Dreiundfünfzig

Dante machte sich in die Hosen vor Angst. Der Irre mit der Freddy-Krueger-Maske und dem gestreiften rot-schwarzen Pullover hatte ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihn in seinem neu erstandenen schicken gelben Cadillac zur Tapioca Bar zu fahren. Inzwischen hatte er auch Angst um Kacy, neben der Angst um sich selbst. Sie war allein im Motel, und er hatte keine Möglichkeit, mit ihr in Verbindung zu treten. Nicht zuletzt wegen der auf ihn gerichteten Kanone, aber auch, weil dieser Irre ihm das Handy abgenommen hatte.

Als sie schließlich vor der Tapioca Bar eintrafen, verspürte Dante einen enttäuschten Stich, als er sah, dass auf der Straße vor der Bar reichlich freie Parkplätze waren. Nicht viele Leute waren an diesem Tag mit dem Wagen unterwegs, wie es schien, und das war sicherlich keine Überraschung. Die meisten feierten den Höhepunkt und das Ende des Mondfestivals und freuten sich auf einen Drink. Oder ein Dutzend. Sobald Dante den Motor abgestellt hatte, bellte Freddy Krueger ihn an. »Los, raus aus dem Wagen, Terminatorlein. Wir gehen da rein.«

Dante tat wie geheißen und ging nervös zum Eingang, gefolgt von Jefe, der seinem Gefangenen nicht einmal eine Pistole in den Rücken drücken musste. Der junge Dieb war viel zu verängstigt, um einen Fluchtversuch zu wagen, und Jefe wusste das.

Er war jedoch nicht zu verängstigt, um augenblicklich die gespannte Atmosphäre in der Tapioca Bar zu bemerken. Eine ganze Menge Leute war in der Bar, aber niemand schien zu reden. Alle starrten wie gebannt auf die beiden eintretenden Männer. In Dantes Augen sah es auf, als warteten sie auf den Auftritt irgendeiner wichtigen Persönlichkeit. Da beide Männer verkleidet waren, erkannte sie im ersten Augenblick niemand. Das änderte sich jedoch schlagartig, als sie zur Theke marschierten und Jefe sich zu Wort meldete.

»Hey, Batman!«, rief er zu Sanchez. »Bring mir ein Bier. Ich hab gute Nachrichten für dich.«

»Bist du das, Jefe?«, fragte Sanchez und starrte auf die Augen hinter der Freddy-Krueger-Maske.

»Sicher bin ich das, wer denn sonst? Ich hab diesen Kerl hier gefunden. Er ist mit meinem alten Cadillac durch die Elm Street gefahren.«

»Stimmt das?« Der Tonfall des Barmanns war entschieden feindselig.

Dante wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, doch er spürte, dass es nichts Gutes war. Und es wurde noch schlimmer, als sich zwei maskierte Cowboys von einem Tisch in der Mitte des Lokals erhoben und herbeigeschlendert kamen. Sie sahen aus, als hätten sie genau gehört, was Jefe gesagt hatte, und als würden sie sich brennend dafür interessieren. Als sie sich dem Tresen näherten, bemerkte Dante, dass beide bewaffnet waren und mit ihren Waffen in die Richtung zielten, in der er und sein Gefangenenwärter in seinem Horrorkostüm standen.

»Nun, Freddy, hast du etwas für uns? Oder müssen wir böse werden?«, fragte einer der Lone Rangers an Jefe gewandt.

Der Kopfgeldjäger drehte sich langsam zu den beiden maskierten Männern um, die zwei Schritte vor ihm stehen geblieben waren. Er sah ruhig und gelassen drein, und auch wenn sein Gesicht hinter der Maske verborgen war, so sprach seine Körperhaltung Bände. Das war kein Mann, der sich vor irgendetwas fürchten musste.

»Oh, ich hab das Auge, wenn ihr das meint. Dieser Terminator-Punk hier hatte den Stein in der Tasche, als er in meinem alten gelben Cadillac durch die Straßen gefahren ist. Ich dachte, wir fragen ihn gemeinsam, was zum Teufel er damit vorhatte. Ich schätze, er war es auch, der den Bruder von Sanchez und dessen Frau umgebracht hat und mein Mädchen Jessica ebenfalls erledigen wollte.«

»Was du nicht sagst?«

Dante dämmerte, dass er soeben schlagartig in den Mittelpunkt des Interesses von jedermann in der Bar geraten war. Und es hatte nichts damit zu tun, dass sie beeindruckt waren von seinem schicken Kostüm.

»Wer bist du, Mister Terminator, und was zum Teufel wolltest du mit unserem kostbaren Stein, eh?«, fragte der erste der beiden Lone Ranger.

