23
Christopher Hatton befand sich in einem Rennen gegen die Zeit. Sein Zwillingsbruder war ein äußerst raffinierter Mann. Wenn er Nick davon abhalten wollte, die Wahrheit über den verschwundenen Reichtum von Hatton herauszufinden, wenigstens bis es ihm gelungen war, die Erbin zu heiraten, würde er seinen ganzen Verstand zusammennehmen müssen.
Kit ließ die Karaffe mit Whiskey in der Bibliothek unberührt. Unter keinen Umständen durfte er das Geld anrühren, das sein Zwillingsbruder in den Safe gelegt hatte. Er wollte Nicks Vertrauen in ihn wiederherstellen.
Am nächsten Morgen zog Kit Wildlederhosen und Reitstiefel an und ging in den Stall, um Renegade zu satteln. Absichtlich ritt er zur Grange, um Nick zu zeigen, dass er das Pferd bewegte.
Nick, der überrascht war, seinen Zwillingsbruder schon so früh am Morgen zu sehen, begrüßte ihn freundlich. »Kit, ich habe diese Stute aus Frankreich mitgebracht. Sie ist zwar kein Vollblut, aber sie hat gute Anlagen und wahrscheinlich auch eine ordentliche Abstammung. Würdest du sie von Renegade decken lassen?«
»Das wird eine Vernunftehe werden«, meinte Nick und lachte.
Kit warf seinem Zwillingsbruder einen scharfen Blick zu, er vermutete eine Anspielung auf seine eigenen Heiratspläne. Doch dann lachte auch er. »Du kannst ihn jederzeit holen kommen. Nun, ich reite besser wieder los, ich brauche die Bewegung genauso wie Renegade.«
Nick winkte ihm zum Abschied. Er ist absichtlich hierher geritten, um mir zu zeigen, dass er meine Vorschläge befolgt. Ich frage mich, was er wohl im Sinn hat ?
Kit war froh darüber, dass sein Zwillingsbruder nichts vermutete. Nick hatte ein weiches Herz, wenn es um seinen Bruder ging, und das gab ihm einen Vorteil. Als er am Rande des Besitzes der Hardings entlangritt, war er überrascht zu sehen, dass Rupert mit seiner Kutsche die lange, mit Eiben bestandene Einfahrt entlanggefahren kam. Kit winkte ihm zu und rief seinen Namen. »Ich hatte keine Ahnung, dass du hier bist.«
»Ich habe gestern die Familie hierher gebracht, jetzt bin ich auf dem Weg nach London, um Dottie und Alex zu holen.«
»Das sind ja wundervolle Neuigkeiten! Ich denke, es ist zwischen uns beiden nicht notwendig, aber die Sitten verlangen es, dass ich dich um Erlaubnis bitte, ehe ich deiner Schwester Alexandra den Hof mache.«
»Und bei Gott, es ist auch allerhöchste Zeit! Hart Cavendish hat sie in letzter Zeit so sehr in Beschlag genommen, dass ich schon befürchtet habe, sie würde als Herzogin enden!«
Kit warf den Kopf zurück und lachte. »Rupert, du bist ein so treuer Freund. Kein anderer Mann in England würde es vorziehen, dass seine Schwester mich heiratet und nicht den Herzog von Devonshire.«
»Es gibt da etwas, das ich dir sagen sollte. Vor ein paar Wochen hat Alex unsere Mutter gefunden. Sie ist ziemlich krank, und Dottie und meine Schwester werden sie hierher nach Longford bringen. Keiner weiß etwas davon.«
Obwohl ihn der Gedanke, dass Margaret Sheffield in Longford lebte, abstieß, war er froh, dass Rupert ihn gewarnt hatte. »Danke, dass du mir das anvertraut hast.«
»Nun, da du vorhast, ein Teil der Familie zu werden, habe ich keine andere Möglichkeit gesehen«, meinte Rupert.
