Kapitel 13
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Bostonbesuch?
Ich hab mich grade kurz von der Arbeit verdrückt, um dir eine Mail zu schicken und zu fragen, wie es mit der Jobsuche vorangeht. Noch eine Woche, bis Randy Andy dich endgültig aus seinem Büroklammerimperium verstößt. Jede Menge Zeit. Falls sich bis dahin noch nichts Passendes ergeben hat, schicke ich dir gern einen Scheck, mit dem du dich über Wasser halten kannst (aber nur, wenn du meine Hilfe möchtest).
Am liebsten möchte ich sofort nach Hause und ins Bett, ich bin todmüde. Ich hab nämlich extra zwei Doppelschichten hintereinander übernommen, damit ich mir morgen die Hände nicht blutig machen muss. Einen ganzen Tag frei, o Wonne … Das Problem ist nur, wenn ich heimkomme, macht Sally sich gerade für ihre Schicht fertig. Nicht gerade beziehungsfördernde Arbeitszeiten. Außer für Beziehungen mit Leuten, die sich unter Höllenqualen im Krankenhausbett wälzen. Entschuldige, das war kein guter Witz.
Ich bin einfach fix und fertig. Sally und ich haben kaum Zeit füreinander, und wenn wir uns mal sehen, sind wir beide normalerweise so müde, dass wir einfach nur ins Bett plumpsen.
Ich hab eine Idee: Wenn du mit Katie und deinem Herrn Dingsbums rüberkommst, nehm ich mir ein paar Tage frei, wir besichtigen alles, was es zu besichtigen gibt, gehen schön essen, amüsieren uns, und ich kann endlich mal ausschlafen. Dann lerne ich Dingsbums auch endlich mal kennen. Ich hab echt ein paar miese Wochen hinter mir und deinen Humor bitter nötig. Schwing deinen Zauberstab, Rosie Dunne, und bring mich wieder zum Lachen.
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Hier ist Rosie!
Hallo, du armer Mensch, hab keine Angst, Rosie Dunne ist nah! Tut mir Leid, dass du eine miese Phase hast. Ich hab das Gefühl, das Leben gibt einem ab und zu ganz gern mal einen drüber. Kurz bevor man es gar nicht mehr aushält, wird es meistens wieder besser, aber bevor es bei dir so weit ist, werd ich versuchen, dich mit ein paar Anekdoten aus meinem Leben aufzumuntern.
Okay, also erstens hast du wirklich einen sehr, sehr schlechten Einfluss auf mich. Nachdem ich deinen Brief und das literarische Meisterwerk gelesen hatte, in das du meinen Lebenslauf verwandelt hast, war ich dermaßen motiviert und aufgeputscht, dass ich mich sofort in meinem Trainingsanzug samt Stirnband, Handgelenkschonern und Joggingschuhen auf den Weg gemacht habe, bildlich jedenfalls, und durch Dublin geflitzt bin, als wär ich im Auftrag des Herrn unterwegs.
Du böser, böser Mensch. Deinetwegen hatte ich das Gefühl, ich kann Berge versetzen. Ich dachte, ich kann es mit der ganzen Welt aufnehmen (versetz mich bitte nie wieder in so einen Zustand!), und deshalb habe ich meinen Lebenslauf in jedem einzelnen Hotel hinterlegt, in dem ich mich nie zu bewerben getraut habe. Schande über dich, dass du mir die Kraft dazu gegeben hast, denn sie hat sich blitzschnell wieder verzogen. Und dann musste ich trotzdem zu einer Trillion Vorstellungsgesprächen bei einer Trillion versnobter Etablissements erscheinen, in denen man nicht nur mich persönlich gehasst hat, sondern vor allem meine ungeheuerliche Frechheit, dort arbeiten zu wollen.
Lass mich nachdenken, mit welchem von all den peinlichen Gesprächen soll ich anfangen? Hmm … nehmen wir das neueste. Also – gestern habe ich mich für eine Stelle an der Rezeption im Two Lakes Hotel beworben. Du kennst doch sicher dieses echt schicke Teil in der City, oder nicht? Das mit der durchgehenden Glasfassade, damit man die riesigen Kronleuchter schon aus weiter Ferne glitzern und funkeln sieht. Nachts hat man den Eindruck, es brennt, so hell ist es. Das Restaurant befindet sich im obersten Stockwerk, man sieht von dort die gesamte Stadt. Wirklich sehr schön. Aber vor der Tür steht so ein Gorilla (na ja, genau genommen würde man ihn wohl als Gentleman bezeichnen) in Umhang und Zylinder und sorgt dafür, dass keiner reinkommt. Es hat ungefähr zehn Minuten gedauert, bis er mich durchgelassen hat, Zutritt nur für Hotelbewohner. Also bitte – wie soll man da wohnen, wenn man nicht reindarf? Am Ende hatte er dann doch ein Einsehen, und vor lauter Begeisterung wäre ich fast auf dem blitzeblanken Marmorboden ausgerutscht. In der Lobby war es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören konnte. Na ja, eigentlich gar nicht soo still – aus der Lounge erklang leises Klaviergeklimper, ein Mini-Springbrunnen plätscherte –, aber die Geräusche waren so entspannt und beruhigend, dass sie die Stille nur verstärkten. Es gab sogar solche riesigen Möbel, die ich als Kind immer so geliebt habe, überdimensionale Spiegel, Türen so breit wie meine gesamte Wohnung.
Für das Gespräch musste ich an einem endlos langen Tisch Platz nehmen. Am einen Ende saßen zwei Männer und eine Frau. Jedenfalls soweit ich das ohne Fernglas beurteilen konnte.
