Christopher Hatton sah zu, wie Nicholas seinen Koffer packte. Er beneidete ihn um die Uniform der Royal Horse Artillery, und ganz besonders um die Waffen. Die versilberten Steinschlosspistolen hatten Zwölf Inch-Läufe und verzierte Griffe.
Sie trugen das Emblem der Krone mit den Initialen GR für Georgius Rex.
»Nimmst du dein Pferd mit?«, fragte Kit.
»Ja, ich kenne seinen Wert, immerhin habe ich es selbst gezüchtet. Ich werde bis nach Portsmouth reiten, und für mein Gepäck werde ich ein Packpferd mitnehmen.«
»Musst du denn wirklich heute schon weg?« Kits Stimme klang unwirsch.
»Was hätte es denn für einen Zweck, wenn ich meine Abreise noch hinauszögern würde?« Sie sahen einander lange an.
Schließlich senkte Kit den Blick. Er fühlte seinem Zwillingsbruder gegenüber einen großen Groll für das, was er getan hatte. Er hatte nichts dagegen, dass Nick in die Armee eingetreten war, aber warum zum Teufel war er nicht zu den Horse Guards gegangen, dann wäre er in London stationiert worden. Es war die bevorstehende Trennung, die Kit so wütend machte. Er hatte sich zwei Tage lang geweigert, daran zu denken, aber jetzt war Donnerstag, und Nicks Abreise stand bevor. Er konnte an nichts anderes mehr denken.
Kit fürchtete, dass er ohne Nick seine Identität verlieren würde. Sie waren Zwillinge, und sie waren immer zusammen gewesen. Zwillinge unterstützten einander, traten füreinander ein. Und jetzt verließ Nick ihn, er ließ ihn im Stich, und was noch viel schlimmer war, er schien dabei glücklich zu sein! Ein Gefühl der Panik stieg in ihm auf, und er brauchte seine ganze Kraft, um sich nicht davon überwältigen zu lassen. Kit fragte sich, was er getan hatte, um eine dermaßen ungerechte Behandlung von seinem Bruder zu erfahren.
Nicholas war sich bewusst, dass Christopher etwas gegen seine Abreise hatte, aber er war davon überzeugt, dass Kit von ihrer Trennung am Ende nur profitieren würde. Er hatte seinen Zwillingsbruder lange Zeit in den Schatten gestellt, und jetzt würde Kit die Möglichkeit haben, auf eigenen Beinen zu stehen und ein Mann zu werden.
Als es Zeit zur Abreise war, entschied Nick, dass eine Geste nötig war, um seinem Bruder zu zeigen, dass er seine Hilfe brauchte. »Ich bin vollkommen pleite, Kit. Könntest du mir einen Zehner für die Reise geben?«
»Du Dummkopf! Warum hast du nicht schon längst etwas gesagt?« Kit leerte seine Taschen, ging in sein Zimmer und gab ihm weitere zwanzig Pfund.
»Danke, Kit. Ich bin dir noch etwas schuldig.« Nick umarmte seinen Bruder, bat ihn, auf sich aufzupassen, dann hob er seinen Koffer auf die Schulter. »Komm nicht mit mir nach unten, ich muss das allein erledigen.«
Kit starrte noch lange auf die Tür, nachdem Nick gegangen war. Du Bastard, Nick! Du ziehst es vor, die Dinge allein zu erledigen!
Am Abend war Christopher Hatton sturzbetrunken. Als Rupert ihn in der Curzon Street besuchen kam, erklärte ihm Fenton, der Butler, dass Lord Hatton keine Besucher empfing. Rupert stand einen Augenblick mit gerunzelter Stirn vor dem Mann. Was zum Teufel hatte sein Freund vor? Dann aber hellte sich sein Gesichtsausdruck auf. »Er hat sicher ein Mädchen bei sich«, murmelte er vor sich hin. »Also gut. Ich denke, ich werde ihn morgen Abend im Burlington House sehen.«
Am nächsten Morgen ging Christopher Hatton zur Bank. Er hob eine stattliche Summe ab und sagte sich, wenn er großzügig Geld ausgab, würde ihm das den Teufel austreiben. Ehe er die Bank verließ, begegnete er Jeremy Eaton.
