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33

 

Nicholas brauchte vierzig Minuten, um zur Curzon Street zu reiten. Er stellte Satin im Stall unter und sattelte Renegade. Wenn er Lord Hatton sein wollte, so musste er sich auch auf Lord Hattons Pferd sehen lassen. Auf dem sechs Meilen langen Ritt waren seine Gefühle in Aufruhr gewesen. Er fühlte sich glücklich, dass er und Alexandra endlich verheiratet waren, gleichzeitig war er voller Verzweiflung über die Dummheit seines Zwillingsbruders.

Er ritt an St. Pauls vorüber nach Cheapside und bog dann in die Wood Street ein. Vor dem kleinen Gefängnis, das als Compter bekannt war, band er Renegade an und ging hinein. Er trat an eine hölzerne Trennwand und sprach durch ein Loch mit dem Wärter. »Ich bin Lord Hatton. Ich habe gehört, dass Sie meinen Bruder Nicholas hier festhalten?«

Der Wärter fuhr mit dem Finger über die Seite in dem Register. »Richtig, Mylord. Nicholas Hatton, heute Morgen festgenommen.«

»Ich möchte mit ihm reden.«

»Einen Augenblick, Mylord.«

Nach einer Weile wurde Kit Hatton in der verblichenen Uniform an das eiserne Tor gebracht.

»Gott sei Dank, dass du gekommen bist! Sage ihnen, dass Sie mir diese Fesseln abnehmen sollen... hole mich hier raus!«

Der Gefängniswärter, der seinen Bruder an das Tor gebracht hatte, sagte: »Die Abnahme der eisernen Fesseln kostet eine Guinee, Mylord.«

Nick suchte in seiner Tasche, holte eine Guinee hervor und reichte sie dem Mann durch das Gitter. Der Wärter nahm Kit die Handfesseln ab. »Das wird nicht genügen«, erklärte Nick bestimmt. »Ich möchte allein mit meinem Bruder sprechen. Ich werde mit ihm in seine Zelle gehen.«

»Ich bin in einer Gemeinschaftszelle... mit Schwerverbrechern!«, rief Kit und rieb seine Handgelenke. »Sie wollen mir nicht glauben, dass ich Lord Hatton bin!«

»Es wird dir gar nichts bringen, wenn du so tust, als wärst du ich.« Nick wandte sich an den Wärter. »Mein Bruder ist gerade erst aus Frankreich zurückgekehrt. Er war Hauptmann in der Armee von Wellington.«

Der Wärter war beeindruckt. ^Lassen Sie mich Ihre Hand schütteln.« Er streckte Kit die Hand entgegen, doch der wich zurück.

»Mit wem muss ich sprechen, damit der Hauptmann eine Einzelzelle bekommt?«

Der Mann verwies ihn an den Oberaufseher. Als Nick zu der Trennwand ging, sah er Staines, Stevenson und Norton.

»Kann ich meinen Bruder gegen eine Kaution hier herausholen?

»Es gibt keine Kaution«, antwortete Norton.

»Sie haben ihn in eine Gemeinschaftszelle mit Schwerverbrechern gesperrt. Ich habe um eine Einzelzelle gebeten. Wie lange werden Sie ihn hier festhalten, Norton?«

»Höchstens drei Tage. Dann wird er nach Newgate gebracht.«

Neville Staines meldete sich. »Wir werden versuchen, in den nächsten Tagen eine Untersuchung anzuberaumen. Wir müssen die Beweise noch mal überprüfen und dann eine Jury zusammenstellen. Stevenson ist Richter, und du und ich, wir sind beide Peers. Wir sollten in der Lage sein, die Dinge zu beschleunigen, Christopher.«

»Er braucht frische Laken, ein Rasiermesser...«

»Ich werde dafür sorgen, dass er eine Einzelzelle bekommt.

