21
Als die weißen Klippen von Dover zu sehen waren, empfand Nicholas Hatton große Freude. Er stand an der Reling und dachte über die Ereignisse des vergangenen Monats nach. Nach dem Sieg von Toulouse hatte die Stadt, genau wie Bordeaux, die Besatzer mit offenen Armen begrüßt. Danach hatten sie die wunderbare Nachricht erhalten, dass Napoleon bei Fontainebleau abgedankt hatte, und unter Bewachung auf die Insel Elba geschickt wurde. Wellington wurde zum Held der Eroberer ernannt.
Obwohl man Nick die Wahl gelassen hatte, weiter in Frankreich zu dienen oder nach Amerika geschickt zu werden, wählte er keine der beiden Möglichkeiten. Er hatte genug vom Krieg, daher löste er seinen Rang als Hauptmann ein. Er würde seinem Zwillingsbruder das Geld anbieten, das er als Offizier verdient hatte, als Anzahlung für Hatton Grange. Er würde auf der Grange leben und Pferde züchten. Nick blickte auf die weißen Klippen. Alles, was ich möchte, ist Frieden... ein friedliches Lehen... ein Leben, erfüllt von Frieden.
Alexandras Herz floss über vor Freude, als sie erfuhr, dass der Krieg vorüber war. Nick wird nach Hause kommen!, war ihr erster Gedanke. Dann drängte sich ihr ein anderer Gedanke auf und warf einen Schatten auf ihre Freude. Olivia hatte ein Baby geboren, ein Mädchen! Alle waren sich einig, dass dieses Baby die dunkle Haarfarbe seiner Mutter geerbt hatte. Rupert schien voller väterlichem Stolz zu sein, als er erklärte, dass der Name seiner Tochter Amanda sei. Doch Alex konnte den eisigen Ton in der Stimme ihres Bruders nicht vergessen. Er hatte Nick als Feigling bezeichnet, der mit dem Schwanz zwischen den Beinen davongelaufen war. Ich hasse dich, Nick Hatton!
Ganz London freute sich über den britischen Sieg und die Niederlage Napoleons. In Parks und Gärten wurden Festlichkeiten begangen, um Englands Ruhm zu feiern. Der Prinz von Wales würde die größte Feier besuchen, die drei Nächte lang dauern und mit einem brillanten Feuerwerk abgeschlossen würde.
Alexandra nahm Einladungen von Hart Cavendish und Christopher Hatton an, sie überredete die beiden, sie an verschiedenen Abenden zu begleiten. Beide Männer waren enttäuscht, als sie sich weigerte, am letzten Abend mit ihnen auszugehen. Alex wusste, dass sie am Samstag bei Champagner Charlie auftreten musste, weil sie das Geld jetzt noch mehr brauchte als zuvor, nachdem sie ihre Mutter wiedergefunden hatte. Sie teilte sich die Pflege mit Dottie und Sara, doch konnte sie nicht verhindern, dass ein Arzt bezahlt werden musste. Alex war entschlossen, den gesamten Jahresbetrag an Zinsen an die Coutts Bank zu zahlen, ehe sie zum Herrenhaus von Longford zurückkehrten.
»Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt, mein Schatz«, erklärte Dottie ihrer Enkelin. »Ich werde zwei Flügel des Herrenhauses schließen und alle Möbel verkaufen. Wir werden einen luxuriös eingerichteten Empfangsraum haben, in dem wir unsere Gäste empfangen können, und keiner wird etwas erfahren. Weder Annabelle noch Olivia, und ganz sicher nicht Christopher Hatton, wenn er um deine Hand anhält. Wenn ich mich nicht irre, und das tue ich nie, scheint Lord Hatton sich in letzter Zeit recht eifrig um dich zu bemühen.«
In Wirklichkeit wuchs Lord Hattons Verzweiflung. In einem vergeblichen Versuch, einen Teil seines Geldes wiederzubekommen, hatten er und Rupert jeden Abend der letzten Woche bei Whites verbracht. Durch sein leichtsinniges Spiel war er noch tiefer in Schulden geraten. Er verteilte seine Schuldscheine mit gespielter Lässigkeit, weil er wusste, dass er seine finanziellen Schwierigkeiten vor seinen Freunden verbergen musste. Die Ehe mit Ruperts Schwester war seine letzte Hoffnung.
