KAPİTEL 12

Von schlechtem Wetter aufgehalten, erreichten Palombara und Vicenze Konstantinopel erst im November. Ihre erste Amtshandlung würde darin bestehen, als Zeugen der Unterzeichnung des in Lyon getroffenen Abkommens durch den Kaiser und die Bischöfe der orthodoxen Kirche beizuwohnen. Dieser feierliche Akt sollte am 16. Januar des Jahres 1275 stattfinden. Anschließend würden sie als päpstliche Legaten in Byzanz bleiben. Beide hatten die Aufgabe, Seiner Heiligkeit über den jeweils anderen Bericht zu erstatten, womit das ganze Unternehmen zu einem Balanceakt aus Lügen, Ausflüchten und Machtspielen wurde.

Von Abgesandten des Papstes wurde ein gewisser Lebensstil erwartet, und bereits bei der Wahl ihres Wohnsitzes traten ihre Wesensunterschiede noch deutlicher zutage.

»Das hier ist großartig«, sagte Vicenze von einem prachtvollen Anwesen unweit des Kaiserpalastes, das man ihnen zu einem annehmbaren Preis zur Verfügung stellen wollte. Er stand in der Mitte des Mosaikbodens und begutachtete die herrlich bemalten Wände, die großartigen Deckengewölbe und die aufwendig verzierten Säulen. »Niemand, der uns hier aufsucht, wird die Bedeutung unserer Sendung oder dessen, der uns geschickt hat, unterschätzen. «

Palombara verzog unwillig das Gesicht. »Mir gefällt nicht, dass es so protzig aussieht. Wahrscheinlich ist es neu.«

»Euch wäre wohl ein hübsches Schlösschen im Aretinerstil lieber? Anheimelnd und behaglich?«, fragte Vicenze sarkastisch. »Nichts als kleine Steine und spitze Winkel.«

»Mir wäre etwas Zurückhaltenderes lieber«, ließ Palombara ihn wissen, wobei er versuchte, die Kälte aus seiner Stimme herauszuhalten. Vicenze kam aus Florenz, das seit langer Zeit auf dem Gebiet der Künste und der Politik in einem erbitterten Widerstreit mit Palombaras Heimatstadt Arezzo lag. Ihm war klar, was hinter dieser anzüglichen Bemerkung steckte.

Vicenze sah ihn griesgrämig an. »Das hier wird die Leute beeindrucken. Außerdem liegt es günstig. Wir können nahezu alle Wege zu Fuß zurücklegen, sogar zum Palast des Kaisers.«

Palombara sah sich langsam um und ließ den Blick auf den Säulen mit den schweren Kapitellen ruhen. »Man würde uns für Barbaren mit viel Geld und wenig Geschmack halten.«

Vicenzes langes, knochiges Gesicht, das zunehmende Ungeduld ausdrückte, zeigte ihm, dass dieser nicht begriff, worauf er hinauswollte. Die Beschäftigung mit den schönen Künsten war in seinen Augen ein Zeichen von Schwäche, lenkte den Menschen davon ab, für Gott zu wirken. »Es kommt nicht darauf an, ob sie uns mögen oder nicht, sondern ausschließlich darauf, ob sie uns für glaubwürdig halten.«

Palombara dachte nicht daran, klein beizugeben. Es war offensichtlich, dass Vicenze nicht über die geringste Vorstellungskraft verfügte und seine Ziele gleich einem Raubtier verfolgte, das einer Geruchsfährte nachjagte. Wenn man es recht bedachte, lag in der Art, wie er die Luft einsog, etwas Hündisches. Vicenze war letztlich auf nichts anderes aus als auf persönliche Macht.

»Das Haus ist ästhetisch unbefriedigend«, beharrte Palombara mit fester Stimme. »Das andere weiter im Norden hat ebenmäßige Proportionen und bietet uns genug Raum. Außerdem kann man aus dessen Fenstern das Goldene Horn sehen.«

»Wozu?«, fragte Vicenze.

» Wir sind hier, um zu lernen, nicht, um anderen Lehren zu erteilen«, sagte Palombara in einem Ton, als müsse er einem Begriffsstutzigen etwas erklären. »Es ist unser Bestreben zu erreichen, dass sich die Menschen wohlfühlen, wenn wir mit ihnen sprechen, und sich dabei aus der Reserve locken lassen. Wir müssen sie kennenlernen.«

»Lerne deine Feinde kennen«, sagte Vicenze mit dem Anflug eines Lächelns, als sage ihm diese Erklärung zu. Nach langem Hin und Her ließ er sich überreden, ein etwas bescheideneres Haus zu mieten.

»Es sind unsere Brüder in Christo, die sich vorübergehend vom rechten Weg entfernt haben«, gab Palombara trocken zurück. Ihm war klar, dass Vicenze den darin liegenden leisen Spott nicht zu teilen vermochte.

