Kapitel 42
An Rosie und Katie Dunne
Weihnachtliche Grüße aus dem St. Jude’s Hospital.
Meine Frau, meine beiden Söhne und ich hoffen, dass das kommende Jahr Ihnen und denen, die Ihnen am Herzen liegen, Gesundheit und Glück bringen möge.
Fröhliche Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünschen Ihnen die Stewarts.
Dr.Alex Stewart MD BSc MBChB FRCS (CTh)
An Dr.Alex Stewart MD BLA BLA BLA
Alles Gute fürs neue Jahr wünscht dir und deiner Familie
mit freundlichen Grüßen
Rosie Dunne R.E.S.P.E.K.T.
Sie haben eine Message von: ALEX
Alex: Was weist du denn schon von Respekt?
Rosie: Oooh, du redest wieder mit mir, ja?
Alex: Ich finde, es reicht. Einer von uns sollte erwachsen genug sein, um wieder Kontakt aufzunehmen. Denk dran, ich war nicht derjenige, der mit diesem Spielchen angefangen hat.
Rosie: O doch.
Alex: Nein, Rosie.
Rosie: O doch, Alex.
Alex: Also bitte! Als ich dir letztes Jahr erzählt habe, dass Bethany schwanger ist, hast du total blöd reagiert und mir irgendwelches abgedrehtes Zeug an den Kopf geworfen, nach dem Motto, dass es sowieso eine Art Krankheit ist, ein Mann zu sein. Nur zu deiner Information: Ich hab Bethany am Abend vor der Preisverleihung einen Heiratsantrag gemacht. Sie hat angenommen und es vor lauter Aufregung gleich ihren Eltern erzählt (was jeder normale Mensch genauso machen würde). Ihr Vater hat die Auszeichnung gekriegt, und in seiner Rede hat er verkündet, dass seine Tochter sich gerade verlobt hat (was jeder normale stolze Vater machen würde, wenn er gerade erfahren hat, dass seine Tochter heiraten will).
Die Pressefritzen waren natürlich auch da und sind postwendend an ihre Schreibtische gestürzt, um noch rechtzeitig für die nächste Ausgabe von dem abendlichen Ereignis zu berichten. Ich hab die Verlobung mit meiner Braut und ihrer Familie gefeiert. Dann bin ich schlafen gegangen, und als ich wieder aufgewacht bin, stand das Telefon nicht mehr still, weil meine gesamte Familie wissen wollte, warum ich nicht früher was davon erzählt habe. Mein Posteingang war verstopft mit E-Mails von verwirrten Freunden, und ich wollte mich grade darum kümmern, als ich deine Message mit den ganzen absurden Vorwürfen gekriegt habe.
Ich hab dir und Katie eine Einladung zu unserer Hochzeit geschickt, weil ich dachte, auch wenn du meine Entscheidung nicht billigst und dir irgendwelche Märchen ausdenkst, warum ich Bethany heirate, benimmst du dich vielleicht trotzdem wie eine Freundin, kommst zu meiner Hochzeit und unterstützt mich. Ich entschuldige mich in aller Form für die letzte Karte, die du von mir bekommen hast – dein Name stand auf meinem Verteiler, aber der unpersönliche Weihnachtsgruß war für meine Patienten gedacht und nicht für dich.
Rosie: Moment mal, ich hab nie eine Hochzeitseinladung gekriegt!
Alex: Wie bitte?
Rosie: Ich hab keine Einladung gekriegt. Es kam eine für Katie, aber keine für mich. Und Katie konnte schlecht alleine nach Boston fliegen, sie war ja erst dreizehn. Und ich konnte es mir nicht leisten, sie rüberzubringen …
Alex: Warte mal, lass mich einen Moment nachdenken. Du hast also keine Einladung gekriegt?
Rosie: Nein, nur eine, die an Katie adressiert war. Alex: Und deine Eltern?