Um alles nur noch schlimmer zu machen, würde Nick nach Hause kommen, jetzt, da der Krieg vorüber war. Kit wusste, dass er keine Möglichkeit haben würde, seine finanzielle Situation vor seinem Zwillingsbruder zu verbergen. Seine einzige Hoffnung war, eine plausible Erklärung für seine leichtsinnigen Geldausgaben zu finden und eine Lösung bereitzuhalten. Kit ertränkte seine Sorgen in Whiskey und beruhigte seine Nerven mit Opium.
Nicholas Hatton brachte sein Pferd im Kutscherhaus hinter Champagner Charlies Club unter. Der erste Ort, den er nach seiner Ankunft in London besuchte, war genau der, an dem er seine letzte Nacht vor beinahe einem Jahr verbracht hatte.
Er ging in den Empfangsraum mit den vergoldeten Spiegeln. Obwohl sein Haar lang war und er einen Bart trug, wusste Charlotte King sofort, dass der Mann in der abgetragenen Uniform Nick war.
»Hazard Hatton, wie er leibt und lebt! Der siegreiche Held kehrt zurück. Bei Gott, es ist gut, dich wiederzusehen.«
»Hallo, Charlie, welch ein wundervoller Anblick für meine trüben Augen - du bist noch immer die eleganteste Frau in ganz London. Nein, rühre mich nicht an, ich brauche ein Bad und eine Rasur.«
»Ich wette, das ist nicht alles, was du brauchst!«
»Wo zum Teufel sind denn alle? Du willst mir doch wohl nicht sagen, dass dein Geschäft nicht mehr läuft?«
»Die Samstage waren noch nie besser. Die Kunden sehen alle Caprice zu.« Sie deutete auf eine geschlossene Tür. »Wirf einen Blick darauf und sag mir, was du davon hältst.«
Verwundert öffnete er die Tür. Er betrat einen halbdunklen Raum und blieb im hinteren Teil stehen. Die Stille verwunderte ihn, während seine Augen sich an das schwache Licht gewöhnten, das von der Bühne kam. Nur das Geräusch schwer atmender Männer war zu hören. Und dann sah er sie. Das Licht der Gaslampen warf durch die durchsichtige Gardine einen goldenen Schein auf sie. Alles an ihr erregte ihn, ihre Eleganz, ihre Jugend, ihre Unschuld, ihre leuchtende Schönheit. Hingerissen schenkte Nick ihr seine ganze Aufmerksamkeit. Sie setzte sich und hob ein schlankes Bein. Langsam zog sie ein Strumpfband aus, dann hob sie das andere Bein. Sein Hals wurde trocken. Sie hatte die längsten Beine, die er je an einer Frau gesehen hatte. Als sie langsam den Strumpf am Bein hinunterschob, wurde sein Glied hart. Das ist nur, weil ich schon so lange Zeit keine Frau mehr gehabt habe. Es ist die Illusion, die sie schafft, sie enthüllt alles, während sie gleichzeitig unberührbar bleibt. Er betrachtete die Männer, die im Halbdunkel saßen. Es geht nicht nur mir so, sie sind alle so verzaubert wie ich. Sie hält alle gefangen. Das starke Verlangen, das sie in ihm geweckt hatte, erstaunte ihn.
Er fluchte insgeheim. Ihr Preis würde hoch sein, offensichtlich war sie die Spezialität des Hauses. Er wollte sein schwer verdientes Geld als Offizier nicht an eine Dirne verschwenden, ganz gleich, wie verlockend sie auch sein mochte. Nick lachte über sich selbst, er war verdammt dumm, ihr überhaupt zuzusehen. Er wandte sich ab, strich über den groben Stoff seiner Uniform, der sich eng über seine Erektion spannte und verließ das Zimmer.
