Das Quartett der Spieler verließ das Devonshire House und nahm eine Mietkutsche zur St. James Street. Whites Club, Nummer siebenunddreißig auf der Ostseite der Straße, lag gegenüber von Brooks und war an den großen Erkerfenstern zu erkennen. Hart Cavendish zahlte den Eintritt und der Portier brachte ihre Zylinder und Stöcke in die Garderobe. Da sie bereits gegessen hatten, gingen sie gleich in den Kartenraum, der überfüllt war mit Männern in Abendkleidung. Die Luft war erfüllt vom blauen Rauch der Zigarren und Zigaretten und dem Klirren der Gläser.
Nick setzte sich an den Tisch, an dem Baccarat gespielt wurde, links neben Lord Sefton, der die Karten austeilte. Er würde der Nächste sein, der den »Schuh« übernahm, die Box, aus der die Karten ausgeteilt wurden. Rupert bot sich sofort als Croupier an, damit er nicht an dem Spiel teilnehmen musste. Das Ziel des Baccharat war es, die Anzahl von neun Punkten zu erreichen, entweder mit zwei oder mit drei Karten. Im ersten Spiel bekam Nick eine Vier und eine Fünf, eine »natürliche« Anzahl von Punkten. Er zeigte sofort seine Karten, und der Kartenausteiler bezahlte ihn. Beim zweiten Spiel bekam er eine Drei und eine Sechs, also wieder eine natürliche Anzahl, und mit einem leichten Schnüffeln bezahlte Lord Sefton ihn noch einmal. Nick entschied sich, die nächsten beiden Spiele auszusetzen, während die meisten der anderen Spieler Karten zogen.
»Das ist das Glück des Teufels, Hatton«, murmelte Lord Sefton, obwohl er keine Ahnung hatte, welchen der Hatton-Zwillinge er vor sich hatte. Willig übergab er die Box an Nicholas.
Nick mischte die Karten, steckte sie zurück in den Schuh, legte die fünfzig Guineen, die er gewonnen hatte, in die Bank und teilte die Karten aus. Lord Worcester rief sofort »Banco« und akzeptierte, dass Nicks gesamtes Geld auf seine Karten gesetzt wurde. Nur mit seinem Zeigefinger gab Nick Worcester eine verdeckte Karte, dann teilte er eine Karte an sich selbst aus. Als sie ihre Karten umdrehten, hatte der Austeiler acht Punkte, Worcester nur sieben, und Nick hatte schon wieder gewonnen. Nick entdeckte einen leeren Stuhl am Faro-Tisch, nahm seinen Gewinn, der jetzt mehr als hundert Guineen betrug und übergab die Bank einem grinsenden Hart Cavendish, der links neben ihm saß.
Nick setzte sich an den Faro-Tisch, neben seinen Bruder, und Rupert trat hinter sie und sah ihrem Spiel zu. Er bewunderte insgeheim das Risiko, das Nick Hatton einging und wünschte, er könnte es ihm gleichtun. Er war genauso mittellos, obwohl niemand davon wusste, und wagte nicht, Geld zu verspielen, das er nicht besaß. »Die Liste der neuen Mitglieder wird bereits aushängen. Ich werde gehen und nachsehen.« Hart Cavendish hatte die Namen seiner Freunde angegeben, kurz bevor diese einundzwanzig Jahre alt wurden, und eine Liste derer, die als Mitglieder akzeptiert worden waren, wurde alle drei Monate ausgehängt.
Als Rupert mit einem Papier in der Hand an den Tisch zurückkam, waren seine Wangen gerötet. Auf der Liste der neuen Mitglieder hatte er seinen eigenen Namen gefunden, unter dem seines besten Freundes, Lord Hatton, jedoch stand der Name von Nicholas Hatton nicht darauf.
