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26

 

Nick war keine zwei Meilen von Hatton Hall entfernt. Er nahm an, dass dies auch Eatons Ziel sein würde, nachdem er zu seiner Kutsche zurückgekehrt war. Wie ein schwarzes Phantom in einem wehenden Cape ritt er durch den Wind und verminderte sein Tempo nicht, bis er den Stall von Hatton erreicht hatte. Er führte seine Stute in eine Box im hinteren Teil des Stalles und legte ihr eine Decke über. Dann zündete er eine Lampe an und kehrte den Stapel Stroh beiseite, der den Boden der Box, der aus einer hölzernen Tür bestand, verdeckte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Pferd und Reiter in dem Tunnel verschwunden waren, der in den Keller von Hatton Hall führte.

Als sie das andere Ende des Tunnels erreicht hatten, leerte Nick die beiden Satteltaschen und löste den Lederbeutel vom Sattelknauf. Dann nahm er dem Pferd die Satteltaschen mit den Pistolen ab. Er rieb die Stute mit seinem vormals weißen Hemd ab und legte ihr wieder die warme Decke über. »Ohne dich, meine Schöne, hätte ich das gar nicht geschafft«, murmelte er liebevoll und kraulte ihre Ohren.

Nachdem Nick das Pferd versorgt hatte, machte er es sich bequem. Er zog seine nasse Kleidung aus, setzte sich auf den Boden und lehnte den Rücken gegen die Wand. Er stellte die Laterne neben sich, öffnete die Satteltaschen und begann die Akten zu durchsuchen, die er aus John Eatons Kutsche gestohlen hatte.

Ungefähr eine Stunde später klopfte John Eaton an der Haustür von Hatton Hall. Mr. Burke zog sich schnell etwas über und öffnete die Tür. Sofort erkannte er den Cousin Henry Hattons und fragte mit gerunzelter Stirn: »Kann ich Ihnen helfen, Mr. Eaton?«

»Es würde mir schon helfen, wenn Sie nicht weiter die Tür blockierten.« Er schob sich an Burke vorbei. »Ich muss sofort mit Hatton sprechen.«

»Lord Hatton ist indisponiert, Sir, er hat sich schon früh zurückgezogen.«

»Er wird noch wesentlich indisponierter sein, wenn er herausfindet, dass ich ihm in seine Räuberhöhle gefolgt bin! Vor einer Stunde wurde meine Kutsche zwei Meilen von hier von einem Straßenräuber überfallen! Holen Sie Hatton, sofort!«

»Wie Sie wünschen, Sir, aber ich versichere Ihnen, dass Lord Hatton den ganzen Abend über zu Hause war.« Mit einer Leidensmiene machte sich Burke auf, um Christopher über den wütenden Besucher zu informieren.

In einen schnell übergeworfenen Morgenmantel gekleidet, folgte Kit Mr. Burke in die Eingangshalle. »Was zum Teufel soll der Unsinn, dass du überfallen worden bist? Es hat schon seit Jahrzehnten keine Straßenräuber auf der Heide mehr gegeben!«

Der Anblick von Christopher Hatton, der gerade aus dem Bett kam und nicht nur verletzt war, sondern offensichtlich auch einen Kater hatte, wirkte auf Eaton wie ein Dämpfer. »Ich sage dir, meine Kutsche wurde angehalten, und ich bin ausgeraubt worden! Wir sind sofort in das Gasthaus nach Hounslow gefahren und haben die Leute dort gebeten, den Behörden Bescheid zu sagen, aber sie haben sich geweigert, vor dem Morgen irgendetwas zu unternehmen.«

»Du meinst das Cock and Bull Gasthaus?«, schnaufte Kit. »Das ist eine Brutstätte des Verbrechens. Sehr wahrscheinlich ist der Hahnenkampf wegen des Sturms abgesagt worden, und deine Kutsche wurde von einem verärgerten Spieler überfallen, der verzweifelt Geld brauchte.«

