Zwei Stunden später klopfte Mr. Burke an die Tür der Grange. Als Nicholas sein besorgtes Gesicht sah, wusste er, dass etwas nicht stimmte. »Kommen Sie rein, Mr. Burke.«
»Sir, vielleicht wissen Sie, dass Seine Lordschaft für den heutigen Abend ein Abendessen geplant hatte?«, begann Burke vorsichtig.
»Nein, das habe ich nicht gewusst, Mr. Burke. Ich war viel zu beschäftigt, um mich mit den Plänen meines Zwillingsbruders zu befassen.«
»Alles ist bereit, Sir, und die Gäste werden jeden Augenblick kommen... aber... Lord Hatton geht es nicht so gut.«
»Dass Kit trinkt, ist nichts Neues. Sie werden ihn einfach nur bei den Gästen entschuldigen müssen, Mr. Burke. Sie und ich, wir beide sind doch geübt darin, Entschuldigungen für ihn zu finden.«
»Sir, Sie können ja nicht wissen, dass dies ein ganz besonderer Abend ist. Die Gäste sind Lady Longford und Lord Staines, die Hardings, Rupert und seine Viscountess. Lord Hatton hat diese intime Familienzusammenkunft als Verlobungsessen für Mistress Alexandra geplant.«
Nick fühlte, wie sein Herz einen Schlag lang aussetzte. Wusste Alex davon, oder wollte Kit sie damit überraschen? »Ich komme wohl besser mit und rede mit ihm, Mr. Burke.« Als er Burkes zweifelnden Blick sah, fügte er noch hinzu: »Vielleicht werde ich ihm den Kopf in kaltes Wasser stecken.«
Als sie an dem Speisesaal vorübergingen, stieg Nick der Duft der Blumen in die Nase, und er sah, wie das Kristall und das Silber auf der Damasttischdecke leuchteten. Der verlockende Duft nach geröstetem Lamm, Minzsauce und pikant gewürztem Kirschflambee lag in der Luft. Sie gingen hinauf in den zweiten Stock und dann in den östlichen Flügel, in dem Kits Zimmer lag.
Nick fand seinen Zwillingsbruder auf dem Boden neben zwei leeren Brandyflaschen. »Ich fürchte, da wird auch kaltes Wasser nicht mehr helfen, Mr. Burke.«
»Jawohl, Sir«, antwortete dieser ruhig. »Das Abendessen braucht einen Gastgeber.«
»Oh, nein, sehen Sie mich nicht so an!«
»Niemand braucht je etwas davon erfahren, Sie sind Lord Hattons einzige Hoffnung. Es schmerzt mich, welche Schande er damit über sich bringt und wie enttäuscht Mistress Alexandra sein wird. Sie und ich, wir wissen beide, dass sie die zukünftige Lady Hatton ist... Dies sollte einer der glücklichsten Abende ihres Lebens sein.« Burke sah in Nicks klare graue Augen. »Die Gäste werden jeden Augenblick kommen, Sir. Ich hole Ihnen heißes Wasser, damit Sie sich rasieren können.«
Nicks Entschluss wankte beim Gedanken an Alexandra. Ihr Glück lag ihm genauso sehr am Herzen wie sein eigenes. Sie war aufgewachsen in dem Glauben, dass sie irgendwann einmal Lady Hatton sein würde, und wenn es das war, was sie sich wünschte, dann wollte er es auch.
Er hatte Zweifel daran, dass Kit ihr ein würdiger Ehemann sein würde, und gab zu, dass er von jedem anderen Mann das Gleiche denken würde. Wenn die Wahl eines Ehemannes für Alex in seinen Händen lag, würde er voller Egoismus sich selbst aussuchen. Aber es ging nicht um seine Entscheidung, die Entscheidung lag ganz allein bei ihr. Wenn sie Kit heiratete, würde sie nicht nur einen Titel, sondern auch das Herrenhaus von Hatton mit all seinen Besitztümern bekommen. Der Gedanke, dass es ihr gehören und sie es an ihre Kinder weitergeben würde, brachte ihm ein Gefühl der Zufriedenheit. Mr. Burke hat Recht, wenn eine Lady sich verlobt, dann sollte das einer der glücklichsten Abende ihres Lehens sein!
