Nicholas Hatton beobachtete, wie der Hafen von Portsmouth und dann die Küste von England am Horizont verschwanden. Obwohl er tief bedauerte, dass die Dinge, die er zurückließ, niemals ihm gehören würden - Hatton Grange und Alexandra Sheffield -, so war er doch entschlossen, sich den Tatsachen zu stellen und loszulassen. Mit entschlossenen Schritten ging er zum Bug der Fregatte und wandte symbolisch der Vergangenheit den Rücken zu. Gleichzeitig begrüßte er die Zukunft, ganz gleich, was sie auch für ihn bereithalten mochte.
Das Schiff war voller Infanteriesoldaten, die als Truppenverstärkung zu den verschiedenen Regimentern fuhren, die gegen die Franzosen kämpften. Er hatte Slate und die Ersatzpferde sicher an Deck untergebracht. Während Nick darauf wartete, dass die Versorgungsgüter verladen wurden, hatte er sich mit mindestens einem Dutzend Soldaten bekannt gemacht, die zu seinem Regiment geschickt wurden, der Royal Horse Artillery. Er hatte auch Sergeant Tim O'Neil kennen gelernt, der in Indien gedient hatte. O'Neil, der ursprünglich aus Cork stammte, sprach noch immer mit irischem Akzent.
Es dauerte nur drei Tage, bis sie Bilbao erreichten, denn die Bucht von Biscaya war ungewöhnlich ruhig. Nick holte Slate aus dem Bauch des Schiffes, und als O'Neil ihm dabei half, sein Gepäck auf das Packpferd zu verladen, begriff er, dass alles, was er auf dieser Welt besaß, vor ihm auf dem Dock stand. Obwohl das ein ernüchternder Gedanke war, hatte er keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Die Rekruten sammelten sich, und ein Hauptmann berichtete, dass Wellingtons Armee die Schlacht in den Pyrenäen kämpfte und gewann. »In den letzten zwei Wochen haben wir der Armee von Marschall Soult dreizehntausend Opfer zugefügt und siebzehnhundert Gefangene gemacht.« Die Männer auf dem Dock jubelten. »Bei der Einnahme von San Sebastian mussten wir jedoch zweitausend Opfer beklagen.«
Die Rekruten wurden plötzlich ernst. »Die Soldaten benahmen sich schlecht, Trunkenheit und Plünderungen nahmen überhand, und es gab Brandstiftung und Vergewaltigungen, als die Stadt fiel. Einige Offiziere, die vergeblich versuchten, die Ordnung wiederherzustellen, wurden von ihren eigenen Männern ermordet. Es ist unvermeidlich, dass die Stimmung gegen die Briten ist, und die Spanier machen die Generäle dafür verantwortlich, sogar Lord Wellington. Seid gewarnt, dass ein solches Benehmen nicht länger toleriert wird.« Schweigen hüllte die Männer ein.
»Das Hauptquartier des Befehlshabenden ist in Lesaca, die Soldaten der Life Guards werden sofort dorthin geschickt. Die Rekruten der Division von General Thomas Graham werden nach San Sebastian gehen, das liegt an der Küste, fünfzig Meilen östlich von hier. Die Männer der Artilleriedivision von General Rowland Hill haben den Befehl, südlich von Lesaca nach Pamplona zu reisen. Hill hat bereits den ganzen August über die Stadt belagert. Wellington weigert sich, Männer in einem direkten Angriff auf Pamplona zu opfern, denn die Festung dort ist uneinnehmbar. Aber in den umliegenden Städten geht der Kampf weiter.«
Leutnant Nicholas Hatton und andere neue Offiziere erhielten eine Landkarte, dann waren die Männer, die das Schiff verlassen hatten, sich selbst überlassen.
Nick Hatton versammelte mit Hilfe von Sergeant O'Neil die neuen Rekruten um sich, die der Royal Horse Artillery zugeteilt worden waren. Dann ordnete er die zwei Dutzend Männer der Truppe, besorgte Wagen und Vorräte und machte sich auf den Weg nach Pamplona.
