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London, Juli 1813
Das Gesicht von Champagner-Charlie leuchtete erfreut auf, als sie die beiden dunkelhaarigen, feschen Kunden entdeckte, die ihr Etablissement in der Pall Mall betraten. Sie begrüßte die gut aussehenden Kerle mit einem Kuss, während diese eine Hand auf ihren wohl geformten Po legten.
Die dreiste Neil, die jüngste Errungenschaft der Akademie am Kings Place, starrte auf die doppelte Ausgabe in ihrer makellosen schwarzen Abendkleidung, und wandte sich dann an Moll Tempest. »Wer sind die beiden?«, fragte sie atemlos.
»Heute Abend werden wir Spaß haben.« Moll zwinkerte ihr zu. »Das sind Schaden und Risiko, Harm und Hazard!«
Als Neil sie verständnislos ansah, erklärte Moll: »Das sind die Brüder mit dem doppelten Schwanz! Champagner für alle, und lasset die Spiele beginnen!«
Plötzlich schien es so, als hätten sich alle weiblichen Wesen, die in Charlotte Kings Freudenhaus beschäftigt waren, in dem großen Empfangsraum versammelt, der mit goldgerahmten Spiegeln geschmückt war und mit Fresken von barbusigen Frauen in verlockenden Posen. Der Champagner floss, es wurde laut gelacht, während die geschminkten Damen ihren Namen auf Zettel schrieben und sie dann in die großen, seidenen Abendhüte der Männer warfen.
Während Neil einen der großen, dunkelhaarigen Wüstlinge nach dem anderen betrachtete, ihre breiten Schultern, die muskulösen Schenkel, und einen Seufzer ausstieß, als sie die schwarzen Locken auf ihren Köpfen und die teuflischen grauen Augen sah, murmelte sie: »Wie haltet ihr sie nur auseinander?«
»Gar nicht - wir spielen die ganze Nacht ein Ratespiel, aber wen kümmert das schon? Sieh sie dir doch nur an! Kein anderer von Charlies Kunden kann es mit ihnen aufnehmen.«
»In der Länge oder im Umfang?«, scherzte Neil dreist.
»In der Ausdauer, Liebes! Sie sind erfahrene Wüstlinge... ihr Vater, Lord Hatton, hat dafür gesorgt. Er hat sie an ihrem fünfzehnten Geburtstag mit hierher gebracht, um sie hier einzuführen, aber da waren sie schon keine unerfahrenen Jungen mehr! Es war so, als würde man zwei junge Hengste freilassen, in einem Stall voller hitziger Stuten.«
Neils Interesse wurde noch stärker, als sie erfuhr, dass ihr Vater ein Adliger war. »Oooh! Sie besitzen auch noch einen Titel?«
Moll warf dem Mädchen einen mitleidigen Blick zu. »Der ältere Zwilling erbt den Titel seines Vaters, aber wenn ein Mann erst einmal nackt ist, dann ist der Maßstab, der zählt, nicht länger sein Titel.«
»Sie scheinen sehr intim im Umgang mit Madam. Willst du etwa behaupten, dass sie ihnen auch zu Diensten ist?«, fragte Neil entsetzt.
»Es sind die Brüder mit dem doppelten Schwanz, die hier zu Diensten sind. Charlie bricht für sie ihre eigenen Regeln. Sie ist die Einzige, die die beiden auseinander halten kann, aber selbst sie gibt zu, dass sie sie manchmal an der Nase herumführen!« Moll jauchzte laut über ihren eigenen Scherz.
Lautes Lachen erfüllte den Raum, als Harm die Namen von Lolly und Bubbles aus dem Hut zog. »Leg mich hin und kitzle mich mit einer Feder«, kicherte eine der vollbusigen Blondinen und packte den einen Meter achtzig großen Adonis am Arm. Der charmante Kerl beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Für seinen unanständigen Vorschlag erhielt er einen spielerischen Klaps von ihr.
Als Hazard den Namen eines schlitzäugigen asiatischen Mädchens aus dem Hut holte und dann den von Desire mit der dunklen Haut einer Huri, zog Charlie fragend eine Augenbraue hoch, um zu sehen, ob er damit einverstanden war.
»Köstliche Appetitanreger, meine Süße, aber dich möchte ich als Hauptspeise haben, wie immer«, murmelte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. Seine Stimme war so tief, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.