Dottie gab Margaret Laudanum, damit sie die Fahrt nach Longford besser überstand. Sie bat auch Sara, den Sommer über mitzukommen. Obwohl Neville Staines ihren Lohn bezahlte, so wusste Dottie doch, dass er nichts dagegen haben würde. Als sie in Longford ankamen, trug Rupert die schlafende Margaret in sein altes Schlafzimmer. Dann half er pflichtschuldigst, das Gepäck nach oben zu tragen, während Alex Zephyr in den Stall brachte.
»Oh, ehe ich es vergesse, Christopher ist wieder in Hatton. Heute Morgen habe ich ihm gesagt, dass ich euch in London abhole und hierher bringe, seid also nicht überrascht, wenn er kommt, um euch zu begrüßen.«
»Tod und Verdammnis! Wir sind noch nicht bereit für ihn!«, rief Dottie.
»Aber er kommt als Freier! Sag mir bloß nicht, dass du deine Meinung geändert hast und nicht mehr willst, dass Alex Lady Hatton wird.«
»Natürlich nicht, du Dummkopf, aber um einen Lord zu empfangen, müssen wir einen vernünftigen Empfangsraum haben. Nun, zieh deine Jacke aus und roll die Ärmel auf, du musst eine ganze Menge Möbel schleppen.«
»Lieber Gott, jedes Mal, wenn ich auch nur in deine Nähe komme, hast du Arbeit für mich. Sehe ich aus wie ein Maulesel, Dottie?«
»Ein Maulesel ist das Gleiche wie ein Esel. Übrigens brauchen wir einen Koch. Sara und ich werden uns um Margaret kümmern, aber wir müssen einen Koch haben.«
»Ich werde mich darum kümmern, wenn du mich von der schweren Arbeit befreist.«
»Oh, ich nehme an, du wirst schon bald auf die Jagd gehen. Ein Koch braucht auch etwas, das er kochen kann.«
Es dauerte beinahe zwei Stunden, und als Alex, Dottie und Rupert dann die Früchte ihrer Arbeit betrachteten, waren sie davon überzeugt, dass sie in diesem Empfangsraum sogar eine Königin empfangen könnten. »Falls wir eine Königin hätten«, fügte Dottie hinzu. »Niemand braucht zu wissen, dass es in Longford zwei Flügel gibt, die leer stehen.«
»Da wir gerade von Flügeln sprechen, du bist ein Engel, Rupert.« Alex half ihm in seine Jacke und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke, Lieber.«
Gerade war Alex nach oben gegangen, um ein Bad zu nehmen und sich den Staub aus dem Haar zu waschen, als Christopher Hatton kam.
»Lord Hatton, kommen Sie doch herein.« Dottie führte ihn in den luxuriös eingerichteten Empfangsraum und machte eine abwehrende Geste. »Wie Sie sehen, ist noch alles durcheinander, wir sind nämlich gerade erst angekommen.«
»Ich wollte nur kommen und Sie zu Hause willkommen heißen, Lady Longford.«
»Sehr gute Manieren, wirklich, eine Witwe zu Hause zu begrüßen«. Du siehst viel zu gut aus. Meine Enkelin muss dich heiraten, wenn wir das Herrenhaus von Longford retten wollen, aber glaube nicht, dass du einfach hier hereingeschlendert kommen und Alexandra als selbstverständlich hinnehmen kannst.
Kit verbeugte sich galant. »Ist Alex in der Nähe?«
Dottie zog die Augenbrauen hoch. Sie hob ihr Lorgnon, um ihn genauer zu betrachten. »Alexandra empfängt heute Nachmittag keine Gäste. Wenn Sie Ihre Karte hier lassen möchten, dann werde ich ihr sagen, dass Sie hier gewesen sind. M'lord.«
Kit war betroffen. Er hatte gar keine Karte bei sich. Er hatte gedacht, dass zwischen Dottie Longford und seinem Vater alles geregelt worden war, doch dann wurde ihm plötzlich klar, dass sie mit ihm einverstanden gewesen sein musste, ehe sie ihm die Erlaubnis gab, Alexandra den Hof zu machen. »Meine Lady, wäre es angemessen, wenn ich morgen wiederkommen würde?«
»Ah, aber auf jeden Fall, lieber Junge. Wissen Sie, zu meiner Zeit, wenn ein Gentleman zu Besuch kam, dann kam er nicht mit leeren Händen. Ein Geschenk ist zwar nicht nötig, vielleicht ein Mitbringsel, wie zum Beispiel ein Stück Wild oder ein paar Vögel. Gehen Sie auf die Jagd, Lord Hatton?«
»Das tue ich, Lady Longford. Bis morgen dann?« Die alte Hexe will, dass ich nach ihrer Pfeife tanze!