Rosie: Die hatten auch eine, aber sie konnten nicht kommen, weil sie Steph in Paris besucht haben und ...
Alex: Okay! Und deine Einladung ist nicht aus Versehen vielleicht bei ihnen gelandet?
Rosie: Nein.
Alex: Und meine Eltern haben auch nichts gesagt?
Rosie: Sie meinten, sie würden mich gern sehen, aber sie haben ja nicht zu bestimmen, wer eingeladen wird, Alex. Du hast mir nie ausdrücklich gesagt, dass ich kommen soll.
Alex: Aber du warst auf der Liste, ich hab deine Einladung sogar auf dem Küchentisch gesehen.
Rosie: Oh.
Alex: Wie kann das sein?
Rosie: Frag mich nicht! Ich hab nicht mal gewusst, dass ich eingeladen werden sollte! Wer hat die Karten denn losgeschickt?
Alex: Bethany und die Hochzeitsplanerin.
Rosie: Hmm … dann muss wohl auf dem Weg zum Briefkasten irgendwas falsch gelaufen sein.
Alex: Ach, komm mir nicht so, Rosie, Bethany ist ganz bestimmt nicht schuld daran. Sie hat Besseres zu tun, als gegen dich zu intrigieren.
Rosie: Zum Beispiel ihren Lunch mit den Ladys vorbereiten?
Alex: Hör auf damit.
Rosie: Also, ich steh echt unter Schock.
Alex: Dann hast du also die ganze Zeit gedacht, ich will dich nicht bei meiner Hochzeit dabeihaben?
Rosie: Ja.
Alex: Aber warum hast du nichts gesagt? Ein ganzes Jahr ist vergangen, und du hast nichts gesagt? Wenn du mich nicht zu deiner Hochzeit einladen würdest, würde ich doch was sagen!
Rosie: Entschuldige mal, warum hast du mich nicht gefragt, warum ich nicht gekommen bin? Wenn ich dich zu meiner Hochzeit einladen würde und du tauchst einfach nicht auf, dann würde ich doch was sagen!
Alex: Ich war wütend.
Rosie: Ich auch.
Alex: Ich bin immer noch wütend wegen dem Mist, den du damals von dir gegeben hast.
Rosie: Beantworte mir folgende Frage, Alex: Stimmt es oder stimmt es nicht, dass du mir nur ein paar Monate vor deinem Antrag gesagt hast, dass Bethany nicht »die Eine« für dich ist und dass du sie nicht liebst?
Alex: Ja, schon, aber …
Rosie: Und wolltest du mit ihr Schluss machen, kurz bevor sie dir gesagt hat, dass sie schwanger ist?
Alex: Ja, aber …
Rosie: Und hast du dir Sorgen gemacht, dass du deinen tollen Job verlieren könntest, wenn du Bethany nicht heiratest?
Alex: Ja, aber …
Rosie: Und hast du …
Alex: Warte, Rosie. Das mag ja alles wahr sein, aber es stimmt genauso, dass ich Teil von Theos und Bethanys Leben sein wollte.
Rosie: Wenn du mich tatsächlich zu deiner Hochzeit eingeladen hast, und wenn ich teilweise Recht hatte mit dem, was ich gesagt habe, warum haben wir uns dann ein ganzes Jahr angeschwiegen?
Alex: Momentan interessiert mich vor allem, wo deine Einladung geblieben ist. Die Hochzeitsplanerin hat alles arrangiert. Es sei denn, es war …
Rosie: Wer?
Alex: Jack Russell, der Jack-Russell-Terrier. Das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, dreh ich ihm den Hals um.
Rosie: Oh, das geht aber nicht.
Alex: Ich kann machen, was ich will, mit diesem hinterhältigen kleinen …
Rosie: Nein, kannst du nicht. Er ist tot. Der Postbote hat ihn aus Versehen ein paar Mal morgens in den Bauch getreten (ich war Augenzeugin!), und dann war auf einmal Schluss, von jetzt auf nachher hat Jack sich nicht mehr gerührt.