»Es wird mir die Möglichkeit geben, dir meine Dankbarkeit zu zeigen«, flüsterte Charlie zurück. »Wie du mir geraten hast, habe ich in der letzten Woche ein Spielzimmer eröffnet, und meine Geschäfte haben sich bisher bereits verdoppelt.«
Sechs Meilen von London entfernt, im Herrenhaus von Longford, schloss Alexandra Sheffield die Tür ihres Schlafzimmers und entkleidete sich schnell. Sie sah tief in die kühnen Augen, die ihren nackten Körper abschätzend betrachteten, dann lächelte sie schelmisch. »Endlich allein! Seit Wochen habe ich das schon tun wollen. Immer, wenn ich dich angesehen habe, packte mich die Versuchung. Die Leute tratschen darüber, dass ich ein Satansbraten bin, und das hier wird ihnen beweisen, dass sie damit Recht haben!«
Sie beobachtete, wie die Hand ihre goldenen Locken hob, dann rann ein Schauer durch ihren Körper, als die hellen, seidigen Locken über ihre nackten Brüste bis zu ihrer schlanken Taille hinabfielen.
»Bist du dir auch ganz sicher? Es ist noch immer Zeit, aufzuhören.«
Alexandra fuhr zögernd mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Es war das erste Mal, und wenn es erst einmal geschehen war, so wusste sie, dass es kein Zurück mehr gab. Sie lächelte
über ihren eigenen Wagemut. »Ich bin sicher. Ein Kuss zum Abschied, dann ist alles erledigt!«
Alexandra warf erneut einen Blick auf ihr Spiegelbild, dann griff sie zur Schere und schnitt ihre langen Locken ab. »Oh, mein Gott, ich sehe wirklich ganz unglaublich aus!«, rief sie voller Freude. Monotone, langweilige Anständigkeit war für Alexandra ein Gräuel, die sich danach sehnte, in London zu leben und aus erster Hand die Verrücktheiten der beau monde zu erleben..
Sie hatte alle Skandalgeschichten von Fanny Burney gesammelt und hatte den Ehrgeiz, selbst eine Schriftstellerin zu werden. Im letzten Monat hatte sie im Town and Country Magazine gelesen, dass die meisten der weiblichen Schriftsteller sich das Haar hatten abschneiden und männliche Kleidung tragen müssen, ehe man sie überhaupt ernst genommen hatte, und selbst dann mussten sie ihre Bücher anonym in dem von Männern beherrschten Metier veröffentlichen. Es wurde sogar behauptet, dass Charles Lamb, der Essayist und Humorist, in Wirklichkeit Mary Lamb hieß.
Während Alexandra badete und sich das frisch geschnittene Haar wusch, beschloss sie, dass sie eine männliche Version ihres Namens benutzen würde, wenn sie nach London ging, um ihr Ziel zu verfolgen. Alex Sheffield klang doch wirklich sehr gut! Als ihr Haar getrocknet war, war sie bestürzt über die unzähligen Locken und Strähnen, die wie ein rotgoldener Heiligenschein ihr Gesicht umrahmten, und sie fürchtete, dass sie noch immer viel zu weiblich aussah. Als sie dann die geschwungene Treppe hinunter zum Salon ging, wo nachmittags der Tee serviert wurde, hielt die Stimme ihres Bruders Rupert sie auf.
»Gütiger Himmel, Alex, was hast du denn angerichtet? Die gehobene Gesellschaft wird behaupten, du seist genauso verrückt wie deine Großmutter! Niemand wird dir einen Antrag machen, jetzt wo du dich selbst zu einem verdammten Irren gemacht hast.«
Alexandra wirbelte herum und hob störrisch das Kinn. »Das, du ungehobelter Rupert, ist ja der Zweck des Ganzen! Ich bin erst siebzehn, ich möchte gar nicht, dass mir jemand einen Antrag macht.«
»Nun, das werden sie trotzdem tun, auch wenn du ein hässliches Entlein geworden bist. Du bist eine Erbin, Alex, daran kannst du nichts ändern.«
Als sie unten angekommen waren, kamen sie gerade noch rechtzeitig, um ihre Großmutter, Lady Dorothy Longford, zu sehen, die sich von einem modisch gekleideten Mann verabschiedete.