»Hallo, Harm. Ich hatte gehofft, dich zu treffen.«
Kit wurde zornig, weil sein Cousin ihn nicht mit seinem Titel anredete, er verbarg jedoch seinen Ärger, weil er fühlte, dass der junge Eaton nicht ohne Grund hier war. Da er keinerlei Respekt zeigte, war Kit vorsichtig. »Woher willst du wissen, dass ich nicht Nicholas bin?«
Jeremy lachte leise. »Was könnte Nick denn schon hier in der Bank wollen, wo doch du das ganze Geld besitzt? Es sei denn, du hättest ihn dafür bezahlt, dass er die ganze Sache auf sich nimmt.«
»Ich weiß gar nicht, wovon du überhaupt redest!«
»Oh, ich glaube, das tust du doch, Harm. Denk daran, ich war am Tag des tödlichen Unfalls dabei.«
Kits Gesicht wurde kreidebleich, und er glaubte, ohnmächtig zu werden. »Was zum Teufel willst du damit andeuten?«, bluffte er.
»Ich deute gar nichts an, Harm, obwohl ich das ganz sicher könnte. Ich kann meinen Mund halten. Ich würde niemals einer Seele verraten, dass ich nahe genug am Ort des Unfalls war, um zu hören, wie du dich an diesem Tag mit deinem Vater gestritten hast.«
Panik stieg in Kit Hutton auf, das Blut kehrte in sein Gehirn zurück, und sein Kopf begann zu dröhnen. Nick hatte ihn vor diesem schleimigen Kerl gewarnt, aber er hatte die Worte seines Zwillingsbruders ignoriert. Kits Panik verstärkte sich. Nick war nicht mehr da, und würde nicht in der Lage sein, sich mit den Problemen auseinander zu setzen. Kit verfluchte seinen Bruder insgeheim, weil er ihn verlassen hatte und es jetzt ihm überließ, sich mit dieser Sache zu beschäftigen.
Jeremy lächelte. »Blut ist dicker als Wasser, Cousin, du kannst mir absolut vertrauen. Um von etwas anderem zu reden, ich habe mich gefragt, ob du mir vielleicht etwas Geld leihen kannst? Ich habe Informationen über eine sehr gute Investition bekommen, und mir fehlen fünfhundert Pfund, um einzusteigen.«
Kit wusste, dass er erpresst wurde, doch wenn fünfhundert Pfund diesen elenden Kerl davon abhalten würden, zu verraten, dass er den tödlichen Schuss abgegeben hatte, dann war es die Sache wert. »Ich denke, das würde sich einrichten lassen«, erklärte Kit steif.
»Danke, Lord Hatton, ich hatte gehofft, dass ich auf dich zählen kann.«
»Sprich nicht mehr darüber«, murmelte Kit höflich.
»Absolut nicht«, versprach ihm Jeremy.
Am gleichen Morgen begleitete Dottie Longford Alexandra zu Madame Martine, einem eleganten Bekleidungsgeschäft in der Bond Street. »Das einzige Mal, dass Madame Martine Frankreich je gesehen hat, war an einem klaren Tag, als sie auf den Klippen von Dover stand.«
Das Geschäft war nur fünf Minuten vom Berkeley Square entfernt, und Alex war umgeben von eleganten Menschen, die ihre Einkäufe erledigten. Als sie das Geschäft betraten, wurden sie mit Aufmerksamkeit überschüttet, und Alex wusste, dass Madame Martine die wohlhabende Witwe erkannt hatte.
»Meine Enkelin braucht ein Kleid für den Empfang im Burlington House heute Abend. Etwas, das im Kontrast steht zu ihrer herrlichen Haarfarbe.«
»Heute Abend, Lady Longford, mais...« Martine schien entsetzt, weil ihr nur so wenig Zeit blieb.
»Aber gar nichts. Wenn Sie yns nicht bedienen können, werden wir woanders hingehen.«
»Non, non, es wird mir eine große Freude sein«, versicherte ihr Madame.