Kit trank seinen Whiskey aus. Er sah in Ruperts Gesicht und scherzte: »Was ist los, Mann? Hast du es nicht geschafft?«
»Nein, mein Name steht gleich hier, aber, äh, vielleicht ist die Liste nicht vollständig.«
Kit, der dreimal hintereinander verloren hatte, während sein Zwillingsbruder laufend gewann, nahm Rupert das Papier aus der Hand und überflog es. »Nun, ich will verdammt sein!«
Nick sah von einem zum anderen, dann nahm er seinem Bruder die Liste ab und überflog die Namen. Er reichte seinem Zwillingsbruder die Liste, dann strich er langsam seinen Gewinn ein. »Ich bin sicher, ihr werdet mich entschuldigen«, meinte er mit äußerster Höflichkeit.
»Um Himmels willen, setz dich, Nick. Du kannst als mein Gast bleiben, es ist nicht nötig, dass du gehst«, versicherte ihm Kit.
»Es ist durchaus nötig«, erklärte Nick ruhig.
Er löste seine Spielmarken an der Kasse ein, dann holte er seinen Hut und seinen Stock und gab dem Portier ein großzügiges Trinkgeld. Draußen hatte es begonnen, leicht zu regnen, doch Nicholas bemerkte es kaum. Er setzte seinen Zylinder auf, schob ihn verwegen über ein Auge und schlenderte die St. James Street entlang.
Er bog in die Pall Mall ein und ging in Richtung Champagner Charlies Bar. Er wurde von einem plötzlichen Wolkenbruch überrascht, ging deshalb aber nicht schneller. Als er die Bar betrat, war er bis auf die Haut durchnässt. Die Nymphe, die auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen, hatte erstaunliche Brüste, und als er den Kopf senkte, um sie besser zu betrachten, tropften einige Regentropfen von der Krempe seines Zylinders auf ihre herrlichen Rundungen.
»Ooooh, ist das kalt! Du bist wohl gekommen, um dich aufzuwärmen, Liebling? Ich kenne ein Spielchen, das dich so heiß macht wie Feuer!«
Nick griente sie an. »Für diese Art von Spiel bin ich nicht gekommen.«
Als er zum Spielzimmer ging, entdeckte ihn Charlotte King. »Du bist ja nass bis auf die Haut! Geh um Himmels willen nach oben, ehe du mir meine Teppiche ruinierst.«
»Du vermutest also, dass ich Nick bin.«
»Ich vermute gar nichts. Ich habe dich erwartet.« Sie nahm ihm den Stock ab und deutete zur Treppe. »Von dir spricht die ganze Stadt!«
Nachdem sie Charlottes privates Schlafzimmer betreten hatten, zog sie ihm das Jackett aus und hängte es über einen großen Messingständer vor dem Feuer. Nick löste seine nasse Krawatte, während Charlie ihm die Manschettenknöpfe aus dem Hemd nahm. Sie entschied, es ihm zu überlassen, sich auszukleiden, denn schon ein einziger Blick auf das krause schwarze Haar auf seiner Brust machte sie gierig, jedoch wusste sie, dass am heutigen Abend seine Bedürfnisse Vorrang hatten. »Ich hole dir ein Handtuch.«
Als Charlie zurückkehrte, stand er nackt mit dem Rücken zum Feuer. »Ah, das tut gut.« Er streckte ihr die Arme entgegen, und sie schmiegte sich an ihn. Mit beiden Händen umfasste sie seinen Po und massierte ihn. »Das ist sogar noch besser.« Er zog die kunstvoll besetzten Ornamente aus ihrem Haar und legte sie auf den Kaminsims. Ihre champagnerfarbenen Locken fielen ihr bis auf die Schultern, und er vergrub seine Finger darin und zog sie noch näher an sich.
