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18

 

Als Alex zu Hause ankam, schien das Haus leer zu sein. Sie lief nach oben in ihr Zimmer und fand ein Buch und eine Nachricht ihrer Großmutter.

 

Ich bin Bummeln gegangen. Genieße Emmas Abenteuer!

Dottie.

Alex lächelte. Ihre Großmutter hatte ihr das Buch über Lady Hamilton und Lord Nelson dagelassen. Sie entschied sich, an ihren Karikaturen zu arbeiten und bat Sara, ihr das Essen nach oben zu bringen.

Als sie versuchte, sich auf Prinny zu konzentrieren, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem Dirnenhaus in der Pall Mall. Das Bild von Charlotte King mit ihrem herrlichen Schmuck aus Topasen ging ihr nicht aus dem Kopf. Die Früchte der Stunde sind doch nicht der Tod, es sind Juwelen! Das gab ihr eine Idee für die Karikatur.

Alex zeichnete Prinny mit Rädern und Pedalen, als wäre er ein Fahrrad. Dann zeichnete sie seine Geliebte, Lady Hert-ford, die auf ihm fuhr, geschmückt mit all den Kronjuwelen. Unter die Karikatur schrieb sie: Sie geniesst die Früchte ihrer Arbeit.

Sie nahm ein Bad und kletterte anschließend ins Bett, um die Abenteuer von Emma Hamilton zu genießen. Ganz plötzlich erinnerte sie sich wieder an den Brief für Dottie, den sie am vergangenen Abend in ihre Tasche gestopft hatte. Alex stand auf, suchte nach ihrer Tasche und holte den geöffneten Umschlag hervor. Er war adressiert an Lady Longford und kam von der Coutts Bank. Alex, von Neugier geplagt, war versucht, den Brief zu lesen.

Ihr Schuldgefühl, etwas Derartiges zu tun, ließ sie innehalten ... ungefähr dreißig Sekunden lang.

 

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Zahlungen für Ihren Bankkredit bis jetzt noch nicht eingegangen und bereits überfällig sind. Dies ist die dritte und letzte Mahnung, die die Coutts Bank Ihnen bezüglich Ihres Kontos schickt, das jetzt im Rückstand ist. Falls Sie diese Angelegenheit auch weiterhin ignorieren, werden wir sie unseren Anwälten übergehen.

Hochachtungsvoll

 

Alex konnte die Unterschrift nicht lesen, aber sie ähnelte der von Thomas Coutts. Warum um alles in der Welt hatte Dottie einen Kredit bei der Coutts Bank aufgenommen? Und war nicht eigentlich die Barclays Bank ihre Bank? Und wenn sie wirklich einen Kredit aufgenommen hatte, warum hatte sie die fälligen Zinsen dann nicht bezahlt? Alex fuhr sich mit den Händen durch die Locken. Ich muss morgen früh einmal ernsthaft mit ihr reden. Sie griff nach dem Buch, und als sie sich in die Geschichte vertiefte, waren die Gedanken bald vergessen.

Als Alex am nächsten Morgen aufwachte, galt ihr erster Gedanke der Vaulting Academy von Champagner Charlie. Dann dachte sie an Emma, die Geliebte von Horatio Nelson, und kurz darauf fiel ihr der Brief der Coutts Bank ein. Sie zog sich einen Morgenrock über und klopfte an Dotties Tür. Sie fand ihre Großmutter im Bett, wo sie ihre Morgenschokolade genoss. »Hat das Bummeln Spaß gemacht?«, fragte sie vorsichtig

»Unerhört! Nach dem üblichen Geplänkel haben wir uns mit inhaltslosen Späßen beschäftigt, wie zum Beispiel unsere Hintern aus dem Fenster zu halten.« »Dottie, sei bitte ernst.«

»Ah, ich kann gar nicht ernst sein nach all der übermütigen Ausgelassenheit, die Lady Spencer und ich am gestrigen Abend genossen haben. Wir waren eingeladen, um im Melbourne House Mah-Jongg zu spielen. Als wir ankamen, stellten wir fest, dass Liz Melbourne ihr neues chinesisches decor vorzeigen wollte. Es zeugt von einem solch scheußlichen Geschmack, dass sich der Prinz von Wales dort vollkommen zu

