erklärte Webster.
Elf Uhr vormittags, Donnerstag, der dritte Juli, Luftwaffenstützpunkt Peterson. Der Abteilungsleiter in Quantico faxte Material über das gesicherte Faxnetz der Luftwaffe aus Andrews herüber, so schnell die Geräte damit fertig wurden. Milosevic und Brogan rissen die Faxe aus den Geräten und reichten sie Webster und McGrath zur Analyse weiter. Auf der anderen Seite des Tisches betrachteten General Johnson und sein Adjutant eine Karte der nordwestlichen Ecke von Montana.
»Sie haben verdeckte Leute in allen diesen Gruppen?«, fragte Johnson.
Webster schüttelte den Kopf und lächelte.
»Nicht in allen«, sagte er. »Zu viele Gruppen und nicht genug Leute. Ich glaube, wir haben einfach Glück gehabt.«
»Ich wusste nicht, dass wir in der hier Leute haben«, sagte Brogan.
Webster lächelte immer noch.
»Es gibt eine Menge Dinge, die eine Menge Leute nicht wissen«, sagte er. »So ist es viel sicherer, oder nicht?«
»Und was sagt dieser Jackson?«, fragte Brogan.
»Erwähnt er Holly?«, fragte Johnson.
»Sagt er etwas darüber, was zum Teufel das eigentlich alles soll?«, fragte Milosevic.
Webster blies die Backen auf und deutete mit einer vagen Handbewegung auf den Stapel Faxpapier. McGrath war intensiv damit beschäftigt. Er teilte sie in zwei Stapel auf. Einen für Routinesachen, den anderen für wichtige Informationen. Der Routinestapel war größer. Der mit den wichtigen Informationen schien recht lückenhaft.
»Analyse, Mack?«, sagte Webster.
McGrath zuckte die Schultern.
»Eigentlich ziemlich normal«, sagte er.
Johnson starrte ihn an.
»Normal?«, wiederholte er.
Webster nickte.
»Das ist normal«, sagte er. »Diese Milizgruppen gibt es im ganzen Land, und deshalb können wir uns nicht um alle kümmern. Es sind einfach zu viele. Bei der letzten Zählung waren es über vierhundert Gruppen, in allen fünfzig Staaten. Die meisten rekrutieren sich bloß aus Amateurspinnern, aber einige von ihnen sehen wir als ziemlich ernst zu nehmende regierungsfeindliche Terroristen an.«
»Und diese Gruppe?«, fragte Johnson.
McGrath sah ihn an.
»Diese Gruppe ist eindeutig ernst zu nehmen«, sagte er. »Hundert Leute im Wald versteckt. Sehr gut bewaffnet, sehr gut organisiert, sehr autark. Und sehr gut mit finanziellen Mitteln versehen. Jackson hat von Postbetrug, gefälschten Überweisungen und ein wenig Geldfälschung auf niedrigem Niveau berichtet. Und dazu kommt wahrscheinlich noch bewaffneter Raub. Man nimmt an, dass sie zwanzig Millionen Dollar in Inhaberobligationen gestohlen haben, bei einem Überfall auf einen Geldtransport im Norden von Kalifornien. Und dann verkaufen sie natürlich Videos und Bücher und Anleitungen an den Rest von diesen Spinnern – ein Versandhandel. Im Augenblick ist das eine boomende Branche. Und sie weigern sich natürlich, Einkommensteuer zu bezahlen oder Steuer für ihre Fahrzeuge oder sonst etwas, das sie Geld kosten könnte.«
»Effektiv haben sie die Kontrolle über Yorke County«, sagte Webster.
»Wie ist das möglich?«, fragte Johnson.
»Weil sonst niemand da ist«, sagte Webster. »Sind Sie einmal dort oben gewesen? Ich nicht. Jackson sagt, die ganze Gegend ist völlig verlassen. Alle sind dort weggezogen und das liegt schon eine ganze Weile zurück. Er sagt, es gibt dort höchstens noch ein paar Dutzend Bewohner, verteilt über viele Meilen völlig leeren Territoriums, Bankrott gegangene Rancher, übrig gebliebene Bergwerksarbeiter, alte Leute. Praktisch keine Verwaltung des County. Borken hat sich dort einfach niedergelassen und das County übernommen.«
»Er bezeichnet das als Experiment«, erklärte McGrath. »Ein Prototyp für eine nagelneue Nation.«
Johnson nickte. Sein Gesicht blieb dabei ausdruckslos.
»Aber was ist mit Holly?«, fragte er.
Webster schob die Papiere zusammen und legte die Hand darauf.
»Er erwähnt sie nicht«, sagte er. »Sein letzter Anruf erfolgte am Montag, dem Tag, an dem man sie entführt hat. Da waren sie damit beschäftigt, ein Gefängnis zu bauen. Wir müssen davon ausgehen, dass es für sie bestimmt war.«
»Dieser Mann ruft an?«, fragte Brogan. »Über Funk?«
Webster nickte.
