Kapitel 12
Rosie: Okay, das war ohne Frage das Peinlichste, was mir jemals passiert ist. Ausnahmslos.
Ruby: Und was ist mit damals, als dir in der Kneipe jemand Wasser über dein weißes Kleid geschüttet hat, sodass man plötzlich alles durchsehen konnte, und du hattest keine Unterwäsche an?
Rosie: Na gut, das war auch ziemlich peinlich.
Ruby: Und damals, als du versehentlich ein anderes kleines Mädchen aus dem Supermarkt zum Auto geschleppt hast, während Katie drinnen stand und sich die Augen aus dem Kopf geheult hat?
Rosie: Na ja, die Mutter des Mädchens meinte, es wäre nicht so schlimm, und sie will keine Anzeige erstatten ...
Ruby: Und damals, als …
Rosie: Okay, vielen Dank, das reicht! Ich nehme alles zurück, es war nicht das Peinlichste, was mit je zugestoßen ist, aber es gehört ganz oben auf die Liste der Klassiker aller Zeiten. Nummer eins ist immer noch der Moment, als ich Alex geküsst habe.
Ruby: Ha ha ha ha ha ha ha.
Rosie: Du solltest mich lieber ein bisschen aufbauen.
Ruby: Ha ha ha ha ha ha ha ha.
Rosie: Ach wie schön es doch ist, Freunde zu haben, die einen tatkräftig unterstützen. Ich mache jetzt Schluss, Randy Andy starrt mich nämlich über den Rand seiner unglaublich sexy Hornbrille schon an wie der Herr Schuldirektor persönlich.
Ruby: Vielleicht möchte er ja gern, dass du für ihn das unartige Schulmädchen gibst.
Rosie: Ach, dafür ist es ein paar Jahre zu spät. Ich glaube eher, er möchte mich umbringen. Er bläht schon die Nasenflügel und atmet schwer.
Ruby: Kannst du seine Hände sehen?
Rosie: Igitt! Hör auf damit, Ruby!
Ruby: Was denn? Man nennt ihn nicht ohne Grund den sexgeilen Andy!
Rosie: Ich hasse Großraumbüros, er kann mich aus jeder Ecke beobachten. Sogar meine Beine unterm Tisch. Die glotzt er jetzt nämlich an.
Ruby: Rosie, du musst wirklich raus aus diesem Büro. Es ist nicht gesund für dich.
Rosie: Ich weiß, und ich bemühe mich ja auch. Aber ich kann nicht abhauen, bevor ich einen anderen Job finde, was sich als ganz und gar nicht einfach erweist. Oh, mein Gott, jetzt hat er schon seinen Stuhl verrückt, damit er mich besser sehen kann. Warte mal, ich schicke ihm eine Message, jetzt reicht es mir! Ruby: Nein, tu es nicht!
Rosie: Warum denn nicht? Bloß eine höfliche Bitte, dass er aufhören soll, mich anzuglotzen. Das lenkt mich nämlich von meiner Arbeit ab.
Sie haben eine Message von: ROSIE
Rosie: Starren Sie mir gefälligst nicht so auf die Beine, Sie Lustmolch.
Rosie: Okay, Ruby, ich hab sie abgeschickt.
Ruby: Dann bist du gefeuert. Randy Andy mag keine selbstbewussten jungen Frauen, die sich wehren.
Rosie: Der kann mich mal! Für so was kann er mich nicht feuern!
Ms. Rosie Dunne,
leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Andy Sheedy Paper Clip & Co. in Zukunft Ihre Dienste nicht mehr benötigen wird. Das heißt, Ihr Vertrag wird nächsten Monat nicht wie besprochen verlängert.
Sie haben das Recht, bis Ende des Monats, das heißt bis zum 30.Juni, weiter bei Andy Sheedy Paper Clip & Co. zu arbeiten.
Andy Sheedy Paper Clip & Co. bedankt sich bei Ihnen für die Arbeit, die Sie in den letzten Jahren für die Firma erbracht haben, und wünscht Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
Andy Sheedy
Eigentümer von Andy Sheedy Paper Clip & Co.
Sie haben eine Message von: ROSIE
Rosie: Ich hab dir den Brief rübergefaxt, hast du ihn dir angeschaut?
Ruby: Ha ha ha ha ha ha
Rosie: Weißt du was? Je öfter ich ihn lese, desto froher bin ich, dass ich gehe. Der Name Andy Sheedy Paper Clip & Co. sagt doch schon alles, oder nicht? Ich frage mich übrigens, wer den Brief für ihn getippt hat, denn bekanntlich bin ja ich seine Sekretärin, es wäre also mein Job gewesen. Wahrscheinlich hab ich ihn geschrieben, ohne es zu merken. Bei der Hälfte der Sachen, die er mir zum Tippen gibt, passe ich sowieso nicht auf. Und – was sagst du dazu?