Sie blickte in seine grauen Augen und erwartete, einen stürmischen Ausdruck darin zu sehen, doch er war ganz ruhig, als hätte er einen Entschluss gefasst. »Also, was wirst du jetzt tun? Wirst du heiraten?«
Belustigt zog er eine seiner dunklen Augenbrauen hoch. »Ist das ein Antrag?«
Ihr fröhliches Lachen klang kehlig. »Ich mache dir ein anderes Angebot. Wir könnten Partner werden in einem gemeinsamen Spielclub.«
Sein lautes Lachen durchbrach die Stille. »Ha, als wäre mein Name nicht .schon verrufen genug!«
Er entkleidete sie, und sie Vusste, dass es keinen Zweck hatte, sich mit Hazard Hatton zu streiten. Er war ein Mann, der wusste, was er wollte, und keine Macht der Welt würde ihn von seinem Ziel abbringen. Charlie bezweifelte, dass er jemals des Geldes wegen heiraten würde, denn das würde jeder Frau Macht über ihn geben. Der Löwe würde niemals sein stolzes Haupt beugen.
»Also, was wirst du tun?«
»Dich nehmen, natürlich.« Er hob sie auf sein hart aufgerichtetes Glied und trug sie zu dem großen Himmelbett.
Als Charlie später aus dem Ankleidezimmer kam, entdeckte sie Nick mit einem Handtuch um die Hüfte auf dem Bett, in der Hand eine Zigarette. Jetzt war er bereit, mit ihr zu reden.
Er blies einen großen Rauchring in die Luft. »Ich habe mich entschieden, zur Armee zu gehen.«
»Mein Gott, das kannst du nicht!« Sie kam zum Bett hinüber und kniete sich darauf. »Es gibt Krieg mit den Franzosen... Sie werden dich nach Spanien schicken!«
»Charlie, darum geht es doch. Du weißt, ich liebe das Risiko, das Abenteuer, die Herausforderung. Eigentlich kann ich es kaum erwarten.«
»Wirst du dir wenigstens ein Offizierspatent kaufen?«
»Ich werde es versuchen.«
»Die Geliebte des Herzogs von York hat Offizierspatente verkauft, aber nach dem Skandal im Parlament musste Frederick als Oberbefehlshaber seinen Abschied einreichen.«
»Der Regent hat seinen Bruder wieder als Oberbefehlshaber eingesetzt. Frederick hat ein Büro bei den Horse Guards. Man hat mir geraten, mit seinem Privatsekretär zu sprechen, Sir Herbert Taylor.«
»Oh, Nick, gibt es denn keine Möglichkeit mehr, dass ich deine Meinung ändern kann?«
Er zwinkerte ihr zu und streckte ihr dann die Arme entgegen. »Du kannst es gern versuchen, Liebling.«
Als die Kutsche vor dem Haus auf dem Berkeley Square anhielt, eilte der Butler mit einem Schirm aus dem Haus. »Oh, danke, Hopkins. Sie sind sehr aufmerksam.«
Oben wartete die Zofe bereits in Alexandras Zimmer, um ihr beim Auskleiden zu helfen. »Das ist ganz und gar nicht nötig, Sara. Ich bin sehr gut in der Lage, mich selbst auszuziehen. Du brauchst nicht auf mich zu warten.«
Sara verneigte sich dankbar. »Ihre Großmutter lässt fragen, ob Sie schnell noch vorbeikommen und ihr von Ihrem Besuch im Devonshire House erzählen würden.«
Alex schlüpfte in ihr Nachthemd und zog den Morgenmantel über, den Sara ihr bereitgelegt hatte. Sie fand Dottie lesend im Bett vor, mit einem halben Dutzend spitzenbesetzten Kissen im Rücken und einem Glas Madeira.
»Ah, da bist du ja, mein Schatz. Ich habe gehört, dass es draußen gießt.« Sie hob ihr Glas. »Ich habe heute etwas Weises getan. Berkeley House hat einen sehr guten Weinkeller.«
Alexandras Blick verfing sich in einem Gemälde über dem Kamin. Als sie näher trat, erkannte sie, dass ihre Vermutung richtig war. Es war das Gemälde einer nackten Frau, die verführerisch auf einem schwarzen Leopardenfell lag. Alex blinzelte. Die rotgoldenen Locken, die ihr Gesicht umrahmten und sich zwischen den Schenkeln kräuselten, ließen sie innehalten. »Verdammt noch mal, sie sieht genauso aus wie ich!«
»Aber sicher, mein Liebling. Es war eine deiner Vorfahren, die für dieses Bild Modell gestanden hat.«
»Wer war es?«, fragte Alex mit weit aufgerissenen Augen.