»Es ist schön, Geschäfte mit Ihnen zu machen, Viscountess.«
»Nennen Sie mich doch einfach meine Lady.« Dottie stieß ihn mit ihrem Spazierstock aus Ebenholz an. »Und denken Sie daran, Sie müssen nach Einbruch der Dunkelheit kommen, sonst werden Sie nicht eingelassen werden. Ich werde dann nämlich dafür sorgen, dass mein Wildhüter die Hunde auf Sie hetzt.« Die Witwe Viscountess Dorothy Longford führte ein strenges Regiment und herrschte über alle, die in ihre Nähe kamen.
Sowohl Rupert als auch Alexandra waren Dotties exzentrisches Benehmen und ihre außergewöhnlichen Bekanntschaften gewöhnt. Da es im Herrenhaus von Longford weder einen Wildhüter gab noch Hunde, dachten sie nicht länger über den Besucher nach.
Lady Longford rückte ihre grelle rote Perücke zurecht, zog an dem Klingelzug, damit der Tee gebracht wurde, dann hob sie ihr Lorgnon, um ihre Enkelin genauer zu betrachten. Als sie fertig war, sagte sie nur: »Mmmm.«
Alexandra wartete auf die Schelte ihrer Großmutter.
»Ich denke, du hast dich zu einem Original gemacht. Ein Satansbraten mit dem Heiligenschein eines Engels... wie einzigartig! Diese kurzen, zerzausten Locken machen dich größer. Deine langen Beine lassen dich jung und ungestüm aussehen ... für einen Mann wird es schwer sein, dir zu widerstehen. Du wirst der letzte Schrei sein, genau wie ich es früher war.«
Das war eine schreckliche Untertreibung, zu ihrer Zeit war Dottie viel mehr gewesen als nur der letzte Schrei. Dennoch hatte ihr skandalöses, unkonventionelles Benehmen sie nicht davon abgehalten, den Viscount Russell Longford zu heiraten, den reichsten Adligen in Bucks. Die Ehe hatte sie jedoch nicht gezähmt, es ging das Gerücht, dass sie genauso viele Liebhaber gehabt hatte wie Königin Charlotte Kinder hatte, erstaunliche fünfzehn!
»Ich will gar nicht der letzte Schrei sein«, protestierte Alexandra.
»Unsinn. Du wirst dir einen Lord angeln, genau wie ich es getan habe. Du wirst eine Lady werden, genau wie ich, und wie es deine Mutter nicht getan hat, wie ich zu meiner unsterblichen Schande gestehen muss.«
Alexandra wollte nicht, dass Dottie wieder von ihrer Mutter sprach, denn es war sehr schmerzhaft. Margaret hatte eine katastrophale Ehe mit dem Nichtadeligen Johnny Sheffield geführt und somit große Schande über ihre Eltern gebracht. Dann hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht und war mit einem Flegel, der auch keinen Adelstitel besaß, davongelaufen und hatte ihre Kinder verlassen. Alexandras Großmutter hatte sie und Rupert in ihrem Haus und in ihrem Herzen aufgenommen, und ihnen nicht nur finanziell geholfen, sondern sie auch noch mit ihrer Liebe überschüttet. Dottie hatte den unerträglichen Schmerz der Kinder gelindert, nicht gewollt zu sein, und Alexandra wusste, dass sie ihre Großmutter niemals so sehr verletzen durfte, wie ihre Mutter es getan hatte. Sie hatte sich geschworen, eine Eheschließung so lange wie möglich hinauszuschieben, um zu vermeiden, dass sie den verkehrten Mann wählte. Sheffield hatte ihre Mutter des Geldes wegen geheiratet, und Alexandra war entschlossen, dieser Fallgrube zu entgehen.
Dottie fuhr fort: »Für Rupert ist alles in Ordnung, er hat den Titel seines Großvaters geerbt, er ist ein Viscount. Aber du, mein Liebling, musst heiraten, um den Titel einer Lady zu bekommen.«
»Die Ehe hat aus dir auch keine Lady gemacht«, erklärte Alexandra und zwinkerte ihrer Großmutter zu.
» Touche, Liebling! Du hast meinen schlimmen Verstand geerbt. Ich werde es genießen, zuzusehen, wie du London aufmerken lässt, ehe du dich häuslich niederlässt.«
»Ich habe immer gehofft, dass du meinen besten Freund Kit Hatton heiraten würdest, aber du versuchst nicht einmal, sein Herz zu gewinnen«, beklagte sich Rupert.