»Das wird es ganz sicher«, stimmte ihr Dottie zu.
Alex unterdrückte ein Lächeln und setzte sich auf einen der zierlichen, vergoldeten Stühle. Eine Assistentin brachte zwei weiße Kleider, beide passend für eine junge Debütantin.
»Wir wollen kein weißes Kleid.« Dottie winkte ab.
»Aber Lady Longford, Weiß zeugt von einem guten Geschmack.«
»Ich hasse guten Geschmack, er beweist nur einen Mangel an Mut.«
Die Assistentin brachte ein rosafarbenes Kleid und ein anderes in einem gedeckten Lavendelton. Alex probierte es an, betrachtete sich im Spiegel. Winzige Fältchen aus Chiffon umschmeichelten die hohe Taille, und als sie ein paar Schritte machte, veränderte sich die Farbe des Kleides im Wechsel von Licht und Schatten. Ihre Augen leuchteten. Sie wollte gerade erklären, dass sie dieses Kleid unbedingt haben wollte, als Dottie vorsichtig einen Finger auf die Lippen legte.
»Mmm, das könnte gehen«, meinte Dottie unsicher. »Aber es fehlt noch etwas. Ich denke, wir nehmen es« - sie hob ihren Stock aus Ebenholz, »wenn Sie uns noch diesen violetten Umhang dazu geben, den Sie dort ausgestellt haben.«
Madame Martine, die ihren Profit schwinden sah, protestierte. »Aber Lady Longford, der Umhang ist aus feinstem Kaschmir!«
»Das will ich doch hoffen... für uns gibt es nichts Billiges. Ein Paar lange Wildlederhandschuhe wären auch ganz nett. Machen Sie keine Umstände und packen Sie alles ein! Wir können hier nicht den ganzen Tag verschwenden. Wir werden zurückkommen, um eine neue Garderobe zu ordern, wenn wir mehr Zeit haben.«
Als sie das Geschäft verließen, meinte Alex: »Danke für das Kleid und den wunderschönen Umhang aus Kaschmir. Du bist ganz schön gerissen.«
»Ich liebe es zu handeln. Ich hatte einen Vorfahren, der ein berühmter Teppichdieb auf dem Basar war, oder war es jemand, der berühmt dafür war, bizarr zu sein? Ich habe vergessen, wie es war.«
Als sie den Berkeley Square erreichten, wollte Rupert zum Hyde Park reiten, um zu sehen, ob Kit Hatton dort war, weil er ihn schon seit zwei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Als er jedoch Alexandras Kleiderschachtel entdeckte, zog er die Augenbrauen hoch. »Madame Martine, du liebe Güte. Das teuerste Geschäft in der ganzen Bond Street!«
»Du solltest dich mit deinen Worten zurückhalten, wenn du mit den Ladys der Familie sprichst, und darüber, wo sie einkaufen.« Dottie musterte ihn von Kopf bis Fuß und starrte auf seine teuren Reithosen, die Weste und das Jackett. »Die Bond Street ist auch nicht teurer als die Savile Row, möchte ich wetten.« Sie deutete mit ihrem Stock in Richtung auf das Frühstückszimmer. »Ich möchte mit dir reden, Rupert.«
Gehorsam folgte er ihr in das Zimmer, denn wenn Dottie in diesem Ton mit ihm redete, meinte sie es ernst.
Dottie schloss die Tür hinter ihnen. »Wie weit bist du gekommen mit einer Erbin? Hast du bereits eine im Auge?«
»Nun ja, noch nicht... immerhin bin ich noch nicht einmal eine Woche hier!«
»Wenn man der Bibel glaubt, hat Gott die Erde in weniger als einer Woche erschaffen«, erklärte sie spöttisch. »Rupert, es ist mir gelungen, einen Kredit bei der Bank zu bekommen, und ich habe tausend Pfund für deine geschäftlichen Angelegenheiten beiseite gelegt.«
»Geschäftliche Angelegenheiten?«, fragte er unsicher.