»Nun ja, eigentlich bin ich die Frau auf dem Bild«, gestand Dottie.
Alex war erstaunt. »Aber es ist so... feurig.«
»Feurigkeit ist nichts Schlimmes und macht eine Frau unwiderstehlich. Ich habe keine gute Arbeit bei deiner Erziehung geleistet, wenn du glaubst, dass Nacktheit schockierend ist. Der Künstler hat die Tätowierungen auf meinem Po weggelassen, auf dem Das Unterste nach oben steht.«
Alex wirbelte herum und sah ihre Großmutter an, aber als sie den belustigten Blick auf ihrem Gesicht sah, wusste sie, dass sie übertrieben hatte. »Ich hatte keine Ahnung, dass ich meine Haarfarbe von dir geerbt habe.«
»Ah ja, es hat einmal eine Zeit gegeben, da sah ich genauso bezaubernd aus wie du, mein Schatz. Ich trage schon so lange Perücken, dass du dich gar nicht mehr an meine richtige Haarfarbe erinnerst. Und da wir gerade von deinem bezaubernden Aussehen sprechen, wie hat es dir im Devonshire House gefallen?«
»Es war opulenter, als ich es mir in meinen wildesten Träumen vorgestellt habe. Die Empfangsräume sind extravagant eingerichtet. Mehr als hundertfünfzig Menschen haben dort Platz gefunden. Es war wie ein königliches Essen.«
»Das Königshaus kann sich mit den Devonshires nicht vergleichen... die Deutschen sind ein schäbiger Haufen. Ich hoffe, du hast nicht neben dem jungen Hatton gesessen, du solltest dein Lächeln nur Hart Cavendish schenken.«
»Ich habe nicht neben Christopher gesessen.«
»Das geschieht dem jungen Flegel Recht. Ein wenig Konkurrenz von Hartington wird ihn dazu bringen, aufmerksam zu werden, das kannst du mir glauben.«
Alex hielt sich zurück und verriet ihr nicht, dass sie ihn gar nicht aufmerksam machen wollte, deshalb wechselte sie das Thema. »Was liest du da?«
»Rousseaus Confessions, die Bibel der Romantik. Ich werde dir das Buch geben, nachdem ich es gelesen habe, und bis dahin wirst du dich mit etwas weniger Anzüglichem aus meinem Bücherschrank begnügen müssen.«
Alexandra fuhr mit dem Finger über die Titel der Bücher, sie ließ die Romanzen beiseite und wählte schließlich ein Buch über astrologische Sternzeichen. Es war ihr gelungen, alle Gedanken an Nicholas weit von sich zu schieben. Als sie dann endlich allein war, gelang ihr das nicht mehr. Sie erlebte noch einmal diesen herrlichen, verlangenden Kuss, dann fragte sie sich, warum er sich von ihr verabschiedet und ihr nicht einfach nur eine gute Nacht gewünscht hatte. Sie wollte nicht so genau darüber nachdenken und schob den Gedanken von sich.
Sie kletterte in ihr Bett und öffnete das Buch bei ihrem Sternzeichen, dem Schützen. Sie besitzen einen unvergessli-chen und charmanten Charakter; mit einem fröhlichen und freundlichen Wesen, das Aufmerksamkeit und Zuneigung auf sich zieht. »Ha, ich wünschte, ich könnte seine Zuneigung auf mich ziehen«, murmelte sie vor sich hin. Ihre Augen blitzen ständig, Ihr Lachen ertönt oft und erhellt jeden Raum wie durch einen Zauber. Ihr geselliges Wesen und Ihr Sinn für Humor sind eine mächtige Kraft in jeder gesellschaftlichen Situation. Jedoch rebellieren Sie auch oft und leben nach Ihren eigenen Gesetzen, die persönliche Freiheit erfordern. »Nun, das kann ich nicht leugnen«, gestand sie. Sie sind romantischer als die meisten Menschen glauben. Ihr idealer Gefährte wird jemand sein, der stark genug ist, Sie zu halten und dennoch flexibel genug, um Ihnen zu erlauben, Ihre Flügel auszubreiten.