»Und sie wird Christopher Hatton heiraten. Es ist kein Geheimnis, dass Lord Hatton und ich uns schon seit Jahren darüber einig sind.«
Alexandra hatte diese Worte schon ihr ganzes Leben lang gehört. Sie und Rupert waren zusammen mit den Hatton-Zwillingen aufgewachsen, deren riesige Ländereien an die von Longford grenzten. Die teuflisch gut aussehenden Brüder hatten sie fasziniert, seit sie ein Kind war, als sie und Rupert noch an den wagemutigen Eskapaden der Zwillinge teilgenommen hatten.
Alexandra erinnerte sich noch lebhaft an einen Vorfall aus dem Sommer, in dem die Jungen zwölf Jahre alt geworden waren. Kit Hatton hatte mit angehört, wie sich die Diener über einen Straßenräuber unterhielten, der in Hounslow Heath auf der Great West Road an den Galgen geknüpft worden war. Er hatte seinen Bruder herausgefordert, mit nach Hounslow zu reiten und die grausige Leiche zu berühren. »Komm mit und sieh mir zu!«, hatte Nick ihn herausgefordert. Alle vier waren anfangs in dem Glauben gewesen, dass es ein riesiges Abenteuer sein würde. Die gefährliche Heide war für sie verbotenes Gelände, obwohl sie nur zwei Meilen entfernt lag, und keiner von ihnen hatte je einen Toten gesehen, geschweige denn einen, der gehängt worden war.
Alexandra erinnerte sich an das Entsetzen, das sie gespürt hatte, als der Galgen in Sichtweite gekommen war. Ohne zu zögern war Nicholas heraifgeritten und hatte kühn dieses Ding berührt, das an dem Seil hin und her schwang. Christopher wich zurück, er wollte nicht einmal in die Nähe kommen. Rupert, der ein paar Monate älter war als die Zwillinge, hatte ebenfalls die Nerven verloren und ausgesehen, als müsse er sich übergeben. Alexandra erinnerte sich daran, wie sie Nick für seinen Mut bewundert hatte. Er war im Sternzeichen des Löwen geboren und würde sein stolzes Haupt niemals senken. Niemals! Ganz gleich, was auch geschah.
Mit großer Verachtung für Kit und Rupert hatte Alexandra erklärt, dass sie den Straßenräuber auch berühren würde. Niemals würde sie Nick Hattons bewundernden Blick vergessen. Es war ein Blick, der ihr Mut machte und die Tatsache, dass er ihre Hand hielt, während sie es tat. Sie konnte sich jetzt noch an die Gänsehaut erinnern, die sie damals gehabt hatte.
Als sie zurückkamen, wartete Lord Hatton bereits voller Wut auf sie. Kit erzählte seinem Vater, dass Nick sie alle dazu herausgefordert habe, dass er sogar Alexandra dazu gezwungen habe, etwas so Schreckliches zu tun. Obwohl Nicholas wusste, dass ihn eine Tracht Prügel erwartete, bezichtigte er seinen Bruder dennoch nicht der Lüge. Stattdessen lächelte er Alexandra aufmunternd an und zeigte ihr somit, dass er die Strafe mit stoischer Würde über sich ergehen lassen würde.
Alexandras Erinnerungen wurden unterbrochen, als der Tee serviert wurde. Sie sah ihre Großmutter an und seufzte. Dottie erwartete von ihr, dass sie Christopher Hatton wegen seines Titels heiratete, und Alexandra wusste, dass der einzige Weg, einem Mitgiftjäger zu entkommen, der war, jemanden zu heiraten, der reich war und noch dazu einen Titel besaß. Aber sie war zwischen den Zwillingen hin und her gerissen. Obwohl sie und Christopher die Liebe zur Malerei verband und er und ihr Bruder unzertrennliche Freunde waren, so war Alexandra doch nicht sicher, ob sie den Erben vorzog. Sie und Nicholas waren wahre Freunde. Sie hatte sich ihm anvertraut, seit sie Kinder waren. Doch jetzt waren sie längst keine Kinder mehr, musste Alexandra zugeben. Die Hatton-Zwillinge waren erwachsene Männer, kultiviert und erfahren, über ihr Alter hinaus. Sie hatten ihren Platz in der Gesellschaft eingenommen und wurden von ihresgleichen beneidet. Sie bedauerte es, dass Nick sie seit einiger Zeit behandelte wie eine Schwester, denn in letzter Zeit hatte sie sich danach gesehnt, dass er sie als Frau sah. Sie warf Dottie einen Blick zu und schämte sich plötzlich der Anziehungskraft, die sie auf Nicholas ausübte. Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr eingebläut, nicht ihrem Herzen zu folgen und sich nicht zu verlieben, denn dieser Weg würde unvermeidlich ins Unglück führen.