Und du gehst los und besorgst ihm alles, was er braucht. Wir haben keine Zeit zu verschwenden.«

Innerhalb einer Stunde kam Nick mit frischer Kleidung und den Toilettenartikeln seines Zwillingsbruders zurück. Er steckte dem Oberaufseher einen Zehn-Pfund-Schein zu, um in die Zelle gebracht zu werden. Dann musste er noch einmal zehn Pfund lockermachen, damit der Wärter sie allein ließ.

»Warum in Gottes Namen hast du nur dieses Duell mit Jeremy Eaton herausgefordert?«

»Du weißt ja gar nicht, was für ein Albtraum das für mich gewesen ist! Als du in den Krieg gezogen warst, begann dieser hinterhältige Kerl mich zu erpressen. Ich habe ihm gezahlt, was er haben wollte, doch er kam immer wieder und wollte noch mehr. An ihn habe ich den größten Teil meines Geldes bezahlt! Er und sein korrupter Vater haben mich ausgesaugt!«

»Sprich nicht so laut«, riet ihm Nick. »Warum hast du mir das denn nicht gesagt? Ich habe es mit seinem Vater aufgenommen und gewonnen, und hätte ein Insekt wie unseren Cousin mit dem Absatz meines Stiefels zerdrückt.«

»Ah, der siegreiche Held«, fuhr Kit spöttisch auf. »Bist du nicht derjenige, der fand, dass es höchste Zeit war, meine eigenen Schlachten zu schlagen?«

»Aber du hast ja keine eigene Schlacht geschlagen. Du hattest die volle Absicht, ihn umzubringen, aber du wolltest, dass jeder glaubte, ich sei es gewesen, der ihn erschossen hat.«

Kit fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Nein! Ich wusste, dass die Uniform ihm Angst machen und mir einen Vorteil verschaffen würde. Ich musste ihn zum Schweigen bringen!«

»Warum?«

»Er hat damit gedroht, der ganzen Welt zu sagen, dass ich es war, der Vater erschossen hat und nicht du. Er wollte uns beide als Lügner hinstellen und enthüllen, dass wir die Behörden betrogen haben.«

»Jeremy Eaton muss an diesem Tag in der Nähe gewesen sein und alles gesehen haben.«

»Ja, er hat alles gesehen!«

»Du bist wegen Mordverdachts verhaftet worden.«

Kit fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. »Eaton nimmt schreckliche Rache. Er ist derjenige, der mich beschuldigt hat, oder eigentlich dich!«

Graue Augen starrten in graue Augen. »War der Tod unseres Vaters ein Unfall, Kit?«

»Ja! Nein! Ich weiß es nicht!««

»Du weißt es«, erklärte Nick ruhig. Er hielt den Atem an, und es fühlte sich an, als würde sein Herz aufhören zu schlagen, während er auf eine Antwort wartete. Mit jeder Faser seines Körpers wünschte er, dass es ein Unfall war.

Kit fuhr sich noch einmal mit den Fingern durch sein schwarzes Haar. »Wir waren auf der Lichtung und haben uns entsetzlich darüber gestritten, dass meine Verlobung angekündigt werden sollte. Er hat mir vorgeworfen, ein Feigling zu sein. Er hat meine Wut bis zum Wahnsinn getrieben. Ich habe ihn in der Hitze des Augenblicks getötet.«

Nicholas fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog, dann begann es wieder langsam und stetig zu schlagen. Bis zu diesem Augenblick habe ich geglaubt, der Krieg hätte mir all meine Unschuld geraubt, aber ich habe mich geirrt. Du hast gewusst, dass es kein Unfall war, als du mich gebeten hast zu sagen, dass ich ihn erschossen habe. Du wolltest, dass ich die Verantwortung für den Mord auf mich nahm. Und du hast die Absicht gehabt, Eaton umzubringen und die Tat so geplant, dass man mich auch dafür verantwortlich machen würde. Wie konntest du mir das antun ?