Hause fühlen wird. Mein Gesicht ist beinahe erstarrt, weil ich versuchen musste, meine Belustigung zu verbergen, und die Mah-Jongg-Steine haben in meiner Hand geklappert, während ich mich bemüht habe, nicht laut zu lachen. Die Unterhaltung war bedeutungsloses, scheinheiliges Geschwätz.«

»Ich bin so froh, dass du so viel Spaß hattest.« Alex reichte ihr den Brief. »Das war unter der Post, die ich Rupert vor ein paar Tagen gebracht habe. Er hat den Brief irrtümlich geöffnet und ihn mir dann zurückgegeben.«

Als Dottie den Brief las, zuckte sie mit keiner Wimper. »Liebling, vielleicht sollten wir die Einladung der Hardings zum Essen annehmen. Wäre es nicht einfach göttlich, wenn wir beide ein rotbraunes Kleid tragen würden?«

»Es wäre noch viel göttlicher, wenn wir beim Thema bleiben könnten. Worum geht es bei diesem Unsinn mit dem Kredit überhaupt?«

»Du hast es ganz richtig ausgesprochen, Alexandra. Es handelt sich um einen Spaß. Thomas Coutts ist ein lieber alter Freund von mir. Er hat mir sogar einmal eine carte blanche angeboten... er muss wohl in seiner zweiten Jugend sein!«

Alexandra wollte ihr glauben, aber eine Eingebung riet ihr, näher nachzufragen. »Das ist kein Spaß, Dottie. Es ist eine Forderung nach Geld, und wenn das Geld nicht gezahlt wird, hat das gesetzliche Folgen.«

»Unsinn, Liebling. Du musst dir über solche Dinge keine Sorgen machen. Ich werde mich um die Sache kümmern.«

»Dottie, ich weiß, dass du älter und weiser bist als ich, aber ich bin kein Kind mehr. Bitte, sprich mit mir, von Frau zu Frau.«

Alex kannte den nachdenklichen Blick in Dotties Augen, als würde sie ihre Enkelin abschätzen. »Du wärest viel glücklicher, wenn du nicht Bescheid wüsstest, Liebling. Aber wenn du wirklich die junge Frau bist, die du zu sein scheinst, dann wird die Wahrheit dich nicht zerstören. Ich hoffe nur, dass sie dich nicht zur Verzweiflung treiben wird, wie es mir manchmal passiert.«

Alex berührte Dotties Hand mit den vielen Leberflecken. »Erzähl es mir.«

»Mein Reichtum ist ein Märchen. Vor langer Zeit war ich einmal wirklich reich, aber im Laufe der Zeit ist mein Reichtum verschwunden. Dein Großvater hat getrunken und sein Geld verspielt. Ich muss ihm zugute halten, dass er eine beachtliche Mitgift für deine Mutter beiseite gelegt hatte, aber dieser titellose Halunke, den sie geheiratet hat, ist in seine Fußstapfen getreten. Als das Geld ausgegeben war, hat er sie mit zwei Kindern sitzen gelassen. Um ihre Probleme zu lösen, ist sie mit einem anderen Schurken, der ebenfalls keinen Titel besaß, davongelaufen. Glücklicherweise hat sie euch beide zurückgelassen.«

»Glücklicherweise?«, fragte Alex leise.

»Jawohl, glücklicherweise. Sie hat den wirklichen Schatz zurückgelassen - einen Schatz aus reinstem Gold. Oh, ich bin so tief gesunken, dass ich jetzt auch noch rührselig werde! Russell hat mir das Herrenhaus von Longford hinterlassen, und als auf der Bank kein Geld mehr war, sind die Möbel, die Gemälde und schließlich auch die Dienerschaft langsam verschwunden. Dein Vorschlag, nach London zu kommen, hat uns etwas Zeit gegeben. Ich habe das Herrenhaus vertrauenswürdigen Leuten übergeben. Den Kredit habe ich bei Coutts aufgenommen, um Rupert zu helfen, eine reiche Frau zu finden, und um eine kleine Mitgift von tausend Pfund für dich beiseite zu legen. Dieses Geld wird unter keinen Umständen angerührt werden.«