Ruby: So ist es doch am besten. Rosie Dunne, du wirst in die Geschichte dieses Etablissements eingehen als die Frau, die es gewagt hat, Randy Andy die Meinung zu sagen. Ich werde die Kunde verbreiten, Rosie. Dein Rausschmiss wird nicht umsonst gewesen sein. Ich werde dich vermissen! Was willst du jetzt machen?
Rosie: Ich hab nicht den blassesten Schimmer.
Ruby: Warum bewirbst du dich nicht in einem Hotel? Seit ich dich kenne, redest du ständig von Hotels.
Rosie: Stimmt. Irgendwie hab ich einen kleinen Tick mit Hotels. Bevor ich Katie gekriegt habe, wollte ich immer ein Hotel leiten. Ich glaub zwar nicht, dass so was je passieren wird, aber es ist trotzdem ein netter Traum.
Hotels geben mir immer so ein Gefühl der Geborgenheit. Vielleicht liegt das an den riesigen Möbeln – Vasen, die so groß sind wie ein ausgewachsener Mensch. Sofas, die ich bei mir zu Hause nicht mal unterkriegen würde, wenn ich Wohnzimmer und Küche zusammenlege. In einem Hotelfoyer komme ich mir immer vor wie Alice im Wunderland. Wenigstens hab ich einen ganzen Monat Zeit, um was Neues zu finden, das dürfte doch eigentlich nicht so schwierig sein. Am besten fang ich schon mal mit meinem Lebenslauf an.
Ruby: Na, der ist jedenfalls bestimmt nicht sonderlich lang.
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Ist mein Lebenslauf einigermaßen okay?
Anlagen: LL.doc
Bitte, bitte, bitte hilf mir mit meinem Lebenslauf, sonst werden meine arme Tochter und ich verhungern! Wie schaffe ich es, dass meine ganzen Scheißjobs irgendwie beeindruckend aussehen? Hilfe! Hilfe! Hilfe!
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Lebenslauf
Anlagen: LL.doc
Wie du (am beigefügten Anhang) sehen kannst, hab ich deinen Lebenslauf umgeschrieben. Die Version, die du mir geschickt hast, war eigentlich perfekt, ich hab nur ein bisschen Grammatik und ein paar Rechtschreibfehler verbessert … du weist ja, darin bin ich ein Meister.
Übrigens, Rosie, nur damit du es weist, du hast keineswegs nur »Scheißjobs« gemacht, wie du es so drastisch ausdrückst. Ich glaube, dir ist nicht ganz klar, was du leistest. Du bist eine allein erziehende Vollzeit-Mutter, die nebenbei noch als persönliche Sekretärin für einen erfolgreichen Geschäftsmann arbeitet. Ich habe nur die Satzstellung ein bisschen verändert, ohne dabei im Geringsten die Wahrheit zu verdrehen. Was du Tag für Tag geschafft hast, ist einfach unglaublich. Wenn ich von der Arbeit heimkomme, bin ich so erledigt, dass ich einfach zusammenklappe. Ich kann mich kaum um mich selbst kümmern, von anderen Menschen ganz zu schweigen.
Du darfst dich nicht unterschätzen, Rosie. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Du musst hoch erhobenen Hauptes zu den Vorstellungsgesprächen marschieren, in dem sicheren Bewusstsein, dass du extrem leistungsfähig bist (wenn du willst), dass du sehr gut mit anderen Menschen zusammenarbeiten kannst und dass deine Kollegen dich mögen (mal abgesehen von dem Vorfall in der Schule, als wir ein Gruppenprojekt über die Planeten machen mussten und du darauf beharrt hast, kleine Männchen auf den Mars und kleine Frauen auf die Venus zu malen, obwohl es eigentlich Susie Corrigans Bild war und die sich in Kunst zwei Wochen damit abgequält hatte). Rosie, du bist ein toller Mensch, hübsch, witzig und intelligent, und wenn du dich mit Koronarerkrankungen auskennen würdest, würde ich dich sofort einstellen.
Ich habe übrigens in dem Lebenslauf auch erwähnt, dass man dir einen Platz im Boston College angeboten hat. So was macht sich immer sehr gut. Es wird alles wunderbar klappen! Sei einfach du selbst, dann eroberst du die Herzen im Sturm.
Noch eins: Ich möchte dir ausdrücklich empfehlen, dass du dir diesmal einen Job suchst, der dir wirklich gefällt. Du wirst überrascht sein, wie leicht du morgens aus dem Bett kommst, wenn du dich auf die Arbeit freust – statt das Gefühl zu haben, du willst vom Doppeldeckerbus springen (ich hab mir ein wenig Sorgen gemacht, als ich die Mail damals bekommen habe). Wie wäre es, wenn du dir endlich eine Stelle in einem Hotel suchst? Das willst du doch eigentlich, seit du das erste Mal im Londoner Holiday Inn übernachtet hast, erinnerst du dich?
Raff dich auf und lass mich wissen, wie die Dinge sich entwickeln.
Toi, toi, toi,
Alex