Kapitel 32

Liebe Rosie,

bevor du den Brief zerreißt, gib mir bitte die Chance zu erklären.

Erstens möchte ich mich ehrlich und von ganzem Herzen für die vergangenen Jahre entschuldigen. Dafür, dass ich nicht für dich da war, dass ich dich nicht unterstützt habe und dass ich dir keine angemessene Hilfe war. Ich bereue es sehr, dass ich mich so verhalten habe, und ich bin von mir selbst und meinem bisherigen Leben enttäuscht. Ich weiß, ich kann nichts tun, was die letzten Jahre anders oder besser macht, ich habe mich dumm benommen und euch beide schlecht behandelt.

Aber bitte gib mir wenigstens die Chance, eine bessere Zukunft aufzubauen und das, was ich vermasselt habe, wieder gutzumachen. Ich kann verstehen, dass du wütend bist, ich weiß, dass du dich ausgenutzt und verletzt fühlst und dass du mich hasst. Aber es geht ja nicht nur um dich. Ich blicke auf mein Leben zurück und frage mich, was habe ich aus all den Jahren vorzuweisen? Ich hab aus meinem Leben nicht viel gemacht, worauf ich stolz sein kann. Ich kann keine Erfolgsgeschichten erzählen, ich habe keine Millionen gescheffelt. Aber es gibt etwas, worauf ich dennoch stolz bin.

Und das ist mein kleines Mädchen.

Dass ich ein kleines Mädchen habe, ein Mädchen, das nicht mal mehr so »klein« ist. Ich bin nicht stolz darauf, wie ich sie behandelt habe. Vor ein paar Wochen bin ich aufgewacht, und auf einmal hatte ich das Gefühl, dass mir alles, was ich in den letzten Jahren vermisst habe, in einem einzigen Augenblick ganz klar wurde. Ich erkannte sozusagen den Sinn meines Lebens. Ich begriff plötzlich, was es bedeutet, dass ich eine Tochter habe, eine Tochter, die inzwischen ein Teenager ist und von der ich nichts weiß und die nichts von mir weiß.

Ich möchte sie so gern kennen lernen. Ich habe gehört, dass sie Katie heißt. Ein hübscher Name. Ich frage mich, wie sie wohl aussieht. Ähnelt sie mir?

Ich weiß, ich kann euch nicht beweisen, dass ich es verdiene, aber wenn du und Katie bereit wärt, mich in euer Leben aufzunehmen, kann ich euch beweisen, dass es sich lohnt. Katie wird ihren Vater kennen lernen, und ich werde meine Tochter kennen lernen, das ist es doch wert, oder nicht? Bitte hilf mir, diesen Traum zu verwirklichen.

Bitte antworte mir, Rosie. Gib mir eine Chance, die Fehler meiner Vergangenheit wieder gutzumachen und für Katie und mich eine neue Zukunft zu schaffen.

Beste Grüße,

Brian


Rosie: Nein nein nein nein nein nein nein nein und noch mal nein!

Ruby: Ich weiß, Süße, ich versteh dich doch. Aber überleg dir wenigstens, welche Möglichkeiten dir sonst noch offen stehen.

Rosie: Möglichkeiten? Verdammte Scheiße, ich hab keine! KEINE! Ich muss weg. Hier zu bleiben kommt nicht in Frage.

Ruby: Rosie, jetzt beruhige dich erst mal. Du bist ja total durch den Wind.

Rosie: Stimmt genau, ich bin total durch den Wind. Wie zum Teufel soll ich denn mein Leben auf die Reihe kriegen, wenn mir pausenlos einer reinpfuscht? Ich hab die Faxen dicke, Ruby, mir reicht’s. Schluss, aus, Ende. Ich hau ab. Wer ist dieser Mann überhaupt? Wo ist er die letzten dreizehn Jahre gewesen? Wo war er denn in Katies wichtigsten Phasen, von mir mal ganz zu schweigen?

Wer ist denn die ganze Nacht aufgeblieben und hat das Baby gestillt? Wer hat Tag für Tag verschissene Windeln gewechselt, Rotznasen geputzt und Kotze aufgewischt? Wer hat Schwangerschaftsstreifen und Narben, einen Hängebusen und graue Haare? Wer ist zu den Elternabenden gelatscht, hat Essen gekocht, den Tisch gedeckt, die Miete bezahlt? Wer ist arbeiten gegangen, hat bei den Hausaufgaben geholfen, gute Ratschläge gegeben, Tränen getrocknet? Wer hat geduldig die Geheimnisse der Fortpflanzung erklärt und dazu noch, warum Daddy im Gegensatz zu den Vätern der anderen Kinder nicht da war? Wer hat Fieber gemessen und Medizin gekauft, wer ist mit ihr zum Arzt gegangen und mitten in der Nacht ins Krankenhaus gehetzt? Wer hat das College drangegeben, wer hat seine freien Tage geopfert und ist am Wochenende daheim geblieben?

