31
Am Sonntagabend übte Christopher Hatton zwei Stunden lang mit seinen Duellpistolen. Er hörte erst auf, als es dunkel war, denn bei einem Duell in der Morgendämmerung würde das Licht auch noch sehr schwach sein. Als er auf Hatton Hall zuging, lud er die Pistole wieder und traf einen der Greife, die auf dem Dach Wache hielten, genau ins Auge. Kits Selbstvertrauen stieg, er war bereit für die Herausforderung, die vor ihm lag.
Am Montagmorgen packte er eine Tasche, stieg auf Renegade und ritt hinüber zum Haus der Hardings.
Rupert begrüßte Kit mit einem erleichterten Blick. »Ich hatte schon Angst, dass du dich gar nicht mehr daran erinnern würdest, dass wir geplant hatten, in dieser Woche nach London zu fahren. Ich freue mich schon darauf, in meinem eigenen Stadthaus zu sein, ohne meine Verwandtschaft.«
»Und ohne deine Frau.« Kit griente ihn an.
»Oh, Olivia und ich kommen in letzter Zeit sehr gut miteinander aus. Es sind ihr Vater und Annabelle, die recht herrisch sind.«
»Ich habe nie verstanden, warum mein Vater mit ihr geschlafen hat«, meinte Kit verächtlich.
»Vielleicht ist sie unersättlich«, überlegte Rupert und fand, dass so etwas vielleicht in der Familie lag. »Ich habe bereits gepackt. Ich dachte, wir fahren mit deinem Phaeton.«
»Nick ist damit nach London gefahren, damit der Wagen dort ist, wenn ich ihn brauche.«
Während Rupert sein Pferd sattelte, meinte er: »Du hattest ziemliches Glück in Epsom. Hast du noch immer das Gefühl, dass du auch weiterhin Glück haben wirst?«
»Das Gefühl habe ich immer, wenn ich mich an den Kartentisch setze. Aber das Schicksal betrügt mich immer wieder.« Kit sah seinen Freund an. »Dieser Bastard, Jeremy Eaton, hat noch immer einen meiner Schuldscheine. Ich wünschte, ich könnte Nick davon überzeugen, ihn für mich zurückzugewinnen. Hazard Hatton verliert nie!«
»Ich denke, das Schicksal hat es verdammt gut mit dir gemeint, Kit. Dein Vater hat dir alles hinterlassen, einschließlich seines Titels, und jetzt wirst du auch noch Alexandra heiraten. Sicher würdest du alles nicht eintauschen für Nicks Glück beim Spiel?«
»Natürlich nicht.« Ganz besonders dann nicht, wenn seine Glückssträhne zu Ende ist.
Die sechs Meilen nach London legten sie in kurzer Zeit zurück. Christopher ließ Rupert in der Clarges Street und ritt dann um die Ecke in die Curzon Street. Kit stellte Renegade im Stall unter, und der Stalljunge gab dem Pferd Futter und Wasser. Er warf einen kurzen Blick auf die beiden Füchse. Ich hoffe, Nick hat das Problem mit ihrem Gang gelöst. Die verdammten Mähren machen mich sonst zum Gespött!
Christopher öffnete die Haustür und sah sich Fenton gegenüber. »Ist mein Bruder hier?«
»Nein, mein Lord.«
»Wissen Sie, wo er ist oder wann er zurückkommt?«
»Ich fürchte nicht, mein Lord.« Da Fenton den jungen Lord Hatton nicht besonders leiden mochte, gab er ihm keinerlei Informationen. »Möchten Sie essen, mein Lord?«
»Natürlich möchte ich essen. Sorgen Sie dafür, dass es in einer Stunde bereit ist«, befahl Kit. »Heute Abend werde ich allerdings nicht zu Hause essen.«
»Sehr gut, Sir.«
Kit brachte seine Tasche nach oben und holte vorsichtig die Duellpistolen daraus hervor, dann ging er über den Flur zum Zimmer seines Zwillingsbruders. Er durchsuchte Nicks Schreibtisch, der jedoch leer war. Verdammt, er muss die Besitzurkunde schon zur Bank gebracht haben. Das zeigt, wie sehr er mir vertraut! Kit ging hinüber zum Schrank. Nur einige von Nicks Kleidungsstücken hingen darin. Er warf einen Blick auf die verwaschene Uniform und stellte sich vor, sie anzuziehen, dann schloss er die Schranktüren und ging zurück in sein Zimmer. Seine Nerven waren angespannt, und Kit wusste, dass er etwas tun musste, um diese innere Anspannung zu lindern. Das Bedürfnis nach einem Drink hätte ihn beinahe überwältigt, als er seine Sachen in den Schrank hängte. Doch anstatt diesem Bedürfnis nachzugeben, öffnete er eine Schublade seines Schreibtisches, holte ein Kartenspiel daraus hervor und begann, es sorgfältig zu mischen.