Leutnant Hatton beschloss, am ersten Abend schon früh das Lager aufzuschlagen. Er verteilte die Arbeiten unter den Männern, und diejenigen, die nicht damit beschäftigt waren, Lagerfeuer zu machen, das Essen zu kochen oder sich um die Pferde zu kümmern, wurden über die Benutzung der Waffen und Bajonette informiert. Einige der jüngeren Männer hatten noch nie in ihrem Leben einen Schuss abgefeuert, und Nick entschied, dass sie lieber auf die Jagd nach etwas Essbarem gehen sollten, als ihre Munition an feste Ziele zu verschwenden. Noch ehe die Dunkelheit herangebrochen war, hatten sie eine Anzahl Hasen und Wildvögel erbeutet. Als sie sich in der Morgendämmerung wieder auf den Weg machen wollten, kannte Leutnant Hatton die Namen der Männer und ihren Herkunftsort.
Zwei Tage später warteten französische Dragoner im Hinterhalt auf sie. Leutnant Hatton gab seinen ersten Feuerbefehl. »In Deckung!« Er nahm an, dass der Feind hinter ihren Vorräten her war, und als er sah, dass seine Männer hinter den Wagen in Sicherheit waren, schlich er sich an ihren Reihen entlang und fragte nach Freiwilligen. Nur drei meldeten sich, doch Nick wettete darauf, dass die anderen folgen würden, wenn er und O'Neil auf den Feind losgingen. Sie töteten vier der Männer und die anderen flohen, aber es wurde ein vollkommener Sieg - und nur einer von Nicks Soldaten, der junge Jake Smith, bekam eine Kugel in den linken Arm.
Sie schlugen das Lager auf, und Nick hatte die unangenehme Aufgabe, die Kugel mit seinem Messer aus der Wunde zu holen. Er wusch die Wunde und verband sie, dann zerriss er eines seiner Leinenhemden, um damit eine Schlinge zu machen. Er übernahm die erste Wache bis Mitternacht und bat O'Neil, ihn um vier Uhr zu wecken, damit er auch noch die letzte Wache vor der Morgendämmerung übernehmen konnte. Schon jetzt vertrauten ihm die Männer und respektierten ihn als ihren Anführer, der ihr eigenes Wohlergehen vor das seine stellte.
Am Nachmittag des folgenden Tages kamen sie in Pamplona an. Nick meldete sich bei General Rowland Hill, der ihm sofort das ständige Kommando über die Rekruten gab, die er mitgebracht hatte, und ihm noch ein weiteres halbes Dutzend Soldaten übergab, die bereits einige Erfahrung besaßen. Es gelang Nick, Sergeant O'Neil als seinen aide-de-camp zu behalten, und er lernte seinen direkten Vorgesetzten, Hauptmann Troy Stanhope, kennen. Nick hatte jetzt dreißig Männer unter seinem Kommando, Hauptmann Stanhope viermal so viel.
Während die Männer sich in dem Lager einrichteten, ritt Nick an die Stadtgrenze von Pamplona und betrachtete den Schutzwall der uneinnehmbaren Festung. Hauptmann Stanhope überließ ihm zwei Artilleristen, die ihm die Belagerungsgeschütze erklärten. Nick stellte viele Fragen, um seinen Männern die notwendigen Informationen geben zu können.
Es war ein langer Tag gewesen, und Nick war dankbar für das warme Essen, das O'Neil ihm brachte, einschließlich einer Flasche spanischen Weines. Er wusch und rasierte sich, ehe er sich zurückzog, und als er dann in seinem Zelt lag, hatte er das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Er überlegte, was er seinen Männern sagen würde. Vor der Lektion über die Waffen würde er die Regeln erklären, die für den übermäßigen Genuss von Alkohol galten. Die Erfahrung mit den Trinkgewohnheiten seines Vaters hatte ihn gelehrt, dass der Alkohol oft für die schlimmsten Exzesse verantwortlich war. Nick war dankbar, dass er tagsüber so beschäftigt war, dass er keine Zeit hatte, an Alexandra zu denken.