Das war ich, ich dumme Kuh. Und wo bitte hat sich dieser Scheißtyp die ganze Zeit über rumgedrückt? Und jetzt, nach dreizehn Jahren, kommt er kackfrech in unser Leben geschlendert, nachdem die ganze Schwerarbeit erledigt ist, schleimt sich ein mit einem kleinen Achselzucken und einer albernen Entschuldigung, oh, tut mir Leid. Und das zufällig grade, nachdem mein Ehemann mich zum x-ten Mal betrogen hat und ich mich endlich entschlossen habe, nach Boston zu gehen, wo ich schon längst hätte sein sollen, wäre dieser hinterhältige kleine Arsch nicht gewesen, der mir sämtliche Pläne durchkreuzt, mein Leben auf den Kopf gestellt hat und dann mit eingekniffenem Schwanz ins Ausland abgedampft ist.

Der kann mich mal.

Jetzt bin ich dran.

Rosie Dunne und keiner sonst.

Ruby: Nein, Rosie, da hast du Unrecht. Es geht auch um Katie. Sie muss zumindest wissen, dass er sie kennen lernen will. Bestraf sie nicht für deine Fehler.

Rosie: Aber wenn ich es ihr erzähle, dann wird sie ihn sehen wollen, darauf kannst du Gift nehmen. Sie wird sich wie verrückt darauf freuen, und dann lässt er sie wahrscheinlich wieder im Stich und bricht ihr noch mal das Herz.

Und wer kann dann wieder mal zusehen, wie sie die Scherben zusammenfegt? Wer wird gute Miene zum bösen Spiel machen, mit den Schultern zucken und Dinge sagen wie: »Ach, mach dir keine Sorgen, meine dreizehnjährige Tochter, nicht alle Männer sind Scheißkerle – nur zufällig jeder einzelne von ihnen, den du bisher kennen gelernt hast.«

Ruby: Aber Rosie, es könnte auch gut gehen. Vielleicht hat er sich tatsächlich geändert. Das kannst du nicht wissen.

Rosie: Richtig, das kann ich nicht wissen. Das weiß man NIE. Und noch was – wie soll Katie ihren Vater kennen lernen, wenn wir auf der anderen Seite der Welt wohnen? Ich möchte nicht hier bleiben, Ruby. Ich will WEG. Ich will raus aus diesem elenden Loch hier.

Ruby: Es ist kein Loch, Rosie. Das Leben ist nicht perfekt, für keinen. Du bist nicht die Einzige, der es so geht, es hängt keine dicke schwarze Wolke über deinem Kopf. Es fühlt sich nur manchmal so an. Du musst aus dem, was du hast, das Beste machen, und du hast Glück, weil du eine tolle Tochter hast, gesund, intelligent, lustig. Zu allem Überfluss findet sie dich auch noch super. Verlier das nicht aus den Augen, Rosie. Wenn Katie Brian kennen lernen möchte, dann solltest du sie darin unterstützen. Natürlich kannst du trotzdem wegziehen, er kann euch ja besuchen.

Rosie: Ach Ruby. Vor einem Monat hab ich noch gedacht, ich bin im Paradies.

Ruby: Tja, das ist das Problem mit dem Paradies – es ist für Schlangen besonders anziehend.

*

Liebe Stephanie,

Glückwünsche zur Schwangerschaft! Ich freue mich sehr für dich und Pierre, und ich bin sicher, Baby Nummer zwei wird euch genauso viel Freude machen wie Jean-Louis. Ich nehme an, dass Mum dir schon das Neueste erzählt hat. Sie ist sehr glücklich, dass ich nun doch nicht nach Amerika ziehe. Alex natürlich nicht. Er hat geschimpft wie ein Rohrspatz und mir alles an den Kopf geschmissen, was ihm gerade in den Sinn kam. Er glaubt, dass ich mal wieder klein beigebe und mich von allen nur ausnutzen lasse. Deshalb ist er jetzt stinksauer und redet nicht mehr mit mir. Kann schon sein, dass ich mich früher gern hab über den Tisch ziehen lassen, aber diesmal nicht. Katie ist und bleibt die Nummer eins in meinem Leben, und mein Lebensziel ist es, dafür zu sorgen, dass sie die bestmögliche Chance hat, glücklich zu werden.