Im Garten von Longford waren die Rosen voll erblüht, und Dottie wusste, dass Margaret den warmen Sonnenschein genießen würde. Alex half ihrer Mutter nach unten und brachte sie hinaus auf den Rasen, wo sie und Sara einen Liegestuhl aufgestellt und Kissen bereitgelegt hatten. Alex setzte sich neben ihrer Mutter ins Gras, um ihr Gesellschaft zu leisten.
»Wir müssen miteinander reden«, flüsterte Margaret.
»Aber wenn du redest, musst du wieder husten...«
»Das macht nichts.« Margaret holte röchelnd Luft. »Ich habe schreckliche Entscheidungen getroffen und dadurch mein Leben ruiniert. Ich habe meiner Mutter das Herz gebrochen, und, was noch viel schlimmer ist, meine Selbstsucht hat meine Kinder sehr verletzt.« Sie begann zu husten und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund.
»Das liegt alles in der Vergangenheit, und es ist nicht nötig, dir Vorwürfe zu machen und all deine Sünden aufzuzählen.«
»Doch, das ist notwendig. Ich möchte nicht, dass du den gleichen Fehler machst, den ich gemacht habe.« Sie presste das Taschentuch an ihren Mund und atmete schwer. »Ich habe mich geweigert, den Mann zu heiraten, den Dottie für mich ausgewählt hatte. Ich bin nach London gelaufen und habe mich schamlos benommen. Das Wort Pflicht hatte für mich keinerlei Bedeutung. In offenem Widerstand habe ich einen gewöhnlichen Mann geheiratet, der mir das Leben zur Hölle gemacht hat. Er hat mein ganzes Geld ausgegeben, und meine
Eltern mussten seine Schulden bezahlen.« Margaret wand sich unter einem Hustenanfall.
»Bitte, sprich nicht weiter. Ich weiß, was als Nächstes geschah.«
Margaret atmete mehrmals langsam ein. »Also gut, aber ich bitte dich, lass dich von Dottie beraten. Der Weg der Pflicht ist auch der Weg zum Glück, Alexandra.«
»Ich habe meiner Großmutter mein Ehrenwort gegeben.«
Margaret lächelte, dann schloss sie die Augen und schlummerte ein.
Mrs. Dinwiddie, die ältliche Haushälterin, kam in den Garten. »Sie haben einen Besucher, Alexandra. Ich werde bei Margaret bleiben.«
Alex ging durch die Küchentür ins Haus und stellte fest, dass der Küchentisch voll mit Wild war. Als sie den Empfangsraum betrat, entdeckte sie Kit und Dottie, die gerade über einen Scherz lachten.
»Hier ist Christopher, er ist gekommen, um dich zu besuchen. Der gute Junge hat uns genügend Wild für eine ganze Woche mitgebracht.«
»Hallo, Kit. Zweifellos hat Dottie dir einen deutlichen Hinweis gegeben.«
»Oh, es war mehr als nur ein Hinweis. Ich habe ihm eine Aufgabe gegeben, eine edle Bitte, und er hat sie erfüllt. Er hat mich vollkommen für sich gewonnen.«
»Guten Morgen, Alex. Ich bin gekommen, um dich zu fragen, ob du Lust hast zu einem Ausritt?«
Sie schluckte die Entschuldigung, die ihr auf die Lippen kam, hinunter und lächelte ihn an. »Aber gern. Ich laufe nur nach oben und ziehe mich um.«
Während sie ihr Reitkleid anzog, brachte Sara ihr die Stiefel. »Lord Hatton sieht so gut aus, dass einem die Knie weich werden.«
Alex dachte sofort an Nick, schob ihn jedoch schnell aus ihren Gedanken und lief nach unten zu Christopher.
