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»Sein Name lautet Jack Reacher«, erklärte Webster.
»Saubere Arbeit, Gentlemen«, meinte McGrath. »Ich nehme an, die haben sich an ihn erinnert?«
Johnson nickte.
»Die Militärpolizei führt ihre Akten ordentlich«, sagte er.
Sie befanden sich immer noch in dem Mannschaftsraum im Luftwaffenstützpunkt Peterson. Zehn Uhr vormittags, Donnerstag, der dritte Juli. Das Fax spie gerade eine lange Antwort auf ihre Anfrage aus. Das Gesicht auf dem Foto war sofort identifiziert worden. Man hatte die Dienstakten der fraglichen Person aus dem Computer des Pentagon abgezogen und sie zusammen mit dem Namen durchgefaxt.
»Erinnern Sie sich jetzt an diesen Burschen?«, fragte Brogan.
»Reacher?«, wiederholte Johnson nachdenklich. »Ich weiß nicht. Was hat er getan?«
Webster und der Adjutant des Generals drängten sich um das Faxgerät und lasen den Bericht, während das Papier noch aus dem Ausgabeschlitz quoll. Sie drehten es etwas zur Seite und entfernten sich langsam von dem Gerät, damit das Papier nicht auf den Boden fiel.
»Was hat er angestellt?«, fragte McGrath sie ungeduldig.
»Nichts«, sagte Webster.
»Nichts?«, wiederholte McGrath. »Warum haben sie dann Aufzeichnungen über ihn, wenn er nichts angestellt hat?«
»Er war einer von Ihnen«, sagte Webster. »Major Jack Reacher, Militärpolizei.«
Der Adjutant lieferte hastig eine auszugsweise Wiedergabe der Papierschlange: »Silver Star«, sagte er. »Zwei Bronze Stars, Purple Heart. Dieser Mann war ein Held, weiß der Himmel.«
McGrath klappte seinen Umschlag auf und zog die Original-Videobilder der Entführung heraus, schwarzweiß, unvergrößert, körnig. Er griff nach dem ersten Bild, auf dem Reacher in Aktion getreten war. Das ihn zeigte, wie er gerade Hollys Krücke packte und ihr die gereinigten Kleidungsstücke wegnahm. Er schob das Foto über den Tisch.
Johnson beugte sich vor, um das Bild zu studieren. McGrath schob ihm das nächste hinüber. Es zeigte Reacher, wie er Hollys Arm packte, während die beiden anderen Angreifer auf sie eindrangen. Johnson nahm das Foto und musterte es nachdenklich. McGrath war nicht sicher, ob sein Blick Reacher oder seiner Tochter galt.
»Er ist siebenunddreißig«, las der Adjutant des Generals laut vor. »Vor vierzehn Monaten ausgemustert. West Point, dreizehn Jahre Dienst, heldenhafter Einsatz in Beirut ganz zu Anfang. Sir, Sie haben ihm vor zehn Jahren persönlich einen Bronze Star angesteckt. Diese Akte ist von Anfang bis Ende großartig. Er ist der einzige Nicht-Marine in der Geschichte, der das Wimbledon gewonnen hat.«
Webster blickte auf.
»Tennis?«, fragte er.
Ein Lächeln ging über das Gesicht des Adjutanten.
»Nicht Wimbledon«, sagte. »Das Wimbledon. Die Scharfschützenschule der Marines veranstaltet einen Wettbewerb, den Wimbledon Cup. Für Scharfschützen. Allen zugänglich, aber es gewinnt jedesmal ein Marine – mit Ausnahme des einen Jahres, in dem Reacher den Pokal errungen hat.«
»Warum hat er dann nicht als Scharfschütze gedient?«, wollte McGrath wissen.
Der Adjutant zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung«, sagte er. »In dieser Akte gibt es eine ganze Menge Rätsel. So zum Beispiel auch, warum er überhaupt den Dienst quittierte. Ein Mann wie er hätte es bis ganz nach oben schaffen können.«
Johnson hielt in jeder Hand ein Foto und musterte sie abwechselnd eindringlich.
»Also, warum hat er Schluss gemacht? Gab es irgendwie Ärger?«
Der Adjutant schüttelte den Kopf. Überflog das Papier, das er in der Hand hielt.
»In der Akte steht darüber nichts«, sagte er. »Keine Begründung. Wir haben damals Personal abgebaut, aber damit wollten wir in erster Linie hoffnungslose Fälle loswerden. Ein Mann wie er wäre davon nicht betroffen gewesen.«
Johnson wechselte die Fotos von einer Hand in die andere, als würde er nach einer neuen Perspektive suchen.
»Gibt es jemanden, der ihn wirklich gut gekannt hat?«, fragte Milosevic. »Jemanden, mit dem wir reden können?«
»Wir können wahrscheinlich seinen alten Vorgesetzten ausfindig machen, meine ich«, sagte der Adjutant. »Aber das dauert vielleicht einen Tag.«
»Tun Sie das«, sagte Webster. »Wir brauchen Informationen. Alles, was uns weiterbringt.«
Johnson legte die Fotos auf den Tisch und schob sie wieder McGrath hinüber.
»Er muss irgendwie auf die schiefe Bahn geraten sein«, sagte er. »Das gibt es manchmal. Auch bei guten Leuten. Ich habe das selbst von Zeit zu Zeit erlebt. Das kann ein verdammtes Problem sein.«
McGrath drehte die Fotos auf der auf Hochglanz polierten Tischplatte herum und starrte sie an.
»Das dürfen Sie laut sagen«, sagte er.
Johnson schaute ihn an.
»Kann ich dieses Bild behalten?«, fragte er. »Das erste?«
McGrath schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Wenn Sie ein Bild wollen, werde ich selbst eines machen. Sie und Ihre Tochter nebeneinander – vor einem Grabstein, auf dem der Name von diesem Arschloch steht.«