Alexandra blätterte schnell die Seiten um, bis sie das Sternzeichen des Löwen fand. Dies ist der Herrscher aller Sternzeichen. Die große Katze besitzt einen arroganten Stolz und eine sonnige Verspieltheit. Es gibt keine introvertierten, ängstlichen Löwen. Sie sind stark, entschlossen und würdevoll und warten auf ihren königlichen Moment. Der Löwe schreitet gerade und stolz, mit katzenartiger Anmut. Er hat eine befehlende Art und eine würdevolle Haltung. Er hat seinen Platz mitten auf der Bühne des Lebens, und seine Befehle zeigen ihre Wirkung, denn er ist ein Meister der Spraye. Der Löwe besitzt die Gabe, Ihnen in einer überheblichen, herablassenden Art genau zu erklären, wie Sie Ihr Leben führen sollen.«
»Das hat Kit Nick immer vorgeworfen«, murmelte sie vor sich hin. »Und mit mir macht er das auch.«
Der Löwe verlässt sich niemals auf andere, er zieht es vor, dass diese sich auf ihn verlassen. Er ist wild, leidenschaftlich und mutig und kann mit stoischer Würde alles ertragen. Er ist ein bemerkenswerter Spieler, der höher pokert als jeder andere. Er ist ein treuer Freund, aber auch ein mächtiger Feind. Der Löwe besitzt einen starken Charakter, und er tötet jemanden, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Alex schloss das Buch, kroch unter die Decke und dachte über Nick nach. War es möglich, dass er seinen Vater ermordet hatte? Nein, nein, Mord war die Tat eines Feiglings, und Nicholas war der mutigste Mann, den sie je gekannt hatte. Sie begann, mit offenen Augen von dem Kuss zu träumen, den er ihr heute Abend gegeben hatte, er war zärtlich und wild zugleich gewesen. Ein Abschiedskuss!
Nachdem Alex eingeschlafen war, beherrschte Nick ihre Träume, und es schien, als wäre sie wirklich in der Lage, seine Zuneigung zu gewinnen. Er küsste sie stundenlang, auf alle Arten, die sie sich je erträumt hatte: zärtlich und neckend, überzeugend und verspielt, sinnlich und sündig. Dann wieder wurde sein Mund rau und gierig, heiß und hungrig, leidenschaftlich und besitzergreifend. Schließlich zog er sich von ihr zurück, und sie hörte sich selbst flehen: »Bitte, Nick, verlass mich nicht.« Er hörte jedoch nicht auf sie, und als er von ihr ging, sah sie, dass er einen scharlachroten Rock und ein Gewehr trug. Ein Gefühl der Verzweiflung überkam sie.
Ein paar Stunden vor der Morgendämmerung war Nicholas in das Hatton-Haus in der Curzon Street zurückgekehrt. Er hatte noch genügend Zeit, seine feuchte, zerknitterte Abendkleidung auszuziehen, zu baden, sich zu rasieren, zu frühstücken und dann bei dem Sekretär von Prinz Frederick, Sir Herbert Taylor, im Kriegsministerium der Horse Guards in Whitehall zu erscheinen.
Nachdem er sich vorgestellt und den Namen des Premierministers erwähnt und Taylor erklärt hatte, dass er im letzten Jahr die Horse Guards mit Pferden beliefert hatte, erwarb Nick Hatton für zweihundert Pfund ein Offizierspatent als Leutnant der Horse Artillery.