Charlie kam zu ihm herübergeschlendert. »Was hältst du von ihr?«
»Ein ziemlicher Magnet, den du da hast.«
»Caprice ist viel mehr als das. Sie macht die Männer so verrückt, dass einige von ihnen gleich zwei Mädchen auf einmal haben wollen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ein Dummkopf und sein Geld...«
Sie trat einen Schritt näher und sah in sein dunkles Gesicht. »Geh hinauf in meine privaten Räume, ich werde dir ein Bad bestellen.«
Als die Lampen gelöscht wurden, suchte Alex ihre Kleidung zusammen. Sie war ziemlich gut darin, schnell durch die Tür zu verschwinden und die Treppe hinaufzulaufen. Charlie erlaubte ihr, sich in ihren Räumen umzukleiden, danach ging Alex, noch immer in ihrer Maske und in ihren Umhang gehüllt. Sie ging die Treppe hinunter und ließ dabei einen Schuh fallen. Als sie sich bückte, um ihn aufzuheben, stellte sie fest, dass sie nicht allein war. Die große Gestalt eines Mannes kam durch den Flur auf sie zu, und sie erkannte, dass er eine verschlissene Uniform trug. Sein Haar war lang, sein Gesicht bedeckt von einem schwarzen, lockigen Bart. Blitzartig erkannte Alex, dass es Nick war. Sie hatte das Gefühl, die Wände würden sie erdrücken, und beinahe wäre sie ohnmächtig geworden. Sie holte tief Luft und hatte nur einen Gedanken. Unter keinen Umständen darf er erfahren, wer ich bin!
Sein Mund verzog sich zu einem lässigen Lächeln. »Caprice.« Er sprach ihren Namen aus, als wolle er ihn schmecken. »Darf ich sagen, dass Sie ein langbeiniges Fohlen sind?«
»Non!« Sie hob abwehrend die Hand. »Ich spreche nicht mit Kunden.« Sie hoffte verzweifelt, dass der französische Akzent, um den sie sich bemühte, sie nicht verriet.
Seine Belustigung wurde noch größer. »Gar keine Unterhaltung?«
Du bist ein Teufel, Nick Hatton! Dein böses Spiel mit Worten soll mich in Verlegenheit bringen. »Lassen Sie mich vorbei, M'sieur.«
Er trat noch einen Schritt näher und überragte sie wie ein Raubtier, das sich auf sein Opfer stürzen will. Seine Nasenflügel blähten sich, als ihr Duft ihm in die Nase stieg. Witterung. Der Jagdausdruck kam ihm in den Sinn, in all seiner Sinnlichkeit. Er kämpfte gegen das Verlangen an, das ihn zu überwältigen drohte. Ich habe so viele Franzosen gefangen, dass sie mich nicht länger interessieren. Er verbeugte sich und ließ sie vorbei.
Zu ihrem Entsetzen öffnete er die Tür zu Champagner Charlies privaten Räumen und verschwand darin. Alex ging den Flur hinunter und öffnete die erste Tür, die sich ihr bot. Dabei hoffte sie verzweifelt, dass das Zimmer leer sein würde. Ihre Hände zitterten, als sie sich mit fliegenden Fingern ankleidete. Du zügelloser Teufelskerl! Wie konnte ich nur je glauben, dass ich mich in dich verliebt habe?
Als Nick am nächsten Morgen in der Curzon Street ankam, war er gebadet, rasiert und sein Haar war modisch kurz geschnitten. Er stellte sein Pferd im Stall hinter dem Stadthaus unter und betrachtete den eleganten Phaeton und die Füchse. Die Diener waren überglücklich, ihn zu sehen, und begrüßten ihn mit echter Freude. Er nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinauflief. Er konnte es kaum erwarten, die schäbige Uniform auszuziehen und endlich wieder Reitkleidung zu tragen. Leise öffnete er die Tür zu Kits Zimmer einen Spalt und erwartete, dass Kit noch in seinem Bett lag, denn er war ein Langschläfer. Nick verzog den Kopf zu einem Lächeln, als er den dunklen Kopf seines schlafenden Bruders entdeckte. Leise schloss er die Tür und ging in sein Zimmer.
Er zog graue Reithosen aus Wildleder und eine dunkelgrüne Jacke an und stellte fest, dass die Hose um die Taille zu weit und an den Oberschenkeln zu eng war. Ihm wurde klar, dass seine Muskeln von den vielen Stunden im Sattel härter geworden waren. Als er sein Pferd aus dem Stall holte, fuhr er mit der Hand über das glänzende Fell der Stute und freute sich. Dies war das Pferd, das er auf dem Schlachtfeld gefunden hatte. Er war erstaunt gewesen, dass es eine Stute und kein Wallach war. Sie war wegen ihrer Ausdauer und Kraft gezüchtet worden, nicht wegen ihrer Schönheit. Als er erst einmal das Blut und den Staub von ihrem Fell gewaschen hatte, glänzte es wie schwarze Seide.