Im Stall sattelte Kit Zephyr, obwohl Alex protestierte. » Alex, es macht mir Freude, etwas für dich zu tun.« Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Du gewöhnst dich besser daran.«
Als er sie in den Sattel hob, sah sie in sein Gesicht. Ich gewöhne mich besser an alles, was du tust. Sie sah ihm zu, wie er auf sein Pferd stieg, und ihr war klar, wie unfair sie ihm gegenüber war. Ich darf nicht ärgerlich auf Kit sein, ich darf eine Ehe mit ihm nicht als Todesurteil sehen. Sie hatte ihn schon immer gemocht, jetzt musste sie ihm nur die Gelegenheit geben, ihr Herz zu gewinnen. »Wir machen ein Wettrennen zum Wald!«, forderte sie ihn heraus.
Alex war erstaunt, dass sie den Wald vor ihm erreichte. Nick hätte niemals zugelassen, dass sie das Rennen gewann. Ihr Herz flog Kit zu, weil er so galant war. Sie lachten, während sie ihre Pferde über die bewaldete Lichtung lenkten, und als sie den Fluss erreichten, hob er sie aus dem Sattel. Er lud sie ein, sich neben ihn auf einen umgestürzten Baum zu setzen, damit sie miteinander reden konnten.
»Alex, als ich Rupert gefragt habe, ob ich dir den Hof machen könnte, war er erfreut darüber. Ich glaube auch, dass ich deine Großmutter für mich gewonnen habe - und das war nicht einfach. Jetzt muss ich nur noch dein Einverständnis haben.«
Ihre Augen blitzten schelmisch. »Du bittest mich darum, mir den Hof machen zu dürfen?«
»Nein, ich bitte dich, mich zu heiraten!«
Das schelmische Aufblitzen verschwand aus ihrem Blick. »Oh, Christopher, sicher willst du mir doch zuerst den Hof machen?«
»Verflixt, Alex, seit unserer Kindheit war es abgemacht, dass wir einmal heiraten würden. Rupert wünscht es sich, Dottie wünscht es sich, und auch mein Vater hat es so gewollt. Kannst du das leugnen?«
»Nein, aber wir müssen es uns auch wünschen, Kit.«
»Willst du damit sagen, dass du mich nicht willst?«
»Nein, nein, das habe ich nicht gesagt.« Alex legte ihre Hand auf seine, sie war entsetzt, dass er ihre Ablehnung gespürt hatte. Oh, Kit, warum nimmst du mich nicht einfach in den Arm, so, wie du es in London gemacht hast?
»Um Himmels willen, Alex, spiel nicht mit mir. Ich möchte, dass das alles geregelt ist. Wenn ich deine Zustimmung nicht bekomme, fürchte ich, ich werde dich verlieren.«
»Kit, ich brauche ein wenig Zeit, ehe ich dir mein Versprechen geben kann.«
»Natürlich, Zeit, die wir miteinander verbringen werden. Ich werde dich morgen zu einer Ausfahrt in meinem Phaeton mitnehmen. Und dann möchte ich gern ein Abendessen geben, nur für die Familie, damit sich alle an den Gedanken gewöhnen, dass du Lady Hatton werden wirst. Du brauchst dich noch nicht auf einen Termin festzulegen.«
Ich kann morgen nicht mit dir ausfahren, ich muss morgen Abend bei Charlie auftreten! »Du kannst am Montag eine Ausfahrt mit mir machen, und das Abendessen kannst du auf die folgende Woche legen - wenn du darauf bestehst.«
»Ich bestehe darauf. Am Dienstagabend, Alexandra, du weißt gar nicht, wie glücklich du mich gemacht hast!«
Alex sah, wie schnell seine Laune sich änderte. Das war keine Überraschung, denn so war Christopher schon immer gewesen. Er war sehr empfindsam und leicht beleidigt. Sie würde aufpassen müssen, damit sie ihn nicht verletzte.