Alexandra fühlte sich so benommen wie ein Vogel, der gegen eine Mauer geflogen war. Dotties Aktionen waren wesentlich mehr auf Sparsamkeit ausgerichtet und gar nicht so exzentrisch, wie sie immer geglaubt hatte! »Die Lösung unserer finanziellen Probleme liegt doch auf der Hand. Der Verkauf des Stadthauses würde uns einen guten Preis einbringen, sicherlich genug, um das Herrenhaus von Longford zu behalten. Dieses Haus in London ist reiner Luxus, ohne den wir auskommen können.«

Dottie seufzte. »Ah, Liebling, wenn alles nur so einfach wäre. Dieses Stadthaus gehört Lord Staines. Er bezahlt die Löhne der Dienerschaft, und sogar für die Lebensmittel und den Wein. Es ist ein gut gehütetes Geheimnis. Neville ist so großzügig, die Leute glauben zu lassen, dass dieses Haus mir gehört.« Dottie seufzte erneut tief auf. »Nun, wenigstens Ruperts Geldprobleme sind gelöst.«

Alexandras Augen weiteten sich. »Rupert hat Olivia ihres Geldes wegen geheiratet? Natürlich! Das beantwortet so viele Fragen. Wie naiv war ich doch, zu glauben, er würde sie aus Liebe heiraten.« Sie setzte sich auf das Bett, und dann kam ihr ein entsetzlicher Gedanke. Ich habe Nick Hatton angeboten, ihn zu heiraten, damit ich meinen Reichtum mit ihm teilen konnte! Guter Gott, wie erniedrigend wäre es gewesen, wenn er mein Angebot angenommen hätte! Seine Ablehnung schmerzte sie noch immer. Was für ein Glück, dass er sich von mir nicht angezogen fühlte!

»Liebe, Alexandra, ist ein noch größeres Märchen als mein Reichtum. Ich habe versucht, dir das beizubringen, seit dem Tag, an dem du zu mir gekommen bist. Ich habe mir eingebildet, Russell Longford zu lieben, deine Mutter hat sich eingebildet, Johnny Sheffield zu lieben, und du siehst ja, wohin uns das beide gebracht hat. Männer verlieben sich nicht, mein Schatz, sie heiraten aus Berechnung, und dann suchen sie sich ihr Vergnügen dort, wo sie es finden. Eine intelligente Frau wird das Gleiche tun. Und ich sehe in dir eine intelligente Frau, Alexandra.«

»Und das ist der Grund, warum du mir das Versprechen abgenommen hast, Christopher Hatton zu heiraten. Es geht dir nicht nur um den Titel, sondern auch um das Geld und die Sicherheit.«

»Genau! Gott sei Dank verstehst du das auch. Aber du musst dieses Geheimnis genauso bewahren, wie ich es getan habe. In der Gesellschaft bedeutet Geld alles. Sie würden wie ein Rudel Hunde über mich herfallen und uns wie Füchse zerreißen, wenn sie erst einmal herausfänden, dass wir gar nicht reich sind.«

Nick hat das Gleiche gesagt, als ich die Einzige war, die neben ihm sitzen wollte! Ganz deutlich hörte sie seine Worte. Du hast nicht nur ein weiches Herz, du bist auch liebenswert naiv. Die Damen der gehobenen Gesellschaft schneiden mich nicht, weil ich meinen Vater erschossen habe, ich werde ausgestoßen, weil mir jetzt kein Teil des Hatton-Reichtums mehr gehört.

Alex nahm ihre Gedanken zusammen, um sich zu konzentrieren. »Wir müssen die Zinsen für diesen Kredit bezahlen. Ich besitze dreißig Guineen, die ich beim Kartenspiel gewonnen habe, und erwarte, mit meiner neuesten Karikatur noch ein wenig mehr zu verdienen. Hast du beim Mah-Jongg etwas gewonnen?«

»Ein paar Pfund. Ich werde sie zu Coutts bringen, um ihnen den Hals zu stopfen. Irgendwie werden wir es schaffen, Liebling.«

»Ich nehme an, du hast deine Juwelen als Sicherheit für diesen Kredit gegeben.«

»Juwelen, von wegen! Die habe ich schon vor langer Zeit verkaufen müssen. Ich habe das Herenhaus von Longford als Sicherheit gegeben, was sonst hätte ich noch gehabt?«

Alexandras Herz sank. Judas Ischariot, Dottie! Du bist nicht nur exzentrisch, du bist vollkommen verrückt!