»Das Geschäft, dir eine reiche Frau zu angeln, du Dummkopf! Ich werde dir jetzt fünfhundert Pfund geben für deine Ausgaben, für einen Ring und andere Kleinigkeiten und noch einmal fünfhundert, wenn du dich verlobst.«
»Tausend Pfund, um eine reiche Frau zu finden, ist nicht gerade viel.«
»Sieh es als Herausforderung, Rupert. Immerhin besitzt du einen Titel, du bist jung, gesund und siehst ganz angemessen aus. Was könnte ein Mädchen mehr wollen?«
Er dachte an seine leeren Taschen. »Könnte ich das Geld heute schon haben?«
»Ich werde dir fünfhundert Pfund heute geben, wenn du mir dein Ehrenwort gibst, dass du dich nicht in Schulden stürzt. Ich möchte nicht, dass dich jemand von der Straße aufliest und ins Fleet-Gefängnis wirft, wie es deinem Vater passiert ist. Ich besitze nicht die Mittel und habe auch nicht die Absicht, dich aus dem Gefängnis freizukaufen. Und du wirst Alexandra gegenüber kein Wort von all dem erwähnen. Ich werde tausend Pfund für ihre Mitgift beiseite legen, aber wir können nicht damit rechnen, dass sie vor Ablauf eines Jahres Lady Hatton wird, wir müssen warten, bis Christophers Trauerzeit vorüber ist.« Dottie deutete zur Tür. »Und jetzt verschwinde. Sieh dir die Vögel im Park an... das Burlington House wird heute Abend ebenfalls ein guter Jagdgrund sein, du solltest die Gelegenheit ergreifen.«
Alexandra war schrecklich aufgeregt, als die Mietkutsche den Piccadilly entlang zum Burlington House fuhr. Sie hatte Nicholas nicht mehr gesehen, seitdem sie zur Curzon Street gelaufen war. Nick wollte sie heute Abend sehen, und sie konnte an nichts anderes mehr denken.
Rupert, der seine Großmutter und seine Schwester am Arm hatte, ging mit ihnen die Marmortreppe des Herrenhauses hinauf, das der Graf und die Gräfin von Carlisle vom Bruder der Gräfin, Hart Cavendish, dem Herzog von Devonshire, gemietet hatten. Dottie, die in ihrer orangefarbenen Perücke und dem mit schwarzen Perlen besetzten Kleid prächtig aussah, bildete einen Kontrast zu Alexandra, die das lavendelfarbene Chiffonkleid trug.
Sie wurden von Harts Großmutter, Lady Spencer, begrüßt, die ihre Freundin seit der Beerdigung von Henry Hatton nicht mehr gesehen hatte. »Dottie, endlich treffen wir uns unter glücklicheren Umständen. Ich habe dich vergangene Woche im Devonshire House vermisst.«
Rupert wollte verschwinden, doch Alex blieb neben ihrer Großmutter stehen, obwohl sie innerlich vor Aufregung zitterte. Als der Gastgeber und die Gastgeberin zu ihnen traten, um sie zu begrüßen, hoffte Alex, dass Harts Schwester Dorothy sie nicht fragen würde, warum sie sich nicht im Theater mit ihr getroffen habe. Sie atmete erleichtert auf, als diese ihre ganze Aufmerksamkeit auf Alexandras Umhang aus Kaschmir richtete.
Hart entführte Alex schon bald von der Gruppe, unter dem Vorwand, ihr das Burlington House zu zeigen. Sie blickte über die Menge und hoffte, Nick zu entdecken und war überrascht, als sie im Ballsaal Annabelle Harding und ihrer Tochter Olivia begegnete. »Guten Abend, Lady Harding. Hallo, Olivia.«
»Also hat Lady Longford dich schon früher nach London gebracht, wie nett.« Annabeiles verärgerter Blick strafte ihre Worte Lügen.
Alex stellte fest, dass Olivia Harding, die normalerweise vor Gesundheit nur so strotzte, ungewöhnlich blass aussah.