Nachdem er Alex nach Longford zurückgebracht hatte, ließ Kit seiner Laune freien Lauf. Heute musste ich mich nicht nur mit einer verrückten Frau beschäftigen, ich musste auch noch zu Füßen ihrer allmächtigen Enkelin kriechen, die glaubt, sie sei viel zu gut für mich! Eine Ehe war in Kits Augen ein Gräuel. Er fürchtete sich davor, denn er hatte schon immer geglaubt, dass es eine Falle sei. Aber er stand mit dem Rücken zur Wand, und es gab keinen anderen Ausweg. Das, was ihn am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass sein Vater diese Ehe für ihn geplant hatte. Henry Hatton bekam endlich das, was er schon immer gewollt hatte!
Kit ging direkt in die Bibliothek und griff nach der Karaffe. Er brauchte, unbedingt einen Drink. Er wusste, wenn er erst einmal zu trinken anfing, würde er nicht eher aufhören, bevor der Whiskey alle war. Seine Hand zitterte, als er die Karaffe zurückstellte. Er hörte, wie jemand die Bibliothek betrat und drehte sich schuldbewusst um.
»Ihre Post, Sir.« Mr. Burke reichte ihm zwei Umschläge.
Als Kit sah, dass der eine Brief von der Barclays Bank und der andere von John Eaton war, wurde ihm übel. Er wusste, dass er es nicht über sich bringen würde, die Briefe zu lesen und warf sie achtlos auf den Schreibtisch. »Mr. Burke, Sie sind genau der Mann, den ich brauche. Ich möchte, dass Sie für Dienstagabend ein Abendessen für wenige ausgewählte Gäste vorbereiten: Alex und Lady Longford, Rupert und seine Frau, die Hardings, Olivias Bruder Harry und Neville Staines. Es gilt, etwas Besonderes zu feiern, nämlich eine Verlobung. Alexandra hat zugestimmt, Lady Hatton zu werden.«
»Meine Glückwünsche, Sir. Die Lady wird hier in Hatton willkommen sein. Soll Nicholas auch eingeladen werden?«
»Guter Gott, nein. Er möchte nicht, dass jemand weiß, dass er wieder zu Hause ist, und will auf der Grange bleiben.« Kit wusste, dass Mr. Burke nur wenige Minuten brauchen würde, um das Personal über die Verlobung zu unterrichten. Vielleicht würde sich die Neuigkeit bis zur Dienerschaft von Longford und den Hardings verbreiten. Je mehr von der Verlobung erfuhren, desto besser. Auf diese Art würde es Alex schwer fallen, sich ihm zu verweigern. Bei dem Essen würde er ihr einen der Ringe schenken, die seiner Mutter gehört hatten. Das würde die Verlobung in den Augen der Anwesenden offiziell machen.
Kit warf dem Whiskey einen sehnsüchtigen Blick zu, dann verfluchte er die Menschen, die ihm dies angetan hatten. Er nahm das Jagdgewehr aus dem Schrank in der Bibliothek. Wenn er jetzt nicht auf die Jagd ging und etwas tötete, würde er verrückt werden.
Als die Gaslampen gelöscht wurden, brandete der Applaus. Alex sammelte schnell ihre Kleidungsstücke zusammen und lief zur Treppe. Heute Abend hatte sie auf der Bühne ein Bad in einer kunstvoll bemalten Wanne genommen, die imaginäres Wasser enthielt. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, nicht mehr bei Champagner Charlie auftreten zu müssen. Du brauchst nur Christopher Hatton zu heiraten, riet ihr eine innere Stimme. Du hast Dottie bereits versprochen, dass du das tun wirst!
Als die Mietkutsche sie zurück zum Berkeley Square brachte, lauschte sie noch immer auf ihre innere Stimme. Wenn du ihn erst einmal geheiratet hast, wirst du ihm gestehen müssen, dass Dotties Reichtum nur ein Märchen ist. Das sollte nicht so schlimm sein, versicherte sie sich. Sein Vater hat Kit alles vererbt, ganz sicher heiratet er mich nicht des Geldes wegen.