Am Abend kam Rupert und erwartete, dass sie einen Besuch bei Whites machten. Kit überredete ihn, stattdessen zu Boodle zu gehen. Er wollte ein paar seiner Kartentricks üben, ehe er sich am Dienstag mit Jeremey Eaton traf.
Gegen elf Uhr hatte Kit den größten Teil des Geldes verloren, das er beim Rennen in Epsom gewonnen hatte. Als er begann, Schuldscheine zu schreiben, wurde Rupert besorgt. »Lass uns nach Hause gehen. Ich hasse es, zuzusehen, wie dir dein ganzer Gewinn durch die Finger rinnt!«
Obwohl es noch recht früh war, willigte Kit ein. »Verdammt sei mein Pech! Das Schicksal ist mir nicht wohlgesonnen, während es meinem Zwillingsbruder zulacht. Nick verliert nie!«
Als er in die Curzon Street zurückkam, war er froh darüber, dass sein Bruder noch nicht zu Hause war. Ehe er ins Bett ging, stellte er sich vor den Spiegel und freute sich, dass er Nicholas so ähnlich sah. Er sah seinem Spiegelbild in die Augen und lächelte. Bis jetzt ist alles gut gelaufen, dachte Kit zufrieden.
Am Berkeley Square standen Nicholas und Alexandra beisammen und blickten in den Spiegel. Auch wenn Alex für eine Frau recht groß war, so reichte sie Nick doch nur bis ans Kinn. Sie sah, wie er von hinten seine kräftigen Arme um sie legte und sie an sich zog. Alex schloss die Augen und wünschte sich, dass sie immer so glücklich sein würde wie in diesem Augenblick.
Heute Abend trug sie ihr neues blassgrünes Kleid, und sie hatten wirklich auf Stühlen gesessen und zu Abend gegessen, den Tisch zwischen sich. Heute hatten sie nicht, wie am gestrigen Abend, im Bett gegessen. Vor dem Nachtisch jedoch hatte Nick sie berühren müssen. »Hast du überhaupt eine Idee, wie wunderschön du heute Abend aussiehst? Ich will es dir zeigen.« Er hatte sie auf den Arm genommen und sie vor den Spiegel gestellt.
Sie sah, dass seine Augen ganz dunkel geworden waren, rauchig vor Verlangen. Dann beobachtete sie ihn, während er sie entkleidete, und als sie nackt war, liebte er sie mit seinen Blicken. Seine Augen glitten über jeden Teil ihres Körpers und sie fühlte sich femininer als je zuvor in ihrem Leben. Ihr Herz begann zu rasen vor neu erwachtem Verlangen.
Er legte seine großen Hände auf ihre Brüste. »Ich liebe dich so sehr, mein Schatz. Ich werde niemals genug bekommen von dir.« Er beugte seinen Kopf und flüsterte in ihr Ohr. »Ich möchte, dass du zusiehst, wie ich dich liebe. Ich möchte, dass du siehst, wie wunderschön du bist.«
Wie gebannt sah sie zu, als er vor ihr auf die Knie sank. Dann fühlte sie seine kräftigen Hände an ihrem Po, so dass die rotgoldenen Locken zwischen ihren Schenkeln auf einer Höhe waren mit seinem Mund. Er streichelte ihren Po, dann zog er sie an sich und küsste sie. Sie fühlte, wie seine Zunge die kleine Knospe an ihrer Spalte suchte, und sie vergrub die Finger in seinem dichten schwarzen Haar, damit sie nicht vor Erregung aufschrie. Als seine Zunge noch weiter in sie eindrang, sah sie, wie sich ihre Fingernägel in seine breiten Schultern krallten.