»Du musst mir helfen! Du warst immer für mich da, Nick... wir stecken beide in dieser Sache, oder?«

Nicholas starrte seinen Zwillingsbruder an und sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Ich habe dir zum letzten Mal meine Ergebenheit gezeigt.«

»Sie werden einen Peer des Königsreiches nicht so schnell verurteilen. Du musst sie davon überzeugen, dass ich Lord Hatton bin.«

»Das wäre unmöglich. Ich bin Lord Hatton.«

 

Auf dem Weg zum Herrenhaus von Longford ritt Alexandra schweigend neben ihrem Bruder her. Die Welt war in den Hintergrund getreten, während ihre Gedanken und Gefühle sie überwältigten. Warum um alles in der Welt habe ich zugelassen, dass Kit mich zu einer Hochzeit gezwungen hat? Weil es die einzige Möglichkeit war.; Nicholas zu helfen, antwortete ihre innere Stimme. Ich habe geschworen, dass ich alles tun würde, um Nick zu helfen, und darf das jetzt nicht bereuen. Aber wie kann ich Kit trauen, dass er sein Wort hält und seinem Bruder hilft? Das kann ich nicht, aber ich werde meine eheliche Pflicht erst erfüllen, wenn Nicholas frei und sein Name reingewaschen ist!

Dottie, die aus der Küche kam, warf einen Blick auf ihre Enkelkinder. »Alex reitet oft schon in der Morgendämmerung aus, aber ich kann mir nicht vorstellen, was Rupert schon zu dieser Tageszeit aus dem Bett getrieben hat, es sei denn, er hat ins Bett gemacht.«

»Rupert ist aus London gekommen. Nicholas ist verhaftet worden, unter dem Verdacht, seinen Vater umgebracht zu haben.«

»Guter Gott! Wir müssen sofort Neville Bescheid sagen.«

»Er weiß es schon... er war in Hatton. Er und Oberst Stevenson sind nach London gefahren, um eine Untersuchung einzuleiten. Rupert und ich fahren auch hin.«

»Alex hat dir die glückliche Nachricht noch gar nicht verraten. Sie und Kit haben gerade geheiratet! Sie haben das Ehegelöbnis vor Pfarrer Doyle in der Bibliothek in Hatton abgegeben. Ich habe die Braut dem Bräutigam übergeben.«

»Alexandra, Liebling, das ist wirklich eine glückliche Nachricht. Und unter diesen schrecklichen Umständen auch eine sehr weise Entscheidung. Schnelles und entschlossenes Handeln ist immer das Beste. Lady Hatton, ich habe manchmal wirklich gezweifelt, dass ich dich je so nennen würde.« Dottie umarmte ihre Enkelin herzlich, dann hielt sie sie auf Armeslänge von sich. »Du siehst so benommen aus, Liebling. Das ist der Schock der Eheschließung; den normalerweise nur der Bräutigam hat. Sollen wir gehen und es Margaret erzählen?«

Dottie und Alex gingen die Treppe hinauf, während Rupert ihnen folgte. Sara half Margaret gerade dabei, eine Tasse Kamillentee zu trinken, als sie das Schlafzimmer betraten.

»Wie geht es dir?«, fragte Alex sanft.

»Deine Nachricht wird ihr besser tun als Kamillentee. Alex ist gerade Lady Hatton geworden. Sie und Christopher haben heute Morgen geheiratet.«

Margarets Gesicht strahlte. »Alexandra, du machst mich so glücklich.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Du hast all die Sorgen wieder gutgemacht, die ich meiner Mutter vor Jahren bereitet habe.«

»Unsinn, Margaret! Ich habe dich wegen deiner Dummheit nicht weniger geliebt. Und nun lauf, Alexandra, und packe deine Sachen für London. Als Lady Hatton wirst du all deine besten Kleider brauchen.«

»Ich helfe Ihnen beim Packen«, bot Sara an, die es kaum erwarten konnte, alle Einzelheiten der übereilten Hochzeit zu erfahren.