Er ritt in den Hyde Park und freute sich darüber, wie herrlich grün alles war. Auf dem See schwammen Schwäne, und Lerchen stiegen in den Morgenhimmel. Nie zuvor hatte Nick den englischen Frühling so genossen wie in diesem Augenblick. Er nickte den Gentlemen freundlich zu, die an ihm vorbeiritten, und zog den Hut vor den Damen in der Kutsche. Sehr wahrscheinlich verwechselten ihn alle mit seinem Zwillingsbruder, doch das machte ihm nichts, stellte er glücklich fest. Er war wieder zu Hause, und nichts konnte die Freude schmälern, die er in seinem Herzen fühlte.
Als Nick in die Curzon Street zurückkam, war Kit aufgestanden und angekleidet. Als die Diener ihm gesagt hatten, dass sein Bruder wieder zu Hause war, fühlte Kit Panik und kehrte sofort ins Herrenhaus von Hatton zurück. Nick fand ihn im Frühstückszimmer. Als er in das Gesicht seines Zwillingsbruders blickte, warf Nick den Kopf zurück und lachte laut auf, dann schlug er Kit auf den Rücken. »Ich hatte ganz vergessen, was für ein gut aussehender Teufel du bist.«
Kit lachte. »Nun, der Krieg hat dich nicht verändert.«
Das hat er doch, fürchte ich. »Er hat mich gelehrt, wie wichtig ein Zuhause und eine Familie ist. Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, Kit. Ich würde gern meinen Verdienst als Offizier dazu benutzen, eine Anzahlung auf Hatton Grange zu machen. Ich möchte gern auf der Grange leben und dort Pferde züchten.« Er nahm sich eine Wurst vom Teller seines Zwillingsbruders.
»Wie viel?«, fragte Kit, aufmerksam geworden.
»Es sind weniger als zweitausend, aber wenn ich die Pferde, die ich züchte, erst einmal verkauft habe, werde ich dir für die Grange einen angemessenen Preis zahlen.«
»Zweitausend? Das ist alles, was sie dir dafür bezahlt haben, dass du in einem verdammten Krieg für sie gekämpft hast? Ich habe gestern mehr als diese Summe bei Whites verloren!« Kit biss sich auf die Zunge. Warum zum Teufel hatte er das überhaupt gesagt?
Trotz dieser gefühllosen Bemerkung war Nick nicht beleidigt. »Dein Pech im Kartenspiel ist allgemein bekannt. Du solltest dankbar sein dafür, dass du genug Verstand besitzt, es dir nicht zur Gewohnheit zu machen.«
Kit wurde plötzlich klar, dass er ihm am liebsten ein Geständnis machen wollte. »Eigentlich habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht. Ich habe mit meinen Schuldscheinen wie Konfetti um mich geworfen.«
»Verdammt, du hättest es besser wissen müssen!« Nick hatte das Gefühl, als würde er mit einem seiner jungen Rekruten reden. »Du musst deine Spielschulden immer in bar bezahlen. Auf diese Weise behältst du den Überblick.« Er schlug Kit auf den Rücken. »Ich will mir nicht meine gute Laune verderben lassen. Sei dankbar dafür, dass du ein reicher Mann bist. Warum kommst du nicht heute Abend mit mir, und wir versuchen, etwas von dem Geld zurückzugewinnen?«
»Ich wollte eigentlich nach Hause fahren, nach Hatton... der Kammerdiener packt gerade meine Sachen... aber es ist ein verdammt guter Gedanke, dass du für mich einen Teil meiner Schulden zurückgewinnen willst. Ich wäre dir wirklich sehr dankbar dafür, Nick.«
Nick schüttelte ungläubig den Kopf. Nichts hatte sich verändert. Kit erwartet noch immer von mir, dass ich ihn aus allen Schwierigkeiten heraushole. Wenn er wüsste, wie sehr ich mir wünsche, nach Hause zu kommen, würde er das nicht von mir verlangen. »Gib mir eine Liste deiner Schuldscheine«, erklärte er resigniert.
Eine Stunde später, als Nick Kit nachsah, wie er in seinem Phaeton davonfuhr, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die beiden Füchse. Er hoffte nur, dass sein Bruder keinen sehr hohen Preis dafür bezahlt hatte, weil sie nicht zueinander passten. Ich darf nicht alles kritisieren, was er tut, das hat Vater schon immer getan.