Alexandra saß an ihrer Ankleidekommode, während Sara ihre rotgoldenen langen Locken zu einer modischen Frisur kämmte. Sie trug ihr ältestes Kleid, das ihre Vorzüge sehr gut zur Geltung brachte, und von einem blassen Rosa war. Der Rock bestand aus Chiffon-Schals, die bei jeder Bewegung um sie herumwehten. Um den Hals trug sie eine Kette aus winzigen Perlen.
Alex fuhr mit der Fingerspitze über das kunstvolle keltische Muster auf der Einladungskarte. Sie begriff, dass das Muster, das Christopher gemalt hatte, ein Hochzeitsknoten war! Er sagte ihr, dass er sie heute Abend nochmals drängen würde, ihn zu heiraten, diesmal vor aller Öffentlichkeit, und sie war noch immer nicht bereit, ihm eine Antwort zu geben.
»Wirklich, Sara, du hast sie in eine unschuldige Debütantin verwandelt, wie hast du das nur geschafft?«
Alex schenkte ihrer Großmutter ein wehmütiges Lächeln. »Und du siehst aus wie eine reiche Witwe in diesem wunderschönen silbergrauen Kleid. Wie hast du es nur geschafft, eine Perücke zu finden, die genau dazu passt?«
»Das ist keine Perücke, das ist mein natürliches Haar, du vorlautes kleines Äffchen. Neville ist hier, er hat die geschlossene Kutsche mitgebracht, wir werden also unterwegs nicht weggeweht werden. Löse dich von dem Spiegel, Liebling, es ist zu spät, um noch etwas an deinem jungfräulichen Aussehen zu verändern.«
»Ich komme gleich nach unten. Ich will mich nur noch schnell Mutter vorstellen.«
Alex und Sara gingen über den Flur zu Margarets Schlafzimmer.
Die Augen der Frau in dem Bett füllten sich mit Tränen, doch es waren Tränen des Glücks. »Du hast deine Schönheit von deiner Großmutter geerbt, Alexandra. Ich fühle, dass heute Abend ein Zauber in der Luft liegt.«
Alex warf Margaret einen Handkuss zu und lief nach unten, wo die Kutsche für die kurze Fahrt nach Hatton Hall auf sie wartete. Als sie vor dem Haus vorfuhr, stellte sie fest, dass die anderen Gäste bereits angekommen waren und gerade auf die große Eingangstür zugingen. »So sollte es auch sein, das Beste kommt zuletzt«, erklärte Dottie, als sie sich von Neville aus der Kutsche helfen ließ.
Die ersten Gäste wurden von Mr. Burke begrüßt, der den Damen die Umhänge abnahm und sie in den Salon führte, der von duftenden Kerzen wunderschön erhellt wurde. Ihr Gastgeber kam im gleichen Augenblick, in dem auch Alexandra den Raum betrat. Ihre Blicke trafen sich, und Alexandra stockte der Atem. In seiner förmlichen Abendkleidung bot Christopher Hatton einen atemberaubenden Anblick. Er schien größer, dunkler und wesentlich gebieterischer als andere Männer. Er wirkte auch ganz anders als der Kit, den sie kannte. Heute Abend ähnelte er Nick so sehr, dass ihr Puls zu rasen begann. Alex sah fasziniert zu, wie er sich seinen Gästen widmete. Zuerst ging er zu Dottie und führte ihre Hand an seine Lippen. Er murmelte etwas Ungehöriges, das nur sie verstehen konnte, und gewann sie sofort für sich. Dann wandte er sich an Annabelle. »Lady Harding, würden Sie uns helfen, den Champagner einzugießen?« Alex sah, wie sie sich damit brüstete, zur inoffiziellen Gastgeberin befördert worden zu sein.
Alex beobachtete Kit, wie er sich vor einer erstarrten Olivia verbeugte. Er legte Rupert herzlich die Hand auf die Schulter. »Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass du den wertvollsten Mann in ganz England gewählt hast«, erklärte er Olivia. Alex bemerkte, wie Olivia langsam auftaute. Er nickte Harry freundlich zu, schüttelte Lord Harding die Hand und murmelte vertraulich: »Den Whiskey finden Sie in der Bibliothek, mein Lord.«
Lord Staines' Hand nahm er in einer herzlichen Geste in beide Hände. »Ich freue mich, dass Sie so gesund aussehen, mein Lord.« Alex sah, dass er aufmerksam zuhörte, während Neville von seiner Krankheit erzählte und Dottie dafür lobte, dass er sich so gut erholt hatte.