Alex: Oh, das tut mir aber nicht wirklich Leid.
Rosie: Aber mir tut es Leid, Alex.
Alex: Mir auch. Sind wir wieder Freunde?
Rosie: Ich hab nie aufgehört, mit dir befreundet zu sein.
Alex: Ich auch nicht. Ich muss jetzt leider Schluss machen, weil mein Baby sich gerade sein Frühstück über den Kopf schüttet und mit äußerster Konzentration in die Kopfhaut einmassiert. Ich fürchte, es ist schon wieder Zeit zum Windelwechseln.
*
Für unsere wunderschöne Tochter.
Wir lieben dich von ganzem Herzen, alles Gute fürs neue Lebensjahr.
Happy Birthday, Rosie!
Viel Glück für deine Prüfung im Juni, wir drücken dir jetzt schon die Daumen.
Alles Liebe,
Mum und Dad.
Für meine Schwester!
Allmählich holst du mich ein, Rosie, und ich bin sehr froh darüber, weil ich nicht die Einzige sein will, die bald vierzig ist! Viel Glück für deine Prüfung, du hast noch zwei Monate, um alles zu lernen.
Du schaffst es, das wäre doch gelacht!
Herzlichen Glückwunsch und alles Liebe,
Stephanie, Pierre, Jean-Louis und Sophia
Happy Birthday, Mum!
Hoffentlich gefällt dir das Geschenk. Wenn nicht, nehm ich es!
Alles Liebe,
Katie
Für meine ganz besondere Freundin.
Herzlichen Glückwunsch zum 35. Geburtstag, Rosie. Ich arbeite an einem neuen Experiment, wie man die Zeit langsamer vergehen lassen kann. Hast du Lust mitzumachen?
Genieße deinen Festtag, ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen!
Alex
Liebe Rosie,
herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Nach diesem Fest gibt es keine Ablenkung mehr, denn du musst deine Prüfungen alle mit Eins bestehen. Du hast das Zeug dazu, und du bist meine einzige Hoffnung, hier rauszukommen. Ich träume immer noch von dem Job als Entertainerin in deinem Hotel.
Alles Liebe,
Ruby
Sie haben eine Message von: ROSIE
Rosie: Sechzehn. Mein kleiner Engel wird sechzehn. Was soll ich jetzt machen? Wo ist das Handbuch für solche Gelegenheiten?
Ruby: Es ist ja nicht so, dass sie bis gestern zwei war. Du hattest insgesamt, warte mal, ungefähr sechzehn Jahre, um dich drauf vorzubereiten. Eigentlich dürfte der Schock nicht ganz so groß sein.
Rosie: Ruby, du unsentimentale Trine, hast du denn gar kein Mitgefühl? Kennst du keine Emotionen? Wie hast du dich denn gefühlt, als Gary sechzehn geworden ist?
Ruby: Ich hab eine andere Art, die Dinge zu betrachten. Ich denke nicht viel über das Alter oder über Geburtstage nach, das sind einfach nur Tage wie alle anderen. Sie symbolisieren nichts als eine Ansammlung von Erklärungen und Verallgemeinerungen, die von den Menschen erfunden worden sind, damit sie ein Thema für Smalltalk, Zeitungsartikel und Talkshows haben. Katie beispielsweise ist nicht vollkommen von der Rolle, nur weil sie eines Morgens aufwacht und plötzlich sechzehn ist. Menschen tun, wozu sie Lust haben, ganz egal, in welchem Alter. Letzten Monat bist du fünfunddreißig geworden. Das bedeutet, du bist fünf Jahre weniger als vierzig. Glaubst du vielleicht, wenn du vierzig wirst, bist du plötzlich anders, als du mit neununddreißig warst oder mit einundvierzig sein wirst? Die Leute denken sich irgendwelche Dinge aus über ein bestimmtes Alter, damit sie alberne Ratgeber verfassen, dumme Sprüche auf Geburtstagskarten drucken und Chatroom-Namen erfinden können und vor allem eine Ausrede dafür haben, warum es in ihrem Leben Krisen gibt.