In London gab sich Alexandra ihren Gedanken hin. Sie hatte einige Verlage besucht und den Vorschlag für ein satirisches Buch über die beau monde gemacht, der jedoch abgelehnt wurde. Man interessierte sich nur für das wahre Leben, z. B. für ein expose einer führenden Gastgeberin der Gesellschaft, vorausgesetzt, es war schlüpfrig genug. Den Gedanken, ein Buch zu schreiben, konnte sie also vergessen, daher griff sie zu ihrem Skizzenblock.
Eine Stunde später hatte sie eine Karikatur seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen von Wales, auf dem Empfang im Burlington House fertig gestellt. Es war der Kopf von George auf dem Körper eines aufgeblasenen Nilpferdes, in einem See voller Essen und Trinken, in dem alles in sein aufgerissenes Maul geschwemmt wurde. Sie zeichnete Flaschen mit Champagner, Pfauen, Schwäne und Fasane, die alarmiert um sich blickten, während sie sich dem aufgerissenen Maul näherten. Dann zeichnete sie Aale, Hummer und Austern, die versuchten, zu entkommen, während sie darauf warteten, verschlungen zu werden. Sie dachte einen Augenblick nach, dann schrieb sie unter das Bild Sein Königliches Nilpferd auf dem Empfang im Burly House.
Alex wartete, bis Dottie mit Lady Spencer in deren Kutsche davongefahren war, dann ging sie zusammen mit Sara in Ruperts Zimmer und holte sich aus seinem Schrank einige Kleidungsstücke.
»Sie haben doch nicht wirklich die Absicht, in der Kleidung Ihres Bruder auszugehen, Mistress?« Sara klang entsetzt.
»Du sollst mich nicht Mistress nennen, es heißt Mister, bitte!«, erklärte Alex und zog die Hose an, die einen Steg hatte. Sie schloss die Knöpfe des Hemdes und bat: »Hilf mir mit dieser schrecklichen Krawatte. Siehst du, ich werde mit jeder Minute Rupert ähnlicher«, meinte sie und griente. »Gott, wie werden die Männer nur fertig mit diesen gestärkten Kragen, die bis über die Ohren reichen?«
Sara kicherte. »Es dient ihnen als Entschuldigung, wenn sie nicht hören wollen, was eine Frau zu sagen hat!«
Als Alex ihre rotgoldenen Locken unter der braunen Perücke versteckte, schüttelte Sara ungläubig den Kopf. »Ich würde niemals vermuten, dass Sie ein Mädchen sind.«
»Ich bin kein Mädchen, ich bin eine Frau, eine hinterhältige Frau«, beteuerte Alex. »Also, wenn meine Großmutter zurückkommt, während ich noch unterwegs bin, wirst du die Spitzengardine am vorderen Fenster oben zurückziehen, damit ich Bescheid weiß.«
Alex ging in das Büro von William Cobett, der die Wochenzeitung Political Register herausgab, in der er für Reformen eintrat. Sie bat darum, mit dem Herausgeber sprechen zu dürfen, und ihre Laune besserte sich, als der Mann ihre Karikatur betrachtete und laut lachte.
»Ich nehme sie«, entschied er. »Vier Shilling.«
Alex blinzelte. »Vier Shilling? Sie ist mindestens eine Guinee wert.«
»Wer zum Teufel sind Sie denn, etwa Cruickshank?«
Alex wusste, dass George Cruickshank der führende Karikaturist Londons war, den die Gesellschaft fürchtete. Sie begann zu verhandeln und senkte ihren Preis schließlich auf fünf Shilling.