Dann richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf Alexandra. Ohne die Blicke von ihr zu lassen, sagte er: »Ich möchte, dass Sie alle mit mir zusammen einen Toast auf Alexandra trinken, auf meinen Ehrengast. Wir beide sind seit unserer Kindheit enge Freunde. Sie ist zu einer wunderschönen Lady herangewachsen, und meine größte Hoffnung ist es, dass sich unsere Freundschaft noch vertiefen und ewig andauern wird.« Er hob sein Glas. »Auf Alexandra.« Seine Worte waren so herzlich, dass Alex glaubte, es sei Nick, der sie ausgesprochen hatte. Wie hatte ihr nur diese Seite an Kit bis jetzt entgehen können?
Die ehrliche Zuneigung, die er für sie empfand, war für jeden der Anwesenden zu spüren, ganz besonders für Alex. Seine Worte waren echt und sie fühlte sich davon berührt, genauso wie von seinem Blick. Flüchtig fragte sie sich, ob ihre Besessenheit von Nicholas sie für Christophers offensichtlichen Charme blind gemacht hatte.
Erstaunt sah sie zu, wie er mit den anderen Gästen umging. Er zog sie mit einer lässigen Kameradschaft auf seine Seite und ermunterte sie, sich miteinander zu unterhalten. Dann wandte er ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu und gab ihr das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Kits Worte und sein Verhalten waren dem von Nick so ähnlich, dass Alex vollkommen gefangen war.
Als das Abendessen angekündigt wurde, führte er alle in den Speisesaal und wies Alexandra den Platz neben sich am Kopf der Tafel zu. Die drei anderen Paare saßen einander gegenüber und der junge Harry Harding fand seinen Platz am Ende des Tisches. Alex lächelte insgeheim über die kluge Wahl der Plätze. Neville Staines, der ungeheuer viel von ihr hielt, saß zu ihrer Linken, während Dottie es als Kompliment auffasste, rechts neben dem Gastgeber zu sitzen.
Das Essen war köstlich, die ausgewählten Weine passten zu jedem Gang, und Mr. Burkes Service war hervorragend. Es entspann sich eine lebhafte Unterhaltung, an der sich alle beteiligten. Die Gäste genossen den Nachtisch, als ihr Gastgeber, wie auf ein Stichwort hin, ein Thema anschnitt, bei dem sich alle uneinig waren: Politik.
Alexandra merkte, dass ihr Partner lächelte, während er eine zartrosa Rose aus dem Tischschmuck zog. Er reichte sie ihr, dann stand er auf und schob ihren Stuhl zurück. »Ich bin sicher, Sie werden uns entschuldigen.« Er legte einen Arm um ihre Taille und führte sie aus dem Speisesaal. Als sie die Tür erreichten, legte er den anderen Arm unter ihre Knie und trug sie nach draußen. »Ich möchte dir etwas zeigen, Alex.«
»Wir können doch nicht einfach verschwinden«, protestierte sie atemlos.