Dann blickte sie in ihr eigenes Gesicht und stellte fest, dass es stimmte, was er ihr gesagt hatte. In diesem Augenblick lag eine wilde Schönheit auf ihrem Gesicht. Ihre rotgoldenen Locken waren zerzaust, weil sie den Kopf hemmungslos hin und her geworfen hatte, ihre grünen Augen glitzerten vor Leidenschaft, ihr Mund war sanft, voll und sinnlich. Sie sah, wie sich sein Name auf ihren Lippen bildete. »Nicholas!«
Er hob sie hoch und trug sie zum Bett. Während er sich entkleidete, ließ er seine Blicke nicht von ihr. Dann drehte er sie auf die Seite und legte sich hinter sie, sein harter Körper schmiegte sich an ihren. Er hielt ihre Brüste in seinen Händen, dann drang er von hinten in sie ein und drehte sie, bis sie auf den Knien lag. Er wartete eine volle Minute, bis sie sich an diese Position gewöhnt hatte. Und dann brachte er sie mit langsamen, harten Stößen zum Höhepunkt, während Alexandra die Hände in die Laken krallte und vor Leidenschaft schrie.
Ehe sie einschlief, hob Nicholas ihr herrliches Haar und gab ihr einen Kuss auf den Nacken. »Wir passen wirklich zueinander wie zwei Löffel.« Während er sie an sein Herz gedrückt hielt, wusste Nick, dass er Alexandra trotz all seiner ehrenhaften Absichten niemals zugunsten seines Zwillingsbruders aufgeben würde. Sie war sein Herz und seine Seele.
Als Alexandra aufwachte, stellte sie fest, dass Nicholas neben ihr im Bett lag, und ihr Herz begann zu jubeln. Es war das herrlichste Gefühl der Welt. Doch als sie sich in seinen Armen umwandte, plagte sie ihr Gewissen. Sie erlaubte ihm einen langen Kuss, dann entzog sie sich ihm, solange sie noch zusammenhängend reden konnte. »Nick, wir haben davon gesprochen, dass du mein zukünftiger Ehemann wirst, aber ich habe ein Geheimnis, das ich dir verraten muss, ehe wir heiraten.«
Er zog nicht einmal die Augenbraue hoch. »Nichts, was du mir sagen wirst, kann diese Liebe auslöschen, die ich für dich fühle, mein Schatz.«
»Ich... ich bin keine Erbin, wie du immer geglaubt hast. Das Vermögen meiner Großmutter ist verschwunden. Sie hat sich Geld von der Bank geliehen und hat das Herrenhaus von Longford als Sicherheit dafür gegeben. Das war der wirkliche Grund dafür, dass ich bei Champagner Charlie Geld verdient habe.«
Er starrte sie voller Verwunderung an. »Wenn das die Wahrheit ist, dann ist Dottie eine hervorragende Schauspielerin.«
»Sie ist eine hervorragende Großmutter! Du darfst niemandem etwas davon verraten, Nick, es ist Dotties Geheimnis, nicht meines. Selbst das Stadthaus gehört Neville Staines. Ich besitze eine Mitgift von tausend Pfund, aber das ist nicht viel, wenn man Reichtum erwartet.«
Ganz plötzlich begann Nicholas zu lachen, bis Tränen über seine Wangen liefen. Er wischte sich die Augen. Wie verdammt ironisch!
»Ich finde das gar nicht lustig«, erklärte Alex ruhig.
Ihr Geständnis hatte sein Schuldgefühl, sie seinem Bruder gestohlen zu haben, vollkommen ausgelöscht. Ohne Geld würde Kit sie gar nicht wollen.
Das konnte er ihr natürlich niemals sagen, denn er wollte sie nicht verletzen. »Ich werde Hatton Grange von meinem Bruder kaufen. Ich denke, ich werde es schaffen, den Wolf von unserer Tür fern zu halten. Und wenn ich es nicht schaffe, gibt es immer noch die Heide von Hounslow!« Wieder krümmte er sich vor Lachen.
