Neunzehn

Jefe betrat das Santa Mondega International und stapfte schnurstracks zum Nachtportier, der hinter dem Empfangsschalter saß und aussah, als langweilte er sich zu Tode. Er wusste es noch nicht, doch der Kopfgeldjäger stand im Begriff, für ein wenig Kurzweil zu sorgen.

»In welches beschissene Zimmer hat sich Marcus verkrochen?«

Der Nachtportier, ein junger Latino von vielleicht zwanzig Jahren, seufzte und blickte zu Jefe auf, als hätte er die gleiche Frage bereits tausend Mal gestellt bekommen und wäre es leid, darauf zu antworten.

»Marcus das Wiesel?«, fragte er.

»Genau der.«

»Er ist tot.«

»Was?«

»Sie haben seine Leiche heute Morgen oben auf dem Zimmer gefunden. Die Polizei war den ganzen Tag im Haus und hat alle Leute befragt.«

»Scheiße. Weiß die Polizei schon, wer ihn erledigt hat?«

»Nein. Die Polizei weiß es nicht.«

Jefe war stinkwütend. Richtig außer sich vor Wut. Der Nachtportier war hilfreicher gewesen, als er erwartet hatte, doch er hatte Jefe nicht die Informationen gegeben, die er sich erwartet hatte. Wenn Marcus’ Killer den Stein nicht hatte, hatten die Bullen ihn inzwischen gefunden. Und was hatte der Portier gemeint, als er gesagt hatte, die Polizei wüsste es nicht?

»Was soll das bedeuten, ’Die Polizei weiß es nicht’?«, fragte er.

Der Portier war ein naiver junger Kerl und hatte eindeutig keine Ahnung, wen er da vor sich stehen hatte. Auf eine Weise, die nach Jefes Meinung eindeutig ungenügenden Respekt zeigte, winkte er dem Kopfgeldjäger, sich ein wenig weiter vorzubeugen.

»Ich arbeite nur zur Aushilfe hier«, sagte er. »Der alte Nachtportier hat gestern Abend aufgehört. Er ist einfach weggegangen, zusammen mit seiner Freundin, einem Zimmermädchen. Sie kommen nicht zurück. Es heißt, sie hätten was gesehen. Ich schätze, sie wissen, wer den armen Bastard erledigt hat, und sie haben sich in Sicherheit gebracht für den Fall, dass der Killer nach ihnen sucht.«

Verdammte Scheiße! Jefe blähte die Nüstern, als er tief durchatmete. Er war nicht nur ein klein wenig enttäuscht wegen dem, was er soeben erfahren hatte. Er war fuchsteufelswild, auch wenn er sich nach seinen Maßstäben einigermaßen unter Kontrolle hatte.

»Und wo finde ich den alten Nachtportier, eh? Wo wohnten er und dieses Miststück von ihm?«

»Diese Information gibt es nicht umsonst.«

Großer Fehler. Jefe packte den Portier am Schopf und hämmerte ihn hart auf den Tresen.

»Hör zu, du Stück Scheiße!«, zischte er. »Sag mir sofort, wo ich ihn finde, oder bereite dich darauf vor, deine Nase mit dem Arsch vom Boden aufzuwischen.«

»Okay, okay, okay. Meine Güte, niemand will für diese Information zahlen, was?«

Der junge Latino verzog das Gesicht vor Schmerz und sah mehr als nur ein wenig benommen aus.

»Was soll das heißen, Kerl? Wer hat sonst noch danach gefragt, eh?«

Weil der Portier nicht sogleich antwortete, hämmerte Jefe sein Gesicht ein zweites Mal auf den Tresen. Diesmal gab es ein unangenehmes knirschendes Geräusch, als seine Nase brach. Es gab keinen Zweifel, wer bei dieser Unterhaltung der Boss war. Ein älteres Paar auf einem der roten Sofas in der Nähe blickte auf, als wollte es Partei für den jungen Portier ergreifen. Ein rascher Blick auf Jefe, und sie entschieden sich weise, lieber den Mund zu halten. Als der Kopf des jungen Mannes wieder nach oben kam, hatte er genug gelernt, um auf der Stelle zu antworten, auch wenn er Mühe hatte zu reden wegen all dem Blut und Rotz, der ihm aus der Nase strömte.