»Natürlich können wir das. Sie reden über Politik, und schon bald werden ihre Argumente so hitzig werden, dass sie gar nicht bemerken, dass wir nicht mehr da sind. Meine Verpflichtung als Gastgeber ist es, dass sich meine Gäste amüsieren. Und genau das tun sie jetzt. Also habe ich meine Pflicht erfüllt. Jetzt ist meine einzige Pflicht, mich auf dich zu konzentrieren.«
Seine hypnotischen Worte verzauberten sie. Heute Abend sprach er wie Nick, so dass sie ganz benommen war. Alex fühlte die harten Muskeln seiner kräftigen Arme durch den dünnen Stoff ihres Kleides, und eine eigenartige Erregung erfasste sie. Sie atmete tief den Duft der Rose ein und sah in seine grauen Augen. »Was willst du mir denn zeigen?«
»Ich möchte, dass du siehst, wie der Mond über dem See aufgeht. Alex, wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich dich jeden Abend hier heraustragen, damit du den Mond aufgehen siehst. Zuerst ist er ganz blass, dann steigt er höher, und der Himmel wird zu dunklem Samt, wenn das Mondlicht Hatton in einen silbernen Zauber hüllt.«
Seine Worte waren so romantisch, dass ihr der Atem stockte. Sie strich mit der Rose über das Grübchen in seinem Kinn, und er beugte den Kopf, um ihre Lippen sanft zu berühren. »Wenn die Dunkelheit anbricht, erfüllt die Wärme der untergegangenen Sonne die Luft mit dem Duft nach Lilien und Rosen. Ihre Schönheit erinnert mich an dich.« Er stellte sie auf den Rasen und ergriff ihre Hand. Vom See her kam der sehnsüchtige Ruf eines Reihers. »Fühlst du den Zauber des Wassers? Komm mit mir, Alex.«
Seine Stimme, die in der Dunkelheit ganz leise war, ließ ihr einen wohligen Schauer über den Rücken rinnen. Seine romantischen Worte bezauberten sie. Als sie Hand in Hand zum See gingen, war Alex überrascht von dem Glücksgefühl, das sie verspürte. Seine Anwesenheit überwältigte sie und hüllte sie in einen Zauber, der ihre Sinne noch verstärkte. Sie bemerkte, wie ihr Kleid gegen ihre Schenkel wehte, als sie nebeneinander durch das Mondlicht gingen. Sie fühlte die sanfte Nachtluft auf ihrer Haut und atmete den berauschenden Duft der Blumen ein. Es schien, als hätte Christopher diese romantische Stimmung nur für sie geschaffen. Sie legte den Kopf auf seine Schulter und genoss den Augenblick.
Als Nick auf sie hinunterblickte, stellte er fest, wie klein sie war, und sein Beschützerinstinkt regte sich. Sie war so schön, dass sein Herz schmerzte. Als sie das Ufer des Sees erreicht hatten, entdeckte er das kleine Boot. Sie wehrte sich nicht, als er sie hochhob und in das Boot trug.
Alex seufzte, als er auf den See hinausruderte und das Wasser sich in Kreisen um die Ruder kräuselte. »Hatton ist der schönste Ort in ganz England. Zu wissen, dass es schon seit beinahe zwei Jahrhunderten existiert, muss dich sehr stolz machen.«
»Ich liebe es, mit meinem ganzen Herzen und mit meiner Seele.«
Seine Stimme, die leise und leidenschaftlich klang, ließ einen Schauer über ihren Rücken rinnen. Eine Frau würde alles dafür geben, mit einer solch tiefen Ergebenheit geliebt zu werden.
»Alex, könntest du lernen, es auch zu lieben?«
»Ich liebe es bereits jetzt, ich habe es immer geliebt.«
»Ich möchte dir den Mond und die Sterne schenken!«
Sie deutete auf die glitzernden Spiegelbilder im Wasser. »Heute Abend hast du sie mir geschenkt.«
»Sieh mich an, Alex, während ich dir sage, was in meinem Herzen ist.« Er strich mit den Fingern über ihre Wange. »Ich wünsche mir keine andere Frau als Lady Hatton, nur dich. Ich möchte, dass seine Schönheit und Beständigkeit dir Kraft gibt, damit du dich sicher fühlst. Ich möchte sehen, wie unsere Kinder lachend über die Wiesen von Hatton laufen. Und dann möchte ich es an unsere Enkelkinder übergeben, und ich hoffe, die zukünftigen Generationen werden es mit einer Leidenschaft lieben, die genauso tief ist wie meine.«
Alex wusste, dass er ihr sein Innerstes offenbarte. Er sprach jedoch nicht nur von seinen Gefühlen für Hatton, sondern machte deutlich, dass er auch für sie diese tiefe und dauerhafte Leidenschaft empfand. Er sagte ihr, dass er sie liebte! Der Zauber, den er um sie wob, war so perfekt, dass sie ganz vergaß, dass er Kit war.
