Siebenundvierzig
Jessica hatte sich mit Jefe in der Nightjar Bar verabredet, doch als sie dort eintraf, war sie mit einem Mal nicht mehr sicher, ob sie hineingehen wollte oder nicht. Die Bar sah aus, als hätte sie geöffnet, zugegeben. Die Lichter brannten, innen und außen, doch es sah leer aus. Jefe hatte ihr versichert, dass in der Bar bis Sonnenaufgang Hochbetrieb herrschen würde. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil, die Bar sah von außen völlig tot aus. Keine Musik spielte, kein Stimmenlärm drang auf die Straße. Nicht eine Menschenseele war torkelnd und betrunken unterwegs, wie man es um diese Zeit erwartet hätte.
Die Frage, die Jessica unablässig durch den Kopf ging, lautete: Warum? Sie musste einfach herausfinden, warum es so still war in der Nightjar Bar, obwohl um diese späte Stunde eigentlich Hochbetrieb herrschen sollte.
Sie ging zu einem der großen, schwarz getönten Fenster. Sie musste das Gesicht dicht an die Scheibe pressen, um etwas zu erkennen. Durch das dunkle Glas sah sie einen einzigen Mann, der an der Theke saß und trank. Keine Spur zu sehen von einem Barmann oder irgendeinem anderen Gast. Wichtiger noch, keine Spur von Jefe.
Jessica überdachte ihre Möglichkeiten. Sie konnte die Straße hinunter zur Tapioca Bar gehen und sehen, ob Jefe dort war, oder sie konnte es wagen, in die Nightjar Bar zu gehen und den Mann an der Theke zu fragen, ob er den großen Kopfgeldjäger irgendwo gesehen hatte. Sie stand im Begriff, eine Entscheidung zu fällen, als sie das Blut überall auf dem Fußboden entdeckte. Und als sie bemerkte, dass die tätowierten, nackten Unterarme des Mannes an der Theke voller Blutspritzer waren.
Als könnte er spüren, dass er durch die Scheibe hindurch beobachtet wurde, drehte er sich um und blickte direkt zu ihr. Er lächelte nicht, er funkelte nicht böse, er sah sie einfach nur an. Jessica schätzte, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war, um sich in Sicherheit zu bringen, also trat sie einen Schritt zurück ins Dunkle, wo er sie nicht mehr sehen konnte. Sie schätzte, dass Jefe in die Tapioca Bar gegangen war. Das war der einzige Laden, der noch geöffnet hatte und Drinks servierte. Wenn sie ihn dort nicht fand, war er wohl inzwischen zurück ins Hotel gegangen und in das Zimmer, das sie inzwischen mit ihm teilte.
Rodeo Rex hatte vielleicht eine Stunde allein an der Theke gesessen. Niemand hatte es seit dem Vampir-Zwischenfall gewagt, in die Nightjar Bar zu kommen. Selbst diejenigen, die nicht wussten, was geschehen war, zogen es vor, lediglich einen schnellen Blick durchs Fenster zu werfen und dann ihren Weg die Straße hinunter fortzusetzen in Richtung der Tapioca Bar. Der Barmann hatte sich nicht mehr blicken lassen, seit Rex ihm mit deutlichen Worten zu verstehen gegeben hatte, dass er verschwinden sollte. Er war hinten in der Küche geblieben. Oder vielleicht war er auch inzwischen schlafen gegangen.
Das Wegbleiben des Barmanns war nichts, weswegen sich Rex sonderliche Sorgen machte. Er hatte soeben zwei frühere Mönche von Hubal getötet, die zu Vampiren geworden waren, und er hatte es vor den Augen einer Bar voller Gäste getan. Wahrscheinlich hatte die Hälfte der Kundschaft in der Bar ebenfalls aus Vampiren bestanden. Die Hinrichtung der beiden ehemaligen Mönche Milo und Hezekiah durch Rex mit ansehen zu müssen hatte wohl ausgereicht, um sämtliche anderen Untoten die Flucht ergreifen zu lassen, zusammen mit den normalen Gästen. Doch das garantierte zumindest eines. Es erhöhte die Wahrscheinlichkeit auf einen Besuch von weiteren Untoten. Sie würden in größerer Zahl wiederkommen, so viel schien sicher.
Was nicht sicher schien (auch wenn Rodeo Rex darauf hoffte), war das Erscheinen des Lords der Untoten. Ihn zu töten würde seinen Auftrag mehr oder weniger in einem Aufwasch erledigen. Die restlichen Untoten würden sich mit großer Wahrscheinlichkeit in eine andere Stadt verziehen. Es waren feige Kreaturen, alle ohne Ausnahme. Wenn sie erfuhren, dass Rex ihren Anführer erledigt hatte, hielt sie nichts mehr in Santa Mondega. Die Bevölkerung der Stadt würde quasi über Nacht drastisch schrumpfen.