»Na ja«, gurgelte er undeutlich, »die Cops wollten es wissen, und dann noch so ein seltsamer Kerl, der wie Elvis verkleidet war. Ein richtig gemeiner Mistkerl war das, Mann. Ein verdammt gemeiner Kerl, ehrlich. Er war vor einer Stunde hier.«

»Und du hast ihm gesagt, wo er sie finden kann? Den anderen Portier und sein Miststück, richtig?«

»Hey, Mann, ich hatte keine Wahl! Er hat mich gezwungen! Sehen Sie nur, was der Bastard mir angetan hat!«

Er hob die linke Hand, die in einem dicken weißen Verband steckte. Er zog den Verband zur Seite und enthüllte einen tiefen Schnitt quer über die Handfläche, der vom Daumen bis zum kleinen Finger reichte. Die Wunde sah schlimm aus, richtig schlimm. Jefe starrte eine Sekunde lang darauf und nickte mitfühlend. Dann zog er seine Waffe aus der Lederweste und schoss ein Loch mitten durch die Schnittwunde.

Peng!

Blut spritzte überallhin. Es gab eine zwei Sekunden währende Verspätung, bis der Portier begriffen hatte, was ihm soeben widerfahren war, dann schrie er seinen Schmerz heraus und fiel prompt rückwärts von seinem Hocker.

Das ältere Paar stand wortlos vom Sofa auf und ging durch die Lobby nach draußen. Jefe beachtete die beiden überhaupt nicht. Es war ihm völlig gleichgültig, wie viele Leute ihn sahen. Er brauchte diesen Stein, er musste ihn zurückhaben, und nichts und niemand würde ihm dabei in den Weg geraten.

»Hör genau zu, du kleiner Haufen Scheiße. Vor wem hast du jetzt mehr Angst – vor diesem Bastard von Elvis oder vor mir?«

»Vor Ihnen, Mann! Definitiv vor Ihnen!«, jammerte der Portier, während er verzweifelt versuchte, seine Hand zusammenzuhalten.

»Gut. Nachdem wir darin übereingekommen sind, wirst du mir verdammt noch mal erzählen, wo ich diesen Ex-Nachtportier und seine Hure finden kann, ist das klar? Und ich möchte alles über die beiden wissen, wovon du denkst, es könnte interessant sein für mich. Du kannst mit ihren Namen anfangen.«

»Dante. Sein Name ist Dante, und seine Freundin heißt Kacy.«

»Und wo wohnen dieser Dante und sein kleines Flittchen Kacy?«

Der Portier war ein zitterndes, bebendes Häufchen Elend, das sich am Boden in Fötusposition zusammengerollt wand und sich verzweifelt wünschte, jemand möge zu seiner Rettung herbeieilen.

»Sch … sch …«, stammelte er.

»Komm mir nicht mit Scheiße, du verdammter Dreckskerl!«, schnarrte Jefe und zielte mit seiner Waffe auf den Kopf des Portiers.

»Sch … sch … Shamrock House … Appartement sechs«, sprudelte der zu Tode verängstigte Latino in Windeseile hervor.

Jefe zielte mit seiner Waffe zur Decke, wo sie nichts anrichten konnte.

»Wie heißt du, Junge?«, fragte er mit ruhigerer Stimme.

»G … G … Gil.«

»Nun, Gil, sag nie wieder Scheiße zu mir, klar?«

»Bestimmt nicht! Ich sch … sch …«, wollte Gil schwören.

Peng!

Jefe feuerte ihm eine Kugel mitten durch das Gesicht und beobachtete ohne jede Gefühlsregung, wie das Gehirn des unglückseligen Jungen über den Teppich und die Wand hinter ihm spritzte.

»Ich hab gesagt, du sollst nie wieder Scheiße zu mir sagen, Drecksack.«

Mit den erforderlichen Informationen ausgestattet, wandte er sich um und verließ das Hotel durch den Haupteingang. Er blieb kurz stehen, um einer alten Frau in den Fuß zu schießen, die so unbedacht war, ihm auf dem Weg in die Lobby in die Quere zu kommen. Sie fiel schreiend zu Boden, und bevor sie imstande war, einen klaren Gedanken zu fassen und zu begreifen, was sich ereignet hatte, war Jefe längst verschwunden.

In Richtung Shamrock House, um Dante und Kacy zu erledigen.

Und seinen blauen Stein zurückzuholen.

Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
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