»Lord Staines wird am Berkeley Square absteigen, ich denke, ich werde mit dir nach London kommen«, erklärte Dottie. »Christopher und Neville werden jede Unterstützung brauchen, die wir ihnen geben können, und Nicholas natür-lieh auch. Die Mitglieder der gehobenen Gesellschaft werden schon wie die Geier auf die Untersuchung lauern.«

Alex wusste, dass sie es nicht würde ertragen können, über Nicholas oder die Untersuchung zu reden, nicht einmal mit Sara. »Ich kann allein packen, danke, Sara. Warum hilfst du nicht Dottie?«

»Ich werde nach Hause gehen und die Kutsche bereit machen«, erklärte Rupert.

»Beeile dich und trödele nicht, wie sonst immer.«

Rupert war beleidigt. »Ich wäre jetzt schon in London, wenn ich mich nicht um den Transport der Frauen kümmern müsste!«

 

Zwei Stunden später kamen sie am Berkeley Square an. »Du brauchst mich nur hier abzusetzen, Alexandra wird zur Curzon Street fahren wollen.«

»Nein, nein, ich würde viel lieber hier bleiben, Dottie.«

»Du musst dich nicht an mich klammern, Liebling, du bist frisch verheiratet. Du solltest deine Nervosität überwinden. Die Hattons sind nicht gerade bekannt für ihr zurückhaltendes Verhalten.«

Alex wurde blass. »Christopher wird heute seine ganze Zeit Nicholas widmen. Es wird noch Stunden dauern, bis er in der Curzon Street ist.«

»Dann komm mit rein. Rupert, bringe den Koffer deiner Schwester ins Stadthaus, ehe du zu Kit fährst.«

Als Hopkins die Haustür öffnete, war er überrascht. Nicht nur Dottie hatte die Absicht, sich zu Lord Staines zu gesellen, sie hatte auch noch Alexandra mitgebracht. Normalerweise waren die beiden wesentlich diskreter. »Guten Tag, Lady Longford, Mistress Alexandra. Ich werde Lord Staines sagen, dass Sie angekommen sind.«

»Sie ist seit heute Morgen Lady Hatton, Hopkins.«

»Lady Hatton, ich bin erfreut über diese Neuigkeit.«

Alex presste die Lippen zusammen. Hopkins sah sie erleichtert an. Der Mann, der erst vor so kurzer Zeit das Bett mit ihr geteilt hatte, hatte sie also zu einer ehrwürdigen Frau gemacht. Im Nachhinein hatte sie Glück, weil er angenommen hatte, ihr Geliebter sei Lord Hatton.

Neville erschien oben an der Treppe. »Dottie, das ist eine hübsche Überraschung. Ich nehme an, du hast die unangenehme Neuigkeit bereits erfahren.«

»Nicht alle Neuigkeiten sind so unangenehm, Neville.« Sie lief nach oben, eifrig wie ein junges Mädchen. »Alexandra und Christopher haben heute Morgen geheiratet!«

»Heute Morgen? Nachdem ich Hatton verlassen habe?«

»Ja.« Alex ließ sich von Neville in den Arm nehmen, und seine ehrliche Zuneigung tröstete sie.

Sie hatten gerade den Salon betreten, als Hopkins mit Champagner und Gläsern den Raum betrat. »Ich dachte, Sie würden vielleicht gern einen Toast auf die Braut ausbringen, mein Lord.«

»Gießen Sie sich auch ein Glas ein, Hopkins.« Neville hob das Glas. »Ich trinke auf dein Glück, meine Liebe. Ich könnte dich nicht mehr lieben, wenn du meine eigene Enkelin wärst.«

»Woher willst du wissen, dass sie das nicht ist?«, fragte Dottie neckisch.