»Lord Harding und mein Sohn Harry sind verschwunden. Haben Sie die beiden gesehen, Euer Ehren?«
»Sie sind wahrscheinlich im Kartenzimmer, Lady Harding.« Hart verbeugte sich höflich und zog Alex mit sich fort. »Ich fühle mich immer ein wenig unwohl, wenn mich jemand mit Euer Ehren anspricht. Mir ist es viel lieber, wenn man mich Hart oder Hartington nennt.«
Alex sah mit einem schelmischen Blick zu ihm auf. »Wirklich, Euer Ehren ? Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum das so ist, Euer Ehren.«
»Sie hänseln mich wohl gern, Alex. Da wir schon im Ballsaal sind, könnte ich mir vorstellen, dass Sie gern tanzen würden, Mam''seile}«
»Und ich stelle mir vor, dass Sie das nur fragen, weil Sie glauben, es sei Ihre Pflicht. Mir wäre es viel lieber, wenn wir uns weiterhin das Haus ansehen würden, Euer Ehren.«
Sie wollten gerade die geschwungene Treppe zur Galerie hinuntergehen, als Harts Schwester Dorothy angelaufen kam und nach seinem Arm griff. »Die Kutsche des Regenten ist gerade vorgefahren«, erklärte die Gräfin von Carlisle aufgeregt. »Ich hatte keine Ahnung, dass er heute Abend kommen würde. Bitte,.hilf mir bei der Begrüßung, Hart.«
Alex gab ihn frei. »Gehen Sie schnell, ich sehe Dottie dort drüben.« Doch statt zu ihrer Großmutter zu gehen, lief Alex in Richtung des Kartenzimmers, auf der Suche nach dem Menschen, mit dem sie ihre Zeit verbringen wollte. Ihr Herz begann zu rasen, als sie die wohl bekannte, große dunkle Gestalt vor sich auf dem Flur entdeckte. »Nick«, rief sie und lief, um ihn einzuholen.
Der Mann wandte sich um und lächelte sie erfreut an. »Alex, ich bin Kit. Aber in der nächsten Zeit wirst du uns beide wohl nicht mehr verwechseln. Nick ist gestern abgereist.«
»Abgereist?« Alex stockte der Atem.
»Er hat England verlassen, um zu seinem Regiment zu stoßen. Sicher hat er dir das erzählt, Alex?«
Er hat mir sein Wort gegeben. »Bei meiner heiligen Ehre, Alexandra, ich habe nicht die Absicht«, hatte er behauptet, als sie ihn gefragt hatte, ob er in die Armee eintreten würde. Du Bastard, Nick Hatton, du hast mich absichtlich belogen! »Nein, eigentlich hat er mir kein Wort davon gesagt. Er hat behauptet, er würde mich heute Abend im Burlington House treffen.« Ihr Kopf begann zu dröhnen.
»Er hat dich absichtlich angelogen? Was für eine Niedertracht! Nick hatte es so eilig, als würde er vor etwas davonlaufen. Ich konnte ihn nicht überreden zu bleiben, obwohl ich alles versucht habe.«
Er ist vor mir davongelaufen! Lieber Gott, ich werde ohnmächtig.
»Du siehst heute Abend ganz besonders bezaubernd aus, Alex. Ich möchte dich malen in diesem Kleid... die Farben verändern sich in Licht und Schatten, wenn du dich bewegst.«
Er war einfach nur galant und machte ihr Komplimente, doch sie konnte ihm kaum etwas erwidern. Alles, woran sie denken konnte, war Nicholas. Was er mir gesagt hat, als ich ihm vorschlug, mich zu heiraten, war die Wahrheit. Er hat gesagt: »Ich habe dich immer als meine kleine Schwester betrachtet, Alex. Es wäre unmöglich, dich auf eine andere Art zu sehen.« Ich habe ihm nicht geglaubt, bis zu diesem Augenblick nicht. Ich muss blind gewesen sein. Gott, wie sehr ich dich hasse, Nick Hatton!