Palombara ging daran, die Stadt zu erkunden, und fand sie fesselnd, ungeachtet des Winterwetters, der vom Wasser herüberwehenden scharfen Winde und gelegentlicher Regenfälle. Es war nicht besonders kalt, und er ging gern zu Fuß. Auf den Straßen dieser Stadt, in der sich Angehörige so vieler Völker und Glaubensrichtungen fanden, fiel auch ein römischer Bischof nicht weiter auf. Nachdem er einen ganzen Tag lang umhergezogen war und sich aufmerksam umgesehen und umgehört hatte, war er am Rande seiner Kräfte, besaß aber eine ungefähre Vorstellung von der Stadt.

Am nächsten Tag waren seine Glieder steif, worüber sich Vicenze hämisch freute. Am übernächsten Tag aber machte er sich trotz der Blasen an seinen Füßen daran, die nähere Umgebung zu erkunden. Das Wetter war angenehm, die Sonne schien, und nur ein ganz leichter Wind wehte. Die engen Gassen waren voller Menschen. Er kam sich fast wie in Rom vor.

Er kaufte seinen Mittagsimbiss bei einem Straßenhändler und sah, während er aß, zwei weißbärtigen Männern beim Schachspiel zu. Der eine war so gut wie kahl, und die schwarzen Augen des anderen verschwanden beinahe vollständig in den Falten seines schmalen Gesichts. Das Schachbrett mit den abgegriffenen geschnitzten Figuren stand auf einem Tisch, der dafür kaum groß genug war.

Die beiden waren so sehr in ihre Partie versunken, dass sie die Welt um sich herum nicht wahrnahmen. Es war, als hätten sie sie vollständig vergessen – Kinder, die auf der Straße schrien, Passanten, die vorübereilten, Eselskarren, die über das Pflaster rumpelten. Auch die an sie gerichtete Frage eines Straßenhändlers, ob sie ihm etwas abkaufen wollten, schienen sie nicht zu hören.

Auf ihren Gesichtern erkannte Palombara die tiefe Befriedigung, die ihnen das Spiel bereitete. Er wartete eine volle Stunde, bis sie es beendet hatten. Der Hagere gewann und bestellte für sich und seinen Mitspieler den besten Wein des Hauses sowie frisches Brot, Ziegenkäse und Dörrobst. Dann machten sie sich mit der gleichen Hingabe, die sie beim Schachspiel gezeigt hatten, daran, diese Köstlichkeiten zu verzehren.

Am Tag darauf kam er noch früher und sah dem Spiel von Anfang an zu. Diesmal gewann der andere die Partie, doch danach wurde auf die gleiche Weise gefeiert wie am Vortag.

Plötzlich ging ihm auf, wie anmaßend es war, Männern wie ihnen vorschreiben zu wollen, was sie glauben sollten. Er erhob sich und ging in Wind und Sonne davon, während sich die Gedanken in seinem Kopf so sehr jagten und drängten, dass er zu keinem klaren Ergebnis gelangte.



Anfang Januar suchte Palombara, dem es gelungen war, sich im Hinblick auf die bevorstehende Unterzeichnung des Abkommens zur Zusammenarbeit mit Vicenze zu zwingen, ein Speiselokal auf.

Mit voller Absicht setzte er sich möglichst nahe an einen Tisch, an dem sich zwei Männer in mittleren Jahren über das Lieblingsthema der Byzantiner in den Haaren lagen: die Religion.

Als einer von ihnen merkte, dass Palombara ihrem Streitgespräch zuhörte, bezog er ihn sogleich mit ein und fragte ihn nach seiner Meinung. »Ja«, drängte auch der andere. »Was haltet Ihr davon?«

Nach kurzem Überlegen antwortete Palombara mit einem Zitat aus den Schriften des brillanten Theologen und Kirchenlehrers Thomas von Aquin, der auf dem Weg zum Konzil von Lyon gestorben war.

»Ah!«, sagte der Erste rasch. »Der doctor angelicus! Sehr gut. Stimmt Ihr mir zu, wenn ich sage, dass seine Entscheidung richtig war, sein bedeutendstes Werk, die Summa Theologica, nicht weiterzuführen?«

Palombara war verblüfft. Er zögerte.

»Gut«, sagte der Mann mit strahlendem Lächeln. »Ihr wisst es nicht. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zur Weisheit. Hat er nicht selbst gesagt, dass alle seine Schriften wie Stroh seien, verglichen mit dem, was er in einer Vision gesehen hatte?«

»Albertus Magnus, der ihn gut kannte, denn er war sein Lehrer, hat gesagt, die Werke des Aquiners würden die Welt füllen«, warf der andere ein. Dann wandte er sich Palombara zu. »Er stammte aus Italien, Gott sei seiner Seele gnädig. Habt Ihr ihn gekannt?«

Palombara erinnerte sich, ihm einmal begegnet zu sein: ein nicht besonders hellhäutiger, kräftiger, massiger Mann von ausgesuchter Höflichkeit. Man musste ihn einfach mögen. »Ja«, gab er zurück und beschrieb seine Begegnung mit ihm und was er dabei gesagt hatte.