»Übrigens, du wirst mich heute Abend bei Annabelle Harding entschuldigen müssen. Sag ihr, dass ich unpässlich bin.« Dorothy Longford, dünn wie eine Bohnenstange, war eine gebieterische Person, und obwohl ihr Gesicht aussah wie feines Pergament, so zeigte es noch immer Spuren der lebhaften Schönheit, die sie früher einmal gewesen war.
Alex verzog belustigt die Lippen. »Das richtige Wort ist indisponiert, wie du weißt, und wenn du nicht hingehst, dann werde ich auch nicht gehen.«
»Unsinn! Du musst gehen. Sie hat ein Auge auf deinen Verlobten geworfen, für ihre schreckliche Tochter. Und sie ist nicht die Einzige. Jede Mutter in dieser Gegend, die eine Tochter hat, die in Frage kommt, wird dort sein, in der Hoffnung, sich einen der Hatton-Zwillinge zu angeln. Du weißt, dass alle Mädchen schamlos hinter den beiden her sind.«
»Christopher ist nicht mein Verlobter«, protestierte Alexandra.
»Unsinn! Als die zukünftige Lady Hatton ist es deine Pflicht, all diese Flittchen im Zaum zu halten. Männer sind nicht kritisch, Liebling, sie heben jeden Rock hoch, der sich ihnen bietet.«
Im Alter von dreizehn Jahren war Alexandra bewusst geworden, wie die Frauen die Hatton-Zwillinge anschauten. Ältere Frauen und Debütantinnen gierten nach der Gesellschaft dieser charmanten, potenten Teufel. Sie hatte erst begriffen, dass diese Anziehungskraft sexueller Natur war, als sie sechzehn geworden war. »Wir wissen nicht einmal, ob die Hattons überhaupt kommen werden.«
»Quatsch mit Sauce! Henry Hatton wird da sein. Annabelle lockt die Männer mit dem Spiel, und diese dekadenten chinesischen Laternen, die sie im Garten aufhängt, laden geradezu zu Intrigen ein!«
»Ich werde dich begleiten, Alex... ich möchte mir dieses Fest auf keinen Fall entgehen lassen. Ich kann dir ja eine meiner Perücken leihen, damit du dein hässliches Haar darunter verstecken kannst, wenn du das möchtest«, neckte Rupert sie gnadenlos.
Alexandra dachte plötzlich an Nicholas und wünschte sich, sie hätte noch einen Tag länger gewartet, bevor sie sich ihr herrliches Haar abschnitt.
»Was zum Teufel tust du da?«, fragte Nicholas Hatton, als er mit dem zottigen schwarzen Wolfshund auf seinen Fersen um den östlichen Flügel des Hauses bog.
Sein Zwillingsbruder zielte und traf den gebogenen Schnabel eines steinernen Greifen, der auf dem Dach von Hatton Hall stand. Der Hund sprang vor und begann wütend zu bellen. Christopher zielte mit der Pistole auf den Wolfshund. »Ruf ihn zurück, wenn du nicht möchtest, dass er mit einer Kugel im Kopf endet.«
Nicholas wusste, dass der Wagemut seines Bruders nur gespielt war. »Bei Fuß, Leo«, befahl er, dann ging er ohne zu zögern auf seinen Bruder zu und nahm ihm die Pistole ab.
Kit grinste und deutete stolz auf den Greifen. »Mach mir das nach!«
»Bist du noch ganz bei Tröste, die Statuen von Hatton als deine Zielscheibe zu benutzen? Du weißt nichts zu schätzen!«
»Ich bin sicher, wir können es uns leisten, ein paar Ornamente zu ersetzen, falls sie beschädigt werden«, meinte Kit gedehnt.