Gekleidet als Alex Sheffield lieferte sie die Karikatur bei der Zeitung ab. Als man ihr nur fünf Schilling dafür zahlte, wurde ihre Verzweiflung größer. Ihr wurde klar, dass sie niemals in der Lage sein würde, genug zu verdienen, um Dotties Schulden zu bezahlen. Der Betrag, den sie mit ihren Artikeln verdient hatte, würde noch nicht einmal genügen, sie zu ernähren, geschweige denn, das Herrenhaus von Longford zu behalten. Die Umstände hatten Alex heimatlos gemacht, als sie noch ein Kind war, und die Möglichkeit, dass all das noch einmal geschah, machte ihr Angst. Ganz plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie Dottie noch nicht einmal gefragt hatte, wie viel sie der Bank schuldete und wie hoch die Zinsen wären.

Als sie nach Hause kam, lief sie in Dotties Zimmer, doch sie war nicht da. Sie versuchte, ihre aufsteigende Panik unter Kontrolle zu bringen. »Was hast du nur getan?«, murmelte sie und blickte zum Porträt ihrer Großmutter auf. Die nackte Rothaarige sah mit einem rätselhaften Lächeln auf sie hinunter, und Dotties Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Eine kleine Sünde macht eine Frau unwiderstehlich. Alex begriff, dass dieses Bild über dem Kamin hing, weil es Neville Staines gehörte.

In ihrem Zimmer blätterte Alex in dem Buch über Emma Hamilton, bis sie die Kapitel gefunden hatte, nach denen sie suchte. Sie las sie noch einmal, und der Schatten einer Idee schien sich in ihrem Kopf zu formen. Sie legte das Buch beiseite und zog sich aus, dann stellte sie sich vor den Spiegel und betrachtete sich kritisch. Was sie plante, würde viel mehr sein als ein leichtsinniges Wagnis, viel mehr als alles, was sie je in ihrem Leben getan hatte. Sie würde ihre Moral vergessen müssen.

Alexandra kleidete sich sorgfältig an. Sie wusste, dass sie beeindrucken musste und entschied sich, ein Kleid aus cremefarbenem geripptem Taft zu tragen, dessen tiefe decolletage ihre jungen festen Brüste vorteilhaft zeigte. Dann rief sie nach Sara und bat diese, ein türkisfarbenes Band in ihr Haar zu knüpfen, weil diese Farbe einen wundervollen Kontrast zu ihrem rotgoldenen Haar bildete.

Als Sara fragte, warum sie am Nachmittag ihre Abendkleidung anzog, antwortete Alex: »Stell lieber keine Fragen, denn die Antworten würden dir nicht gefallen, Sara.«

Sie legte ihren dunklen Umhang um die Schultern, und im letzten Augenblick fiel ihr ein, dass sie Dotties Fächer mit den Straußenfedern brauchte, um einen noch dramatischeren Effekt zu erzielen. Und bevor sie ihren Mut verlor, mietete Alex eine Kutsche, um zur Pall Mall zu fahren.

Als sie vor dem Gebäude ankam, wusste Alexandra, dass sie nicht zögern durfte, sie musste handeln, solange sie den Impuls dafür noch verspürte. Sie schloss die Augen, holte tief Luft und betrat den Empfangsraum. Die Frauen starrten sie neugierig an. Es gab nur einen einzigen Grund, warum eine junge Frau hierher kam. Sie hoffte, in dem hochklassigen Bordell zu arbeiten. Als eines der Mädchen auf sie zukam, erklärte sie: »Ich möchte mit Charlotte King sprechen.«

Alex vermied den Blick der Gentlemen, die sich mit den Mädchen unterhielten. Erleichtert stellte sie fest, dass sie keinen von ihnen kannte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Charlie in den Raum geschlendert kam. Alex bemerkte, dass sie Freundlichkeiten mit den Männern austauschte, ehe sie zu ihr hinüberkam.

Alexandra sah der Frau direkt in die Augen. »Ich habe einen geschäftlichen Vorschlag, über den ich gern mit Ihnen reden würde, Mrs. King.«

Charlie zog eine perfekt nachgezogene Augenbraue hoch. »Vorschläge gehören ganz sicher zu meinen Geschäften.«

Alexandra lachte nervös über die geistreiche Antwort.