»Entweder vier Shilling, oder gar nichts! Vielleicht werde ich beim nächsten Mal fünf Shilling zahlen. Wie wäre es mit einem Artikel über Reformen? Zum Beispiel über die Kletterjungen oder die Senkung der Kinderarbeitsstunden? Ich brauche etwas, das die Aufmerksamkeit der Leser weckt und den Absatz erhöht.«
Alex stimmte dem Preis von vier Shilling schließlich zu. Als sie zum Berkeley Square ging, fühlte sie nach dem Geld in ihrer Tasche. Was für ein Hungerlohn! Gott sei Dank muss ich mir meinen Lebensunterhalt nicht verdienen.
Heute Abend würde Hart Cavendish seine verlorene Wette einlösen und Alexandra dorthin bringen, wohin sie wollte. Sie rief nach Sara, um sich mit ihr abzusprechen. Sie musste sich Abendkleidung von Rupert besorgen und warten, bis er angekleidet war und das Haus verlassen hatte. Alex steckte den Kopf durch die Tür und pfiff anerkennend durch die Zähne. »Verdammt, Rupert, wen willst du denn beeindrucken?« Er trug Kniehosen aus schwarzem Satin und ein neues blaues Brokatjackett.
»Das musst du schon selbst herausfinden, Miss Neugier.«
»Cherchez la femme, falls ich mich nicht irre!« Alex lachte.
Rupert wurde rot. Er hatte von Harry Harding erfahren, dass seine Schwester Olivia einen Ehemann suchte und seine Familie einen Viscount mit offenen Armen aufnehmen würde. Harry hatte ihm verraten, dass die ganze Familie heute Abend bei Almacks sein würde, und Rupert war entschlossen, sich im besten Licht zu zeigen. Das einzig Störende war die Tatsache, dass Kit ein besonderes Interesse an Olivia gezeigt hatte, und er wusste, dass er keine endgültigen Pläne machen konnte, wenn sich Kit noch immer für die Erbin interessierte.
»Gute Nacht und gute Jagd!«, rief Alex ihrem Bruder nach, als er die Treppe hinunterging und nach seinem Hut und Stock griff. Dann schlich sie in sein Zimmer und holte seine schwarze Abendkleidung aus dem Schrank. Sie nahm auch noch sein schwarzes Abendcape mit.
Sara half ihr, das gestärkte weiße Hemd und die Krawatte anzuziehen. Alex war beinahe fertig, als sie die Kutsche hörte. »Sara, bitte geh nach unten und sag Hart Cavendish, dass er nicht ins Haus kommen, sondern in der Kutsche auf mich warten soll.«
Sara blinzelte. »Ich werde nach unten gehen und den Herzog bitten, so freundlich zu sein und in der Kutsche auf Sie zu warten.«
Alex lachte. »Mach dir keine Sorgen, Sara. Er wird so freundlich sein.« Sie zog das Cape über ihre Kleidung, versteckte Ruperts Perücke darunter und griff nach einem Handspiegel. Sie traf Sara auf der Treppe. »Ich habe Dottie eine Nachricht hinterlassen. Gott sei Dank ist sie nicht pünktlich zurückgekommen.«
Hart öffnete die Tür der Kutsche und half ihr hinein. »Wohin werden wir fahren?«, fragte er und griente sie an.
»Halten Sie das hier fest«, bat sie und reichte ihm den Spiegel. »Ich werde es Ihnen gleich verraten.« Sie rückte den Spiegel zurecht, holte die Perücke heraus und zog sie über den Kopf. Dann nahm sie das Cape von den Schultern und zeigte ihm ihre Kleidung. »Sie werden mich zu Whites bringen«, beantwortete sie seine Frage.
Hart starrte sie mit offenem Mund an. »Alexandra, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Noch nie in meinem Leben war mir etwas so ernst.«
»Ich kann Sie nicht mit zu Whites nehmen, das ist ein Club für Männer.«
»Deshalb auch meine Männerkleidung. Oh, Hart, seien Sie nicht so prüde, bitte, machen Sie doch mit bei diesem verrückten Spaß.«
Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Wenn ich nicht eine Wette einzulösen hätte, würde ich mich weigern, Alex.«
Sie begann zu lachen. Sie wusste sehr gut, dass er sich geweigert hätte, wenn sie ihn gebeten hätte, sie mitzunehmen. Deshalb hatte sie ihm diese Wette angeboten. Für die Gentlemen der gehobenen Gesellschaft war das Einlösen einer Wette eine Ehrensache.