»Hier geht es nicht um Geld. Hatton Hall steht jetzt seit beinahe zwei Jahrhunderten. Diese Greifen sind antike Kunstwerke. Du solltest das Zuhause deiner Vorfahren mehr schätzen.« Nicholas fühlte eine tiefe, immerwährende Liebe für Hatton Hall und das üppige Land, auf dem das Haus stand. Irgendwie war es die einzige Verbindung, die er je zu seiner Mutter gehabt hatte, von der er nur durch die liebevollen Geschichten und Erinnerungen der Dienerschaft etwas erfahren hatte.
»Vielleicht ist es dir viel zu viel wert, oder ist vielleicht Begierde ein besseres Wort für das, was du fühlst? Da Hatton Hall eines Tages mir gehören wird, geht dich das, verdammt, gar nichts an. Weißt du, Nick, du hast die Angewohnheit, den Leuten immer ganz genau zu sagen, wie sie ihr Leben führen sollen, und noch dazu tust du das auf eine so überhebliche, herablassende Art. Ich würde vorschlagen, du hebst dir deine Befehle für Hatton Grange auf.«
Es war klar, dass Christopher den Titel, Hatton Hall und den großen Park von Hatton erben würde, während Nicholas die Pferdezucht von Hatton Grange zugesprochen bekäme. Graue Augen starrten in graue Augen, bis ein Augenpaar sich senkte. Christopher wusste tief in seinem Herzen, dass sein Zwillingsbruder nichts begehrte, was ihm, Kit, gehörte. Er lachte und hob den Blick. »Dein Löwengebrüll ist viel schlimmer als dein Biss, bis jetzt hast du mir noch nichts angetan. Von jetzt an werde ich die Tauben als Zielscheibe benutzen.« Als sein Zwillingsbruder ihn verächtlich änsah, lenkte er schnell ein. »Ich mache nur einen Scherz, die einzigen Tauben, die mich interessieren, sind die verdorbenen. Ich habe die Absicht, mir heute Abend eine davon zu nehmen.«
»Diese Absicht habe ich auch, aber ich werde am Spieltisch sein«, erklärte Nick ironisch.
Kit zwinkerte ihm zu. »Das ist der Grund, warum man mich Schaden nennt und dich Risiko.«
Nicholas gab ihm die Pistole zurück. Er wusste, dass sein Bruder ihren Vater beeindrucken wollte bei der Jagd in der nächsten Woche. Um ihren einundzwanzigsten Geburtstag zu feiern, waren Einladungen zu einer Gala-Wochenendparty verschickt worden, mit einem Maskenball am Samstag und einer Jagd am Sonntag. »Wenn du möchtest, können wir morgen ein paar Ziele aufstellen, um daran zu üben. Du kannst mir ein paar Tipps geben«, meinte Nick und stellte absichtlich sein Licht unter den Scheffel. »Du bist ein viel besserer Schütze als ich.«
Als sie an diesem Abend bei den Hardings ankamen, suchte Alexandra nach Lady Annabelle, um ihr Dotties Entschuldigung zu überbringen, während Rupert gleich in das Kartenzimmer ging. Die Hatton-Zwillinge waren bereits vor ihm angekommen, und wie üblich hatte er keine Ahnung, wer von beiden wer war. Manchmal half ihr Geschmack bei der Auswahl ihrer Kleidung - Kit liebte es, beige oder Burgunderfarben zu tragen, während Nick blau und grau bevorzugte - doch in ihrer schwarzen Abendkleidung sahen beide gleich aus. Ihre dunklen, kurz geschnittenen Locken kräuselten sich über ihren gestärkten, hohen Kragen. Ihre Krawatten waren kunstvoll gebunden, und unter den schwarzen, teuren Jacken, die ihnen wie angegossen passten, trugen sie blütenweiße Hemden. Lässig hielten sie die Karten mit ihren langen Fingern, während sie gut gelaunt mit den anderen Spielern plauderten.