»Ruf einen Stallknecht und lass meine Pferde versorgen. Mein Kutscher und ich werden die Nacht über hier bleiben und am Morgen die Behörden informieren.«

»Ich habe keinen Stallknecht mehr, und das verdanke ich dir, Eaton! Du hast vielleicht Nerven, mitten in der Nacht hier aufzutauchen und Befehle zu geben, als ob das Haus dir gehörte!«

»Das Haus wird schon sehr bald mir gehören, Hatton. Sicher ist es deinem vom Whiskey umnebelten Gehirn entgangen, dass ich zwei Kredite in den Händen halte, die am Ende dieses Monats fällig sind.«

»Dann würde ich vorschlagen, dass du deine verhängnisvolle Reise nach Slough fortsetzt und am Ende des Monats zurückkommst«, antwortete Kit mit höflichem Sarkasmus. »Führen Sie ihn hinaus, Mr. Burke.«

Wieder einmal ließ Eaton seine schlechte Laune an seinem Kutscher aus. »Der verdammte Straßenräuber könnte jetzt tot auf der Straße liegen, wenn Sie die Arbeit getan hätten, für die ich Sie bezahle! Ehe wir gehen, habe ich die Absicht, einen Blick in Hattons Stall zu werfen. Ein nasses Pferd ist Beweis genug, so dass ich morgen mit den Behörden zurückkomme und eine Anzeige mache.«

Der Kutscher kletterte von seinem Kutschsitz, er hielt seine Waffe fest in der Hand und folgte Eaton über den Hof zu den Ställen. Dort fanden sie eine Laterne, und es dauerte ziemlich lange, bis sie sie angezündet hatten. Der gelbliche Schein der Lampe zeigte ihnen, dass in dem riesigen Stall nur drei Pferde standen. Renegade war gleich in der ersten Box, und Eaton befahl seinem Kutscher, sich das nervöse schwarze Pferd genauer anzusehen, das ruhelos mit den Hufen stampfte.

»So trocken wie ein Knochen, Sir. Er ist wahrscheinlich den ganzen Tag nicht draußen gewesen.« Der Kutscher warf einen Blick auf die Füchse und den Phaeton. »Diese Tiere sind auch trocken, genau wie der Wagen. Sie würden bis zum Hintern mit Schlamm bespritzt sein, wenn sie in einer Nacht wie dieser auf der Heide von Hounslow gewesen wären.«

»Nun, hier können wir in dieser Nacht nicht mehr erfahren. Zweifellos hat der Eigentümer des Gasthauses dem Räuber Unterschlupf gewährt. Ich werde die Namen aller Gäste verlangen, die an diesem Abend dort gewesen sind. Bringen Sie mich nach Hause.«

»Ich werde Sie so schnell wie möglich nach Hause bringen, Sir. Slough ist nur noch ein paar Meilen entfernt.«

 

Eine Stunde nachdem die ungebetenen Gäste verschwunden waren, ging Mr. Burke in den Keller und schloss die Tür zu dem unterirdischen Tunnel auf. »Ich dachte mir schon, dass Sie das waren, Sir«, meinte er gelassen.

Nicholas, der noch immer inmitten eines Stapels von Papieren auf dem Boden saß, blickte überrascht auf. »Woher zum Teufel haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«

Mr. Burke deutete mit dem Daumen nach oben. »Meine Räume liegen genau hier drüber, und Sie sind der Einzige, der diesen Tunnel je betreten hat!« Obwohl es offensichtlich war, dass Nick Hatton Eatons Kutsche ausgeraubt hatte, bemerkte Mr. Burke lediglich mit einem Seufzer: »Wirklich, Sir, es wird ganz unmöglich sein, dieses Leinen wieder weiß zu bekommen.«

Nick griente ihn an. »Helfen Sie mir, Mr. Burke. Ich muss das alles nach oben in mein Zimmer bringen.«

»Ich hoffe, Sie erwarten nicht, dass Ihre Stute die Treppe hinaufläuft.«

Nicks Lächeln wurde breiter. »Noch vor der Morgendämmerung werde ich sie hinüber zur Grange bringen und sie füttern. Sie hat sich ihren Hafer heute Abend verdient. Mr. Burke, haben Sie heute Abend vielleicht einen unangenehmen Besucher gehabt?«