Ganz gleich, wie viel er trank, es gelang ihm nicht, ein Gefühl von Unruhe abzulegen. Seit er im Boxzelt an der Kaffeebar die Person erblickt hatte, von der er später erfahren hatte, dass es sich um Bourbon Kid handelte, hatte er ein extremes Unbehagen verspürt. Sein Verstand kehrte zu jenem Tag vor einer Reihe von Jahren zurück, als er Bourbon Kid zum ersten Mal begegnet war. Er hatte damals keine Ahnung gehabt, dass der Mann, den er zu einem Wettkampf im Armdrücken herausgefordert hatte, der berüchtigte Bourbon Kid gewesen war. Er hatte damals einen anderen Namen benutzt. Wie zum Teufel hatte er sich noch mal genannt? Rex dachte minutenlang darüber nach, doch der Name wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Bourbon Kid war einmal mehr in der gleichen Stadt wie Rex, und Rex sah eine Chance auf Revanche.
Bei ihrer früheren Begegnung war Rex in einer heruntergekommenen, verrauchten alten Bar im Rotlichtbezirk von Plainview, Texas, über Bourbon Kid gestolpert. Bourbon Kid nahm es mit jedem im Armdrücken auf; er gewann locker jeden Kampf und hatte bereits eine hübsche Summe Geldes angehäuft. Rex hatte mit dem größten Vergnügen seinen Einsatz auf den Tisch gelegt und ihn herausgefordert.
Er hatte damit gerechnet, leicht zu gewinnen – wie jede andere Kraftprobe seit seinen frühesten Teenagerjahren. Doch irgendetwas war furchtbar schiefgelaufen. Sein Gegner (der, wie er erst heute herausgefunden hatte, der meistgesuchte Mann in Santa Mondega war) hatte beinahe dreißig Minuten lang eine übermenschliche Schau von Durchhaltewillen geliefert bei einem Wettkampf, der seit damals zur Legende geworden war. Er hatte buchstäblich Hunderte von Schaulustigen angezogen. Je länger der Kampf gedauert hatte, desto mehr Schaulustige waren in dem Lokal aufgetaucht und desto mehr Geld hatte den Besitzer gewechselt, als die Leute ihr hart verdientes Geld auf das Ergebnis des Kampfes gesetzt hatten.
Es hatte ausgesehen, als würde der Kampf die ganze Nacht andauern. Beide Männer hatten sich geweigert, auch nur einen Fingerbreit zu weichen. Das heißt, bis Bourbon Kid ganz unvermittelt, als hätte er plötzlich angefangen sich zu langweilen, den Arm hatte erschlaffen lassen und Rex seine Hand auf den Tisch gehämmert hatte. Es war der befriedigendste Sieg gewesen, an den er sich zurückerinnern konnte.
Doch das war der Moment gewesen, an dem die Dinge eine hässliche Wendung genommen hatten. Dieser Mann, der während des gesamten Kampfes nicht ein einziges Wort gesagt hatte, weigerte sich nun, Rex’ Hand loszulassen. Statt den Griff zu lockern, packte er fester zu. Und fester. Und noch fester. Rex erinnerte sich jedes Mal, wenn er auf seine Metallhand sah, an den unerträglichen Schmerz, den der Fremde ihm zugefügt hatte. Bourbon Kid hatte so fest gedrückt, dass jeder einzelne Knochen in Rex’ Hand zerquetscht worden und er in absolute Agonie gefallen war.
Danach war Bourbon Kid ohne ein Wort des Glückwunschs und ohne jede Entschuldigung für seine unfaire Verhaltensweise nach dem Kampf aufgestanden und hatte die Bar verlassen.
Rex hatte mit der gesunden Hand seinen Gewinn eingestrichen und war zu einem Krankenhaus gefahren, wo man ihm zu seinem Entsetzen und trotz seiner heftigen Proteste die zerschmetterte Hand amputiert hatte, um ihm den Verlust des gesamten Arms zu ersparen. An jenem Tag hatte er seinem Gegner Rache geschworen, sollte er ihm jemals wieder begegnen.
Im Verlauf der Monate nach dem Zwischenfall hatte Rex seine Metallhand konstruiert, die sicherstellen würde, dass es bei ihrer nächsten Begegnung Bourbon Kid sein würde, der eine zerquetschte Hand zurückbehielt.
