Kapitel 34

Sie haben eine Message von: RUBY

Ruby: Preiset den Herrn, denn Er tut Wunder! Ich liebe meinen Sohn, er ist perfekt, ein absolutes Genie!

Rosie: Na, wenn das mal keine Bekehrung ist!

Ruby: Du würdest mir zustimmen, wenn du wie ich Augenzeuge der Wiedergeburt von Fred Astaire geworden wärst. Mir tut nicht nur alles weh, weil ich getanzt habe wie nie zuvor in meinem Leben, ich bin zutiefst erschüttert! Als die Musik einsetzte, begann ein Zauber zu wirken.

Ich meine, Ricardo hat Gary nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst, obwohl es seine erste Stunde war. »Ruu-bie«, hat er gesagt, »das iste derr fortgeschrittene Kurse, Ga-rrie muss äben versuchen mitzumaken.« Und Gott ist mein Zeuge, Gary hat mitgemacht, er hat so mitgemacht, dass ich fast umgekippt wäre. Ricardo hat sogar 1,2,3 Maria von Azuquita aufgelegt – das ist das, was so schnell ist, dass du und ich nach der Hälfte immer japsend auf dem Boden liegen und zusehen, wie Sternchen und Vögelchen um unsern Kopf kreisen. Aber wie Gary sich bewegt hat, das war schlicht unglaublich. Diese Anmut, mit der er über die Tanzfläche gewirbelt ist, schweißüberströmt … Ricardo meinte, Gary sei ein aufgehender Stern am Salsa-Himmel, und er und ich würden ein super Team abgeben.

Teddy war nicht sonderlich beeindruckt, als ich ihm davon erzählt habe. Na ja, ich war beim Heimkommen noch so aufgeregt, dass ich einfach damit rausgeplatzt bin. Dabei haben Teddys Lastwagenfahrerkollegen im Fernsehzimmer gehockt. Teddy ist noch röter im Gesicht geworden als üblich und fing an zu faseln, alle Tänzer wären sowieso schwul. Die Jungs glauben, wenn man sich die leeren Bierdosen an der Stirn zerknautscht, wenn man furzt (und dann schnüffelt und lacht), wenn man die Fußballspieler in der Glotze anblökt (als könnte man selber alles viel besser), wenn man bei jeder rundlichen Frau im Fernsehen blöde Kommentare ablässt (als hätte man nicht selbst eine Bierwampe und würde sich nicht seit zehn Jahren total gehen lassen), wenn man mich alle zehn Minuten ranpfeift, damit ich frische Bierdosen ankarre (von der Sorte fünfzig Cent pro Dutzend), dann hat man automatisch das Recht, mich zu belehren, was ein richtiger Mann ist. Diese faulen, egoistischen Arschlöcher.

Aber wie dem auch sei – Fred Astaire und Ginger Rogers können abdanken, jetzt kommen Ruby und Gary Minelli!

Rosie: Minelli?

Ruby: Okay, ich hab unseren Namen geändert, damit er ein bisschen mehr nach Superstar klingt. Ricardo hat gesagt, er trainiert mit uns für die kommenden Salsa-Wettkämpfe. Wenn wir gut genug sind, können wir durch die ganze Welt gondeln. Für eine Frau, für die ein Spaziergang zum anderen Ende ihres Gartens ein Abenteuer ist, wäre das echt ein Traum. Vorausgesetzt natürlich, dass wir gut genug sind.

Rosie: Ruby, das klingt ja toll. Was wird Miss Erfolg dazu sagen, wenn sie rauskriegt, dass sie einfach abserviert worden ist?

Ruby: Darüber hab ich mir auch schon Sorgen gemacht, du weißt ja selbst, wie eifersüchtig sie wird, wenn ich auch nur einen anderen Mann ansehe. Aber trotzdem will ich es mit Gary bis zur Salsa-Weltmeisterschaft in Miami schaffen. Schließlich muss man die Nase doch mal über den Tellerrand der Aula von St. Patrick’s rausstrecken. Die eigenen Fähigkeiten erkennen, den Erfolg in der Luft spüren, die Hände nach dem Sieg ausstrecken.

Rosie: Hast du dir mal wieder Oprah Winfrey angesehen?

Ruby: Ja, der Teil mit der Leidenschaft, die man wieder entdecken muss, geht mir jedes Mal durch und durch. Apropos: Gibt es eigentlich irgendwelche Neuigkeiten von der Jobfront?