Als Alex im Bett lag, stellte sie sich vor, dass sie mit den tausend Pfund, die Dottie für ihre Mitgift beiseite gelegt hatte, den Kredit abbezahlen würde. Das würde Dotties finanzielle Schwierigkeiten eine Weile hinausschieben. Rupert hatte keine Geldsorgen mehr, vielleicht würde er einen Teil dazu beitragen, den Kredit zurückzubezahlen.
Alex hatte ihrer Großmutter erzählt, dass sie bei der Zeitung Geld verdiente, deshalb war ihr Ausflug nach London notwendig geworden. Sie machte sich jedoch Sorgen, wie lange sie Dottie noch hinters Licht führen konnte. Es schien keine Lösung ihrer Probleme zu geben, und am Dienstag musste sie sich dem Abendessen in Hatton stellen. Das würde eine weitere Frage aufwerfen, auf die sie keine Antwort wusste.
Die Fahrt nach Longford früh am nächsten Morgen hob Alexandras Laune beträchtlich. Die englische Landschaft war so wunderschön, und sie wusste, sie konnte sich glücklich schätzen, hier zu leben. Wenn das Wetter wärmer wurde, war es in London längst nicht mehr so angenehm, auch nicht in den besseren Gegenden. Die Themse stank, und die Slums quollen über von Menschen, die nie etwas anderes kennen gelernt hatten als Armut und Elend.
Sie führte ein privilegiertes Leben, und das verdankte sie ihrer geliebten Großmutter. Sie besaß wunderschöne Kleider, ihr eigenes Pferd und Diener, und sie lebte in einem Herrenhaus auf dem Land. Der Mann, der sie umwarb, war nicht nur reich, er besaß auch einen Titel, und er war einer der bestaussehenden Männer überhaupt. Und was noch viel besser war, sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit. Er war außerordentlich galant gewesen, als er ihr am Freitag den Antrag gemacht hatte, er hatte ihr Zeit gelassen, bis sie sich entschieden hatte. Wenn sie zustimmte, ihn zu heiraten, würde sie aus dem Herrenhaus von Longford nach Hatton ziehen, dem herrlichsten Landsitz im ganzen Land. Die Worte ihrer Mutter kamen ihr wieder in den Sinn. Der Weg der Pflicht ist auch der Weg des Glücks.
Am Dienstag waren den ganzen Nachmittag über die Vorbereitungen für das Abendessen im Gange. Mr. Burke hatte ein spezielles Menü geplant. Die Forelle kam aus ihrem Fluss, das Frühlingslamm von ihrer Farm, und die Früchte stammten aus dem Obstgarten von Hatton. Sogar die Blumen, mit denen die Tische geschmückt waren, kamen aus den Gewächshäusern von Hatton.
Christopher Hatton hatte den Nachmittag damit verbracht, Platzkarten mit zierlichen keltischen Symbolen zu versehen, die zu den eleganten Einladungskarten passten, die er drei Tage zuvor ausgesandt hatte. Er brachte die Platzkarten hinunter in den Speisesaal und betrachtete voller Wohlwollen Mr. Burkes Arbeit. Große, duftende Wachskerzen standen auf dem langen Tisch und auf dem Kaminsims. Auf den schweren Tischdecken aus Damast leuchtete georgianisches Silber mit Monogrammen und Kristallgläser für Wein und Wasser standen bereit.
»Ich habe den Champagner kalt gestellt, aber Sie müssen noch den Wein für das Abendessen aussuchen, Sir.«
»Ich bin kein Weinkenner. Sie kommen besser mit in den Keller und geben mir Ihren Rat, Mr. Burke.«
Die beiden Männer gingen die Treppe hinunter in den älteren Teil des Hauses, in dem der Weinkeller lag. Während Kit die Spinnweben beiseite schob, wurde ihm klar, dass seit dem Tod ihres Vaters niemand mehr hier unten gewesen war.