Nick zog seine Abendkleidung an und warf einen Blick in den Spiegel. Ich weiß, ich weiß, ich habe mir geschworen, nie wieder einen Fuß in den Club von Whites zu setzen, und schon jetzt bin ich meinem Schwur untreu. Eine spöttische Stimme antwortete ihm: Der Krieg hat dich gelehrt, dass nur ein Dummkopf Prinzipien hat! Da er nicht Mitglied im Club war, würde er sich als Christopher ausgeben müssen. Er hörte Rupert kommen und entschied sich, an ihm auszuprobieren, wie gut er war. »Du kommst früh«, rief er nach unten und kämmte sich eine Locke in die Stirn.
»Nein, das ist nicht wahr. Du bist zu spät, wie immer.«
Als Nick die Treppe hinunterkam, fand er, dass Rupert viel schlanker geworden war. »Man sollte glauben, dass ich mich nach all den Jahren gebessert habe.«
»Ich erwarte keine Birnen von einer Ulme. Du wirst dich niemals ändern.«
»Eine Anspielung im wörtlichen Sinn.« Nick setzte seinen Zylinder auf. »Sage mir nur nicht, dass du gelesen hast.«
»Keine Angst, das ist einer von Dotties Ausdrücken. Oh, da wir gerade vom Teufel sprechen, sie möchte, dass ich dir sage, dass Alexandra heute Abend mit Hart Cavendish die große Abendgesellschaft im Burlington House besucht.«
Ruperts Worte weckten Nicks Neid. »Wirklich? Ich nehme an, wir könnten einen Abstecher zum Burlington House machen, nachdem wir bei Whites waren.«
Rupert öffnete die Tür. »Damit bin ich einverstanden! Meine Frau und ihre Mutter haben das Haus in ein verdammtes Kinderzimmer verwandelt.«
Du bist verheiratet? Auf Nicks Gesicht zeichnete sich Erstaunen ab. Wer ist deine Frau?
»Olivias Mutter hat das Kommando übernommen, seit das Baby da ist. Annabelle konnte mich heute Abend nicht schnell genug aus dem Haus bekommen.«
Du bist mit Olivia verheiratet, und du hast bereits ein Kind? Nick war perplex. Als er abgereist war, war sein Bruder hinter Olivia her gewesen. Aber das ist lächerlich! Wenn mein Bruder sie geschwängert hätte, dann hätte er doch das getan, was ehrenwert ist.
Bei Whites waren die üblichen Spieler anwesend, drei von ihnen besaßen Schuldscheine von seinem Bruder. Nick war in einer gefährlichen Laune. Er setzte sich Lord Brougham gegenüber an den Baccarat Tisch.
»Ha, der junge Hatton! Wieder zurück, um noch mehr abzuräumen, wie?«
»Erheblich mehr.« Er betrachtete sein Gegenüber mit großem Selbstvertrauen. Nick benutzte sein eigenes Geld, und in keinem Fall würde er etwas davon verlieren. Er bluffte bei jeder Hand, und der Stapel mit rouleaux vor ihm wurde immer größer, während er mit tödlicher Entschlossenheit spielte. Am Ende hatte er Brougham besiegt. Nick stand auf und suchte seine Spielmarken zusammen. »Ich weiß, ich kann mich darauf verlassen, dass Sie meinen Schuldschein zerreißen werden, mein Lord.«
Nick bat Rupert, seinen Gewinn einzulösen, dann ging er auf den Whist-Tisch zu, ein Spiel, das er verachtete. Er warf dem Grafen von Bingham einen düsteren Blick zu. »Ich bin gekommen, um Ihre Glückssträhne zu unterbrechen, mein Lord.« In etwas mehr als zwei Stunden waren drei von Kit Hattons Schuldscheinen eingelöst, und Nick war um mehr als hundert Guineen reicher. »Wie mir scheint, habe ich hier allen Schaden angerichtet, den ich anrichten konnte«, wandte er sich an Rupert. »Ich bin mehr als bereit für das Burlington House.«
Als sie an dem großen Haus angekommen waren, ging Rupert zu der Gastgeberin, um sie zu begrüßen. Nick ging nicht sofort in das Spielzimmer, er schlenderte lässig durch den Empfangsraum und suchte nach einem Schimmer von rotem Haar. Als er Alexandra nirgendwo entdecken konnte, war seine Enttäuschung größer, als er erwartet hatte. Er hielt sich in dem Ballsaal auf, bis er sicher war, dass sie dort nicht tanzte, dann erst ging er in das Zimmer, in dem Karten gespielt wurden.