Charlie betrachtete sie von Kopf bis Fuß mit einem Blick, dem nichts entging. »Folgen Sie mir.« Charlie führte sie die Treppe hinauf zu ihren privaten Räumen. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, sah sie zu, wie Alex ihren Umhang abnahm. »Warum möchten Sie für mich arbeiten?«

»Wegen des Geldes, natürlich.«

Charlie lachte. »Natürlich. Sind Sie gut in dem, was Sie tun?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe so etwas noch nie zuvor getan.«

Charlie zog die Augenbrauen hoch. »Sie sind noch Jungfrau? Ich brauche Mädchen mit Erfahrung. Einige meiner Kunden haben ganz spezielle sexuelle Wünsche. Wir haben hier keinen Platz für Amateure, unser Geschäft ist es, unseren Kunden zu Gefallen zu sein.«

»Oh, der Dienst, den ich anbiete, wird den Männern sicher gefallen - wenn auch nicht körperlich.«

»Gibt es denn auch noch eine andere Möglichkeit?« Charlie konnte ihre Belustigung nicht verbergen.

»Es gibt noch viele andere Möglichkeiten. Aber ich spreche davon, den Männern visuell zu gefallen. Ich würde gern ein Posen-Mädchen sein. Das ist wie eine kurze Darstellung hinter einer durchsichtigen Gardine. Die Silhouette im Licht der Lampen gibt der Vorstellung etwas Exotisches. Ein Posen-Mädchen beginnt vollständig bekleidet und endet nackt. Sie könnte ihre Kleidung ausziehen und ins Bett steigen oder ihre Kleidung ablegen und ein angedeutetes Bad nehmen. All ihre Posen sind sehr geschmackvoll und hochklassig, aber dennoch äußerst erotisch. Was das alles so provozierend macht, ist die durchsichtige Gardine, die sie von dem männlichen Publikum abschirmt und die Illusion vermittelt, dass sie unberührbar ist, unerreichbar. Und das muss sie natürlich auch sein.«

»Ziehen Sie sich für mich aus.«

Alexandras Hals wurde trocken, und sie schluckte schwer. Wenn sie jetzt zögerte, würde Charlie ihr die Tür weisen. Sie reckte sich zu ihrer vollen Größe, hob das Kinn und begann dann, langsam ihre Kleidung auszuziehen. Als ihr Hemd auf den Teppich fiel, zwang sie sich dazu, nicht verlegen zu sein. Wenn sie ihren Körper nicht einer einzelnen Frau zeigen konnte, wie um alles auf der Welt würde sie dann in der Lage sein, vor dem anderen Geschlecht zu posieren.

Auf Charlies Bitte drehte sich Alexandra um und sehr langsam und anmutig bewegte sie sich in einem kleinen Kreis. Dann griff sie nach dem Fächer mit den Straußenfedern und verdeckte und enthüllte damit ihren Körper.

»Ziehen Sie sich wieder an. Sie sind eine junge Verführerin, und das wissen Sie sehr gut. Ihre Figur ist bezaubernd, aber das ist nicht der Grund dafür, dass ich Sie in Erwägung ziehe. Es ist Ihre Haltung. Sie lässt Sie aussehen wie eine Lady - in einem Bordell ist das eine einzigartige Eigenschaft. Wie ist Ihr Name?«

Ohne zu zögern antwortete Alexandra: »Caprice.« Sie zog sich schneller wieder an als sie sich ausgekleidet hatte.

»Nun, Caprice, ich werde Ihnen zweihundertfünfzig bezahlen für fünf Abende in der Woche und biete Ihnen freie Unterkunft und Verpflegung.«

Alex war verzweifelt. Sie hatte sich vorgestellt, nur einmal in der Woche aufzutreten. »Zweihundert für einen Abend in der Woche. Wenn ich öfter auftrete, wird es nichts Besonderes mehr sein. Unterkunft und Verpflegung werde ich nicht brauchen, ich kann nicht hier wohnen.«

»Zweihundert Guineen für nur einen Auftritt? Meine besten Mädchen erreichen nur einhundert.«

»Für einhundert Guineen bedienen sie aber nur einen Mann, und ich werde vielen Männern Freude bereiten.«

Ein langes Schweigen senkte sich über die beiden Frauen. »Einhundert, entweder, oder. Ich werde Ihnen einen Probeabend geben. Wenn Sie meine Geschäfte beleben, stimme ich zu. Sie können am Freitag anfangen.«