»Den hatten wir, Sir. John Eaton hat an unsere Tür geklopft und eine unglaubliche Geschichte über einen Straßenräuber erzählt. Als Ihr Zwillingsbruder aus dem Bett gestolpert kam und aussah wie der Tod, verschwand Eatons Misstrauen wie Schnee im Frühling. Als Lord Hatton sich dann auch noch weigerte, ihm seine Gastfreundschaft zu gewähren, sind Eaton und sein Lakai nach Slough weitergefahren.«

»Der arme Kit, der Tag wurde noch schlimmer für ihn! Ich habe die Absicht, das wieder gutzumachen, aber nicht heute Abend. Es ist wohl besser, wenn wir ihn schlafen lassen.«

Als Nicholas endlich in seinem Zimmer war, war er hellwach. Die zwei Stunden, in denen er sich Eatons Briefe und Dokumente angesehen hatte, hatten sich wirklich bezahlt gemacht. Am liebsten hätte er triumphierend gejubelt, als er ein zerknülltes Dokument auseinander gefaltet und festgestellt hatte, dass er die Besitzurkunde für Hatton mit allen gesetzlichen Siegeln in den Händen hielt. Dann fand er auch noch die Urkunde, die Kit unterschrieben hatte und in der er Eaton ermächtigte, seine finanziellen Angelegenheiten für ihn zu erledigen. Nicholas legte die beiden Dokumente sorgfältig in seinen Schreibtisch und verschloss die Schublade. Er holte seine Brieftasche aus der Innentasche seiner Jacke, dann zog er sich aus und zündete ein Feuer im Kamin an. Nachdem er ein warmes Bad genossen hatte, öffnete er den Lederbeutel, um Joans Gewinn zu zählen.

Nick pfiff durch die Zähne, als er vier Bündel mit Zwanzig-Pfund-Noten aus dem Beutel holte, insgesamt mehr als vierzigtausend Pfund. Er konnte sich sehr gut Eatons Zorn vorstellen, als Nick ihn gezwungen hatte, den Beutel herauszugeben. Bis er das Geld in London zur Bank bringen konnte, hatte er vor, den Gewinn und die Dokumente in seinem Schreibtisch einzuschließen.

Ehe der Morgen Hounslow Heath erreichte, wollte Nick dorthin zurückreiten, um die restlichen Papiere aus Eatons Metallkiste zurückzubringen, zusammen mit dem leeren Lederbeutel aus Mollies Club.

Nick warf einen Blick in den Spiegel und fragte sich, ob er wohl noch Zeit hatte, sich zu rasieren. »Alles in allem, Hazard Hatton, würde ich sagen, du hattest eine angenehme Nacht!« Er rieb sich mit den Fingern über die dunklen Stoppeln an seinem Kinn und griente. »Aber bei weitem nicht so viel Spaß, wie ich haben werde, wenn ich fertig bin!«

 

Bei den ersten Sonnenstrahlen, die in ihr Schlafzimmer fielen, öffnete Alexandra die Augen. Durch den gestrigen Regen war sie im Haus gefangen, und sie konnte es kaum erwarten, mit Zephyr auszureiten. Statt jedoch die Decke zurückzuwerfen, lag sie still und versuchte, sich an ihren Traum zu erinnern. Sie hatte von den Hatton-Zwillingen geträumt und war nicht in der Lage gewesen, die beiden auseinander zu halten. Wenn die Zwillinge zusammen auftraten, war sie verwirrt. Wenn sie bei Christopher war, glaubte sie, er sei Nicholas.