Hart Cavendish schlenderte mit hoch erhobenem Kopf mit seinem Begleiter zu Whites, doch konnte er nicht verhindern, dass sich zwei rote Flecken auf seinen Wangenknochen zeigten. Er nahm Alex mit in den Speisesaal, nicht weil er hungrig war, sondern weil er sie nicht sofort ins Spielzimmer bringen wollte.
Alexandra stellte fest, dass der Respekt, den man einem Herzog zollte, weitaus größer war als der, den ein gewöhnlich Sterblicher erfuhr. Jeder, vom Türsteher bis zum Portier und zur Bedienung, verbeugte sich, als sie aus der Kutsche mit dem herzoglichen Emblem von Devonshire stiegen. Auch die anderen Mitglieder, die heute Abend bei Whites waren, überschlugen sich, um Hart zu begrüßen. Sie konnten es kaum erwarten und fühlten sich geschmeichelt, dass ein Herzog ihnen seine Aufmerksamkeit erwies.
Alex überflog die Speisekarte. Die Bedienung richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf Hart, der ein Rumpsteak mit Schalotten und Pilzen bestellte. Als er auch für Alex bestellen wollte, sah er ihren warnenden Blick. »Ich hätte gern die gebratene Ente mit Austern und Walnüssen.« Die Bedienung nahm ihre Bestellung entgegen, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen. Als Hart eine Flasche Burgunder bestellte, meinte Alex: »Ich hätte gern einen Rumpunsch.« Das war ein beliebtes Getränk aus Rum, Zitrone, Zucker und Mandeln, das sie noch nie probiert hatte.
Als Hart feststellte, dass niemand Alexandra besondere Aufmerksamkeit schenkte, entspannte er sich, obwohl er noch immer zögerte, sie mit in die Spielzimmer zu nehmen. Hart wollte gerade nach seinem Zigarrenetui greifen und einen Brandy bestellen, als er es sich anders überlegte, um Alexandra nicht in Versuchung zu führen.
Alex lehnte sich über den Tisch. »Ich möchte gern in dem berüchtigten Wettbuch lesen.«
Hart rollte mit den Augen und stöhnte gespielt resigniert auf. »Gibt es denn einen Abgrund, in den Sie nicht sinken wollen?«
»Ich bin nicht sicher, ich kenne noch nicht alle.«
Hart führte sie zu dem großen Bogenfenster, neben dem das Wettbuch auf einem hohen Tisch aufbewahrt wurde. Alex fuhr mit den Fingerspitzen über das große, in Leder gebundene Buch und fragte sich, ob sie wohl die erste Frau war, die es je geöffnet hatte. Sie sah, dass viele der Eintragungen alltäglich waren, Wetten auf Pferderennen in Epsom oder Newmar-ket, auf Cricketspiele oder Boxkämpfe, doch es gab auch Eintragungen, die höchst grotesk waren. An einem regnerischen Apriltag hatte Lord Alington mit einem Freund um tausend Pfund gewettet, welcher Regentropfen als Erster unten an dem großen Bogenfenster ankommen würde!