Obwohl Alexandras Herz überfloss vor Liebe zu ihm, war ihr nicht nach Lachen zumute. Der Spaß musste jetzt ein Ende haben. »Ich werde Dottie von meinen Plänen berichten, und, was noch wichtiger ist, ich muss Christopher sagen, dass ich ihn nicht heiraten kann.« Sie glitt aus dem Bett und ging zum
Schrank, um ein Reitkleid herauszuholen. Während Nicholas zusah, zog Alex ein frisches Hemd an, dann goss sie Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel. Ihr Blick fiel auf ihren wunderschönen Verlobungsring. »Ich sollte diesen Ring nicht tragen, ich habe kein Recht dazu.«
Nick war sofort neben ihr. »Wage nicht, ihn auszuziehen!« Als er ihre Hand nahm, fiel das Morgenlicht auf die Diamanten und Saphire und ließ sie funkeln. »Alexandra, dieser Ring ist so kostbar für mich, nicht wegen der Steine, sondern weil er meiner Mutter gehört hat. Wenn du diesen Ring behalten würdest, würde mich das mit Glück erfüllen.«
Alex starrte ihn an. Genau diese Worte hatte sie in jener Nacht gehört, als Kit ihr den Ring gegeben hatte. Es war gar nicht Kit, der mir diesen Ring gegeben hat. Es war Nick! Sei doch nicht verrückt, schalt sie sich. Fange nicht damit an, sie zu verwechseln, nur weil sie Zwillingsbrüder sind. Ihre Gedanken gingen zurück zu der Nacht auf dem See, als sie in dem Boot gesessen hatte. Kit hat von seiner tiefen und unvergänglichen Liebe zu Hatton Hall gesprochen, und er hat mein Herz gestohlen. Ich habe eine Verbundenheit mit Christopher gefühlt, wie noch nie zuvor. Als er mich geküsst hat, wollte ich nicht, dass er aufhörte. Der Grund dafür war, dass es gar nicht Christopher war!, drängte eine innere Stimme. Es war Nicholas!
Nick strich voller Verehrung mit den Fingern über ihre Wange. Er tat dies oft, auch in dieser Nacht, als er gesagt hatte: Sieh mich an, Alex, während ich dir verrate, was in meinem Herzen ist.
Ihr Herz zog sich zusammen. Sie hielt ihm die Hand mit dem Ring hin. Ihre Finger begannen zu zittern. »Du hast mir den Ring deiner Mutter gegeben, es war gar nicht Christopher, nicht wahr?« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme fremd.
Er sah ihr tief in die Augen und wusste, dass es keinen
Zweck hatte, sie anzulügen. »Ich war es, der dir diesen Ring gegeben hat, Alexandra.«
Ihr Gesicht verriet ihm, dass sie entsetzt war. »Wie konntest du nur?«
»Das Abendessen war bis in die letzte Einzelheit geplant, und dann wurde Kit an diesem Abend krank.«
»Ich meine nicht, wie du so tun konntest, als seist du Christopher! Ich meine, wie konntest du mich dazu bringen, einer Verlobung mit deinem Zwillingsbruder zuzustimmen?«
»Jetzt verfluche ich mich selbst dafür, dass ich das getan habe, aber in dem Augenblick erschien es mir die einzige Möglichkeit zu sein, Alex.«
»Die einzige Möglichkeit? Habe ich richtig gehört? Es war das Unanständigste, was ich je erlebt habe, Nick Hatton!« Alex fühlte sich betrogen. Nicholas hatte ihr wahrhaftig an Stelle seines Bruders einen Antrag gemacht. So etwas wäre ganz unmöglich, wenn er sie liebte. Sie hatte das Gefühl, eine grausame Hand würde nach ihrem Herzen greifen und es langsam zerquetschen. Sie nutzte die einzige Waffe, die sie besaß, um zurückzuschlagen und ihn zu verletzen, ihre Zunge. In spöttischem Tonfall wiederholte sie seine eigenen Worte: »Ich will keine andere Frau als nur dich zur Lady Hatton machen. Ich möchte, dass seine Schönheit und Beständigkeit dir Kraft gibt, damit du dich sicher fühlst. Ich möchte sehen, wie unsere Kinder lachend über die Wiesen von Hatton Hall laufen. Und dann möchte ich es an unsere Enkelkinder übergeben, und ich hoffe, die zukünftigen Generationen werden es mit einer Leidenschaft lieben, die genauso tief ist wie meine!« Hastig zog Alex ihr Reitkleid an und streifte ihre Stiefel über.
Verzweifelt umfasste Nick ihre Schultern und schüttelte sie. »Satansbraten, wirst du mir zuhören?«
»Während du mir noch mehr Lügen erzählst? Nimm deine Hände von mir!«
»Du eigensinniges kleines Luder!«, fluchte er.