Normalerweise wurde Rodeo Rex wütend und bitter, wenn er nach ein paar Drinks an jene Ereignisse dachte, doch an diesem Abend steigerten seine Gedanken nur die innere Unruhe, die ihn erfasst hatte. Irgendetwas braute sich über Santa Mondega zusammen, und es war eine große Sache, dessen war Rex sich absolut sicher.
Zwei Vampire zu töten hätte seine Stimmung normalerweise ganz beträchtlich heben müssen. Das Töten war eigentlich ziemlich glatt verlaufen, doch irgendetwas daran fühlte sich unvollständig an. Mehr noch, sein sechster Sinn sagte ihm, dass das Töten an diesem Abend noch nicht vorüber war. Am schlimmsten von allem war, er hatte dieses schreckliche Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwann hatte er sich tatsächlich umgedreht und das Gesicht einer Frau gesehen, die ihn durchs Fenster angestarrt hatte. Das Gesicht hatte sich hastig zurückgezogen und war in der Dunkelheit verschwunden, doch irgendetwas daran hatte seine Erinnerung berührt. Er hatte die Frau schon einmal gesehen, aber wo? Er hatte Bourbon Kid auf der Stelle erkannt, doch diese Frau, ihr Gesicht – er vermochte es nicht einzuordnen, sosehr er sich auch bemühte. Er kannte Hunderte hübscher junger Frauen, und nach dem kurzen Blick durch das Fenster zu urteilen war sie eine der schönsten von allen. Unglücklicherweise hatte er bereits so viel Whisky getrunken, dass er nicht mehr klar genug denken konnte, um dahinterzukommen, woher er sie kannte. Er war sicher, dass es ihm am nächsten Morgen einfallen würde, und er kam zu dem Ergebnis, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen war, um mit dem Trinken aufzuhören. Sein Konzentrationsmangel war ein guter Indikator dafür.
Berkley, der Barmann der Nightjar Bar, war immer noch wütend über die Art und Weise, wie Rodeo Rex ihn abgekanzelt hatte, doch er besaß genügend Verstand, um sich nicht mit jemandem anzulegen, der Vampire so kompromisslos umlegte wie der riesige Mann, der vorn an seinem Tresen saß.
Berkley blieb fast zwei Stunden im Hinterzimmer und sah fern, während Rodeo Rex draußen am Tresen hockte und auf Kosten des Hauses trank. Hin und wieder gab es lautes Geschrei und das Geräusch von einem umherfliegenden Hocker. Berkley schätzte, dass Rex entweder immer betrunkener wurde und den Laden aus Übermut zertrümmerte oder dass er potenzielle Gäste verscheuchte.
Vor etwa einer halben Stunde hatte es einen ganz besonders lauten Radau gegeben. Es hatte ganz danach geklungen, als hätte Rex einen weiteren Vampir erledigt. Seither herrschte vollkommene Stille. Nicht einmal mehr ein Quieken war zu hören von einer der zahlreichen Ratten, die häufig draußen im Lokal umherhuschten.
Eine halbe Stunde lang Ruhe und Stille reichten so eben aus, um die Vermutung aufkeimen zu lassen, dass Rodeo Rex vielleicht genug hatte und nach Hause gegangen war. Berkley beschloss, einen Blick zu riskieren und nachzusehen, ob es sicher war, nach draußen zu gehen und für die Nacht zuzusperren.
Er streckte den Kopf durch die Tür und spähte in die Bar. Wie zuvor saß auch jetzt nur ein Mann am Tresen, nur dass es nicht Rodeo Rex war. Es war jemand anderes. Jemand Schlimmeres.
Jemand viel Schlimmeres.
Berkley spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken.
Auf einem Hocker vor dem Tresen saß ein Mann mit einer Kapuze. Der Barmann erkannte ihn augenblicklich. Er hatte den Mann erst ein einziges Mal im Leben gesehen. Fünf Jahre zuvor war er in die Bar gekommen und hatte jeden Gast getötet, außer den vor Angst fast besinnungslosen Wirt Berkley. Seit damals hatte es zahlreiche Gerüchte gegeben, dass der Mann mit der Kapuze inzwischen selbst getötet worden wäre, doch diese Gerüchte waren offensichtlich nichts weiter als Wunschdenken. Denn am Tresen der Nightjar Bar saß niemand anderes als Bourbon Kid höchstpersönlich. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.
»Die Bedienung ist verdammt lahm heute Abend!«, sagte Bourbon Kid und schlug seine Kapuze zurück, sodass Berkley sein Gesicht sah.