»Der Krieg verschlingt eine Menge Geld, mein Junge, und wir brauchen dringend Kämpfer. In Wellingtons letzter Mitteilung an Lord Bathurst hat der neue Kriegsminister enthüllt, dass die spanischen Soldaten so heftig geraubt, gemordet und gebrandschatzt haben, dass er sie in Unehren entlassen musste.«
Nick erfuhr, dass er unter General Rowland Hill würde dienen müssen, der im Augenblick in Spanien kämpfte. Jede Woche verließen zusätzliche Truppen Portsmouth, und er konnte sofort abreisen. Er ging in das Kriegsbüro, wo er seine Uniform und Ausrüstung erhielt.
Als er wieder in der Curzon Street war, stellte er fest, dass Christopher gerade erst aufgestanden war. Sein Zwillingsbruder war für einen Ausritt gekleidet, er wollte sich in der Rotten Row gleich am Ende der Straße mit seinem Freund Rupert treffen.
Kit betrachtete Nicks Kleidung, die ihm verriet, dass sein Zwillingsbruder nicht erst jetzt nach Hause zurückgekehrt war. »Wo bist du denn letzte Nacht gewesen?«
»Ich habe einen Freund besucht.«
»Ich bin überrascht, dass du überhaupt noch Freunde hast, wo du doch jetzt eine persona non grata bist«, scherzte Kit. »Ich erinnere mich an nichts mehr, was nach Mitternacht passiert ist. Rupert muss mich nacfi Hause und ins Bett gebracht haben. Gerade ist die Post angekommen, und wie es scheint, hat John Eaton, wie versprochen, die Abrechnung geschickt. Ich habe gestern Abend Hart Cavendish nach ihm ausgefragt. Wie es scheint hat Eaton so viele reiche Kunden, dass er hier in London ein Büro eröffnet hat. Man hat ihm den Spitznamen Korkenzieher gegeben, weil er aus allem Geld herausholen kann. Also kannst du aufhören, dir Sorgen zu machen und wie eine alte Frau zu jammern.«
»Nun, ich bin erleichtert, dass du auch ohne meine Ratschläge auskommst, Kit«, meinte Nick gut gelaunt. »Denn ich werde in ein oder zwei Tagen abreisen.«
»Wohin willst du?«
»Nach Portsmouth.«
»Ich denke, Brighton hat viele Vorzüge, aber was zum Teufel gibt es in einem Ort wie Portsmouth?«
»Ein Schiff, das mich nach Bilbao bringen wird. Ich bin in die Armee eingetreten.«
»Was du nicht sagst!« Als Kit erkannte, dass Nick keinen Spaß machte, schlug er mit der Peitsche gegen seine Reitstiefel. »Nun, das ist sehr selbstsüchtig von dir. Wie zum Teufel kannst du von mir erwarten, Hatton Hall ganz alleine zu führen? Ein Landbaron zu sein bedeutet, eine große Verantwortung zu haben.«
»Kit, wir wollen doch einmal ehrlich sein. Du lehnst meine Ratschläge ab und findest es unangemessen, wenn ich mich einmische.« Verantwortung zu lernen, wird dir sehr gut tun. »Wir waren doch überein gekommen, uns nicht in die Angelegenheiten des anderen einzumischen.«
»Eigentlich ist es von deiner Seite aus gesehen ein hervorragender Entschluss. Ein Mitglied des Militärs verkörpert das männliche Ideal der gehobenen Gesellschaft, wie Furchtlosigkeit und Angriffslust. Die beau monde wird einem Mann in Uniform alles verzeihen.« Kits Stimme klang verärgert. »In welchem Regiment wirst du dienen?«
»Ich bin Leutnant bei der Royal Horse Artillery.«
»Dummkopf! Du wirst ganz vorne an der Front sein... mitten in all dem Gewehrfeuer.« Er erschauderte. »Nun, besser du als ich. Welche Farbe hat deine Uniform? Blau, wie die der Horse Guard?«
»Jawohl, dunkelblau, Reitstiefel und kurze Tunika-Jacke mit goldenen Knöpfen, Kragen und Epauletten.«
