Teil 3
Kapitel 26
Lieber Alex,
ich war so froh, als ich an diesem grässlichen Tag endlich meine Tür hinter mir zumachen konnte. »Es ist doch bloß ein Job«, hat Greg gesagt. Tja, wenn ein Job so unerheblich ist, warum weigert er sich dann dermaßen eisern, seinen eigenen aufzugeben? Aber es ist natürlich nicht nur ein Job. Man hat mir eine Beförderung angeboten, man hat mir gezeigt, dass man mir vertraut, und dadurch habe ich ein bisschen mehr Glauben an mich selbst gewonnen. Den Glauben, dass meine Arbeit geschätzt wird, dass man mich als kompetent und klug einstuft.
Aber diesmal hatte ich nicht mal die Chance, die Sache selbst in den Sand zu setzen. Diese Entscheidung ist mir abgenommen worden. Katie trennt sich nicht von Toby, und ich hasse Greg nicht genug, um alleine nach Cork abzurauschen.
Seiner Meinung nach hat er einen tollen, gut bezahlten Job hier. Ich hab zwar auch einen guten Job, kriege aber nur mittelmäßig Geld. Warum in aller Welt soll er in eine andere Stadt ziehen, wo seine Frau einen Superjob hätte und Geld verdient bis zum Abwinken? Oh, natürlich, ich hab ganz vergessen, dass es in Cork keine Banken gibt. Nie im Leben würde er dort einen Job finden! Von einer Versetzung ganz zu schweigen! In Cork stopfen die Leute ihr Geld nämlich in Schuhkartons, die sie unterm Bett verstecken.
Außerdem ist alles (na ja, zumindest eine Menge, zum Beispiel Häuser) billiger als in Dublin. Katie könnte mit der ersten Klasse im Gymnasium anfangen. Es ist also wirklich nicht so, als würde sie hier mitten aus ihrer Ausbildung rausgerissen. Es könnte alles perfekt sein. Aber für Katie ist die Freundschaft mit Toby so wichtig. Er ist ein unersetzbarer Stabilitätsfaktor in ihrem Leben, er macht sie glücklich und sorgt für dieses unschuldige Leuchten in ihren Augen. Kinder brauchen gute Freunde, die ihnen beim Größerwerden zur Seite stehen, die ihnen helfen, sich selbst und das Leben zu entdecken.
Ist dir eigentlich klar, dass sie ihren Flug zu dir schon gebucht hatten – im Internet, mit Gregs Kreditkarte? Sie waren in der Warteschlange am Flughafen, als die Polizei sie aufgegriffen hat! Ich kann es mir genau vorstellen: ein kleines Mädchen mit rabenschwarzen Haaren und vanilleheller Haut, ohne Gepäck, abgesehen von dem Teddybärrucksack. Neben ihr ein kleiner Junge mit blonden Wuschellocken, der alle Details hinsichtlich Tickets und Reisepass voll im Griff hat. Irgendwann werde ich daran zurückdenken und darüber lachen. Sobald ich über den Schock, die Angst, die Bitterkeit und den Groll weg bin. Wahrscheinlich wird das erst in meinem nächsten Leben der Fall sein.
Ich kann den Job meiner Träume nicht annehmen, weil meine Familie nicht mitzieht. Na und? Ich mach ihretwegen ja auch nicht ständig Abstriche, oder? Ich arrangiere mein Leben nicht nach ihren Regeln, o nein. Ich komme nicht müde von der Arbeit und hab trotzdem das Abendessen für alle auf dem Tisch stehen. Ich gebe mich nicht irgendwelchen hausfraulichen Pflichten hin, wenn es mindestens eine Million Dinge gibt, die ich lieber tun würde. Ich streite auch nicht ständig mit den Lehrern, um sie davon zu überzeugen, dass meine Tochter nicht die Teufelsbrut ist, für die sie sie offenbar halten. Ich ertrage nicht jeden Sonntag Gregs Mutter, ich lausche nicht mit einer wahren Engelsgeduld ihrem endlosen Gejammer – über das Essen, das ich nicht richtig zubereite, über meine Haare, meine Klamotten, meine Erziehungsmethoden. Ich nehme nicht selbstverständlich einen Tag frei, wenn Katie krank ist, ich ändere nicht automatisch alle meine Pläne, weil irgendjemand meine Hilfe braucht.