Sie hat in letzter Zeit eine Menge durchgemacht – die Sache mit Greg, dass wir wieder bei Mum und Dad eingezogen sind, die Vorbereitungen für den Umzug nach Amerika. Das war superstressig für sie. Sie sollte sich über Pickel, BHs und Jungs Sorgen machen, nicht über Ehebruch, nicht über Umzüge durch die halbe Welt und auch nicht über Väter, die sich erst in Luft auflösen und dann plötzlich und unerwartet wieder aus der Versenkung auftauchen. Das ist alles nicht ihre Schuld, und da ich sie in die Welt gesetzt habe, finde ich, dass ich ihr mindestens eine so gute Mutter sein sollte wie bisher.

Ich erwarte jeden Moment, dass Alex durch die Tür gestürmt kommt. Garantiert ist er ins erstbeste Flugzeug gestiegen, um rüberzufliegen und Brian die Fresse zu polieren. Vermutlich sind beste Freunde für so was da. Ich kann nicht mal dran denken, wie das Leben in Boston hätte sein können, ohne dass ich anfange zu heulen. Mir ist schleierhaft, wie ich jetzt weitermachen soll. Ich hab keine Arbeit, keine Wohnung und lebe wieder bei den Eltern. Alles in diesem Haus erinnert mich an eine Zeit, in der ich überhaupt nicht glücklich war.

Bitte sei nicht sauer, dass ich mich in letzter Zeit nicht oft gemeldet habe, aber ich musste grässlich viel nachdenken. Als ich in die Schule gekommen bin, fand ich die Leute in der sechsten Klasse so alt und klug, obwohl sie grade mal zwölf waren. Als ich selber zwölf wurde, dachte ich, mit achtzehn hat man die Welt in der Tasche. Als ich achtzehn war, dachte ich, wenn ich mit dem College fertig bin, dann bin ich echt erwachsen. Mit fünfundzwanzig hatte ich es immer noch nicht aufs College geschafft, war immer noch ahnungslos, hatte aber eine sechsjährige Tochter und die feste Überzeugung, wenn ich erst mal die dreißig überschritten hätte, wäre ich zumindest einigermaßen darüber informiert, was eigentlich abgeht in der Welt.

Jetzt denke ich, wenn ich fünfzig, sechzig, siebzig, achtzig, neunzig bin, werde ich der Weisheit und der Erkenntnis auch nicht viel näher sein. Vielleicht denken Leute auf dem Sterbebett nach einem langen, langen Leben, in dem sie alles gesehen, die Welt bereist, Kinder großgezogen, Dämonen bekämpft und die harten Lektionen des Lebens gelernt haben: »Bestimmt wissen die Leute im Himmel alles.«

Aber ich wette, wenn sie dann gestorben sind, schließen sie sich der Gesellschaft da oben an, sitzen rum, spionieren ihren Lieben nach und reden sich ein, dass sie in ihrem nächsten Leben ganz bestimmt alles auf die Reihe kriegen.

Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wie es läuft, Steph. So viele Jahre hab ich drüber nachgedacht, und inzwischen bin ich zu dem genialen Schluss gekommen, dass nicht mal der alte Rauschebart da oben die leiseste Ahnung hat, was eigentlich abgeht.

Rosie


Von: Stephanie

An: Rosie

Betreff: Das Leben

Na, ist das nicht eine kluge Erkenntnis?

Das Alter hat dich doch ein bisschen weise gemacht.

Du hast immerhin begriffen, dass keiner wirklich weiß, was abgeht.


Hi,

bitte entschuldige meine alberne Nachricht von letzter Woche, sie ist mir zutiefst peinlich. Betrachte sie als zwischenzeitliche Konzentrationsschwäche. Ich bin ein absoluter Esel (was du sicher längst weist), und ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Aber du wirst dich (hoffentlich) freuen, dass ich wieder auf der Erde gelandet bin und es gern noch einmal mit uns beiden versuchen würde. Lass uns keine kostbare Zeit verschwenden und die wichtigen Dinge in Angriff nehmen. Wie wäre es gleich heute Abend?

Alles Liebe,

Alex

Fuer immer vielleicht
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