Plötzlich verschwanden die Falten auf Ruperts Stirn, und das Rätsel war gelöst. Kit gewann nur selten am Spieltisch, Nick verlor nie. Rupert begrüßte seinen Freund Kit, der die Karten auf den Tisch warf, sein Glas leer trank und dann aufstand. »Ich habe mehr Glück, wenn ich auf das schöne Geschlecht setze«, erklärte er. Ehe er den Kartenraum verließ, nahm er zwei Gläser vom Tablett eines Dieners und leerte beide. »Ich habe heute Abend einen Bärenhunger, Rupert. Ich wette mit dir um eine Guinee, dass ich Olivia Harding in die Rhododendron-Büsche locken kann.«
»Wusstest du nicht, dass Nick in letzter Zeit Olivia seine Aufmerksamkeit schenkt?«
Kit stieß seinen Freund in die Rippen. »Sei doch nicht ein solcher Einfaltspinsel, Rupert. Natürlich weiß ich das. Das macht es ja zu einer solchen seltenen Herausforderung. Es ist für mich eine Ehre, jede Frau zu bezaubern, die sich in Nick verliebt. Es ist so teuflisch einfach!«
»Aber du hast den Vorteil, dass du den Titel erben wirst«, erklärte Rupert offen.
»Genau.« Kit lachte. »Ich folge nur dem Vorbild meines Vaters. Ehe er heute Abend hier verschwindet, wird er mit Annabelle geschlafen und Lord Hardings Brandy getrunken haben, allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.«
Im Ballsaal lehnte Alexandra die Einladung zum Tanz von drei begehrten Junggesellen ab, von denen einer der Erbe einer Grafschaft war, ehe sie in den Kartenraum entschwinden konnte. Dort entdeckte sie einen der Hatton-Zwillinge und hielt den Atem an, in der Hoffnung, dass es Nicholas war. Ihr Herz schlug heftig, als sie bemerkte, dass seine grauen Augen ihre kurz geschnittenen Locken amüsiert musterten.
»Hallo, Satansbraten. Du hast es wieder einmal geschafft, wie ich sehe.«
Seine tiefe Stimme klang ltebevoll bei der Erwähnung ihres Spitznamens, und ein Schauer des Vergnügens rann ihr über den Rücken. »Hallo, Nick. Ich habe wohl vergebens gehofft, es würde die Mitgiftjäger abschrecken. Deshalb habe ich mich entschieden, bei dir Zuflucht zu suchen und die Nacht mit Glücksspielen zu verbringen.«
Die Belustigung wich aus seinem Blick. »Das wirst du nicht tun, Alexandra.«
Er redete wie ein erwachsener Mann, der zu einem Kind spricht, und wieder einmal machte es sie wütend. »Warum denn nicht?«, fuhr sie ihn an. »Ich kann alle Spieler in diesem Raum besiegen. Das solltest du wissen, denn immerhin hast du mir das beigebracht.«
Nicholas gab dem Kartengeber ein Zeichen, dass er nicht weiterspielen würde, dann lächelte er charmant die älteren Damen auf der anderen Seite des Tisches an und nickte den Männern und seinem Gastgeber, Lord Harding, zu. »Bitte entschuldigen Sie uns.« Er fasste Alexandra fest am Ellbogen und führte sie aus dem Kartenzimmer. »Du kannst nicht hier bei den Männern sitzen und die ganze Nacht spielen. Das würde deinen Ruf unwiderruflich schädigen.«
»Es waren auch noch andere Frauen da!« Ihre Stimme klang empört.
»Alexandra, das sind Witwen, die dem Spiel verfallen sind, und sie befinden sich längst in einem Alter, wo sie sich über ihren Ruf keine Sorgen mehr zu machen brauchen.«
»Es hätte meinem Ruf nicht geschadet, wenn ich zusammen mit den Witwen am Tisch gesessen hätte«, behauptete sie.
»Nicht, solange du nicht angefangen hättest, zu betrügen, du kleine Teufelskatze. Dann hättest du dafür bezahlen müssen.«
»Hast du wenigstens Laclos' Buch Les liaisons dangereuses für mich besorgt?«
»Nein.« Seine Stimme war so tief, dass sie wie ein Brummen klang, ein warnendes Brummen.
Alex ignorierte diese Warnung. »Warum nicht?«, wollte sie wissen.