Er hatte sich nicht sehr verändert, seit Berkley ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sein Haar war ein wenig dunkler und sein Gesicht ein wenig ledriger – vielleicht verbrachte er viel Zeit in der Sonne. Doch es war ganz eindeutig Bourbon Kid, und das, so schloss Berkley, war kein gutes Zeichen.
Es gab einen verlegenen Moment, während Berkley überlegte, wie er auf die Bemerkung des Bourbon Kid bezüglich der Geschwindigkeit der Bedienung reagieren sollte. Fast hielt er es für angebracht, sich bei dem anderen dafür zu bedanken, dass er ihn vor fünf Jahren nicht getötet hatte, doch auf der anderen Seite setzte er ihm damit wahrscheinlich höchstens dumme Gedanken in den unberechenbaren Schädel.
Berkley überflog die Zerstörungen im Lokal hinter Bourbon Kid. Tische und Stühle waren zerbrochen und lagen kreuz und quer herum. Immer noch war überall Blut. Eine gottverdammte Sauerei zum Putzen und Aufräumen morgen früh, dachte Berkley. Falls er das Glück hatte, bis morgen früh zu überleben, hieß das, angesichts der Tatsache, dass der größte Serienkiller in der Geschichte der Gegend vor ihm am Tresen saß. Es war nicht klug, diesen Burschen warten zu lassen.
»Oh, ja. Verzeihung, Sir. Was darf es denn sein? Sämtliche Drinks gehen heute Abend aufs Haus«, sagte Berkley.
»Das klingt doch prima. Und weil das so ist, nehme ich einen Bourbon. Achte darauf, dass das Glas richtig voll wird.«
O Scheiße! Damit hat es beim letzten Mal auch angefangen!
Berkley dachte an den letzten Auftritt des Bourbon Kid in seiner Bar vor fünf Jahren. Er hatte ihm damals ein Glas Bourbon serviert, ohne groß darüber nachzudenken. Woher hätte er denn wissen sollen, dass der Kerl ein Problem mit dem Zeug hatte?
Noch in der Sekunde, als er den Bourbon heruntergekippt hatte, war er zum Berserker geworden und hatte jeden umgebracht – mit Ausnahme von Berkley, der ihm noch eine ganze Stunde lang Drinks hatte servieren müssen. Selbst als Busladungen voll bewaffneter Polizisten aufgetaucht waren, war Bourbon Kid eiskalt geblieben. Er hatte sein Trinkgelage kurz unterbrochen, um sich mit ihnen zu befassen – so lange, bis sich keine Cops mehr gefunden hatten, die genügend Mumm besaßen, um die Nightjar Bar zu betreten. Berkley hatte einen Großteil der Zeit geduckt hinter seinem Tresen gekauert, um nicht von Querschlägern getroffen zu werden, und war nur gelegentlich kurz aufgetaucht, um das Glas des Bourbon Kid nachzufüllen.
Was auch immer fünf Jahre zuvor geschehen war, Berkley hatte nicht den Nerv, Bourbon Kid warten zu lassen, also schenkte er ihm ein Glas von seinem besten Bourbon ein, auf Eis.
»Und?«, fragte er. »Was haben Sie so gemacht?« Vielleicht konnte er die Geschichte damit eine Weile hinauszögern.
Der einzige Gast der Nightjar Bar nahm sein Glas und starrte mit einem langen, harten Blick den Inhalt an. Es war der beste Bourbon des Hauses, und für einen Mann, der das Zeug so zu schätzen wusste wie Bourbon Kid, musste das Getränk aussehen wie flüssiges Gold.
»Ich war trocken«, sagte er.
»Schön für Sie. Wie lange denn?«
»Fünf Jahre.«
Gütiger Herr im Himmel!, dachte Berkley. Dieser Kerl konnte schon beim letzten Mal, als er hier war, nichts vertragen. Wenn er seit fünf Jahren keinen Tropfen getrunken hat, steigt ihm das Zeug geradewegs in den Kopf. Ich sollte vielleicht versuchen, es ihm auszureden.
»Wow«, sagte er nervös. »Fünf Jahre … wenn ich so lange keinen Drink gehabt hätte, würde ich bestimmt nicht wieder damit anfangen wollen. Niemals. Ich würde keinen Tropfen mehr anrühren. Sind Sie sicher, dass Sie diesen Bourbon wirklich wollen? Vielleicht sollten Sie lieber mit etwas weniger Hartem anfangen, wissen Sie? Was halten Sie beispielsweise von … einem Glas Limonade?«
Bourbon Kid nahm den Blick von seinem Glas und starrte den Barmann an. Er zeigte einen gewissen ärgerlichen Ausdruck, wie der Barmann mehr als nur ein wenig besorgt zur Kenntnis nahm.