Beispielsweise ist doch die so genannte Midlife-Crisis der Männer nichts als ein Haufen Quatsch. Das Alter ist nicht das Problem. Männer haben ihre Frauen schon immer betrogen, in der Steinzeit ebenso wie in unserem angeblich zivilisierten modernen Zeitalter. So sind sie eben. Es ist keine Frage des Alters.
Dein Baby wird immer dein Baby bleiben, auch wenn sie schon längst selbst ein Baby gekriegt hat. Mach dir deswegen mal keine Gedanken.
Rosie: Ich möchte nicht, dass mein Baby ein Baby kriegt, bevor sie erwachsen ist. Erwachsen, verheiratet und finanziell abgesichert. Ich meine, wenn ich daran denke, was ich an meinem 16. Geburtstag gemacht habe … eigentlich mag ich mich gar nicht daran erinnern.
Ruby: Warum nicht?
Rosie: Weil ich unglaublich pubertär und dumm war.
Ruby: Was hast du denn Schreckliches gemacht?
Rosie: Alex und ich haben Entschuldigungen für die Schule gefälscht.
Ruby: Alle beide? Was für ein Zufall.
Rosie: Genau. Dann sind wir in einen Pub gegangen, wo man keinen großen Wert auf Ausweise legte, und haben uns den ganzen Tag betrunken. Unglücklicherweise bin ich gestürzt, hab mir den Kopf angeschlagen und musste mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht werden, wo man die Wunde mit sieben Stichen genäht und mir den Magen ausgepumpt hat. Unsere Eltern waren alles andere als erfreut.
Ruby: Kann ich mir vorstellen. Wie bist du denn gefallen? Hast du mal wieder ne besonders flotte Sohle aufs Parkett gelegt?
Rosie: Nein, ich bin vom Barhocker gefallen.
Ruby: Ha ha. Das bringst auch nur du fertig – vom Barhocker abstürzen!
Rosie: Ich weiß, das ist seltsam. Ich frage mich, wie es eigentlich passiert ist.
Ruby: Na ja, Alex wird es ja wissen. Habt ihr nie darüber gesprochen?
Rosie: Nein, auf die Idee bin ich noch nie gekommen! Ooh, ich sehe grade, dass er online ist, da werd ich ihn mir gleich mal vorknöpfen.
Sie haben eine Message von: ROSIE
Rosie: Hi, Alex.
Alex: Hi, arbeitest du eigentlich nie? Jedes Mal, wenn ich mich einlogge, bist du auch da!
Rosie: Ich chatte gerade mit Ruby. Das ist billiger von der Arbeit, denn da kräht kein Hahn nach der Telefonrechnung. Außerdem machen wir dabei einen sehr fleißigen Eindruck, weil wir ja tippen. Jedenfalls – ich wollte dich eigentlich nur kurz mal was fragen.
Alex: Schieß los.
Rosie: Erinnerst du dich, wie ich an meinem 16. Geburtstag gestürzt bin, mir den Kopf angeschlagen habe und so weiter?
Alex: Ha ha, wie könnte ich das vergessen? Ist es dir wieder eingefallen, weil Katie bald sechzehn wird? Wenn sie dir auch nur ein kleines bisschen ähnelt, solltest du dir echt Sorgen machen. Was soll ich ihr denn schenken, vielleicht eine Kotztüte?
Rosie: Das Alter ist bloß eine Zahl, kein Geisteszustand und auch kein Grund für irgendein bestimmtes Verhalten.
Alex: Ooookay. Wie lautet denn nun deine Frage?
Rosie: Wie um Himmels willen hab ich es geschafft, auf den Kopf zu fallen, obwohl ich doch gesessen habe?
Alex: O mein Gott. Die Frage. Die Frage.