»Es muss etwas in der Luft liegen. All dieses Gerede von Bräuten und Hochzeiten macht mich ganz neidisch. Warum sollen immer die jungen Leute glücklich sein? Wie wäre es, Dottie, sollen wir ihnen nicht einmal zeigen, wie so etwas geht?«

»Sprichst du von der Ehe oder von Verstopfung, Neville?«

»Ich meine es sehr ernst, mein Liebling, auch wenn du das nicht tust.«

»Mein liebes altes Wiesel, bist du sicher, dass du dich nicht übernimmst?«

»Ich bin in einem Alter, in dem Zeit wichtig ist, und bin noch nicht bereit, auf einen hölzernen Deckel hochzublicken und zu hören, wie der Dreck auf den Sarg fällt.«

»Was hast du doch für eine Art, mit Worten umzugehen, du scharfzüngiger Kerl. Die Antwort ist ja, wie kann ich dir nur widerstehen?«

Alex begriff, dass die Geldsorgen ihrer Großmutter vorüber waren, und fühlte sich plötzlich schuldig. Sie sollte zuerst an Dotties Glück denken. Sie nahm ihre Großmutter in den Arm. »Du hast ihm die richtige Antwort gegeben. Oh, ich habe auch ein Verlobungsgeschenk für dich!« Sie ging in ihr Schlafzimmer und holte den Kaschmirschal. Das Zimmer war erfüllt von intimen Erinnerungen an Nicholas, und sie verließ es schnell wieder.

Dottie öffnete die Schachtel und nahm den cremefarbenen Schal mit den schwarzen Fransen heraus. »Danke, mein Schatz. Du kennst meinen Geschmack und meine Vorliebe für extravagante Dinge sehr gut.«

»Meine auch!«, neckte Neville.

Alexandra fühlte sich bei dem Wortgeplänkel der beiden Liebenden sichtlich unwohl und errötete. »Ich muss jetzt wirklich gehen, aber vorher möchte ich gern noch wissen, ob du mir etwas über Nicholas sagen kannst.«

»Er ist im Wood Street Compter. Dein Ehemann hat eine Einzelzelle für ihn arrangieren können, und wir versuchen, ein Datum für die Untersuchung zu bekommen. Christopher wird dir die Einzelheiten erzählen.«

»Danke.« Ihr Hals war viel zu eng, um noch mehr sagen zu können. Sie drückte Neville und küsste Dottie. Alexandra wollte als Erstes zur Wood Street gehen. Du weißt, dass sie keine Frau zu ihm lassen würden... und wenn du ihn doch sehen könntest, was würdest du ihm sagen? Dass du seinen Zwillingsbruder geheiratet hast? Ihr Herz sank tief wie ihre Laune. Obwohl sie es hasste, zur Curzon Street zu gehen, so konnte sie doch nirgendwo anders hin.

Alex hatte keinen Schlüssel, sie musste also an die Tür klopften und fürchtete sich vor dem Augenblick, in dem Fenton ihr öffnen würde. Sie hatte Samstagnacht und Sonntagmorgen hier mit Nicholas verbracht, und Fenton hatte ihn ganz sicher nicht mit seinem Zwillingsbruder verwechselt. Was um alles in der Welt würde der Mann davon halten, dass sie Kit geheiratet hatte, nur drei Tage nachdem er die Laken gewechselt hatte?

Als Fenton die Tür öffnete, war sein Gesicht unergründlich. »Willkommen, Lady Hatton. Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihren Koffer nach oben zu bringen. Möchten Sie Mittagessen, meine Lady?«

»Nein, danke.« Rupert hat ihm die Neuigkeit übermittelt, als er meine Koffer hier abgeliefert hat! Alex reckte sich, hob das Kinn und ging die Treppe hinauf zu dem wunderschön eingerichteten Salon. Sie setzte sich und starrte vor sich hin. Zwei Stunden später saß sie immer noch an der gleichen Stelle. Ihr Blick ging durch den Raum. Wie um alles in der Welt wird er es ertragen können, im Wood Street Compter eingesperrt zu sein? Doch dann kam ihr ein noch entsetzlicherer Gedanke. Newgate!