Rosie: Ja, ich hab gestern mit der Post ein Angebot gekriegt.

Ruby: Super! Wurde auch allmählich Zeit. Ist es die Stelle, auf die du scharf warst, oder die, die du eigentlich nicht willst?

Rosie: Du kennst mich jetzt schon so lange und musst mir trotzdem diese Frage stellen? Na ja, genau genommen war es keine von beiden, sondern die, auf die ich überhaupt keinen Wert lege und die ich nur annehmen würde, wenn es der letzte verfügbare Job in ganz Dublin wäre, wenn Mum und Dad mich rausgeschmissen hätten und wenn Katie und ich so ausgehungert wären, dass wir Briefmarken ablecken.


Lieber Mr.Dunne, liebe Mrs.Dunne,

das Auktionsbüro Hyland & Moore hat ihre Anfrage erhalten. Wir würden uns freuen, in Ihrem Auftrag den Verkauf Ihres Hauses zu tätigen. Danke, dass Sie sich für Hyland & Moore entschieden haben.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Hyland


Sie haben eine Message von: ROSIE

Rosie: Hi, ich bin’s.

Rosie: Hallo-ooh?

Rosie: Ich weiß, dass du da bist. Ich kann sehen, dass du dich eingeloggt hast.

Alex: Wer bist du denn?!

Rosie: Haha, das war aber echt witzig. Meinst du, du hast heute die Lizenz, mich zu ärgern oder was? Tja, dein Pech. Ich erzähl dir trotzdem die traurigen Geschichten meines jämmerlichen kleinen Lebens, ob es dir passt oder nicht. Okay, es geht los: Man hat mir einen Job angeboten. Aber ich hab ihn abgelehnt, weil ich fand, dass ich noch nicht verzweifelt genug bin, um ihn annehmen zu müssen. Wie sich herausstellt, hab ich mich geirrt. Auf einmal erklären mir meine Eltern, dass sie das Haus am nächsten Tag auf den Markt geben, und ehe mein Hirn die Chance hat, das zu verarbeiten, trampeln auch schon irgendwelche Menschen durchs Haus, schnüffeln in meinem Schlafzimmer rum, kritisieren das Mobiliar, machen blöde Bemerkungen über die Tapete, rümpfen die Nase über den Teppich, beschließen, welche Wände und Einbauschränke wegmüssen und welche von meinen alten Teddys sie gern in einer heidnischen Zeremonie im Garten auf dem Scheiterhaufen verbrennen möchten. Dann hat ein Pärchen meinen Eltern ein Angebot gemacht, und zwar genauso viel, wie die verlangt haben – ist das denn zu glauben?! Und sie haben das Haus nur ein einziges Mal gesehen! Mum und Dad haben ungefähr zwanzig Sekunden überlegt und dann ja gesagt!