Rosie: Was ist denn so schlimm daran?
Alex: Rosie Dunne, ich habe zwanzig Jahre darauf gewartet, dass du mir genau diese Frage stellst, und dachte schon, es würde nie passieren.
Rosie: Was??
Alex: Warum du mich nie gefragt hast, ist mir rätselhaft, aber du bist am nächsten Tag aufgewacht und hast behauptet, dass du dich an nichts erinnerst. Ich wollte das Thema lieber nicht aufwärmen, weil ich fand, du warst angeschlagen genug.
Rosie: Was für ein Thema wolltest du nicht aufwärmen? Alex, bitte sag es mir! Wie bin ich von diesem Hocker gefallen?
Alex: Ich glaube nicht, dass du bereit bist, das zu erfahren.
Rosie: Ach, lass das gefälligst. Ich bin immer noch
Rosie Dunne, mich haut so schnell nichts um.
Alex: Na gut, wenn du sicher bist …
Rosie: Das bin ich! Jetzt erzähl’s mir endlich!
Alex: Wir haben uns geküsst.
Rosie: Wie bitte??
Alex: Ja, wir haben uns geküsst. Genauer gesagt: Du hast dich auf deinem Hocker nach vorn gebeugt und mich geküsst. Der Hocker war wacklig und hatte einen ziemlich unsicheren Stand auf dem uralten gefliesten Pub-Fußboden. Und da bist du eben umgefallen.
Rosie: WAS??
Alex: Ach, was hast du mir in jener Nacht für hübsche Dinge ins Ohr geflüstert, Rosie Dunne! Ich war echt fix und fertig, als du dich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern konntest. Dabei hab ich die ganze Nacht deine Hand gehalten, während du gekotzt hast.
Rosie: Alex!
Alex: Was?
Rosie: Warum hast du es mir nicht erzählt?!
Alex: Weil wir uns eine Weile nicht sehen durften und ich es dir nicht in einem Brief erzählen wollte. Und als du dann gesagt hast, du hast alles vergessen, was in dieser Nacht passiert ist, dachte ich, dass du dich vielleicht vage daran erinnerst und längst alles bereust.
Rosie: Du hättest es mir sagen sollen.
Alex: Warum, wie hättest du denn darauf reagiert?
Rosie: Hmm … jetzt hast du mich aber echt in eine Zwickmühle gelockt, Alex.
Alex: Stimmt, entschuldige.
Rosie: Ich kann das einfach nicht glauben. Weil ich gestürzt bin, hat man uns erwischt, ich hab eine ganze Woche Hausarrest gekriegt, du musstest zur Strafe bei deinem Vater im Büro arbeiten, und da hast du Bethany kennen gelernt. Das Mädchen, von dem du damals gesagt hast, du willst sie heiraten …
Alex: Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder!
Rosie: Genau …
Alex: Also eigentlich war das ja nur ein Versuchsballon, aber da ich den Eindruck hatte, es kümmert dich nicht, bin ich eben mit ihr ausgegangen. Komisch. Ich hatte das total vergessen. Bethany findet das bestimmt toll. Danke, dass du mich daran erinnert hast.
Rosie: Nein, nein – danke, dass du mich daran erinnert hast …
Sie haben eine Message von: RUBY
Ruby: Jetzt aber mal los, Ms. Hockersturz, ich muss hier fleißig aussehen. Hast du endlich rausgekriegt, was passiert ist?
Rosie: Ja, ich hab rausgekriegt, dass ich ein noch größerer Idiot bin, als ich befürchtet habe. Aaaaah!
Ruby: Und dafür hab ich jetzt hier gesessen und gewartet? Das hätte ich dir schon vor langer Zeit sagen können.
Liebe Katie,
herzlichen Glückwunsch zum süßen 16., meine Tochter!
Alles Liebe,
Mum
Für unsere Enkeltochter
Glückwünsche zum süßen sechzehnten Geburtstag!