Wenn du bei Christopher bist, wünschst du dir, er sei Nicholas, flüsterte eine innere Stimme. Das ist eine Lüge! Als Kit mich vor ein paar Tagen mit an den See nahm, war er viel romantischer als Nick es je sein könnte. Als er mir den Ring seiner Mutter gab, hat mich das tief berührt, und als er sagte, er wünschte sich, dass ich Lady Hatton werde, wusste ich, dass er jedes Wort ernst meinte. Er hat von seiner tiefen Liebe zu Hatton Hall gesprochen, und er hat mir mein Herz gestohlen. Ich habe mich eins mit Christoph er gefühlt, wie noch nie zuvor. Als er mich geküsst hat, wollte ich, dass er nie aufhören würde!

Alex schlüpfte aus dem Bett und nahm die Nachricht in die Hand, die ihr Kit gestern geschickt hatte. Ihr Mund verzog sich zu einem sanften Lächeln, als sie seine Worte las.

 

Meine liebste Alexandra,

mein Kopf war so erfüllt von deinem hübschen Gesicht, dass ich, als ich heute Morgen aufstand, gegen die Tür meines Schlafzimmers gelaufen bin. Da ich nicht möchte, dass du mein blaues Auge siehst, werde ich dich ein paar Tage lang nicht besuchen kommen. Wenn ich mich wieder sehen lassen kann, hoffe ich, dass du mit mir in die Kirche kommst, damit wir das Datum für unsere Hochzeit festlegen können.

In Liebe, Christopher

 

Alex ritt nach Hatton hinüber, um zu sehen, wie es ihm ging und um zusammen mit ihm ein Datum festzulegen, an dem ihre Hochzeit angekündigt werden sollte. Jetzt, wo sie und Christopher offiziell verlobt waren, gab es keinen Grund mehr, die Hochzeit aufzuschieben. Sie blickte auf ihren wunderschönen Ring und lächelte geheimnisvoll. Er zeigte der ganzen Welt, dass sie zu Kit gehörte, und erinnerte sie daran, wie besitzergreifend er in der Nacht gewesen war, in der er sie Hart Cavendish entrissen und im Burlington House mit ihr getanzt hatte. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie noch immer, wie ihre Körper sich im Takt der Musik bewegten.

Während Alex badete, traf sie eine wichtige Entscheidung. Am Samstag, nach ihrem Auftritt bei Champagner Charlie, würde sie Charlotte King erklären, dass sie nicht länger bei ihr auftreten würde. Alex fühlte eine ungeheure Erleichterung. Sie bereute nicht, was sie getan hatte, es war die einzige Möglichkeit gewesen, Geld zu verdienen, um Dottie und ihrer Mutter zu helfen, aber sie war froh, dass sie nach diesem Samstag nie wieder in den Club in der Pall Mall würde gehen müssen.

Sie zog einen blassgrauen Rock und eine gelbe Jacke an, dann frühstückte sie schnell und lief zu den Ställen. Sie war überrascht, Dottie dort zu entdecken, die sich mit Rupert unterhielt, der noch zwei weitere Männer bei sich hatte.

»Sirrah! Wir sind hier in Longford ein Haushalt nur mit Frauen. Es ist absurd zu vermuten, dass wir etwas mit einem Raub in der Heide zu tun haben! Nein, ich weigere mich entschieden, Ihnen die Erlaubnis zu geben, mein Haus und meine Ställe zu durchsuchen!«

»Dottie, so etwas nimmt er doch gar nicht an«, versicherte ihr Rupert. »Der Polizeibeamte Thorpe möchte nur einmal in den Stall sehen, um herauszufinden, ob sich der Räuber dort versteckt hat, ohne dass wir etwas davon wissen. Er hat auch schon die Ställe der Hardings durchsucht, und ich bin mit ihm hierher gekommen, damit du dich nicht aufregst.«

Dottie hob ihr Lorgnon, um den anderen Mann genauer betrachten zu können. »Sie behaupten, der Kutscher von John Eaton zu sein? Mein Beileid!« Sie drehte sich um zu Thorpe. »Und Sie behaupten, ein Vertreter der Behörden von Middlesex County zu sein?« Als Thorpe zustimmend nickte, sagte sie: »Also, dies hier ist Bucks County, und Sie haben hier gar nichts zu sagen!«