Als er sie beim Kartenspiel neben Hart Cavendish entdeckte, erfasste ihn eine brennende Eifersucht. Nick war sich der Heftigkeit seiner Gefühle durchaus bewusst. Er war immer stolz darauf, dass er seine Gefühle unter Kontrolle hatte. Normalerweise war er ruhig, kühl und gelassen, ganz gleich, wie sehr er provoziert wurde.
Als Alex ihn entdeckte, schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln, das beinahe unpersönlich war. Sie spielten vingt-et-un, und er setzte sich sogleich zu ihnen an den Tisch. Dann stellte er fest, dass der Graf von Carlisle, ihr Gastgeber, nach dem Stapel von Chips zu urteilen, der vor ihm lag, das Spiel offensichtlich zu gewinnen schien. Da es jedem Spieler erlaubt war, die Karten zu mischen, streckte Nick die Hand aus. Als ihm das Kartenspiel gereicht wurde, wandte er sich an Carlisle. »Ich spiele mit Ihnen gegen den Betrag des Schuldscheins, den ich Ihnen in der letzten Woche gegeben habe.«
»Sie spielen um einen hohen Einsatz, Hatton!«, erklärte Carlisle hochmütig.
Nick wusste, dass sich die Aufmerksamkeit aller auf sie beide gerichtet hatte. Er zog die Augen zusammen. »Sie haben es hier nicht mit einem kleinen Jungen zu tun, wie Sie wissen.«
Alexandra blinzelte. Spielte Kit etwa offen auf Carlisles Vorliebe für junge Männer an? Sie blickte zu ihrem Gastgeber und sah, wie er errötete und die Karten teilte. Er zog eine Zwei. Jede Karte aus dem Spiel würde diese Karte schlagen. Sie sah, wie Kit nickte und dann die Karten an den Austeiler zurückreichte, ohne sich die Mühe zu machen, eine Karte zu ziehen.
Nick war sich jeden Moment der Anwesenheit Alexandras bewusst. Nachdem sie die nächsten beiden Spiele verloren hatte, hörte sie auf zu spielen und beobachtete Hart Cavendish. Nick entschied augenblicklich, dass der Herzog bereits genug von ihrer Aufmerksamkeit bekommen hatte. Er stand auf, ging lässig um den Tisch herum, bis er hinter Cavendish stand. Er legte Hart eine Hand auf die Schulter. »Ich entführe Alex für einen Tanz. Ich bin sicher, du wirst nichts dagegen haben.«
»Natürlich nicht«, antwortete Hart verwundert. Obwohl er eigentlich ziemlich viel dagegen hatte, war er viel zu höflich, um das laut auszusprechen.
Alex war auch erstaunt. Höflich entschuldigte sie sich bei Hart und begleitete Kit Hatton mit einem fragenden Blick aus dem Kartenzimmer. »Ich habe geglaubt, deine Trauerzeit erlaubt es dir nicht zu tanzen.«
»Ich habe beschlossen, dass meine Trauerzeit vom heutigen Abend an zu Ende ist.«
Seine Stimme war tief, sie klang wie ein leises Brummen. Er schien entschlossen zu sein. Sagte er ihr etwa, dass seine Trauerzeit beendet war und sein Werben um sie begann? Sie holte tief Luft und weigerte sich, in Panik zu geraten. Sie fragte sich, warum Christopher nicht erwähnt hatte, dass sein Zwillingsbruder zurückgekommen war. »Ist Nick noch nicht zu Hause?«
Er nickte. »Er genießt es so sehr, wieder in London zu sein, dass ich noch nicht viel von ihm gesehen habe.«
Alex schloss die Augen und schalt sich selbst, weil sie seinen Namen erwähnt hatte.