»Du bist ein Teufel, Nick Hatton! Ich hasse dich!«
Sein erster Gedanke war, hinter ihr herzulaufen und sie zurückzuholen, doch Nick wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Es gab absolut keine Entschuldigung für das, was er Alexandra angetan hatte. Vielleicht war es besser, wenn er ihr erlaubte, sich zu beruhigen und die Dinge zu überdenken. Wenn sie erst einmal begriff, wie sehr er sie liebte, würde sie ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkommen. Sie musste doch wissen, wie sehr er sie liebte und schätzte? Hatte er ihr das in den letzten beiden Tagen nicht immer wieder gezeigt?
Als eine Stunde vorüber und sie noch nicht zurückgekommen war, begann Nicholas langsam daran zu zweifeln, dass Alex ihn wirklich liebte. Er packte seine Tasche, ging in den Stall und sattelte Satin. Dann ritt er zur Curzon Street. Als er die Ställe betrat, die zum Stadthaus von Hatton gehörten, entdeckte er Kits Vollblut Renegade. Der letzte Mensch, den er in diesem Augenblick sehen wollte, war sein Zwillingsbruder. Ohne abzusteigen, lenkte er Satin aus dem Stall und ritt nach Hatton.
Alexandra war schon fast in Longford, als sie daran dachte, dass sie ihr Kleid und den Kaschmirschal für Dottie vergessen hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Das würde bedeuten, dass sie weitere Lügen erfinden musste, und sie wollte Dottie nicht noch mehr betrügen.
An diesem Abend stand Christopher Hatton vor dem Spiegel im Schlafzimmer seines Bruders. Wenn er diesen Betrug wirklich begehen wollte, musste er auch auf Kleinigkeiten achten. Er kämmte sein Haar zu der Frisur, die Nick bevorzugte. Kit trug seine beste schwarze Abendkleidung und befestigte sorgfältig die Krawatte im Lieblingsstil seines Bruders. Er sprach zu dem Spiegelbild, als sei es Nicholas. »Unsere äußere Erscheinung ist identisch, genau wie unsere Stimme, und ich kann genauso lässig und stolz sein wie du.« Seine Augen zogen sich zusammen, während er sich eingehend betrachtete. »Das Einzige, wovon du mehr hast, ist Selbstvertrauen!«
Kit hörte, wie die Haustür geöffnet wurde, und sein Freund Rupert Fenton einen guten Abend wünschte. Er unterdrückte seine Panik, und noch ehe der Diener etwas sagen konnte, rief Kit nach unten: »Rupert, komm doch bitte rauf.«
Als Rupert sah, dass Kits Schlafzimmer leer war, wandte er sich überrascht an Nick.
»Kit hat mich überredet, heute Abend mit dir zu Whites zu gehen. Er möchte, dass ich seinen Schuldschein von unserem Cousin Jeremy Eaton zurückhole. Da ich kein Mitglied des Clubs bin, werde ich als dein Gast mitgehen müssen. Du hast doch sicher nichts dagegen, Rupert, oder?«
»Natürlich nicht, Nicholas, aber wo ist Kit?«
»Er ist heute Nachmittag nach Hatton geritten und will den Abend mit Alexandra verbringen.«
»Nun, das ist gut so, würde ich sagen. Bis zu dem Verlobungsessen habe ich nämlich schon daran gezweifelt, ob er je den Mut aufbringen würde, ihr einen Antrag zu machen«, gestand ihm Rupert.
»Kit hat wesentlich mehr Mut als den meisten Menschen klar ist«, widersprach Nick heftig. Er griff nach seinem Zylinder und seinem Stock. »Sollen wir gehen?«
Als sie bei Whites ankamen, stellten sie fest, dass der Club für einen Dienstag recht gut besucht war. Die meisten Männer hatten ihre Frauen auf dem Land zurückgelassen, während sie sich in der Stadt ihrem Laster hingaben.
Ein schneller Blick in das Kartenzimmer sagte Kit, dass der Blutsauger Eaton noch nicht da war. Er fluchte leise vor sich hin, denn auf ihn zu warten, würde seine Anspannung nur noch erhöhen. Drei Männer begrüßten ihn als Lord Hatton, dreimal musste er sie berichtigen. Die Antworten waren fast identisch, als er ihnen erklärte, er sei Nicholas. Und als alle ihm gratulierten, dass er in der Armee gedient hatte, die Napoleon geschlagen hatte, und ihn in London willkommen hießen, versuchte Kit, nicht mit den Zähnen zu knirschen.