»Für den Tisch würde ich den weißen Burgunder aus Char-donnay-Trauben vorschlagen. Zum Hauptgang würde ich dann den erdig roten Bordeaux aus dem Languedoc servieren.«
»Ich beuge mich Ihrer Erfahrung, Mr. Burke.« Kit ging an den hölzernen Regalen entlang. »Hallo, was ist denn das? Himmel, ich glaube, das ist Brandy!« Er nahm zwei Flaschen aus dem Regal. »Harding liebt Brandy.« Kit ging bis zum Ende des Ganges, um festzustellen, was es noch zu entdecken gab. Er blickte zu der schweren Tür in der uralten Mauer und zuckte zurück bei den Erinnerungen, die sie in ihm weckte. Hinter der Tür lag ein unterirdischer Tunnel, der zu den Ställen führte. Er und Nick hatten ihn entdeckt, als sie ungefähr sechs Jahre alt gewesen waren. Sie hatten nicht gewagt, mehr als drei oder vier Meter in den Tunnel hineinzugehen, denn es war stockdunkel gewesen. Ihr Vater hatte sie beim Spielen erwischt, und zur Strafe hatte er sie dort eingesperrt.
Kit erinnerte sich sogar jetzt noch an die lähmende Angst, die er gespürt hatte. Er hatte sich an Nick geklammert und geweint wie ein Baby. Als er in der Dunkelheit das Rascheln von Ratten gehört hatte, hatte er gezittert und in die Hose gemacht. Nick hatte gewollt, dass sie durch den Tunnel gehen sollten, um einen Weg herauszufinden, doch Kit hatte sich an die Tür geklammert und sie nicht mehr losgelassen. Als ihn sein Zwillingsbruder verlassen hatte, ergriff ihn Panik, und er klammerte sich an die Tür, bis seine Fingerspitzen bluteten. In seiner Vorstellungskraft sah er Dämonen aus der Hölle, die ihm die Luft aus den Lungen saugten und ihn daran hinderten, zu schreien. Dann kam sein Zwillingsbruder mit einer Laterne aus dem Stall zurück und rettete ihn.
Kit ging zurück zu Mr. Burke, der die Arme voller Weinflaschen hatte. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er atemlos, und der Druck in seiner Brust verstärkte sich.
»Ich habe sie fest in den Händen, Sir.«
Kit griff nach dem Brandy und ging hastig zur Treppe, die in die Küche führte. Er holte tief Luft und fühlte, wie ihm ein Schweißtropfen den Rücken hinunterlief. Es würde noch zwei Stunden dauern, bevor seine Gäste kamen, und er ging nach oben, um zu baden. In seinem Schlafzimmer hatte sein Kammerdiener bereits seine Abendkleidung zurechtgelegt. Er stellte die beiden Flaschen Brandy auf seinen Nachttisch und holte die kleine Schachtel hervor, in der der Ring seiner Mutter lag.
Als er darauf blickte, hörte er wieder die Worte seines Vaters. Ich habe mit Dottie Longford über deine Verlobung mit Alexandra gesprochen und wir sind zu einer Übereinkunft gekommen. Ich denke, wir sollten die Verlobung heute Abend beim Jagdessen bekannt geben. Du kannst ihr den Diamant-und Saphirring deiner Mutter geben.
»Bist du jetzt zufrieden, Vater? Diese Ehe ist es doch, die du schon immer gewollt und die du für mich geplant hast!«, brachte Kit zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Selbst diesen verdammten Ring hast du ausgewählt!« Er warf die Schachtel mit dem Ring auf den Nachttisch. »Diese Eheschließung war der Grund, warum wir uns an dem Tag gestritten haben, an dem du erschossen wurdest. Dein Tod hat das Ende deiner Pläne für mich bedeutet. An diesem Tag habe ich gewonnen, und du hast verloren, Vater!«
Kit löste seine Krawatte und zog das Hemd aus. Es war, als könne er sich Henry Hatton nicht widersetzen. Er fühlte, wie sein Vater aus seinem Grab die Hand ausstreckte und ihn seinem Willen beugte. Es gab keinen Weg aus dieser Falle. Wenn er Alex heiratete, hätte sein Vater gewonnen! Kit zog den Korken aus der Flasche, die ihm am nächsten stand, und hob den Brandy an die Lippen.