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Anscheinend ist die Frau im achten Monat schwanger, sie wohnen in einem winzigen Apartment und brauchen schnell ein neues Haus, damit das Baby nicht im Waschbecken baden und auf dem Balkon spielen muss.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Mum und Dad haben sich x-mal entschuldigt und alles, aber ich mach ihnen auch gar keinen Vorwurf, denn schließlich ist es ihr Leben, und sie hätten eigentlich schon bei meinem ersten Auszug aufhören müssen, sich meinetwegen Sorgen zu machen. Jedenfalls haben sie jetzt innerhalb von ein paar Tagen das Haus verkauft, alles ist eingepackt, und jetzt haben sie auch noch für nen Appel und ein Ei ein Haus in Connemara gefunden. Morgen kommen die Möbel unter den Hammer (außer den Sachen, die ich mir noch schnell unter den Nagel reißen konnte), und der Rest wird zu dem neuen Haus gebracht (das mehrere Stunden weit weg liegt). Mum und Dad haben schon Tickets für eine Kreuzfahrt gekauft und stechen kommenden Montag in See.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Das bedeutet, dass ich bei der Institution, deren Angebot ich – nicht sonderlich höflich – abgelehnt hatte, vorstellig werden, mich überschwänglich entschuldigen und sie davon überzeugen musste, mir den Job doch zu geben. Natürlich waren sie echt genervt und haben gesagt, dass sie mich vor August bestimmt nicht brauchen. Deshalb hat Katie heute den Tag mit Brian verbracht, und ich war auf Wohnungssuche.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Die Häuser, die ich mir hätte leisten können, waren unglaublich hässlich. Die Wohnungen entweder zu teuer, zu klein oder zu weit von meinem Job entfernt. Daher haben Mum und Dad meine persönlichen Probleme mit dem ekelhaft glücklichen jungen Paar besprochen (so was machen sie ja gern), das sein fröhliches Familienleben damit beginnen wird, dass es das Heim meiner Kindheit zerstört. Und da Mum und Dad so verständnisvoll und gleich zum Ausziehen bereit waren, hat das junge Paar nun vorgeschlagen, ich könnte doch in die Wohnung einziehen, aus der sie gerade ausgezogen sind und die sie jetzt vermieten wollen.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Das Einzige ist nur, dass sie die Wohnung schon für zwei Wochen an ein paar Studenten vermietet haben, weshalb ich mit dem Umzug noch ein bisschen warten muss. Und bis dahin ist die Wohnung garantiert total eingesaut und verstunken.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Bei wem kann ich dann so lange wohnen?, fragst du dich jetzt wahrscheinlich. Na, schauen wir mal: Mum und Dad sind nach Connemara gezogen. Kev wohnt im Angestelltenwohnheim des Two Lakes Hotel in Kilkenny, Steph in Frankreich, Ruby hat nur drei kleine Zimmer und absolut keinen Platz für mich und Katie, du bist in Boston, was zum Pendeln extrem ungünstig sein dürfte. Wer ist also das einzige menschliche Wesen in Dublin, das ich momentan noch kenne? (An Dingsbums brauchst du keinen Gedanken zu verschwenden.) Ja, kein anderer als Brian das Brot.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Ich fürchte, so ist es. Ich schreibe dir in dieser Sekunde aus der Abstellkammer von Brianbrots Mietwohnung, in der ich nun die nächsten zwei Wochen hausen muss. Wie tief werde ich wohl noch sinken? Und das war noch nicht mal das Schlimmste. Ich hab dir nämlich noch nicht erzählt, wer mein neuer Chef ist. Meine Chefin genauer gesagt – Ms. Rüsselnase Mundgeruch Casey.

Alex: Nein!

Rosie: Ja! Ich bin jetzt die Sekretärin der Frau, die wir früher am innigsten gehasst haben, der Frau, die meiner Tochter in der Schule das Leben zur Hölle gemacht hat, die jetzt Direktorin an der St. Patrick’s Primary School ist – und mein Boss! Warum Ms. Rüsselnase Mundgeruch Casey mich angeheuert hat, ist mir schleierhaft, aber so ist es, und bis ich wieder einen Job im Hotel finde, werde ich mich nicht beschweren oder gar ihren Entschluss hinterfragen. Vielleicht möchte sie mir das Leben noch bis ins hohe Alter schwer machen. Und apropos Alter – sie war schon alt, als wir fünf waren, und sie ist immer noch alt! Ich glaube, sie hat neun Leben, wie eine Katze.

So, was sagst du zu diesen Ereignissen? Soll ich deiner Lieblingslehrerin irgendwas ausrichten?

Rosie: Hallo, Alex?

Rosie: Alex?

Alex: Hmm … tut mir Leid, Alex ist nicht online.

Rosie: Haha. Sehr witzig. Warum ist dann sein Name auf meinem Bildschirm? Warum schreibe ich ihm dann?

Alex: Nein, du schreibst nicht ihm. Ich hab mich auf seinem Computer eingeloggt. Vermutlich erscheint sein Name automatisch auf deinem System. Ich bin bisher noch nie drüber gestolpert. Tut mir Leid, ich wusste ja nicht, dass du ihn suchst.

Rosie: Was?? Glaubst du vielleicht, ich sabble hier endlos jeden Fremden mit Details aus meinem Privatleben voll? Wer bist du?

Alex: Bethany.

Rosie: Bethany?

Alex: Bethany Williams. Erinnerst du dich an mich?

Rosie: Was zum Geier hast du an Alex’ Computer verloren?

Alex: Oh, tut mir Leid, jetzt kapier ich endlich. Alex hat dir nichts davon erzählt, oder? Ich dachte, ihr beiden habt keine Geheimnisse voreinander. Aber ich leite all deine Messages an ihn weiter, sie waren echt amüsant. Viel Glück mit dem neuen Job, Rosie. Ich überlasse es Alex, dir die Situation zu erklären. Übrigens arbeitet er bei meinem Vater und verdient ganz ordentlich. Er kommt gut voran. Wenn du Geld brauchst, kann er dir vielleicht was leihen.

Rosie hat sich ausgeloggt.

Fuer immer vielleicht
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