»Nichts«, antwortete Dante so zuversichtlich, wie er konnte. »Ein Gast in dem Hotel, in dem ich arbeite, hat ihn mir gegeben. Sein Name lautet Jefe, glaube ich. Ja, Jefe heißt er.«

Er war nicht sicher, wie groß seine Schwierigkeiten an diesem Punkt waren, doch sie waren definitiv sehr viel größer als noch eine Sekunde zuvor. Oder jemals, was das angeht. Es war definitiv an der Zeit für ein paar Halbwahrheiten, wenigstens. Mit ein wenig Glück würde er damit durchkommen.

Andererseits vielleicht auch nicht.

»Das ist dummes Zeug!«, brüllte Jefe unerwartet. »Ich bin Jefe, und ich habe dir den Stein verdammt noch mal ganz sicher nicht gegeben! Du erzählst jetzt besser die Wahrheit, Kerl, bevor ich wirklich böse werde!«

Dante fand sich im Polizeigriff zu dem Tisch geführt, an dem die beiden Lone Rangers eben noch gesessen hatten. Jefe zwang ihn, sich auf einen der Stühle mit dem Rücken zum Eingang zu setzen. Sanchez kam hinter der Theke hervor, wobei er mit seinem langen Batman-Cape ein Glas herunterriss, und setzte sich neben Dante. Die beiden Lone Rangers und Jefe nahmen ihnen gegenüber Platz.

Sanchez legte eine schwarz behandschuhte Hand auf Dantes Schulter und begann mit dem Verhör. Es war eine völlig neue und unwillkommene Erfahrung für Dante, auf derart einschüchternde Weise von Batman persönlich befragt zu werden.

»Warum hast du meinen Bruder und meine Schwägerin umgebracht, Kerl? Und was willst du von Jessica?«, herrschte Sanchez den falschen Terminator an.

»Was? Ich weiß nicht, wovon Sie reden, verdammt! Ich kennen niemanden namens Jessica!«

Der ältere der beiden Lone Rangers (Carlito) war als Nächstes mit einer Frage an der Reihe. Er hatte sich soeben eine Zigarette angesteckt und das glänzende silberne Feuerzeug wieder in die Brusttasche seines Hemds geschoben. Er paffte ein paar Züge und ließ die Zigarette im Mundwinkel hängen, als er sprach.

»Was hattest du mit dem Stein vor, Kerl? Wie bist du in seinen Besitz gekommen? Und überhaupt«, er blickte sich um, »wo zum Teufel ist er jetzt?«

»Ich hab ihn«, meldete sich Jefe zu Wort.

»Gib ihn her.«

»Nein. Ich behalte ihn, bis El Santino hier ist. Ich übergebe ihm den Stein persönlich. So lautete die Abmachung, und daran halte ich mich.«

»Wie du meinst. Du kannst ihm den Stein direkt geben. Da kommt er nämlich«, sagte Carlito mit einem Blick über Dantes Schulter in Richtung Eingang. »Barmann, du verziehst dich besser. Was jetzt kommt, geht dich nichts an.«

Dante saß völlig verständnislos da. Er begriff überhaupt nichts mehr. Der Typ in den Batman-Klamotten erhob sich von seinem Platz und ging zurück hinter den Tresen. Aber wer war dieser El Santino, der angeblich gekommen war?

Man musste offen gestanden kein Genie sein, um zu sehen, wer es war, doch das spielte keine Rolle, weil Dante nicht einmal ansatzweise im Geniebereich anzusiedeln war. An der Theke stand ein Mann mit einem schwarz und weiß geschminkten Gesicht. Er war als Gene Simmons von der Rockband Kiss verkleidet. Es war kein großer Schritt über das Normale hinaus gewesen für El Santino – Tatsache war, dass er nur ein wenig mehr Schminke benutzt hatte als gewöhnlich. Die langen dunklen Haare waren ausnahmslos echt, genau wie die Muskeln. Und mein Gott, waren das Muskeln! Das war ohne Zweifel der stärkste Mann, den Dante jemals gesehen hatte, und er hatte in der letzten Zeit einige starke Kerle gesehen.

»Hey, Batman!«, schnarrte El Santino in Richtung von Sanchez. »Schaff mir ein Bier und eine Flasche von deinem besten Whisky herbei!« Er wandte sich vom Tresen um und blickte zu dem Tisch, um den sich gegenwärtig sämtliches Interesse in der Bar drehte.

»Und nun zu euch, ihr traurigen Punks«, brüllte er. »Wer von euch hat mein Auge?«

Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
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