Er kaufte an der Kasse Chips und schlenderte auf den Faro-Tisch zu, wo Nicks Lieblingsspiel gespielt wurde. Er gewann und verlor und wusste, wenn Eaton kam, würde er zum vingt-et-un Tisch hinübergehen. Kit hätte alles darum gegeben, einen Whiskey zu trinken, doch er akzeptierte höflich ein Glas Ciaret, das Rupert ihm brachte, da es das war, was sein Zwillingsbruder immer trank, wenn er spielte.
Plötzlich sträubten sich Christophers Nackenhaare, und er spürte instinktiv, dass sein Widersacher gerade das Kartenzimmer betreten hatte. Ohne sich umzudrehen, verließ Kit den Faro-Tisch und ging lässig hinüber zu seinem Lieblingsspiel.
Rupert folgte ihm und nickte dem jungen Lord Mitford zu, der ein flüchtiger Bekannter der Zwillinge war.
»Hallo, Harm. Hast du auf mich gewartet?«, fragte Jeremy gedehnt.
»Tut mir Leid, wenn ich dich enttäuschen muss. Ich bin Nicholas. Ich fürchte, ich habe wirklich auf dich gewartet.«
Eaton war einen Augenblick lang erschrocken, doch dann schien er sich zu erholen. »Ich habe etwas mit deinem Zwillingsbruder zu besprechen. Wo ist er?«
»Ich bin an seiner Stelle gekommen. Du wirst schon mit mir vorlieb nehmen müssen. Wie ich gehört habe, besitzt du einen Schuldschein von Lord Hatton. Ich bin gekommen, um ihn von dir zurückzugewinnen«, erklärte ihm Kit. »Sollen wir spielen?«
»Ah, der galante Hauptmann kommt seinem Zwillingsbruder zu Hilfe. Nun, das ist ja nicht das erste Mal«, meinte Eaton verächtlich. »Man behauptet, du hättest teuflisches
Glück, aber ich würde behaupten, das wird bald vorüber sein.«
Rupert stand wie angewurzelt hinter Hattons Stuhl.
Kit riss sich zusammen und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Es war eine nervöse Geste, die seine Identität verraten konnte. Er begann die Karten auszuteilen und gab sich absichtlich den ersten Black Jack, was bedeutete, dass er der Erste war, der die Karten austeilte.
Kit suchte die Karten zusammen und mischte sie eine lange Zeit. Er drehte die oberste Karte um, zeigte sie allen Spielern und legte sie dann mit dem Gesicht nach oben unter das Spiel. Dann teilte er jedem Spieler eine Karte aus und wartete, bis alle ihre Einsätze gemacht hatten. Jeder Spieler setzte zwei Chips, und Kit forderte, dass die Einsätze verdoppelt wurden, sein Vorrecht als Kartenausteiler.
Mit einem spöttischen Lächeln verdoppelte Eaton seinen Einsatz. Dann sah er zu, wie Hatton jedem Spieler eine Karte gab, mit dem Gesicht nach oben. Das Lächeln verschwand von Eatons Gesicht, als er das As sah, das Hatton sich selbst gegeben hatte.
Lässig drehte Hatton einen König um, der die Augenzahl auf einundzwanzig erhöhte, und jeder bezahlte ihn. Ohne Eaton anzusehen, griff er nach dem Kartenspiel, mischte es wieder und gab dann jedem Spieler eine Karte. Wieder machten alle ihren Einsatz.
Und wieder gab sich Kit ein As.
Jeremy Eaton sprang auf. »Hatton, du betrügst!«
Eine tödliche Stille senkte sich über den Tisch. Kit, der so tat, als sei er über die Beleidigung schrecklich wütend, stand auf und trat seinem Cousin gegenüber. »Forderst du mich heraus?«
»Jawohl! Ich fordere deine Ehre!«
»Wenn du mich zu einem Duell herausforderst, Eaton, dann akzeptiere ich.« Jawohl! Er hat den Köder geschluckt und mich vor allen anderen herausgefordert!
Das Blut wich aus Jeremy Eatons Gesicht.