»Lady Longford, wäre es Ihnen lieber, wenn wir die Polizei aus der Bow Street rufen würden? Sie würde die gesamte Gegend hier durchkämmen und Ihnen keinerlei Privatsphäre lassen.«

»Die Behörden von London haben mehr Verstand, als ihre Zeit damit zu verschwenden, einen angeblichen Straßenräuber zu verfolgen. Ich würde vorschlagen, dass Sie sich einmal im

Cock and Bull Gasthaus in Hounslow umsehen. Zweifellos werden Sie feststellen, dass dieser Überfall nicht mehr war als ein Spaß!«

Rupert begriff endlich, dass Dottie die ungebetenen Besucher loswerden wollte. »Meine Herren, ich kenne den Besitzer des Gasthauses. Warum fahren wir nicht dorthin und gehen der Sache auf den Grund?«

Ehe sie außer Hörweite waren, wandte sich Dottie an Alex. »Erlöse mich von diesen Bauerntölpeln aus Slough!«

Alex lachte. »Ich reite nach Hatton, um zu sehen, wie es Kit geht. Wenn ich einen Straßenräuber entdecken sollte, der sich in Zephyrs Stall versteckt, werde ich ihn mit einer Mistgabel aufspießen!«

»Nein, Liebling, schick ihn lieber ins Haus. Ich hätte nichts gegen eine Begegnung mit einem dunklen, gefährlichen Ritter der Nacht.«

Während Alex die kurze Entfernung nach Hatton ritt, dachte sie an den Maskenball. Ein Bild von Nicholas, verkleidet als Straßenräuber, kam ihr in den Sinn. In dieser Nacht war ich so wahnsinnig in ihn verliebt. Es ist wirklich ein Wunder, dass ich meine Gefühle für ihn überwunden habe. Als Alex über die üppig grünen Wiesen der Hatton Grange ritt, entdeckte sie einen Mann, der neben einem schwarzen Pferd stand. Plötzlich begann ihr Herz zu hämmern. Es kann nicht Nick sein! Ich bilde mir das nur ein, weil ich an ihn gedacht habe! Aber es konnte auch nicht Kit sein, denn er machte sich die Mühe, mit den Pferden zu arbeiten. Sie ritt auf den Mann zu, und als sie sah, dass es keine Einbildung war, begann sie zu schwanken.

»Alex!« Nick fing sie auf und hielt sie sicher in seinen starken Armen. »Geht es dir gut?«

»Ja«, antwortete sie atemlos. Lieber Gott, nein, es geht mir nicht gut! »Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu sehen.« Ich habe mich danach gesehnt, dich wiederzusehen! »Kit hat mir erzählt, dass du sicher aus Frankreich zurückgekehrt bist.« Ich habe dich mit eigenen Augen bei Champagner Charlie gesehen! Lieber Gott, ich habe geglaubt, über dich hinweg zu sein, aber jetzt weiß ich, dass ich das niemals schaffen werde!

Nick stellte sie vorsichtig auf den Boden und schalt sich dafür, dass sie seinetwegen beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. »Kannst du stehen, Alexandra?«

»Natürlich kann ich das.« Sie sah, dass er der Stute Schlamm von den Beinen gewaschen hatte. Wenn die Heide von Hounslow in Flammen steht, sind die Straßen von Hounslow nichts als Schlamm. Die Worte des alten Gedichtes kamen ihr wieder in den Sinn. Mein Gott, Nicholas, bist du etwa der Straßenräuber? Sie wusste, dass er Geld brauchte. Sein Vater hatte ihn ohne jegliche Mittel zurückgelassen, und die Armee zahlte nur einen erbärmlichen Hungerlohn. Sie wusste auch, dass er leichtsinnig genug war, um seinen Kopf zu riskieren. Wenn ihm etwas zustieß, würde sie sterben. »Ich... ich bin gekommen, um Christopher zu besuchen.«