Alles Liebe, Katie,
Grandma und Granddad
Für meine Freundin
Happy Sweet 16!
In Liebe,
John
Liebe Katie,
Happy Birthday, du Nervensäge, nur noch ein paar Monate, dann sind die Brackets weg. Dann kann ich nicht mehr raten, was du gegessen hast.
Toby
Für meine Tochter
Herzlichen Glückwunsch zum sechzehnten Geburtstag, Katie!
Ich hoffe, John versucht nicht, dich zu küssen.
Alles Liebe,
Dad
Liebe Mum, lieber Dad,
ich werde nie wieder ein Wort mit Rupert wechseln. Süße Sechzehn, von wegen!
Katie hat sich gewünscht, dass ich ihr nur Geld schenke, damit sie sich in der Stadt selbst was zum Anziehen kaufen kann. Mir war das ganz recht, weil ich dann nicht in langen schlaflosen Nächten über das »perfekte« Geschenk grübeln musste, das Katie dann sowieso grauenhaft findet und unter dem Bett versenkt. Jedenfalls kam sie gestern in die Wohnung, Hand in Hand mit dem freundlichen Riesen (ihrem Freund John), von einem Ohr zum andern grinsend. Da wusste ich sofort, dass irgendwas nicht stimmte. Und siehe da: Sie hat ihr Top hoch- und die Hose runtergezogen, und da war es.
Das Teufelswerk – ein Tattoo!!
Vom Hüftknochen meiner Tochter leuchtete mir eine scheußliche, eklige, hässliche Tätowierung entgegen – grade fällt mir auf, dass ich klinge wie du, Mum.
Einfach furchtbar. Natürlich hat es auch noch ein bisschen geblutet und es hat sich grade erst Schorf gebildet. Offensichtlich hat ihr Rupert gesagt, dass sie sich tätowieren lassen kann, wenn sie sechzehn ist. Da ich bei diesem Thema eine völlig andere Meinung vertrete, bin ich runter ins Café und hab die Sache im Internet überprüft. Wie sich herausstellte, hat er aber leider Recht. Trotzdem würde ich gern irgendeine Möglichkeit finden, ihm kräftig in den Hintern zu treten.
Der nette Typ im Internetcafé hat mich gefragt, ob alles in Ordnung ist, und sah dabei so ehrlich besorgt aus, dass ich dachte, vielleicht entwickelt sich da ja doch was zwischen uns. Aber dann fiel mir auf, dass ich mit der Faust auf die Tastatur einhämmerte, folglich hatte er wahrscheinlich nur Angst um seinen Computer. Ich will keine egoistischen Männer mehr in meinem Leben, deshalb hab ich beschlossen, dass ich mich nicht nach Ladenschluss auf eine leidenschaftliche Affäre auf den Computertischen einlassen werde.
Was die Sache noch schlimmer macht: Während Katie bei Rupert war, hab ich für die Abschlussprüfung gebüffelt, und das Bohrgeräusch von unten hat mich ständig genervt. Hätte ich geahnt, dass da gerade der Körper meiner eigenen Tochter verstümmelt wird!
Es war schwierig, Rupert die Meinung zu sagen, weil ich meinen Abscheu vor Tätowierungen nicht ganz ungehemmt äußern konnte – er ist ja selbst ein wandelndes Tattoo. Das wäre ungefähr so gewesen, als hätte ich ein Mitglied seiner Familie beschimpft.
Aber im Grunde ist die Tätowierung meine geringste Sorge. Katie hat sich auch noch die Zunge piercen lassen. Das hat Rupert sozusagen als Zugabe gemacht. Jetzt hört sie sich an, als hätte sie eine heiße Kartoffel im Mund. Ich war so was von schockiert, als sie mit diesem fröhlichen Gesichtsausdruck und den Worten: »Ai, scha ma, Mam« reinmarschiert kam. John hat übrigens auch ein Tattoo auf der Hüfte, einen Hurling-Schläger samt Ball. Man möchte nicht mal aussprechen, woran einen das Bild auf den ersten Blick erinnert.