Ein furchtbarer Ort. Was ist, wenn er lebenslänglich im Gefängnis bleiben muss? Der Gedanke an ein weitaus schlimmeres Schicksal durchfuhr sie. Was ist, wenn man ihn zum Tod durch Erhängen verurteilt? Sie erinnerte sich an den Straßenräuber, den sie als Kind gesehen hatte. Straßenräuber! Auch das war Nick gewesen! Und er hatte den Prinzregenten ausgeraubt! Wenn das nun alles herauskam? Er war ein furchtloser und leichtsinniger Schuft, der das Gesetz in die eigenen Hände nahm, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen, aber sie würde niemals glauben, dass er einen Mord begangen hatte. Niemals.

Alex zog die Knie an ihre Brust. Christopher würde schon dafür sorgen, dass Nicholas freigelassen wurde. Sie setzte ihre ganze Hoffnung auf ihren Mann. Sie lachte plötzlich auf, doch es war ein freudloses Lachen. Wie lächerlich war es doch, sich Sorgen über das zu machen, was Fenton gesehen hatte. Wenn das Leben ihres Geliebten auf dem Spiel stand, war das alles nicht wichtig.

 

Es war schon vollkommen dunkel, als Nick in die Curzon Street zurückkehrte. Er stellte Renegade in den Stall und gab Satin und den beiden Füchsen Wasser. Als er den Stallburschen dafür lobte, dass er den Stall so sauber hielt, starrte der Junge ihn erstaunt an. Seine Lordschaft lobte niemals jemanden. Obwohl Nick seinen eigenen Schlüssel benutzte, wartete Fenton in der Eingangshalle auf ihn. »Guten Abend, mein Lord. Die Lady ist oben. Möchten Sie zu Abend essen, Sir?«

»Das wäre sehr angenehm, Fenton.«

Mit langsamen Schritten ging er die Treppe hinauf und fragte sich, wie er wohl empfangen werden würde. Er fand Alexandra im Salon. »Warum zum Teufel sitzt du hier in der Dunkelheit?« Er ging zum Kaminsims und zündete die Kerzen an.

»Das habe ich gar nicht bemerkt.« Sie blinzelte bei dem plötzlich hellen Licht.

Er betrachtete sie und stellte fest, dass sie noch immer das schlichte graue Reitkleid trug, das sie heute Morgen beim Ehegelöbnis schon angehabt hatte. »Fenton wird uns bald das Abendessen servieren. Möchtest du dich nicht umziehen?«

»Nein, ich glaube nicht. Was ich gern möchte, ist, Neuigkeiten über Nick zu erfahren.«

Sein Herz flog ihr zu. Erneut betrog er sie, doch er redete sich ein, dass er es nur zu ihrem Besten tat. Alexandra war Lady Hatton, und er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um sie das auch glauben zu lassen. Schließlich war es möglich, dass es seinem Zwillingsbruder nicht gelingen würde, die Jury zu überzeugen. »Er wird im Wood Street Compter festgehalten. Man hat ihn von der Gemeinschaftszelle in eine Einzelzelle verlegt. Neville Staines und Richter Stevenson sorgen dafür, dass es eine Untersuchung geben wird.«

»Das hat Neville mir auch schon gesagt.«

»Du hast mit Lord Staines gesprochen?«

»Ja. Rupert hat auch meine Großmutter mitgebracht. Wir haben Neville in seinem... äh, am Berkeley Square getroffen.«

Nick wusste, dass ihr plötzlich klar geworden war, dass Kit nichts von Dotties finanziellen Schwierigkeiten bekannt war, auch wenn sie ihm, Nick, davon erzählt hatte. Sie behielt diese Information für sich und war insgeheim froh darüber, dass ihr Mann keine Erbin geheiratet hatte.