»Rupert, du wirst mein Sekundant sein. Als derjenige, der herausgefordert wurde, denke ich, habe ich die Wahl der Waffen und des Austragungsortes«, erklärte Kit. »Green Park in der Morgendämmerung. Ich bin zwar an meine Waffen aus der Armee gewöhnt, besitze aber auch Duellpistolen. Wähle deine Sekundanten.«
Mit blutleeren Lippen bat Eaton Trevor Mitford, sein Sekundant zu sein, und nickte steif, als dieser akzeptierte.
Kit Hatton fühlte, wie alles in ihm jubelte. Sein Herz schlug so laut, dass es in seinen Ohren dröhnte. Den ersten Teil seines Planes hatte er hinter sich. Die Würfel waren gefallen. Er strich seinen Gewinn ein und verließ den Raum.
Trevor Mitford sah Rupert an. »Bis zur Morgendämmerung sind es nur noch ein paar Stunden! Das lässt uns wenig Zeit, die nötigen Vorbereitungen zu treffen!«
»Wir brauchen einen Arzt.« Rupert sprach, als sei er benommen.
»Ich habe einen Freund, der Arzt ist«, bot Mitford an. »Ich werde mich sofort mit ihm in Verbindung setzen.«
Rupert wandte sich um, um mit Jeremy Eaton zu reden, doch dann stellte er fest, dass dieser bereits gegangen war. Ein Meer aus Gesichtern starrte ihn an, Rupert hob das Kinn und erwiderte die Blicke.
Jeremy Eaton hatte Angst. Er hatte sich dazu drängen lassen, ein Duell mit einem hervorragenden Gegner auszufechten. Verzweifelt fragte er sich, wie er aus der Falle wieder herauskommen konnte. Seine Beine zitterten, als würden sie ihn nicht länger tragen, und er hielt eine Mietkutsche an. »Fahren Sie einfach los!«
Eatons Gedanken waren so verwirrt, dass er seine Umgebung gar nicht erkannte, bis sie durch Covent Garden fuhren. Als er aus dem Fenster sah, erkannte er das Bow Street Schild. Seine Rettung war nah.
Es war nach zwei Uhr am Morgen, als Rupert und Trevor Mitford als Ort des Duells Green Park festlegten und sich auf eine Stelle einigten, die von schützenden Bäumen umgeben war. Mitford nahm Rupert in seiner Kutsche mit zur Curzon Street, dann fuhr er los, um den Arzt Ai holen. Es war fast drei Uhr, als Rupert die Treppe zu Nicks Schlafzimmer hinaufging.
Ruperts Augen weiteten sich, als er Nicholas sah. Er hatte seine Uniform der Royal Horse Artillery angezogen. Sie war ein wenig verblichen, doch trug sie noch immer das Abzeichen des Hauptmannes und verlieh ihm ein gebieterisches Aussehen. »Wirst du nicht in Schwierigkeiten geraten, wenn du bei einem Duell deine Uniform trägst?«
Kit lachte. »Ich bin sowieso in Schwierigkeiten, da ein Duell von der Krone ausdrücklich verboten ist.«
»Sehr wahr! Du könntest es noch immer absagen«, schlug Rupert vor und fuhr sich mit dem Finger unter den Kragen, um ihn ein wenig zu lockern.
Statt einer Antwort reichte Kit Hatton Rupert den ledernen Koffer mit den Duellpistolen. »Wenn er die Uniform sieht, wird Eaton sich vor Angst in die Hose machen!« Seine Augen blitzten gefährlich.
»Weißt du, ich glaube nicht, dass Kit wirklich möchte, dass du Jeremy Eaton wegen einer Spielschuld erschießt«, meinte Rupert.
»Du irrst dich. Das ist genau das, was Kit will.«
Rupert nahm den Lederkoffer in die Hand. »Ich bin kein Experte, wenn es um Pistolen geht... aber ich nehme an, ich muss diese hier untersuchen.«
»Das ist nicht nötig. Ich habe sie zuvor gesäubert. Du wirst feststellen, dass alles in Ordnung ist. Die Kugeln und auch das Pulver sind im Koffer.«
»Ich nehme an, in Frankreich ist jeden Tag auf euch geschossen worden... aber das alles macht mich ein wenig nervös.«
»Eine Pistole kann dein bester Freund sein, Rupert.« Eine Mischung aus Angst und Erregung ließ seine Augen blitzen wie schwarze Diamanten.