Es gab Wetten auf verschiedene Kriegsschlachten auf der Halbinsel, und Alex schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Nick Hatton in Sicherheit war. Als sie die Augen öffnete, entdeckte sie eine Wette, die Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Wales, gemacht hatte. »Guter Gott, sogar Prinny hat seine Wetten in dieses Buch geschrieben!«
Hart lachte. »Die unglaublichste Wette hat er mit dem verstorbenen Charles James Fox abgeschlossen. Sie haben darauf gewettet, auf welcher Seite der Bond Street man die meisten
Katzen finden würde. Fox, der wusste, dass Katzen den Sonnenschein lieben, wählte die Sonnenseite und gewann dreizehn zu null!«
Alex stellte sich vor, wie lächerlich es ausgesehen haben musste, als die beiden auf der Bond Street nach Katzen suchten. »Sie werden erleichtert sein, dass ich nicht die Absicht habe, eine Wette in dieses Buch zu schreiben, es gibt eine Grenze für meine Torheiten. Aber ich kann es kaum erwarten, in eines der Spielzimmer zu gehen.«
Als Hart sich weigerte, Alex zu erlauben, ihre eigenen Spielmarken zu kaufen, stritt sie nicht mit ihm, denn sie besaß nur die zehn Pfund Taschengeld, die Dottie ihr gegeben hatte. Sie gingen durch den Raum, und als Hart feststellte, dass man Alex keine besondere Aufmerksamkeit schenkte, entspannte er sich und setzte sich an den Baccarat-Tisch, während Alex stehen blieb und zusah. Kurz darauf ging sie weiter, denn sie wollte sich auch die anderen Glücksspiele in dem von Rauch geschwängerten Raum ansehen.
Gerade als sie sich entschieden hatte, auf 21 zu setzen, fühlte sie, wie jemand sie in den Po kniff. Sie wandte sich um und entdeckte hinter sich zwei Männer. Einer war Lord Brougham, und Alex stieg eine wütende Röte ins Gesicht, weil sie glaubte, er hätte sie erkannt. Sie wandte sich wieder dem Spiel zu und wartete darauf, dass Lord Brougham etwas sagte. Sie hörte nichts, jedoch fühlte sie etwas. Es war Broughams Hand, die ihr über den Po strich. Sie unterdrückte das Verlangen, ihm eine Ohrfeige zu geben, und ging davon.
Hart strich gerade seinen Gewinn ein. Als er vom Tisch aufstand, gestand ihm Alex flüsternd: »Ich fürchte, ich bin erkannt worden. Lord Brougham hat mich in den Po gekniffen!«
Hart Cavendish sah verärgert aus. »Ich glaube nicht, dass er Sie erkannt hat, Alex, aber um Himmels willen, halten Sie sich von diesem Wüstling fern.«
»Aber er muss gewusst haben, dass ich eine Frau bin, Hart, denn weshalb hätte er mich sonst gekniffen?«
Ihr Begleiter sah sie mit einem verständnislosen Blick an. »Wie zum Teufel soll ich Ihnen ein solches Benehmen erklären?« Er fuhr sich ein paarmal mit der Hand durch sein blondes Haar, dann sagte er vorsichtig: »Es gibt Männer, die sich von Jungen angezogen fühlen, Alex.«
Sie dachte einen Augenblick darüber nach, dann fragte sie: »Sie meinen doch nicht etwa, sexuell angezogen?«
»Ich fürchte doch, auch wenn Sie das sehr schockiert.«
Alex fand es eher verwirrend als schockierend, aber was sie mit Ärger erfüllte war die Tatsache, dass die jungen Männer der Gesellschaft sich in den Dingen des Lebens sehr gut auskannten, während die Frauen von so etwas keine Ahnung hatten. »Lord Brougham hat eine Frau«, begann sie vorsichtig. »Glauben Sie, dass sie davon weiß?«
»Guter Gott, nein. Ein solches Laster wird nicht überall herumerzählt, Alex«, erklärte er. »Es würde einen schrecklichen Skandal hervorrufen.«
Alex war erfreut, dass sie endlich Zugang zur beau monde hatte. Als sie zum Berkeley Square zurückfuhren, bedankte sie sich bei Hart für den interessanten Abend. Sie streifte das Cape über und nahm die Perücke ab. »Meine Großmutter ist vielleicht noch nicht im Bett«, erklärte sie Hart. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, um ihre zerdrückten Locken zu richten.
»Lass mich das tun«, bat Hart mit rauer Stimme.