Nick runzelte die Stirn. »Hast du denn seine Nachricht nicht bekommen?«

»Doch... er hat mir geschrieben, dass er gegen eine Tür gelaufen ist... ich muss mich selbst davon überzeugen, dass es ihm gut geht.« Sie zögerte. »Wir sind verlobt.«

»Ich weiß.« Er nahm ihre Hand und blickte auf den Ring. »Alex, mehr als alles in der Welt wünsche ich mir, dass du Lady Hatton wirst.«

»Danke.« Sie senkte den Blick, damit er den Schmerz in ihren Augen nicht sehen konnte. »Ich gehe jetzt besser.« Sie riss die Augen auf, als er einen Schritt näher trat. »Nein, nein, bitte hebe mich nicht in den Sattel. Ich werde neben Zephyr hergehen.« Sie fühlte sich so zerbrechlich, dass sie fürchtete, in eine Million Stücke zu zerspringen, wenn er sie noch einmal berührte.

Als sie dann langsam nach Hatton Hall ging, waren ihre Gedanken in einem Chaos, und sie zögerte, Christopher zu besuchen. Sie verspürte den plötzlichen Wunsch, wegzureiten, doch wenn sie diesem Drang jetzt nachgeben würde, würde sie vielleicht nie wieder zurückkehren. Alex schalt sich, weil sie ein solcher Feigling war. Sie hatte Christopher und auch ihrer Familie gegenüber eine Verpflichtung, und durfte ihre Versprechungen nicht einfach brechen. Sie band Zephyr an und klopfte an die Tür.

»Guten Morgen, Mistress Alexandra. Lord Hatton ist im Frühstückszimmer. Ich werde Ihnen eine Tasse Schokolade bringen.«

Mr. Burkes freundliche Begrüßung beruhigte sie ein wenig, und in dem Augenblick, in dem sie Kits verletztes Gesicht sah, schwand all ihr Zögern. »Du wolltest mich ein paar Tage lang nicht sehen, aber ich wollte sichergehen, dass es dir gut geht. Tut es sehr weh?«

»Nur, wenn ich atme.« Seine Worte, die auch als Scherz gemeint sein konnten, klangen jämmerlich und voller Selbstmitleid.

Mr. Burke brachte ihr eine Tasse Schokolade, und sie bemerkte, dass Kit erst wieder sprach, nachdem Mr. Burke das Zimmer verlassen hatte. Sie nahm einen kleinen Schluck und schnitt dann das Thema Hochzeit an. »In deiner Nachricht hast du erwähnt, dass wir zur Kirche gehen sollen, um das Datum für die Hochzeit festzulegen. Soweit ich weiß, wird die Hochzeit an drei Sonntagen nacheinander in der Kirche verlesen, es wäre also möglich, in einem Monat schon zu heiraten, wenn du das möchtest.«

»Nein, das ist nicht früh genug. Ich werde eine Lizenz besorgen, damit wir die Verlesung in der Kirche umgehen können, Alex. Sicher sind zwei Wochen lange genug, um zu warten?«

Sie war verzweifelt, weil er sich heute so ganz anders benahm. Dennoch hatte sie schon immer gewusst, dass Christopher mürrisch und empfindlich sein konnte, wenn er das Gefühl hatte, abgelehnt zu werden. Sie stritt also nicht mit ihm. »Dann besorge die Lizenz. Du hast Recht, zwei oder drei Wochen sind lange genug.« Wenigstens hätte sie nicht genug Zeit, eine teure Hochzeit zu planen, zu der sie das halbe Land einladen musste. Sie stellte ihre Tasse ab und lächelte ihn strahlend an. »Kit, warum reitest du bei diesem herrlichen Sonnenschein nicht mit mir aus. Ich bin sicher, du wirst dich danach besser fühlen.«

»Alex, ich habe solche Kopfschmerzen. Ich dachte, ich gehe hinaus an den See und male ein wenig. Du verstehst doch sicher mein Bedürfnis, allein zu sein?«

»Natürlich verstehe ich das! Wenn ich zeichne, verschafft mir das Freude und Ruhe. Die Einsamkeit ist jetzt genau das, was du brauchst. Wir sehen uns in ein paar Tagen, wenn du dich besser fühlst.«