Er griff in seine Tasche und holte eine kleine Schachtel hervor. Als er sie öffnete, glänzte das Mondlicht auf den Diamanten und Saphiren. »Alexandra, dieser Ring bedeutet mir sehr viel, nicht wegen der Steine, sondern weil er meiner Mutter gehört hat. Wenn du diesen Ring annimmst, würde das mein Herz mit Glück erfüllen.«
»Ohh...« Seufzend stieß sie den Atem aus. »Ich werde mich geehrt fühlen, diesen Ring zu tragen. Ich werde ihn immer schätzen.« Alex streckte die Hand aus, und er streifte ihr den Ring über den Finger. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass Nicholas ihre wahre Liebe war, und sie glaubte, dass es Nick war, dem sie sich hingab.
»Du bist mit der Verlobung einverstanden?« Nick hielt den Atem an, während er auf ihre Antwort wartete.
»Ja«, antwortete sie leise.
Nick verfluchte sich selbst, denn er hatte sie verführt. Er weigerte sich, sie zu drängen, ein Datum für die Hochzeit festzulegen, das würde sein Zwillingsbruder schon selbst tun müssen. »Vielleicht sollten wir ins Haus zurückgehen, ehe unsere Gäste einander verschlingen?«
Alex lachte. »Ich setze mein Geld auf Dottie.« Sie war erleichtert, dass er nicht darauf bestanden hatte, sie sofort zu heiraten. Sie fühlte, dass er sich ihren Wünschen gebeugt hatte, und ihr Herz floss über vor Dankbarkeit. Sie ließ es zu, dass er sie noch einmal auf seine Arme nahm und aus dem Boot trug. Er blickte sie lange und eindringlich an, als könnte er es nicht ertragen, sie wieder freizugeben. Schließlich zog er sie an seine Seite und ging langsam mit ihr auf das Haus zu.
Früh am nächsten Morgen kam Nick von der Grange. »Mr. Burke, wenn mein Bruder nach unten kommt, würden Sie ihm bitte sagen, dass ich in der Bibliothek auf ihn warte?« Während Nick wartete, sah er sich Kits Sammlung von Gewehren an. Er entdeckte die neuen Duellpistolen mit den silbernen Griffen, auf denen ein doppeltes H eingraviert war, wahrscheinlich für Harm Hatton. Nick war nicht begeistert von der Großzügigkeit, mit der Kit sich seine Wünsche erfüllte. Er setzte sich an den Schreibtisch und rief sich die Worte der Gäste ins Gedächtnis. Alle hatten mit einer Verlobung gerechnet, denn in dem Augenblick, als er mit Alex ins Haus zurückkehrte, gratulierten sie ihnen, und Alex wurde aufgefordert, den Ring zu zeigen. Er holte die leere Schachtel aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
Als Kit die Bibliothek betrat, sah er aus wie ein reuiger Sünder. Er sank in einen Sessel und fuhr sich in einer jungenhaften Geste mit der Hand durchs Haar. »Burke hat mir erzählt, dass du meine Stelle beim Abendessen gestern eingenommen hast, Nick. Was geschehen ist, tut mir so Leid, es war unverzeihlich. Es war der Gang in den Keller, der mich dazu gebracht hat. Als ich die Tür zu dem unterirdischen Gang gesehen habe, habe ich noch einmal das Entsetzen erlebt, das ich als Kind gefühlt habe, als ich dort eingeschlossen war. Ich brauchte einen Brandy, um meine Nerven zu beruhigen und mir Mut zu machen, Alex zu bitten, mich zu heiraten.«
Nick schob ihm die kleine Samtschachtel zu. »Du bist offiziell verlobt. Der Rest liegt an dir«, erklärte er knapp.
»Nick, wie kann ich dir je danken...«
»Danke mir nicht«, brummte Nick. »Ich habe es, verdammt, nicht für dich getan! Ich habe es für Alexandra getan! Wenn eine Lady sich verlobt, sollte es einer der glücklichsten Abende ihres Lebens sein. Wenn ich nicht eingesprungen wäre, wäre es eine Katastrophe geworden. Aber ich sage dir, das ist das letzte Mal, das absolut letzte Mal, dass ich für dich die verdammten Kohlen aus dem Feuer hole!«
Kit blickte auf die geballte Faust seines Zwillingsbruders und stellte fest, dass sie auf zwei Umschlägen lag. Voller Panik sprang er aus dem Sessel und griff nach den Briefen. »Was zum Teufel fällt dir ein, meine persönliche Post zu lesen? Ständig steckst du deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen. Du scheinst zu vergessen, dass ich Lord Hatton bin und du nur hier bist, weil ich dich hier dulde!« Er war verzweifelt und versuchte, die Briefe unter Nicks geballter Faust hervorzuziehen.