Ehe sie wusste, was geschah, fuhren seine langen Finger durch ihr Haar. »Du besitzt eine natürliche Verwegenheit, die mich anspricht.« Er hielt sie fest, um sie zu küssen.
Alex holte tief Luft. Sie musste ihm sagen, was sie fühlte. Es war unfair, ihn in dem Glauben zu lassen, dass sie sich von ihm verführen lassen würde. »Hart, das alles geht mir zu schnell.
Ich möchte, dass wir Freunde sind, an einer Ehe bin ich nicht interessiert.«
Er sah ihr tief in die Augen und lächelte. »Ich bin auch nicht an einer Ehe interessiert, meine Süße.«
Alex war erstaunt. »Oh«, war alles, was sie sagen konnte, dann legten sich seine Lippen auf ihre. Es war ein angenehmer Kuss, jedoch bei weitem nicht so überwältigend und herzzerreißend wie der Kuss von Nick Hatton. »Gute Nacht, Hart.« Sie sprang aus der Kutsche und lief ins Haus.
Bei Almacks tanzte Rupert dreimal mit Olivia Harding. Das genügte, um Annabell, ihrer Mutter, zu signalisieren, dass die Lösung des heiklen Familienproblems kurz bevorstand. Sie ging in das Spielzimmer und winkte ihrem Mann und ihrem Sohn heimlich zu.
»Lady Longfords Enkel zeigt ein deutliches Interesse an Olivia«, erklärte Annabelle aufgeregt.
»Ich habe Rupert den Hinweis gegeben, dass Olivia auf der Suche nach einem Ehemann ist«, murmelte Harry Harding. »Und ich habe ihm auch verraten, dass unsere Familie heute Abend hier ist.«
Seine Mutter warf ihm einen anerkennenden Blick zu. »Rupert hat schon Vorjahren den Titel seines Großvaters geerbt«, wandte sie sich an Lord Harding. »Und er ist vor wenigen Monaten einundzwanzig Jahre alt geworden. Glaubst du, wir könnten für Olivia einen Viscount in Betracht ziehen?«
»Wenn wir noch zögern, können wir froh sein, wenn wir für diese kleine Dirne überhaupt noch einen gewöhnlichen Mann finden!«
»Sei um Himmels willen still, mein Lord. Nur unschuldige Mädchen kann man verführen und an den Rand des Ruins treiben.« Ihre Stimme hatte einen anklagenden Ton, der verriet, dass sie aus Erfahrung sprach.
»Hmmm«, antwortete Harding und erinnerte sich nur zu gut daran, wie fruchtbar Annabelle als Debütantin gewesen war. »Es ist besser, zurück in den Ballsaal zu gehen und jede Gelegenheit zu ergreifen, die sich bietet. Viscount Longford wäre ein Geschenk der Götter.«
Annabelle Harding fand Olivia im Speisesaal, Rupert hatte ihr gerade einen Fruchtlikör geholt.
Rupert verbeugte sich galant. »Darf ich Ihnen auch eine Erfrischung bringen, Lady Harding? Vielleicht ein Glas Fruchtlikör?«
»Mein Lord«, Annabelle sprach ihn förmlich an, »es tut meinem Herzen gut, einen jungen Mann mit so guten Manieren zu sehen. Darf ich so frei sein und um ein kleines Glas Sherry und ein Stück Kümmelkuchen bitten?« Als er gegangen war, wandte sie sich an Olivia. »Glaubst du, du kannst ihn so weit bringen?«
Olivia errötete. »Ich versuche es, Mama.«
»Du solltest andeuten, dass du nachmittags oft mit der Kutsche in den Park fährst.« Ihre Mutter zog das Spitzentuch aus Olivias decolletage, um den üppigen Ausschnitt ihrer Tochter zu zeigen. »Wenn er den Köder nimmt und sich mit dir trifft, musst du ihn dazu bringen, dich nach Hause zu begleiten und ihn dann zum Tee einladen. Bring ihn in den Salon, den Rest werden dein Vater und ich schon erledigen.«