Schön, dass ich das alles nicht tue.
Denn wen juckt das schon? Zum Dank kriege ich einmal im Jahr am Muttertag verbrannten Toast und milchigen Tee zum Frühstück. Das macht alles wieder wett, findest du nicht? Greg erzählt mir immer, dass ich Hirngespinsten nachjage, dass ich viel zu anspruchsvoll bin. Vielleicht sollte ich jetzt lieber Schluss machen.
Liebe Grüße,
Rosie
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Rosie Dunne!
Ich hasse es zusehen zu müssen, wie du dir schon wieder eine Chance entgehen lässt! Kannst du Dingsbums nicht doch irgendwie beschwatzen?
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Familie
Danke, Alex, aber die Antwort ist: Nein. Ich kann meine Familie nicht zwingen, ihr Heim zu verlassen. Sie sind mir wichtig.
Ich muss Gregs Wünsche respektieren. Ich glaube, ich wäre auch nicht glücklich darüber, wenn ich meinen Job und meine Freunde aufgeben müsste, weil er aus beruflichen Gründen umziehen will. Ich kann nicht so leben, als wäre ich allein auf der Welt. Obwohl es schon wesentlich leichter wäre! Egal, es ist nur eine verpasste Chance.
Genug von mir – wie läuft dein Seminar? Ist schon klar, wer Mr.Superchirurg wird?
Danke für deine Unterstützung – wie immer.
Von: Katie
An: Toby
Betreff: Hausarrest!
Ich kann’s einfach nicht glauben! In den Sommerferien haben wir Hausarrest! Ganz so krass hätten unsere Eltern doch echt nicht reagieren müssen. Wir sind doch wirklich nicht weit gekommen – grade mal eine Stunde von zu Hause weg. Ich finde es total unfair, dass man dafür zwei Wochen im Haus eingesperrt wird. Ich hab dir ja gesagt, wir hätten die Fähre nach Frankreich nehmen sollen oder so. Im Film sucht die Polizei auch immer als Erstes im Flughafen.
Ich glaube nicht, dass Alex ausgeflippt wäre, er ist cool. Aber wahrscheinlich hätte er gleich Mum angerufen, und die hätte zehn Millionen Polizeiautos und Rettungshubschrauber alarmiert, um uns zurückzuholen.
Arme Mum. Ich bin schon froh, dass wir doch nicht wegziehen, aber sie tut mir Leid. Sie schleicht im Haus rum und sieht echt voll traurig aus, sie seufzt vor sich hin, als wäre ihr alles zu öde und als hätte sie überhaupt keinen Plan, was sie jetzt tun soll. Sie steht von der Couch auf und geht ins Nebenzimmer. Dort setzt sie sich in den Sessel. Dann steht sie wieder auf, geht nach nebenan und starrt eine Ewigkeit aus dem Fenster, seufzt etwa drei Millionen Mal, wandert ins nächste Zimmer, rein, raus, rein, raus … Mir wird schon schwindlig vom Zuschauen. Manchmal lauf ich ihr nach, weil ich ja nicht raus darf und nichts Besseres zu tun habe.
Gestern hab ich das mal wieder probiert, und da ist sie immer schneller geworden, bis ich sie irgendwann durchs Haus gejagt habe, und das war echt witzig. Sie ist im Schlafanzug zur Haustür raus und wollte mich verarschen, weil ich ihr da ja nicht nach konnte (ich hab ja bekanntlich Hausarrest, ha ha). Aber ich hab sie trotzdem verfolgt, und wir sind um den Block gerast, ich in meinem blauen Schlafanzug mit den rosa Herzen und Mum in ihrem gelben Bademantel! Alle haben geglotzt, aber es hat trotzdem voll Spaß gemacht. Wir sind zu Birdies Laden an der Ecke, und Mum hat mir ein Erdbeereis gekauft, der Höhepunkt meines Tages!