»Ich nehme an, du wirst diese langen, schwarzen Reitstiefel tragen, die bis zur Hälfte des Oberschenkels reichen?«
»Ja, sie dienen als Knieschoner.«
»Und eine polierte Brustplatte und einen Helm mit schwarzen und roten Federn? Himmel, die Frauen werden dir zu Füßen liegen.« Kit konnte seinen Neid nicht verbergen. »Und wie sieht die Ausgehuniform aus?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann mir keine leisten. Und ich werde auch keine Zeit für Frauen haben. Ich werde morgen oder übermorgen abreisen.«
Alexandra lief über die Charles Street, dann bog sie in die Curzon Street ein. Als sie an diesem Morgen aufgewacht war, erinnerte sie sich nur noch an Bruchstücke ihrer Träume. Das Bild von Nick in einer roten Jacke und mit einem Gewehr kam ihr immer wieder in den Sinn, obwohl sie versuchte, es aus ihren Gedanken zu vertreiben. Sie erinnerte sich daran, ihn ge-küsst zu haben. Hatte sie es geträumt, oder war das wirklich geschehen? Doch dann erinnerte sie sich an das, was sie hatte vergessen wollen. Er hatte ihr einen Abschiedskuss gegeben! Wieder kehrte ihr Traum zurück, und jetzt konnte sie Nick deutlich sehen. Sie erkannte plötzlich, dass es keine Jagdkleidung war, die er trug, sondern eine Uniform! Lieber Gott, ist es das, was er gemeint hat, als er Auf "Wiedersehen sagte? Sie wusste, dass sie ihn aufhalten musste.
Als sie sich dem großen steinernen Haus näherte, öffnete sich die Haustür und Nicholas in seiner bevorzugten grauen Reitkleidung, kam auf die Treppe hinunter. Er sah sie und blieb stehen, um auf sie zu warten. »Oh, Gott sei Dank habe ich dich gefunden, ehe du etwas Übereiltes tust.«
»Alex, du siehst heute ganz besonders bezaubernd aus.« Seine grauen Augen betrachteten sie anerkennend.
»Bitte wechsle nicht das Thema! Sag mir ehrlich, hast du die Absicht, in die Armee einzutreten?« Als sie zu ihm aufblickte, war sie von seiner dunklen Schönheit so fasziniert, dass ihr der Atem stockte.
»Bei meiner Ehre, Alexandra, das ist nicht meine Absicht. Wo hast du denn dieses Gerücht gehört?«
»Oh, Gott sei Dank, Nick. Es war kein Gerücht, es war nur ein dummer Traum, den ich gehabt habe.«
Kits weiße Zähne blitzten auf, als er lächelte. Er wusste, dass sie ihn mit seinem Zwillingsbruder verwechselt hatte, aber er sagte nur: »Weißt du, Alex, du solltest nicht ohne Begleitung über die Straße laufen und deine Zofe mitnehmen.«
»Bitte hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln.«
»Ich behandle dich wie eine Lady, Alex. Es ist sehr nett von dir, dir Sorgen zu machen, aber ich versichere dir, ich werde niemals in die Armee eintreten.«
»Warum hast du dann gestern Abend Auf Wiedersehen zu mir gesagt und nicht einfach Gute Nacht}«
»Habe ich das? Das war nur eine Redewendung. Ich werde nicht weggehen und werde dich sehr wahrscheinlich am Freitag im Burlington House sehen.«
Alex wurde vor Erleichterung ganz schwach, und sie kam sich ein wenig dumm vor, weil sie wie ein liebeskrankes Mädchen zu ihm gelaufen war. »Du willst ausreiten, ich werde dich nicht aufhalten.«
»Warum bittest du nicht Rupert, an einem der nächsten Tage mit dir in den Park zu reiten? Ich werde euch dann begleiten.«
Alex traute ihren Ohren nicht. Lud Nick sie wirklich ein, mit ihm auszureiten? Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als sie sich bei ihm bedankte und sich dann atemlos von ihm verabschiedete.