Ich war wild entschlossen, mein Interesse an ihrem Unternehmen zu bekunden, genau so, wie du es mir eingeschärft hast. Also fragte ich, woher das Hotel seinen Namen hat, weil es doch in dieser Gegend gar keinen See gibt. Die beiden Männer am anderen Tischende fingen an zu lachen und stellten sich vor: Bill und Bob Lake – also ein Wortspiel, das rein gar nichts mit echten Seen zu tun hat. Das Hotel gehört ihnen. Peinlich, peinlich.
Ich plapperte weiter, wie du es mir geraten hast. Dass ich schrecklich gern im Team arbeite, dass ich gut mit Leuten zurechtkomme, dass ich mich brennend dafür interessiere, wie so ein großes Hotel funktioniert, dass ich hart ranklotzen kann, dass ich mit Elan an die Arbeit gehe und alles zu Ende bringe, was ich angefangen habe. Dann schwafelte ich noch eine halbe Ewigkeit weiter, wie sehr ich Hotels mag und dass ich schon als Kind in einem arbeiten wollte.
Und dann haben die beiden Knaben alles verdorben. »Nun, Rosie«, haben sie mich gefragt, »Sie haben bei Andy Sheedy Paper Clip & Co. doch bestimmt viel gelernt. Was davon könnten Sie hier zu unserem Betrieb im Two Lakes beisteuern?«
Also bitte!
Okay, ich muss jetzt Schluss machen. Katie ist gerade mit einem bösartigen Gesichtsausdruck aus der Schule gekommen, und ich hab mit dem Abendessen noch nicht mal angefangen.
Von: Alex
An: Rosie
Betreff: Two Lakes Hotel
Schade, dass du so schnell Schluss machen musstest, ich hatte echt Spaß an deiner Mail. Freut mich, dass die Vorstellungsgespräche so gut laufen! Aber ich brenne darauf zu erfahren, wie du die Frage beantwortet hast!
Von: Rosie
An: Alex
Betreff: Re: Two Lakes Hotel
Alex, das liegt doch nun wirklich auf der Hand! Büroklammern!, hab ich gesagt.
(Die beiden haben gelacht, also hab ich mich wohl relativ elegant aus der Affäre gezogen.) Okay, jetzt mach ich wirklich Schluss. Katie hält mir Bilder unter die Nase, die sie in der Schule gemalt hat. Ach, übrigens ist auch eins von dir dabei … sieht aus, als hättest du ein bisschen abgenommen. Ich scanne es ein und schick es dir …
Liebe Ms. Rosie Dunne,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Sie gern für die Stelle der Empfangschefin im Two Lakes Hotel einstellen möchten.
Etwas persönlicher ausgedrückt: Bob und ich sind nach Ihrem Vorstellungsgespräch letzte Woche sehr gespannt auf Sie. Sie haben auf uns einen aufgeweckten, intelligenten und humorvollen Eindruck gemacht, und genau solche Leute suchen wir für unser Hotel. Wir halten uns etwas darauf zugute, dass wir nur Menschen einstellen, von denen wir in einem Hotel gern selbst begrüßt werden würden, und wir vertrauen darauf, dass Sie auch unseren Gästen mit Ihrem Charme ein Lächeln auf die Lippen zaubern werden, wie Sie es bei uns getan haben.
Wir sind stolz, Sie in unserem Team willkommen zu heißen, und hoffen, unsere Geschäftsbeziehung wird sich über viele Jahre bewähren und weiterentwickeln.
Bitte melden Sie sich bezüglich Ihrer Arbeitskleidung bei Shauna Simpson an der Rezeption.
Mit freundlichen Grüßen
Eigentümer und Manager |
Eigentümer |
P.S. Es wäre sehr schön, wenn Sie ein paar Büroklammern mitbringen könnten – Bürobedarf ist bei uns immer Mangelware!
Sie haben eine Message von: ROSIE
Rosie: Mein Gott, Ruby, ist es die Möglichkeit, dass ich tatsächlich einen netten Chef (oder genau genommen zwei nette Chefs) kriege?! Auf einmal läuft alles wie geschmiert.
Ruby: Dann schaun wir mal, wie Rosie es diesmal wieder verhext kriegt ...
*
Von: Rosie
An: Stephanie
Betreff: Glückwünsche!
Ich freu mich so, dass du dich mit Pierre verlobt hast! Ich weiß, dass wir letzte Nacht stundenlang telefoniert haben, aber ich wollte dir trotzdem eine Mail schicken. Herzlichen Glückwunsch!
Mir passiert zurzeit was ziemlich Groteskes, Stephanie. Ich hab einen Freund, der mich liebt und den ich liebe, ich kriege demnächst eine Stelle im Hotel meiner Träume, Katie ist wunderschön und gesund und lustig, und ich hab endlich das Gefühl, ich bin eine gute Mutter. Ich bin glücklich. Ich möchte das alles aus Leibeskräften genießen, aber irgendwas lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen. In meinem Hinterkopf flüstert eine leise Stimme: »Das ist zu schön, um wahr zu sein.« Es fühlt sich fast an wie die Stille vor dem Sturm.
Hab ich jetzt das, was man unter einem normalen Leben versteht? Bisher gab’s für mich immer nur Drama, Drama und noch mal Drama. Nichts ist so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe, immer musste ich kämpfen. Und hab mit Hängen und Würgen irgendwas erreicht, was zwar nicht genau meinen Wünschen entsprach, aber ganz okay war. Aber das jetzt ist nicht ganz okay, es ist geradezu perfekt, es ist genau das, was ich schon immer wollte. Es läuft einfach super. Ich fühle mich toll, und das ist total neu für mich. Eine neue Rosie Dunne. Die kleine verwirrte Rosie existiert nicht mehr. Jetzt beginnt Phase zwei meines Lebens …