Aber vermutlich hätte es noch viel schlimmer kommen können. Zum Beispiel hätten sie sich ja auch gegenseitig ihre Namen eintätowieren lassen können. Und es gibt sicher auch hässlichere Motive als die Erdbeere von der Größe meines Daumennagels, die jetzt auf Katies Hüfte prangt.
Meint ihr, ich hab vielleicht doch ein bisschen überreagiert?
Wie um alles in der Welt mag das für euch gewesen sein, als ich erzählt habe, dass ich schwanger bin? Wenn ich jetzt so drüber nachdenke – vielleicht sollte ich Katie lieber eine Auszeichnung verleihen.
Jedenfalls muss ich jetzt wieder nach oben und mich der (sehr lauten, dröhnenden) Musik stellen. Und außerdem weiterlernen. Ich kann es kaum glauben, dass ich schon im letzten Jahr bin. Die drei Jahre sind einfach verflogen, und wenn ich dran denke, dass es praktisch unmöglich war, abends zu lernen und tagsüber zu arbeiten und gleichzeitig noch meinen Mutterpflichten nachzukommen, bin ich sehr froh, dass ich den Krempel nicht hingeschmissen habe. Auch wenn ich jeden Tag ungefähr hundertmal Lust dazu gehabt hätte. Stellt euch vor, wir feiern eine richtige Examens-Zeremonie! Du und Dad könnt in der Menge sitzen, wenn ich mir in meiner unvorteilhaften Robe und meinem genauso absurden Hut mein Diplom abhole. Na gut, es sind fünfzehn Jahre später als geplant, aber besser spät als nie.
Allerdings wird das alles nicht eintreffen, wenn ich durchfalle, also werd ich mich jetzt wieder dahinterklemmen!
Alles Liebe,
Rosie
*
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Dad
Es ist was Schreckliches passiert. Die Leute in der Klinik haben mir gesagt, du bist im OP, aber kannst du mir bitte ganz bald mailen oder mich anrufen, wenn du meine Nachricht kriegst?
Mum hat mich vor einer Minute angerufen, in Tränen aufgelöst, weil Dad einen schlimmen Herzanfall hatte und ins Krankenhaus gebracht werden musste.
Sie steht total unter Schock, hat mir aber gesagt, ich soll nicht kommen, weil morgen meine erste Prüfung ist. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ernst Dads Zustand ist, die Ärzte wollen uns noch nichts sagen. Kannst du vielleicht dort im Krankenhaus anrufen und dich informieren? Du verstehst wenigstens, was sie reden. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Hoffentlich kriegst du diese Mail bald, ich hab niemanden sonst, an den ich mich wenden kann.
Ich möchte Mum nicht allein lassen. Kevin fährt zu ihr. Ich möchte auch nicht, dass Dad allein ist. Ach, das ist alles so verwirrend.
O Gott, Alex, bitte hilf mir. Ich möchte meinen Vater nicht verlieren.
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Re: Dad
Ich hab versucht, dich anzurufen, aber es ist ständig belegt. Versuch vor allem ruhig zu bleiben. Ich hab im Krankenhaus angerufen und mit einem Dr.Flannery gesprochen. Er ist der Arzt, der sich um deinen Vater kümmert, und er hat mir erklärt, was mit ihm los ist.
Ich schlage vor, dass du Klamotten für ein paar Tage einpackst und in den nächsten Bus nach Galway steigst. Verstehst du, was ich meine?
Vergiss deine Prüfung, dein Vater ist jetzt wichtiger. Bleib ganz ruhig, Rosie, sei einfach da für deine Mum und deinen Dad. Sag Stephanie, sie soll auch kommen, wenn es irgendwie geht. Bleib mit mir über Nacht in Kontakt.
Alles Gute,
Alex