»Weil es unpassend ist für dich, es geht dabei um eine ungeheuer obszöne Verführung.«
»Ich muss alles über Sex lernen, wenn ich meine eigenen Romane schreiben will.«
»Fängst du schon wieder damit an? Was bist du doch für ein unerträgliches Kind.«
Sie sah ihm in die Augen. Sie waren wie endlose graue Tümpel, so tief, dass sie sich vorstellen konnte, darin zu ertrinken. Sie blinzelte schnell, seine Ablehnung hatte sie verletzt, und sie fürchtete sich davor. »Was zum Teufel ist nur los mit dir, Nick? Wir haben schon immer gewagte Eskapaden und große Abenteuer miteinander geteilt.«
»Das war zu der Zeit, als ich noch ein Schuljunge aus Harrow war. Jetzt bin ich erwachsen, offensichtlich etwas, das du noch nicht bist, du Satansbraten.«
Sie stieß ein unanständiges, verächtliches Geräusch aus. »Wie kannst du dich aus den uralten, unerreichbaren Höhen deiner einundzwanzig Jahre dazu herablassen, auch nur mit mir zu reden?«
Sie war zweifellos die Frau, die ihn am meisten verärgerte, doch als er auf ihr helles Haar blickte, überkam ihn sein Beschützerinstinkt. Er begriff, dass sie wohl das Bedürfnis hatte, darüber zu reden, wenn sie etwas so Drastisches tat, wie ihr wunderschönes Haar abzuschneiden. »Wenn du mir versprichst, für die nächste Stunde deinen Impuls, etwas Schlimmes anzustellen, zu unterdrücken, dann können wir uns um zehn im Sommerhaus treffen und miteinander reden.«
Nick entdeckte Rupert in intimer Unterhaltung mit einer hübschen blonden Frau und winkte ihm zu. »Rupert, begleite deine Schwester zum Abendessen. Und lass sie nicht aus den Augen, denn sie braucht einen Aufpasser.« Er ging zurück in das Kartenzimmer, entschuldigte sich für die Unterbrechung und nahm das Spiel wieder auf. Während der nächsten Stunde beteiligten sich die meisten der Männer an dem Spiel, und um zehn Uhr war Nick Hatton um hundert Guineen reicher, die er zu dem Geld legen würde, das er sparte, um ein paar reinrassige Fohlen für seine Zucht auf der Grange zu kaufen.
Als er an dem Speisesaal vorüberging, sah er, dass er leer war. Er holte sich eine Flasche Champagner und zwei Gläser und ging in den von Laternen erhellten Garten. Junge Leute hatten sich auf der Terrasse versammelt, sie lachten und flirteten miteinander, die abenteuerlustigen unter ihnen spazierten über den Rasen und über die mit Kies bestreuten Wege, die von Eiben und Trauerweiden beschattet wurden. Nicholas stieg der schwere Duft des Rhododendron in die Nase, gerade in dem Augenblick, als eine junge Frau aus den Büschen auftauchte. Sein zynischer Blick erfasste Olivia Harding, und er sah ihr zerknittertes Kleid und ihr zerzaustes Haar.
»Christopher«, keuchte sie und zog schnell das Kleid über die Schulter, um ihre halb entblößte Brust zu bedecken.
»Ich fürchte, ich bin Nicholas, Christopher ist gleich hinter dir.«
Voller Entsetzen wirbelte Olivia herum, dann stotterte sie: »Aber... er hat so getan, als sei er du...« Sie landete einen heftigen Schlag in Kits Gesicht und bestätigte so, was sie getan hatten, dann floh sie in den Schatten.
»Sie lügt«, erklärte Kit gedehnt, während er sein Hemd in die Hose steckte. »Sie konnte es kaum erwarten, uns zu vergleichen, um zu sehen, ob ich genauso... wertvolle Attribute besitze wie du. Glücklicherweise war das so.«
»Wenn das so ist, dann aber nur, weil du deinen Verstand in deinem Schwanz trägst«, erklärte Nick eisig. Sich die Dirnen zu teilen, war eine Sache, in die Betten der unzufriedenen Frauen der gehobenen Gesellschaft zu springen, war eine Freude, die sie sich teilten, doch unerfahrene Debütantinnen waren eine ganz andere Sache. Nick hätte Kit am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, doch er wusste, dass sein Zwillingsbruder getrunken hatte und dass er kein würdiger Partner war für die Wut, die er in ihm geweckt hatte. Mit Mühe zügelte Nick seinen Zorn, er sagte sich, dass sein Herz nicht betroffen war, wenn es um Olivia Harding ging oder um eine andere Frau, die ihm Kit absichtlich abspenstig gemacht hatte. Gott sei Dank besaß er mehr Verstand, als sein Herz aufs Spiel zu setzen.