Rupert trat zu ihnen. »Da bist du ja, Kit. Seine königliche Hoheit, der Prinz von Wales, ist gerade angekommen. Oh, Alex, hast du schon die erstaunliche Neuigkeit gehört? Nick ist in die Royal Horse Artillery eingetreten! Wie ich ihn für seinen Mut beneide!«
»Es gibt Männer, die können nicht ohne Pomp leben«, erklärte sie abweisend. »Ich muss mir den Prinzregenten ansehen. Ich habe gehört, er ist so schwer wie ein Nilpferd. Zeig mir doch, wo er ist, Rupert.«
»Wir treffen uns im Kartenzimmer, Rupert, und vielleicht habe ich das Vergnügen, dich später im Speisesaal zu sehen, Alex.« Kit sah ihr zufrieden lächelnd nach.
Als Christopher auf dem Weg in das Kartenzimmer an der Bibliothek vorüberging, entdeckte er Olivia Harding, die gleich hinter der Tür stand und ihm zuwinkte. »Hallo, Olivia. Wie ich sehe, ist deine Familie schon früh wieder nach London zurückgekehrt.«
»Würdest du bitte für einen Augenblick hereinkommen, Kit? Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«
Der leise, bittende Ton in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen.
Ihre blauen Augen schauten ängstlich, als er vorsichtig einen Schritt über die Schwelle machte. »Kit, ich bin in Schwierigkeiten«, platzte sie heraus.
Sofort erstarrte er. »Was für Schwierigkeiten?«
»Du weißt schon... oh, bitte, zwinge mich nicht dazu, es auszusprechen.« Sie legte die Hand auf ihren Bauch. »Wir... ich glaube, ich werde ein...« *
»Was zum Teufel hat das mit mir zu tun, Olivia? Oh, ich verstehe, Nick ist abgereist, um gegen die Franzosen zu kämpfen, und das ist zweifellos der Grund dafür, warum er es so verdammt eilig hatte!«
Olivia war entsetzt. »Es war nicht Nick... das warst du, Kit!«
»Du irrst dich gewaltig, Olivia«, erklärte er kalt. »Wir beide werden oft miteinander verwechselt.«
»Ich habe euch nicht verwechselt, obwohl ich offensichtlich einen schrecklichen Fehler gemacht habe.« Die Verzweiflung in ihrer Stimme war deutlich zu hören. »Wenn du mir keinen Antrag machst, Kit, was soll ich dann bloß tun?«
»Olivia«, erklärte er steif, »du musst doch wissen, wenn ich einmal heirate, wird Alexandra Sheffield meine Frau werden. Es war Vaters letzter Wunsch vor dem tragischen Unfall. Und es ist auch allgemein bekannt, dass wir schon seit unserer Kinderzeit einander versprochen sind.«
Olivias Gesicht war gerötet von der Erniedrigung, die sie bei Christopher Hattons kalter Abweisung empfand. Ihre Schultern sackten zusammen, doch es gelang ihr, das Kinn zu heben, als sie an ihm vorbeiging.
Als Kit ihr nachsah, war das zufriedene Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Er fühlte Panik, als er sich nervös das Haar aus der Stirn strich. Gütiger Himmel, Nick, du bist erst einen Tag weg und schon jetzt stürzen sich die Geier auf ihre Beute. Zuerst dieser Bastard Eaton und jetzt die verdammte Olivia Harding!
Alexandras rasende Wut auf Nick Hatton ließ ihren Kopf dröhnen und ihr Mund war ganz trocken. Sie nahm ein Glas Champagner von einem silbernen Tablett, das ihr ein livrierter Diener hinhielt, und trank es mit einem Schluck leer. Sie legte die Hand an die Stirn und wusste, dass der Champagner alles nur noch viel schlimmer machen würde. Was sie brauchte, war frische Luft, entschied sie, und ging hinaus auf den Balkon. In der Dunkelheit entdeckte sie eine einsame Gestalt.
»Oh, Olivia, du hast mich erschreckt. Mein Kopf dröhnte so sehr, dass ich hier draußen Zuflucht gesucht habe.«
»Ich habe auch schreckliche Kopfschmerzen.« Tränen verschleierten ihren Blick. »Ich fühle mich ganz krank.«
»Oh, das tut mir so Leid. Musst du dich übergeben?«, fragte Alex, und aus ihrem Zorn wurde plötzlich Mitleid.