»Er hat im Wald einen Sender versteckt«, sagte er. »Wenn er die Möglichkeit hat, entfernt er sich von den anderen und ruft an. Das ist der Grund, weshalb die Anrufe so unregelmäßig kommen. Im Durchschnitt haben wir bisher pro Woche einen Anruf erhalten. Er ist ziemlich unerfahren, und man hat ihm eingeschärft, dass er vorsichtig sein soll. Wir vermuten, dass er überwacht wird. Eine wackere neue Welt ist das dort oben, soviel steht fest.«
»Können wir ihn anrufen?«, wollte Milosevic wissen.
»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte Webster. »Wir warten einfach ab, bis er sich meldet.«
»Wem berichtet er denn?«, fragte Brogan.
»Dem Resident Agent in Butte, Montana«, erklärte Webster.
»Und was tun wir jetzt?«, fragte Johnson.
Webster zuckte die Schultern. In dem Raum wurde es still.
»Im Augenblick gar nichts«, sagte er. »Wir brauchen eine Taktik.«
Es blieb weiterhin still in dem Raum, und Webster sah Johnson bloß an. Es war ein Blick, wie sich Soldaten und Leute in ähnlicher Position ansehen, und der Blick sagte: Sie wissen ja, wie es ist.
Johnson erwiderte den Blick eine ganze Weile, ausdruckslos. Dann senkte sich sein Kopf ein paar Millimeter, die Andeutung eines Nickens. Das bedeutete: Ja, für den Augenblick, ich weiß, wie es ist.
Johnsons Adjutant hustete in das Schweigen hinein.
»Wir haben Raketengeschosse im Norden von Yorke«, sagte er. »Die sind gerade nach Süden unterwegs, auf dem Rückweg nach hierher. Zwanzig Soldaten, hundert Stinger, fünf LKW. Sie werden jetzt jeden Augenblick durch Yorke kommen. Können wir sie einsetzen?«
Brogan schüttelte den Kopf. »Nicht zulässig«, sagte er. »Das Militär darf sich nicht in den Gesetzesvollzug einschalten.«
Webster ignorierte ihn, sah Johnson an und wartete. Die Soldaten waren seine Männer, und Holly war seine Tochter. Es war besser, wenn die Antwort unmittelbar von ihm kam. Das Schweigen hielt einen Augenblick lang an, dann schüttelte Johnson den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Wir brauchen Zeit, um zu planen.«
Der Adjutant spreizte die Hände.
»Wir können planen«, sagte er. »Wir haben Funkkontakt und sollten das machen, General.«
»Nicht zulässig«, warf Brogan noch einmal ein.
Johnson gab keine Antwort. Er dachte scharf nach. McGrath blätterte in den Papieren und zog das Blatt heraus, auf dem von dem Dynamit die Rede war, mit dem man die Wände von Hollys Gefängnis voll gepackt hatte. Er hielt es mit der Schrift nach unten über der glänzenden Tischplatte. Aber Johnson schüttelte erneut den Kopf.
»Nein«, sagte er wieder. »Zwanzig Mann gegen hundert? Das sind keine Fronttruppen. Keine Infanterie. Und ihre Stingers nützen uns gar nichts. Ich nehme nicht an, dass diese Terroristen eine Luftwaffe haben, oder? Nein, wir warten. Wir bringen die Raketeneinheit so schnell wie möglich hierher zurück. Kein Einsatz.«
Der Adjutant zuckte die Schultern, und McGrath schob den Dynamitbericht wieder in den Stapel. Webster sah sich um und klatschte dann mit beiden Handflächen leicht auf die Tischplatte.
»Ich werde nach Washington zurückkehren«, sagte er. »Wir müssen eine Taktik ausarbeiten.«
Johnson nickte. Er wusste, dass nichts ohne eine Reise nach Washington und eine dort festzulegende Taktik unternommen werden konnte. Webster wandte sich an McGrath.
»Sie und Ihre beiden Leute gehen nach Butte«, erklärte er. »Richten Sie sich in dem Büro dort ein. Wenn dieser Jackson anruft, bringen Sie ihn auf höchste Alarmstufe.«
»Wir können Sie mit dem Hubschrauber dort hinauffliegen«, sagte der Adjutant.
»Und wir brauchen Luftaufklärung«, sagte Webster. »Können Sie die Air Force dazu bringen, dass sie ein paar Kameraflugzeuge über Yorke einsetzt?«
Johnson nickte.
»Wird gemacht«, sagte er. »Vierundzwanzig Stunden am Tag. Wir liefern Ihnen ein Videobild live nach Butte. Wenn auch nur eine Ratte dort einen Furz lässt, werden Sie das sehen.«
»Aber kein Eingreifen«, sagte Webster. »Noch nicht.«