Rupert leckte sich über seine trockenen Lippen. »Es ist schon beinahe vier Uhr. Es wird wohl besser sein, wenn wir losgehen.«
Die beiden Männer gingen zur Ecke der Curzon Street und bogen dann in die Clarges Street ein. Als Rupert an seinem Stadthaus vorüberging, sah er zu dem großen Gebäude, als wünschte er sich nichts sehnlicher als die Sicherheit seines eigenen Bettes. Sie überquerten den Piccadilly und bogen in den Green Park ein, dann folgten sie einem Weg, der sie zu den Bäumen führte. Sie entdeckten zwei Kutschen und einige Männer, die sich in der Dunkelheit versammelt hatten, und gingen auf sie zu.
Rupert erkannte Trevor Mitford. »Haben Sie den Arzt mitgebracht?«
Mitford deutete mit dem Kopf in Richtung Kutschen. »Ich habe Eaton nicht mehr gesehen, seitdem er Whites verlassen hat.«
»Hoffentlich kommt er nicht! Das alles ist so unwirklich.«
Mehr und mehr Zuschauer hatten sich versammelt, ein Beweis dafür, dass die gehobene Gesellschaft auf einen so blutigen Sport geradezu versessen war. »Darf ich die Duellpistolen untersuchen?«, bat Mitford. Er öffnete den Koffer und holte eine der Pistolen heraus, doch in der Dunkelheit konnte er sie nicht genau sehen. »Scheint in Ordnung zu sein.« Er reichte sie zurück.
Rupert trat neben Hatton. »Eaton ist noch nicht aufgetaucht.«
»Das ist ein Trick, um meine Nerven zu strapazieren, aber das wird nicht klappen!«, fuhr Kit auf und zeigte, dass es klappte. Er begann hin und her zu laufen, und als die Dunkelheit langsam schwand, stellte er fest, dass die Männer seine Uniform anstarrten. Er reckte die Schulter und hob den Kopf, stolz wie ein Löwe, und benahm sich genau so wie Nicholas.
Als die Dämmerung den Himmel zu erhellen begann, sahen sie, dass Jeremy Eaton allein kam. Trevor Mitford ging sofort auf ihn zu, und sie sprachen leise miteinander. Dann winkte Mitford Rupert, der zögernd zu ihm hinüberging. Rupert öffnete den Lederkoffer, in dem die Pistolen lagen, und nachdem Eaton einen Blick darauf geworfen hatte, sah er besorgt über seine Schulter zurück.
Christopher Hatton konnte nicht länger warten. Er schlenderte zu dem Trio hinüber, wählte eine Pistole und machte sich daran, sie mit Kugel und Pulver zu laden. Mitford reichte Eaton die andere Pistole, doch als dieser keine Anstalten machte, sie zu laden, nahm Mitford sie ihm ab und lud sie für ihn.
Rupert drängte: »Gentlemen, sicher könnt ihr eure Streitigkeiten auf eine zivilisiertere Art regeln.«
»Absolut nicht!«, fuhr Hatton auf. »Eaton hat meine Ehre angegriffen. Ich will Satisfaktion.«
Als Mitford sprach, klang seine Stimme eine ganze Oktave höher. »Gentlemen, Sie werden jetzt losgehen, bis zehn zählen, sich dann umwenden und schießen.«
Die Todfeinde standen Rücken an Rücken. Eatons Gesicht war kreidebleich, Hattons dunkelrot. Trevor und Rupert begannen, gleichzeitig zu zählen.
Drei berittene Polizisten aus der Bow Street erschienen auf der Bildfläche. »Aufhören, im Namen des Gesetzes!«
Bei acht wandten die beiden Männer sich um. Kit Hatton schoss, und Jeremy Eaton fiel auf den Boden. Einer der Polizisten kümmerte sich um den Mann am Boden, die beiden anderen gingen zu dem Mann in der Uniform. Sie nahmen ihm die Pistole ab und legten ihm Handschellen an. »Nicholas Hatton, Sie befinden sich unter Arrest wegen Verdachts des Mordes an Ihrem Vater Henry Hatton.«
Kit begann sich zu wehren. »Sie haben den falschen Mann erwischt!«, rief er. Doch seine Proteste waren vergebens, die beiden Männer nahmen ihn zwischen sich und führten ihn ab. »Rupert! Rupert! Suche meinen Bruder und bringe ihn sofort zu mir!«