Als Alex am Fluss entlanggaloppierte, dachte sie darüber nach, wie zurückgezogen Kit ihr vorgekommen war. Dennoch hatte er darauf bestanden, dass sie keine Zeit verschwenden sollten bis zu ihrer Hochzeit. Alex seufzte. Sie hätte ihn niemals besuchen sollen. In seiner Nachricht hatte er gesagt, dass er nicht wollte, dass sie ihn so sah. Jetzt wünschte sie von ganzem Herzen, sie hätte seinen Wunsch nicht ignoriert. Wäre sie heute Morgen nicht nach Hatton geritten, dann hätte sie auch nicht herausgefunden, dass sie noch immer wahnsinnig, hoffnungslos in Nicholas verliebt war.

Nick Hatton hatte es nicht eilig, John Eaton aufzusuchen, und wartete bis nach dem Essen, ehe er nach Slough ritt. Er nahm an, dass Eaton gleich am Morgen die Behörden darüber informiert hatte, dass seine Kutsche auf der Heide von Hounslow überfallen worden war, und man hatte wohl einen Beamten losgeschickt, um den Fall zu untersuchen. Wenn man Eatons Gepäck und seine Akten in Dogs Hollow gefunden hatte, hatte man sie ihm sicher zurückgebracht, und Nick wollte erst bei ihm ankommen, nachdem er die Sachen zurückbekommen hatte.

Als er in den Hof von Eaton Place ritt, verbarg er seine Belustigung und nickte höflich dem Kutscher zu, dem er erst in der letzten Nacht begegnet war und der jetzt den Schlamm von der schwarzen Kutsche wusch. Im Stall übergab Nick seinen grauen Jährling einem Stallknecht und ging dann zur Haustür, die ihm von Eatons livriertem Majordomus geöffnet wurde.

»Es tut mir Leid, Sir, Mr. Eaton ist im Augenblick beschäftigt.«

»Ich werde warten«, erklärte Nick ungerührt und setzte sich in die luxuriös eingerichtete Empfangshalle. Als sich der Diener zurückgezogen hatte, hörte Nick Stimmen, die aus Eatons Büro kamen, und er lächelte zufrieden, weil er wusste, dass er genau den richtigen Zeitpunkt gewählt hatte.

»Ich habe herausgefunden, dass Ihre unerfreuliche Begegnung mit dem Straßenräuber nicht mehr war als ein Scherz, Mr. Eaton. Ich glaube, es war ein Spaß, den sich ein paar junge Männer erlaubt haben, die sich in dem Gasthaus in Hounslow zu einem Hahnenkampf getroffen hatten. Ein solches Benehmen ist verwerflich, doch es ist nicht ungewöhnlich.«

»Mit anderen Worten, Thorpe, es ist Ihnen nicht gelungen, einen Verdächtigen zu finden?«

»Sie haben keine Zeugen, Sir, und ich habe Ihr Gepäck an genau dem Ort gefunden, an dem Ihre Kutsche aufgehalten wurde. Das macht es sehr wahrscheinlich, dass es nur ein Scherz von betrunkenen Burschen war.«

»Sie haben vielleicht meinen Koffer und meine Akten gefunden, Thorpe, aber in diesem Lederbeutel befand sich ein großer Geldbetrag! Ich bin beraubt worden - ausgeraubt - und dennoch scheinen Sie zu zögern, die Sache zu verfolgen!«

»Sir, haben Sie Beweise dafür, wie viel Geld in dem Lederbeutel war?«

»Beweise? Ist Ihnen nicht klar, dass ich unter anderem der Finanzberater des Herzogs von Devonshire bin? Mein Wort sollte Beweis genug sein!«

»Ich stelle Ihr Wort ja gar nicht in Frage, Sir. Dennoch bleibt die Tatsache, dass der Lederbeutel die ganze Nacht auf der Heide von Hounslow gelegen hat, und jeder, der vorüberkam, hatte die Möglichkeit, sich zu bedienen.«