In dem Augenblick, in dem sie den Ballsaal betraten, zog er sie in seine Arme. Alex stockte der Atem, sie konzentrierte sich auf die Musik, damit sie keinen falschen Schritt machte. Doch sie brauchte keine Angst zu haben. Kit war ein äußerst guter Tänzer. Er führte sie sicher und fest und wirbelte sie kühn herum, dann zog er sie wieder eng an sich. Sie gab sich ganz den Bewegungen seines Körpers und dem sanften Druck seiner kräftigen Arme hin.
Der Rhythmus ging auf sie über, und mit halb geschlossenen Augen stellte sie sich vor, es sei Nicholas, der sie in seinen Armen hielt. Sie verlor sich in einem Meer warmer Gefühle und unterwarf sich seiner verlangenden Stärke.
Als er ihr Gesicht beobachtete und fühlte, wie ihr Kleid gegen seine Schenkel wehte, wurde der Schmerz in seinem Inneren beinahe unerträglich. Er stellte sie sich in seinem Bett vor, ihre halb geschlossenen Augen voller Liebe. Voller Sehnsucht sah er auf sie hinunter. »Warum flirtest du nie mit mir?«
Langsam öffneten sich ihre Augen. Ich flirte schon seit Jahren mit dir. Doch dann wurde sie sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass es Kit war, mit dem sie tanzte, Kit, der ihr diese Frage stellte. Sie fühlte sich schuldig, weil sie von Nicholas geträumt hatte. »Wir... wir sind alte Freunde, ich habe nicht das Bedürfnis, mit dir zu flirten.«
Er verzog sarkastisch den Mund. »Das ist nicht gerade eine schmeichelhafte Antwort.« Wenn er sie noch eine Minute länger in seinen Armen hielt, würde er sie an sich pressen und ihre sanften rosigen Lippen küssen, die ihn bis zur Unerträglichkeit verlockten. »Es ist eine so wundervolle Frühlingsnacht, hättest du etwas dagegen, wenn wir ein wenig frische Luft schnappten?«
Sie murmelte ihre Zustimmung und verließ dann zusammen mit ihm die Tanzfläche. Er nahm sie mit auf die vordere Terrasse, die dem Piccadilly zugewandt war. Das Gebäude war hell erleuchtet, und sie bewegten sich in den Schatten der Pfeiler. Dies war eine gute Gelegenheit, ihm zu erzählen, dass sie ihre Mutter wiedergefunden hatte. Er lauschte ihrer Geschichte, und sie schlenderten langsam an den wartenden Kutschen entlang. Seine Reaktion überraschte sie.
»Und du hast sie nach Hause gebracht und Frieden geschlossen zwischen Dottie und der Tochter, die sie enterbt hatte? Das war eine sehr großzügige, rührende Tat, Alex.« Der bewundernde Blick, mit dem er sie ansah, gab ihr das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. »Du bist in deinem Inneren genauso schön wie nach außen hin, Alexandra.«
Sie freute sich über sein Lob. Vielleicht war er ja doch nicht so oberflächlich, wie sie immer geglaubt hatte. »Danke, Kit.« Sie suchte nach einem anderen Thema. »Ich hoffe, der Canaletto, den du gekauft hast, war keine Fälschung«, erklärte sie ernsthaft.
»Canaletto?«
»Als du mir und Hart in der Oper begegnet bist, glaubte er, das Gemälde bereits zu besitzen, das du gerade gekauft hattest.«
»Ach, das war ein Missverständnis«, wehrte Nick ab, doch er nahm sich vor, mit seinem Bruder darüber zu reden. »Wie mir scheint, begleitet dich Hart Cavendish ziemlich oft.« Er versuchte, seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.
»Ich genieße seine Gesellschaft«, erklärte Alex leichthin.
»Das ist vollkommen verständlich, jede Lady würde es genießen, von einem Herzog des Königreichs begleitet zu werden.«
»Das hat mit seinem Titel nichts zu tun«, wehrte sie ab.