»Hör zu, Freundchen«, sagte Bourbon Kid mit rauer Stimme. »Ich bin hierhergekommen, weil ich in aller Ruhe einen Drink nehmen will. Ich hab keine Lust auf dumme Plaudereien, die mich davon ablenken. Das ist mein erster Drink seit fünf Jahren. Ich bin in deine Bar gekommen, weil der Laden leer war, und jetzt, wo ich hier bin, gibt es genau zwei Dinge, die mir auf die Nerven gehen.«
»Was für Dinge?«, fragte Berkley eifrig in der Hoffnung, die Missstände ließen sich einfach abstellen.
»Erstens ärgert mich der Service. Ich musste noch nie so lange auf einen Drink warten, in keiner Bar der Welt. Du solltest wirklich daran arbeiten.«
»Okay, sicher. Ich … ich … es tut mir wirklich leid, wissen Sie?«
»Schön. Das ist ein Anfang. Das Zweite, was mir auf den Nerv geht, ist dieses tropfende Geräusch. Kannst du das vielleicht abstellen?«
Berkley hatte bis zu diesem Moment kein tropfendes Geräusch gehört, also lauschte er aufmerksam. Und tatsächlich, nach etwa fünf Sekunden erklang ein leises Tropfen. Es kam von einer Stelle direkt hinter Bourbon Kid. Berkley reckte den Hals über den Tresen und entdeckte eine große Blutlache mitten auf dem Boden. Wahrscheinlich von einem der beiden Vampire, die früher am Abend ihre untoten Leben verloren hatten. Während er noch auf die Stelle starrte, landete ein weiterer Tropfen genau mittendrin und erzeugte ein weiteres leises Platschen.
Woher mag das kommen? Berkley hob den Blick zur Decke und fand die Antwort. Er wünschte sich auf der Stelle, er hätte es nicht getan.
Direkt über der Blutlache auf dem Fußboden hing ein Ventilator an der Decke. Es war ein normaler schwerer Metallventilator von der Sorte, wie man sie in jeder Bar auf der ganzen Welt findet. Die Ventilatorblätter drehten sich mit sehr geringer Geschwindigkeit, zum Teil, weil sie immer so langsam liefen, doch hauptsächlich wegen der Leiche von Rodeo Rex, die darum gewickelt war. Es war sein Blut, das auf den Boden tropfte. Er blutete aus zahlreichen Wunden. Seine Augen waren zerdrückt worden und seine Zunge herausgerissen. Große Fetzen blutigen Fleisches hingen von seinen Armen und Beinen. Seine Brust war völlig zerquetscht und bedeckt von zerrissener Kleidung. Es war kein schöner Anblick, und der Gedanke, dass er vielleicht bald auf ähnliche Weise enden würde, ließ Berkleys Knie weich werden. Bevor er es wusste, hatte er den Halt verloren und war hinter der Bar lang hingefallen, wobei er sich den Kopf an einem Holzregal anschlug. Es war kein geschickter Zug unter den gegebenen Umständen. Er atmete ein paar Mal tief durch, bevor er sich wieder aufrappelte.
Nachdem er seine Fassung halbwegs zurückerlangt hatte, entschied er, nicht noch einmal nach oben zu sehen zu der Leiche am Ventilator. Stattdessen sah er Bourbon Kid zu, wie dieser seinen Bourbon hinunterkippte und das leere Glas auf den Tresen hämmerte.
»Äh, noch einen Drink, Sir?«, erkundigte sich der Barmann nervös.
Bourbon Kid schüttelte den Kopf. Dann griff er in seinen Mantel und brachte eine Pistole zum Vorschein. Es war eine verdammt große Pistole, eine BFG. Berkley hatte schon größere Pistolen gesehen, doch noch nie eine, die so lebendig aussah und so verdammt gefährlich. Bourbon Kid richtete die BFG auf den Kopf des unglückseligen Barmannes. Berkley spürte, wie jeder einzelne Muskel in seinem Körper anfing zu zittern. Hätte er versucht, um Gnade zu betteln, er hätte nur ein mäuseartiges Quieken hervorgebracht, so groß war das Entsetzen, das ihn plötzlich gepackt hatte. Betäubt vor Angst starrte er in den Lauf der Pistole und sah hilflos mit an, wie der Bourbon Kid langsam den Abzug betätigte.
PENG!
Der Widerhall dieses einen Schusses würde in kilometerweitem Umkreis zu spüren sein, und das für viele Jahre.
Bourbon Kid war zurück.
Und er war durstig.