KAPİTEL 43
Beim Einsturz einer Decke im Papstpalast von Viterbo hatten herabfallende Balken und sonstige Trümmer Johannes XXI. erschlagen. Von Rom, wo man die Nachricht mit entsetztem Schweigen aufnahm, verbreitete sie sich in der ganzen Christenheit. Wieder einmal hatte die Welt niemanden, der ihr mitteilte, was Gottes Stimme sagte.
Palombara erfuhr im Kaiserpalast vom Tod des Papstes, wo er sich zu einer Audienz beim Kaiser aufhielt. Jetzt stand er in einer der großen Galerien vor einer Statue von überirdischer Schönheit, die aus dem antiken Griechenland stammte, aus der Zeit vor Christi Geburt. Sie war eine der wenigen, welche die Verwüstung der Stadt überdauert hatten. Nur eine kleine Absplitterung an einem Arm zeigte, dass auch sie der Zeit und dem Wandel unterworfen war.
Als Anna auf dem Rückweg von einem Patienten durch diese Galerie
kam, sah sie Bischof Palombara, der so tief in Gedanken versunken
zu sein schien, dass er ihre Anwesenheit nicht bemerkte. Sein
Gesicht, dessen Züge er in diesem Augenblick nicht bewusst
kontrollierte, zeigte ihr eine solche Empfänglichkeit für
Schönheit, als könne jene mühelos an allen von ihm errichteten
Schranken vorüber in sein tiefstes Inneres gelangen und all seine
Wunden berühren.
Er ließ es in diesem Augenblick zu, denn ein Teil seines Wesens sehnte sich nach einem alles überwältigenden Gefühl, selbst wenn es mit Schmerz verbunden war. Doch es entzog sich ihm – das erkannte Anna an dem kaum wahrnehmbaren Aufblitzen in seinen Augen, als er sich ihr zuwandte.
Dann ging er schweigend, und sie schämte sich, in sein Innerstes eingedrungen zu sein, auch wenn es gänzlich unabsichtlich geschehen war.
Sie hörte rasche Schritte und fuhr herum. Warum nur fühlte sie sich so ertappt? Nur weil sie einen Augenblick lang mit einem Abgesandten Roms empfunden hatte? Das war der Kernpunkt des Schismas: Bei der Kirchenspaltung ging es in Wahrheit nicht um das Wesen Gottes, sie ging auf das dem Wesen der Menschen eigene Gift zurück. Es trennte die beiden Seiten scharf voneinander und bewirkte, dass man Angst hatte, die Hand auszustrecken, um die Trennlinie zu überwinden.