»Sein Herzogtum verleiht ihm eine Aufmerksamkeit, die anderen nicht zuteil wird. Er besitzt größeren Reichtum und mehr Privilegien als die Mitglieder des Königshauses, du solltest nicht abstreiten, dass du diese Dinge genießt, Alex.«
»Ich gebe zu, dass ich es genieße. Und was sollte daran so falsch sein?«
»Daran ist gar nichts falsch, es sei denn, du erwartest von ihm, dass er dich zu seiner Herzogin macht. Hart ist nicht auf der Suche nach einer Ehefrau, Alex. Er sucht eine Geliebte, und ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«
Seine Worte weckten ihre Eitelkeit, am liebsten hätte sie ihn angeschrien und ihm das Gesicht zerkratzt. Stattdessen entschied sie sieh, ihn mit Worten zu verletzen. »Hart war vollkommen ehrlich mir gegenüber, Kit. Er hat mir ganz deutlich erklärt, dass er mein Geliebter werden möchte.«
Nick blieb stehen und griff nach ihren Schultern. »Ich werde mit der Pferdepeitsche auf ihn losgehen!«
Sie blickte in sein gefährliches, dunkles Gesicht, und ein Schauer rann durch ihren Körper. Sie entzog sich seinem Griff und ging weiter. »Ich brauche keinen Aufpasser, ich bin sehr gut in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.«
Er machte zwei große Schritte, um sie einzuholen. »Ich möchte nicht, dass du noch einmal mit ihm ausgehst, Alex!«
»Du bist ganz einfach eifersüchtig!«, warf sie ihm mit ungläubigem Blick vor.
»Warum sollte ich eifersüchtig sein auf den reichsten Herzog in ganz England, der den Körper und das Aussehen eines goldenen Gottes hat?«
Unter einer Gaslampe blieb sie stehen und sah zu ihm auf. Sie blickte in seine unergründlichen grauen Augen über den hohen Wangenknochen, dann senkte sich ihr Blick zu seinem wunderschönen Mund und dem tiefen Grübchen in seinem Kinn. »Du bist einer der bestaussehenden Männer, den ich je in meinem Leben gesehen habe.« Sie sah sich um und stellte fest, dass sie in der Berkeley Street angekommen waren. Sie legte den Kopf in den Nacken und begann zu lachen.
»Was ist denn so verdammt komisch?«, brummte er.
»Du hast mich absichtlich von Hart Cavendish weggeholt und nach Hause gebracht, du hinterhältiger Teufel!«
Sein Mund verzog sich. »Ich gebe es zu. Mein Rivale hat keine Chance.« Er sah lange in ihr hübsches, lächelndes Gesicht. »Das findest du lustig, Alex?«
»Ich finde es lustig, weil Hart Cavendish gar nicht dein Rivale ist - er ist es nie gewesen und wird es auch niemals sein. Dein Rivale ist dein eigener Zwillingsbruder. Ich war seit Jahren in Nicholas verliebt.«
»Warst?«
Sie hörte die Eindringlichkeit in seinem Wort und konnte es nicht riskieren, ihn noch mehr zu verletzen. »Nicht mehr, natürlich. Es war die Phantasie eines jungen Mädchens. Ehe er weggegangen ist, hat Nick ziemlich deutlich gemacht, dass er in mir nicht mehr sieht als eine Schwester.«
»Nick ist ein Dummkopf. Er hat schon immer eine sehr hohe Meinung von Ehre gehabt.« Er zog sie in seine Arme und legte seine Lippen auf ihre. Er fühlte, wie sie erstarrte, doch ließ er nicht zu, dass sie sich ihm entzog. Sein Mund legte sich besitzergreifend auf ihren, er genoss ihren Kuss und lockte sie, sich ihm hinzugeben. Er war voller Freude, als sie seinen Kuss erwiderte.
Alex zögerte, sich von Kit küssen zu lassen, doch dann stellte sie fest, dass er genauso gut küsste, wie er tanzte. Als sie die Augen schloss, fühlte sie sich genauso, als würde Nicholas sie küssen, und merkte, wie ihr Zögern schwand. Ein herrliches Gefühl ergriff von ihrem Körper Besitz, als sie sich ihm hingab und seinen Kuss erwiderte. Er schenkte ihr unsagbares Glück. »Nick«, murmelte sie an seinen Lippen. Dann riss sie die Augen auf und entzog sich ihm schnell. »Gute Nacht, Kit.« Alex lief den kurzen Weg zu ihrem Haus und hoffte, dass er nicht gehört hatte, dass sie den Namen seines Zwillingsbruders gemurmelt hatte.
Nick sah Alex nach. Er war dankbar dafür, dass sie seinen Namen geflüstert hatte, doch gleichzeitig fühlte er sich schuldig. Noch lange nachdem sie in dem Haus verschwunden war, stand er an der Ecke des Berkeley Square und fragte sich, wie er das Dilemma lösen konnte.