»Ihre Inkompetenz ist umwerfend! Ich werde Ihrem Vorgesetzten davon berichten, Thorpe. Ich hätte mich gleich an die Behörden in London wenden sollen.«

»Ich habe gute Gründe anzunehmen, dass die Behörden von London ihre kostbare Zeit nicht damit verschwenden werden, angebliche Straßenräuber in der Heide von Hounslow zu verfolgen. Meiner Meinung nach könnte eine solche Geschichte dazu führen, dass man Sie auslacht und Ihre Fähigkeit, mit dem Geld anderer Leute umzugehen, in Zweifel zieht. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir.«

Der Beamte ging, und Nicholas wurde in das Büro geführt. Eaton kochte vor Wut. »Guten Tag, ich komme im Auftrag meines Zwillingsbruders, Lord Hatton.« Nick sprach mit der gleichen Autorität, die er auch als Hauptmann Hatton angewandt hatte, als tausend Männer unter seinem Kommando standen. Er griff in die Brusttasche seines eleganten blauen Jacketts und holte den Brief hervor, den Eaton seinem Bruder geschickt hatte. »Was genau hat das zu bedeuten?«

Eaton griff nach dem Brief und überflog ihn. »Das ist doch ganz einfach!«, schrie er. »Er kann seine Kredite nicht zurückzahlen, die ich ihm eingeräumt habe. Da ich die Besitzurkunde von Hatton Hall in meinen Händen halte, gehört der Besitz mir.«

Nick verzog den Mund. »Du machst doch sicher einen Spaß. Mein Zwillingsbruder ist viel zu schlau, um das Haus unserer Vorfahren an irgendjemanden zu übergeben.«

»Schlau?«, spottete Eaton höhnisch. »Es wird vielleicht ein Schock für dich sein, aber er hat sein ganzes Erbe verschleudert, einschließlich Hatton Hall. Ich besitze seine Unterschrift und all die nötigen Unterlagen.«

»Es wird vielleicht ein Schock für dich sein, zu erfahren, dass du sie nicht besitzt. Mein Zwillingsbruder würde die Besitzurkunde niemals aus den Händen geben.«

Eaton warf einen schnellen Blick auf die Metallkiste mit den Akten, die noch auf dem Boden stand, wo Thorpe sie hingestellt hatte. Dann zögerte er, weil er plötzlich unsicher wurde.

Nicholas Hatton griff erneut in seine Brusttasche und zog ein Schriftstück hervor. »Dies ist die wirkliche Liste der Investitionen meines verstorbenen Vaters, wie sie Tobias Jacobs, sein Anwalt, aufgesetzt hat. Lord Hatton wünscht, diese Investitionen deiner Verwaltung zu entziehen.«

Eaton lief hochrot an und öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen.

Nick hob die Hand. »Ehe du protestierst, lass mich dir einen Grund nennen, Joan, Liebling. Lord Hatton weigert sich, Geschäfte mit einem Finanzberater zu tätigen, der Mitglied im dekadenten Mollies Club ist. Ich bezweifle sehr, ob unser guter Freund Hart Cavendish dich als Finanzberater behalten will, wenn er erst einmal erfährt, was dein Spitzname Korkenzieher wirklich bedeutet.«

Eaton begann plötzlich zu schwitzen, ein bleiches Grau hatte die hochrote Farbe seines Gesichtes ersetzt. Nicholas wusste, dass der Sieg in greifbare Nähe gerückt war. Wenn man einen

Mann erst einmal so in die Enge getrieben hatte, dauerte es nicht mehr lange, bis er aufgab.

»Ich bin ein vernünftiger Mann, Eaton, mit der Geduld eines Heiligen. Ich werde ganz ruhig hier sitzen bleiben, während du die Aktien und Wertpapiere meines Zwillingsbruders aus dem Safe holst. Als Gegenleistung werde ich mir die Freude versagen, dein skandalöses Geheimnis an alle Zeitungen in London weiterzugeben.«