Blitzschnell griff Nick nach dem Brieföffner und stieß damit nach der Hand seines Bruders. Kit zog die Hand zurück, und Nick machte sich daran, den ersten Brief aus dem Umschlag zu holen und ihn zu lesen. Es war ein Schreiben von Barclays Bank, in dem Lord Hatton davon unterrichtet wurde, dass sein Konto wieder einmal überzogen war.
Nick sah seinen Bruder verständnislos an. »Kit, was hat das zu bedeuten?«
»Was zum Teufel denkst du hat es zu bedeuten? Es bedeutet, dass mein Geld weg ist... ausgegeben... jeder verdammte Schilling!«
Nicks Worte waren leise. »Du meinst, du hast das Geld ausgegeben, das du in dem Jahr verdient hast, als ich weg war?«
»Es war nicht mein Fehler, Nick!«, rief sein Zwillingsbruder. »Dieser Bastard Eaton hat mich gezwungen, ihm eine Vollmacht zu geben, um meine finanziellen Angelegenheiten zu regeln!«
»Er hat dich gezwungen?« Nicks Stimme war äußerst ruhig.
»Ich habe bis über den Kopf in Schwierigkeiten gesteckt, Nick! Er hat mir Geld für Investitionen geliehen, dann hat er das ganze Geld verloren und mir erklärt, dass Vaters Aktien wertlos seien. Er hat mich betrogen. Du hattest Recht, ich hätte ihm niemals trauen dürfen!«
Nick hob die Hand, um Kit zum Schweigen zu bringen. »Ich möchte das richtig verstehen. Du hast nicht nur das ganze Geld ausgegeben, das du auf der Bank hattest, du hast auch alle Investitionen verloren?«
Nick zog den zweiten Brief aus dem Umschlag. Er war von John Eaton und unterrichtete Hatton davon, dass sein Kredit fällig war. Wie du weißt, halte ich die Besitzurkunde von Hatton Hall in meinen Händen, und falls der Kredit, der sich auf mehr als fünfzigtausend Pfund belauft, nicht bis zum Ende des Monats vollständig bezahlt ist, gehört der Besitz nach dem Gesetz mir. Nicks Augen verdunkelten sich. Er stand auf und kam langsam auf seinen Zwillingsbruder zu. »Du hast ihm die Besitzurkunde von Hatton Hall gegeben.« Das war keine Frage.
Kit machte flehend einen Schritt auf ihn zu. »Ich werde mit dem Geld von Alexandra in der Lage sein, den Kredit zurückzuzahlen!«
Der erste Schlag traf Kit an der Wange und war so heftig, dass sich seine Füße vom Teppich hoben, der zweite Schlag ging in den Magen, und er krümmte sich vor Schmerzen zusammen. Als er auf den Boden fiel und sich den Bauch hielt, kam der Brandy, den er am Abend zuvor getrunken hatte, in einem Schwall aus seinem Mund.
Voller Verachtung blickte Nick auf seinen Zwillingsbruder. »Du bist Mitleid erregend.« Er öffnete das Fenster und starrte blicklos in den Garten unter sich. Er sah die jungen Männer, die unter ihm gedient hatten, ehrenhafte Männer, mutige Männer, die für ihr Land gekämpft hatten, für ihr Land gestorben waren, während ein verschwenderischer junger Kerl ein Vermögen verschleudert hatte.
Mr. Burke kam an die Tür der Bibliothek. Er war entsetzt, als er sah, was geschehen war. »Ich hole einen Eimer und einen Lappen, Sir.«
»Sie können Wasser bringen, Mr. Burke«, erklärte Nick ungerührt, »aber von jetzt an wird Christopher Hatton sein Erbrochenes selbst aufwischen.«