»Dottie und Neville haben sich entschieden, zu heiraten.«

»Das ist ja eine wunderbare Neuigkeit.« Er lächelte sie strahlend an.

»Nick, ich...« Sie schlug entsetzt die Hand vor den Mund. »Es tut mir so Leid, Kit, bitte verzeih mir!«

»Jeder spricht uns gelegentlich mit dem Namen des anderen an. Warum nennst du mich nicht einfach Flynn, wenn der Name Christopher dir so schwer fällt?«

»Guter Gott, mir fällt noch viel mehr schwer als nur der Name!« Sie holte tief Luft. »Es tut mir Leid. Bitte, sei nicht beleidigt. Flynn ist ein wunderschöner Name.« Kathleen Flynn. Ihr Blick fiel auf ihren Ring. »Wie erträgt Nick das alles?«

»Nach allem, was er in Frankreich erlebt hat, ist Wood Street Compter ein Kinderspiel.« Er lächelte, um sie zu beruhigen. »Ich habe ihm frische Kleidung gebracht.«

»Er wird mehr brauchen als nur frische Kleidung. Er brauchte deine Unterstützung. Du musst deinen Titel und deinen ganzen Einfluss dafür einsetzen, dass er freigelassen wird, und du musst für ihn aussagen.«

Nick war froh, dass Fenton kam, um das Abendessen anzukündigen. Er weigerte sich, auch nur darüber nachzudenken, seinem Zwillingsbruder zu helfen. Sie gingen zusammen in das kleine Esszimmer, und er sah, wie Alex blicklos auf das Essen starrte. »Du musst etwas essen«, drängte er sanft.

Sie hob den Blick, und der flehende Ausdruck ihrer Augen rührte an sein Herz. »Heute Morgen hast du mich gebeten, dir zu vertrauen. Wenn du dein Versprechen hältst, alles für Nicholas zu tun, werde ich auch die Schwüre einhalten, die ich dir gegeben habe.«

Als Alex ihren Stuhl vom Tisch zurückschob, stand Nick auf und trat neben sie. Ohne ihn anzusehen, sagte sie: »Würdest du mir bitte helfen, meinen Koffer aus deinem Zimmer zu holen. Ich brauche ein wenig Zeit, bevor ich das Zimmer mit dir teile.«

Nicks Herz jubelte. Wenn sie pflichtschuldig mit seinem Zwillingsbruder ins Bett gegangen wäre, wäre er am Boden zerstört gewesen.

Wunschgemäß trug Kit ihren Koffer in Nicholas' Zimmer. Alex sah ihm zu, wie er den Koffer an das Fußende des Bettes stellte. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Wange und wünschte ihr eine gute Nacht.

Als sie allein war, erinnerte sich Alex an die Intimitäten, denen sie und Nicholas sich mit einer wilden Leidenschaft hingegeben hatten. Sie legte die Hände vor die Augen, um die Bilder zu vertreiben. Doch die Erinnerung an ihn war überall: in den Möbeln des Zimmers - ganz besonders in dem großen Bett - sie war fühlbar in der Luft, die sie einatmete. Langsam begriff sie, dass sie die Vergangenheit nicht ändern konnte, und sie auch nicht ändern wollte. Sie war jetzt Lady Hatton, Christophers Frau, und die Erinnerungen an Nicholas würden ein Leben lang genügen müssen.

Wie in Trance ging sie zum Schrank und holte seinen Morgenrock aus schwarzem Samt daraus hervor. Dann zog sie ihr graues Reitkleid und den Rest ihrer Kleidung aus. Als sie vollkommen nackt war, kuschelte sie sich in Nicks Morgenrock, kletterte in sein Bett und begann von ihrer einzigen Liebe zu träumen.