Fünfzig
Nach einer ruhelosen Nacht, die Dante abwechselnd mit Dösen und sorgenvollem Grübeln über den vor ihm liegenden Tag verbrachte, fällte er eine Reihe von Entscheidungen. Als Erstes entschied er, es wäre am besten, wenn Kacy im Hotel wartete, bis der Handel mit den Mönchen abgeschlossen war. Er erwartete zwar nicht, dass sie versuchen würden, ihn aufs Kreuz zu legen, doch er wollte keinerlei Risiko eingehen.
Er hatte sein Kostüm für das Mondfestival mit dem Treffen im Hinterkopf ausgewählt. Um ein wenig beeindruckender zu erscheinen, hatte er sich ein Terminator-Kostüm besorgt. Der Typ im Kostümladen hatte ihm das Ding aufgeschwatzt und ihm tatsächlich eingeredet, dass es ein Originalkostüm Schwarzeneggers aus dem ersten Teil wäre. Dante war ziemlich sicher, dass der Verkäufer ihm einen Bären aufband, doch er wollte glauben, dass die Geschichte stimmte, also nahm er das Kostüm. Und es funktionierte. Er fühlte sich ein klein wenig extra-cool, wie ein harter Junge in seinem schwarzen Leder-Outfit und der lässigen Sonnenbrille. Er trug außerdem eine Pistole unter der Jacke verborgen, nur für den Fall, dass die Dinge nicht so liefen wie geplant. Warum sollte er ein unnötiges Risiko eingehen? Er konnte leicht jedem Spinner weglaufen, der sich einen Namen zu machen hoffte, indem er sich mit dem Terminator anlegte.
Kacy war einverstanden, im Motel auf ihn zu warten, doch sie verriet ihm nicht, was ihr Kostüm für diesen Tag sein würde. Es sollte eine Überraschung für ihn werden, und so hoffte Dante insgeheim, dass es sehr, sehr, sehr sexy sein würde.
Die Sonne brannte heiß vom Himmel, als Dante in seinem neu erstandenen gelben Cadillac in die Stadt fuhr. Der morgendliche Himmel war klar und blau und deutete durch nichts darauf hin, dass eine Sonnenfinsternis unmittelbar bevorstand. Dante schaltete das Radio ein und freute sich, dass gerade »My Sharona« von The Knack gespielt wurde. Eines seiner Lieblingslieder beim Autofahren zu hören gab seiner ohnehin schon blendenden Laune einen zusätzlichen Schub. Verdammt, er sah vielleicht gut aus! Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so cool wie an diesem Morgen gefühlt zu haben. Während er durch die Stadt fuhr, schien jeder, dem er begegnete, ein zweites Mal zu ihm hinzusehen. Schließlich geschah es nicht jeden Tag, dass man den Terminator in einem gelben Caddy vorbeifahren sah.
Jeder, der auf den Straßen von Santa Mondega an diesem Morgen unterwegs war, steckte in einem schicken Kostüm. Der Killer aus den Halloween-Filmen lauerte an einer Straßenecke und erschreckte die Leute, indem er sie um Geld anbettelte. Kaum hundert Meter weiter erblickte er zwei Typen, die als Nonnen verkleidet waren und einen dritten Kerl in einem blauen Schlumpfkostüm mit kurzen Hosen und Mütze verprügelten. Was zur Hölle war nur aus der Welt geworden, wenn Papa Schlumpf nicht mehr über die Straße gehen konnte, ohne von wütenden Nonnen zusammengeschlagen zu werden?
Es war erst elf Uhr morgens, und schon waren zahlreiche Betrunkene unterwegs. Ein Festival wie dieses brachte bei jedem den Schweinehund zum Vorschein. Dante war gewarnt worden, dass viele Einheimische das Mondfestival als Gelegenheit ansahen, Verbrechen zu begehen, solange sie verkleidet waren. Überfallen zu werden, solange er das Auge des Mondes bei sich trug, war so ungefähr das Letzte, was Dante gebrauchen konnte. Er machte sich außerdem Sorgen um Kacy, die auf den Koffer mit den hunderttausend Dollar aufpasste, den sie im Santa Mondega International gestohlen hatten. Kacy war ganz allein im Motel. Sie würde sich unsicher und verwundbar fühlen und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Angst haben.