Kaum waren wir wieder im Haus, hat Mum schon wieder angefangen, durch die Zimmer zu geistern, als wäre sie auf Besichtigung im Museum oder was. Greg hat gesagt, sie hat Hornissen im Hintern. Mum hat gesagt, er soll sich am besten sein blödes Geschwätz in den Hintern schieben. Da hat er den Rest des Tages nicht mehr viel gesagt.
Toby, wenn wir es in der Schlange im Flughafen bis ganz nach vorn geschafft hätten, meinst du, die hätten uns ins Flugzeug gelassen? Ich könnte Mum nicht wirklich im Stich lassen, aber das glaubt sie mir jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Wenn ich es ihr sage, denkt sie wahrscheinlich, ich will mich lieb Kind machen, damit sie mir den Rest vom Hausarrest erlässt. Eigentlich gar keine schlechte Idee. Okay, muss Schluss machen!
Mail mir bloß schnell, eh ich vor Langeweile eingehe!
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Familienpflichten
Du und deine familiären »Pflichten«. Ich will doch bloß nicht, dass du die Einzige bist, die sich bei euch verpflichtet fühlt. Weiter nichts.
Das Seminar läuft klasse. Du wirst es nicht glauben, aber weist du, wer dieser Wunderchirurg ist? Ein ganz besonderer Freund von dir – Reginald Williams!
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Reginald Williams
Man reiche mir den Eimer, ich muss kotzen. Das ist doch nicht etwa Schlampen-Bethanys Vater? Ist die Vergangenheit wieder auferstanden, um uns heimzusuchen??!!
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Re: Reginald Williams
Alles okay, Rosie, tief durchatmen! Er ist nicht so schlimm. Ein hochintelligenter Mann.
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Re: AW: Reginald Williams
Womit beschäftigt der Mann sich jetzt – mit Hypnose vielleicht? Hat er schon dein Gehirn manipuliert? Deshalb war er hier also ständig in den Zeitungen. Ich hab mich geweigert, das Zeug zu lesen, aus Protest gegen ihn und seine Familie. O mein Gott – Reginald Williams! Meinst du, dass du eine Chance hast, zu den »Auserwählten« zu kommen, weil du damals beinahe sein Schwiegersohn geworden wärst? Es geht doch nichts über ein bisschen Vetternwirtschaft, um auf der Welt für Gleichheit und Gerechtigkeit zu sorgen.
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Vetternwirtschaft
Ich denke, meine Chancen sind eher mager. Wahrscheinlich habe ich mein Schicksal besiegelt, als ich seine einzige Lieblingstochter sitzen lassen habe.
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Schlampen-Bethany
Ach, ich weiß nicht, wie das mit dem besiegelten Schicksal ist, aber ich finde, das war eine der besten Entscheidungen deines Lebens. Wenn ich es mir recht überlege, hab ich Bethany seit ungefähr zehn Jahren nicht mehr gesehen! Was sie wohl so treibt? Hockt wahrscheinlich irgendwo in einer Villa auf dem Berg, zählt ihre Diamanten und kichert bösartig in sich hinein …
Von: Rosie
An: Stephanie
Betreff: Beste Freunde
O du weise und wundervolle Schwester Stephanie, du hattest mal wieder absolut Recht! Als ich siebzehn war, hast du mir gesagt, dass Freundinnen kommen und gehen, aber dass beste Freunde was für die Ewigkeit sind. Und heute habe ich mich dabei erwischt, wie ich gesagt habe: »Ich frage mich, was Schlampen-Bethany wohl so treibt … « Ich hab mich immer so davor gefürchtet, dass Alex so was eines Tages über mich sagt, und schon komm ich selber damit um die Ecke. Damals wollte ich dir das mit der Ewigkeit nicht glauben, aber jetzt bin ich bekehrt! Danke, Steph, beste Freunde sind tatsächlich was für die Ewigkeit!