»Samstag. Ich werde am Samstag kommen, damit die Gentlemen etwas Nettes haben, an das sie denken können, während sie in der Kirche sitzen und sich die Sonntagspredigt anhören.«

Champagner Charlie legte den Kopf zurück und lachte laut auf. »Sie besitzen viel Geist, eine Tugend, die ich bewundere!«

»Eine Tugend, die auch Sie selbst haben.« Alex griff nach ihrem Umhang. »Danke, Mrs. King.«

Alex' Knie waren weich, als sie nach Hause ging. Sie hatte sicher eine Seite aus Dotties Buch gerissen. Sie war nicht nur exzentrisch, sie war vollkommen verrückt!

 

Hauptmann Nicholas Hatton glaubte, während der langen Winternächte seinen Verstand zu verlieren. Die Tage waren angefüllt mit verzweifelten Kämpfen - Napoleon hatte weitere vierzehntausend Truppen unter das Kommando von General Soult gestellt - und sie rauschten vorüber in einem Wirbel von Blut, Zerstörung und Tod. Die Nächte waren endlos und unerträglich. Die Stunden, in denen er Wache hatte, verstärkten seine Sehnsucht nach Hatton Hall mit seinen üppig grünen Weiden und den Pferden, die er selbst gezüchtet hatte. Er hatte großes Heimweh nach England, der Heimat seiner Vorfahren, nach seinem Zwillingsbruder und seinem Hund. In seiner Erinnerung waren die nächtlichen Geräusche in England anders, selbst die Luft dort schien weicher zu sein. Seine Sehnsucht war wie ein Schmerz in seinem Herzen.

Schon bald war Weihnachten, und dann würde das neue Jahr kommen. Es würde eine schwierige Zeit sein für die Männer unter seinem Kommando, die weit weg von zu Hause waren, und nicht wussten, wann sie zurückkehrten. Er glaubte, dass es auch für Kit eine einsame Zeit werden würde. Bis dahin hatten die Zwillinge jedes Weihnachtsfest zusammen verbracht. Es waren die ersten Feiertage, seit sein Bruder ihren Vater erschossen hatte, und Nick fühlte sich schuldig, weil er nicht in

Hatton war, um ihm Trost zu spenden. In der Nacht verfolgte ihn der Gedanke, dass er vielleicht hier in Frankreich sterben würde. Dennoch war es nicht der Tod, vor dem er sich fürchtete, sondern der Gedanke, dass er England niemals wiedersehen würde.

Mit strenger Selbstkontrolle behielt er seinen Gedanken für sich. Wenn er so fühlte, mussten die unter seinem Kommando kämpfenden Männer die gleichen Sehnsüchte und Ängste haben. Nick hatte gelernt, den Krieg mit aller Macht zu hassen. Er hatte als wilder Krieger begonnen, bereit, dem Feind mit dem Messer zwischen den Zähnen entgegenzutreten, aber dann hatte er sich so vielen moralischen Hindernissen gegenübergesehen, dass sein Gewissen betäubt war. Einige der Männer, die unter seinem Kommando standen, waren noch Jungen, im Namen Englands setzten sie ihr Leben aufs Spiel und töteten Menschen. Dieser Krieg hatte Nick eine Unschuld genommen, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er sie besaß. Krieg war Wahnsinn, er machte das Töten zu einer Tugend. Er hatte so viele Menschen umgebracht, dass er fürchtete, seine Seele sei verdammt.

Er verbannte alle Gedanken an Alexandra, doch in seinen Träumen verzehrte er sich vor Sehnsucht nach ihr. Sie begannen immer gleich. Seine Küsse waren heiß und verlangend, gierig und wild. Nachdem er seinen Hunger zuerst einmal mit Küssen gestillt hatte, hielten seine Arme sie eng umschlungen. Ihren Körper zu fühlen, war so beruhigend und gab ihm Trost. Wenn er auf dem Tiefpunkt angekommen war, gelang es ihr immer wieder, ihn aufzubauen. Er wachte immer zum gleichen Zeitpunkt auf, nachdem er sie mit seinem Mund befriedigt hatte. Er wusste, warum er die Vereinigung nie vollzog, nicht einmal in seinen Träumen. Alexandra war für ihn verboten, sie gehörte zu Christopher.