»Natürlich nicht!«, fuhr Olivia auf. »Warum denkst du so etwas?«
Alex hörte die Angst in ihren Worten und nahm an, dass Olivia sich vor dem Klatsch fürchtete. Sie war verletzt, weil Olivia glaubte, sie wäre in der Lage, ein solches Gerücht in die Welt zu setzen. »So habe ich das doch nicht gemeint. Ich würde am liebsten nach Hause gehen, aber da der Regent hier ist, wäre das sehr unhöflich.«
»Niemand würde jemals etwas Schlechtes von dir denken, Alexandra Sheffield!«
Alex hörte den Sarkasmus in ihrer Stimme und fragte sich, was zum Teufel sie Olivia angetan hatte. »Wenn du etwas isst, wirst du dich besser fühlen. Entschuldige mich.« Essen war das Letzte, was Alex wollte, dennoch verließ sie den Balkon und kehrte in den Ballsaal zurück. Es dauerte nicht lange, bis Hart nach ihr suchte. Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln und fragte sich, wie lange sie diesen Abend wohl noch ertragen konnte.
Eine Stunde später, als Hart sie in den Speisesaal begleitete, sah sie seine beiden Schwestern mit Ehemännern wieder, die zu beiden Seiten seiner Königlichen Hoheit, Prinz George, saßen. Das Essen und die Getränke, mit denen sie ihn verwöhnt hatten, hatten ihn offensichtlich in eine sentimentale Stimmung versetzt, denn in dem Augenblick, als er Alexandras rotgoldene Locken entdeckte, wurde er von Erinnerungen an seine geliebte Georgiana überwältigt.
»Er wird noch in falschem Pathos ertrinken«, murmelte Hart Alex zu.
»So viel Glück werden wir nicht haben«, entgegnete sie bissig. »Wenn er noch mehr Krokodilstränen vergießt, werden wir es sein, die ertrinken werden.«
Christopher kam in den Speisesaal und ging auf Alex und Hart zu. »Ich hatte gehofft, du würdest mich mit deiner Anwesenheit beim Essen beehren, Alexandra.« Seine Stimme klang besitzergreifend.
Alex runzelte die Stirn, und der Schmerz in ihrem Kopf wurde noch größer. Was zum Teufel machte Kit plötzlich so eifrig? Ihr Blick ging von ihm zu Hart, und sie fand, dass die beiden zwei Hunden glichen, die die Zähne fletschten.
»Ich weigere mich, ein verdammter Knochen zu sein«, murmelte sie. Oder eine Hündin, fügte sie schweigend hinzu und machte sich auf die Suche nach ihrer Großmutter.
Sie schlang den violetten Kaschmirschal um ihre Schultern, und als sie sich umwandte, entdeckte sie Hart. Er lächelte sie an und sprach mit Dottie. »Ich würde gern Ihre Erlaubnis haben, Alexandra nach Hause zu bringen, Lady Longford.«
»Unbedingt, mein Junge. Und darf ich sagen, wie galant Sie sind, einer Jungen Dame und ihrer Großmutter eine Fahrt nach Hause anzubieten?«
Trotz der Schmerzen in ihren Schläfen musste Alexandra lachen. Als die Kutsche mit dem herzoglichen Emblem am Berkeley Square ankam, begleitete Hart pflichtschuldig die beiden Damen zum Haus und wünschte ihnen mit warmer Stimme eine gute Nacht.
Dottie und Alexandra gingen zusammen die Treppe hinauf. »Die Männer sind alle gleich, Liebling, sie haben nur verschiedene Gesichter, damit wir sie voneinander unterscheiden können«, meinte Dottie und lachte.
Alex überlegte, dass das ganz und gar nicht stimmte. Die Hatton-Zwillinge waren nicht gleich, obwohl sie das gleiche Gesicht hatten und es unmöglich war, sie voneinander zu unterscheiden!