Er bremste und blieb an einer leeren Kreuzung vor einer roten Ampel stehen und merkte plötzlich, wie er tief ein- und ausatmete, um ruhig zu bleiben. In ungefähr zwanzig Minuten wäre sein Geschäft abgeschlossen. Er wäre den verfluchten blauen Stein los, und wichtiger noch, er hätte zusätzlich zu dem Geld im Koffer weitere zehn Riesen, die er mit Kacy in den nächsten paar Monaten auf den Kopf zu hauen gedachte. Dante hatte vor, durch Europa zu reisen und sämtliche Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Er wusste, dass Kacy begeistert reagieren würde, wenn er sie damit überraschte. Sie hatte nämlich die Gelegenheit sausen lassen, nach Europa zu gehen, als sie sich vor ein paar Jahren mit ihm zusammengetan hatte. Jetzt war seine Chance gekommen, sie für ihr Vertrauen und ihre Loyalität zu belohnen. Falls es ihm gelang, diesen letzten Tag in Santa Mondega lebend zu überstehen.
Er blickte sich um, während er vor der roten Ampel wartete, und entdeckte eine atemberaubende Blondine, die wie Marilyn Monroe in einem pinkfarbenen Kleid auf der anderen Seite der Kreuzung am Straßenrand stand. Sie zog die Aufmerksamkeit von zwei Kerlen auf sich, die als die Blues Brothers verkleidet waren. Außerdem hing ein großer Elvis-Doppelgänger auf der anderen Straßenseite herum. Es war ein Elvis aus den späten Sechzigern oder frühen Siebzigern. Er trug ein glänzendes rotes Hemd mit weißen quastengeschmückten Ärmeln und eine rote Hose mit stark ausgestellten Beinen, die entlang der Außennähte mit breiten orangefarbenen Streifen verziert waren. Seine Augen waren hinter einer großen, für den King typischen Sonnenbrille verborgen. Nach den scharfen Kopfbewegungen von einer Seite zur anderen schien er die Straßen abzusuchen und auf jemanden zu warten, der ihn einlud und irgendwohin mitnahm.
Als der Elvis-Doppelgänger den gelben Cadillac von Dante erblickte, hielt er inne und starrte sekundenlang in Richtung des auffälligen Gefährts. Zuerst glaubte Dante, es wäre sein Kostüm, das den Doppelgänger beeindruckte, und so bemühte er sich hinter seiner eigenen Sonnenbrille, so ernst zu starren wie Schwarzenegger dies in den Terminator-Filmen getan hatte. Doch dann setzte die Paranoia ein, hervorgebracht von einem kostbaren blauen Stein, der in einem gestohlenen Wagen herumgefahren wurde. Was, wenn dieser Elvis-Freak den Wagen kannte? Was, wenn es seiner war? Und warum kam er mit einem Mal so eilig auf Dante zugerannt? Scheiße – Zeit zu verschwinden, trotz roter Ampel! Sinnlos stehen zu bleiben und darauf zu warten, dass dieser große, wütend dreinblickende Freak von Elvis herbeigestürmt kam und Scherereien machte.
Dante gab Gas. Die Hinterräder des Caddys drehten laut quietschend durch und erzeugten eine Menge mehr Aufmerksamkeit, als ihm lieb gewesen wäre. Es fühlte sich an, als würde die halbe Einwohnerschaft von Santa Mondega dabei zusehen, wie er die rote Ampel überfuhr und fast einen Unfall verursachte, als ein heruntergekommener brauner Kombi die Kreuzung vor ihm überquerte. Dante war nicht reaktionsschnell genug und besaß nicht die Geduld zum Ausweichen – das überließ er dem Fahrer des Kombis, der ihm den Gefallen prompt erwies. Der Fahrer – eine ägyptische Mumie, von Kopf bis Fuß in weiße Bandagen gehüllt – schüttelte wütend die erhobene Faust hinter Dante her, als er sich bei seinem Ausweichmanöver fast überschlug. Dante musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass er den Fahrer wütend gemacht hatte. Noch einer, der darauf aus ist, mich zu erwischen, dachte er, als er davonraste.
Das Allerwichtigste war es, zur Nightjar Bar zu fahren und sich so schnell wie möglich mit den Mönchen zu treffen. Kein sinnloses Umherfahren mehr in der Stadt im auffälligsten geklauten Wagen in der Geschichte des Autodiebstahls.