Der Zweite hielt sich daran fest, als habe er einen Schatz entdeckt, und beide griffen die vorgetragenen Gedanken geradezu begeistert auf. Unvermittelt kamen sie dann auf Franz von Assisi und dessen Weigerung zu sprechen, sich zum Priester weihen zu lassen. War das gut oder schlecht, Hochmut oder Bescheidenheit?

Palombara war begeistert. Das freie Hin und Her der Gedanken kam ihm vor wie der Wind, der mächtig und ungezügelt vom Meer herüberwehte. Zwar brachte er Gefahren mit sich, doch zugleich gab er den Blick auf einen endlosen Horizont frei. Erst als Vicenze unerwartet zu ihnen stieß, merkte er mit einem Mal, wie weit er sich von der herrschenden Lehrmeinung entfernt hatte.

Nachdem sich Vicenze das Gespräch eine Weile angehört hatte, fiel er den dreien in geradezu flegelhafter Weise ins Wort, erklärte, er habe Nachrichten, die keinen Aufschub duldeten, weshalb Palombara sogleich mitkommen müsse. Da es sich bei den beiden Männern um eine Zufallsbekanntschaft handelte, blieb diesem keine Wahl, als das Gespräch abrupt zu beenden und mitzugehen. Er bat zögernd um Entschuldigung und trat mutlos und voll Wut auf Vicenze hinaus auf die Straße. Überrascht stellte er fest, dass er eine gewisse innere Leere empfand.

»Was ist so dringend?«, fragte er kalt. Ihn ärgerte nicht nur die Unterbrechung, sondern auch die aufgeblasene Art, mit der Vicenze aufgetreten war, und dessen unübersehbare Missbilligung.

»Der Kaiser hat uns rufen lassen«, teilte ihm Vicenze mit. »Ich habe das eingefädelt, während Ihr Dispute mit diesen Gottesleugnern geführt habt. Vergesst nicht: Ihr dient dem Papst.«

»Eigentlich war ich der Ansicht, dass ich Gott diene.«

»Das hatte ich von Euch bisher ebenfalls angenommen«, gab Vicenze zurück. »Aber inzwischen bin ich mir dessen nicht mehr sicher.«

Palombara wechselte das Thema. »Was wünscht der Kaiser von uns?«

» Wenn ich das wüsste, hätte ich es Euch gesagt«, knurrte Vicenze.

Palombara bezweifelte das, hielt es aber nicht für der Mühe wert, darüber zu streiten.

Die Audienz fand im Kaiserpalast statt. Es kam Palombara, der das eine oder andere über dessen Geschichte erfahren hatte, so vor, als durchwehe der Ruhm der Vergangenheit die Räume gleich Geistern, die in der grauen Gegenwart verloren wirkten.

Die Wände aller Räume, durch die man sie führte, waren in früheren Zeiten mit herrlichen Einlegearbeiten in Porphyr und Alabaster sowie mit Ikonen geschmückt gewesen, und in allen Nischen hatten Standbilder oder Bronzegefäße gestanden. Der Palast hatte sich einst rühmen können, einige der bedeutendsten Kunstwerke auf der ganzen Welt zu enthalten, darunter Marmorstatuen, die unerreichte Meister wie Phidias und Praxiteles zur Zeit der griechischen Antike geschaffen hatten, lange vor Christi Geburt.

Voll Scham hatte Palombara in der Stadt die Rauch – und Brandspuren gesehen, die vom Wüten der Kreuzfahrer zeugten. Auch hier im Palast sah er die auf die Verarmung der Stadt zurückgehenden Narben: Weder die Schäden an den Wandbehängen noch die an den Mosaiken, Säulen oder Pilastern hatte man ausgebessert. Was für Barbaren die Kreuzfahrer im tiefsten Herzen gewesen sein mussten, trotz ihrer Behauptung, dass sie Gott dienten! Es gab viele Arten von Unglauben.

In einem herrlichen Audienzsaal, durch dessen Fenster der Blick auf das Goldene Horn fiel, wurden sie vor Michael Palaiologos geführt. Tief unter ihnen lag das riesige Panorama aus Dächern, Türmen, Schiffsmasten im Hafen und sich dicht aneinanderdrängenden Häusern am gegenüberliegenden Ufer.

Der Boden des Saales bestand aus Marmor, und auf Porphyrsäulen ruhende Bögen, die mit Mosaiken geschmückt waren, in denen hier und da Gold aufblitzte, trugen die Decke. Während Palombara auf den Kaiser zuschritt, erfüllte ihn tiefes Staunen angesichts der Kraft, die dieser ausstrahlte. Wie nicht anders zu erwarten, waren die Seidengewänder des Herrschers reich bestickt und mit Edelsteinen besetzt. Zur üblichen Tunika und Dalmatika trug er als Zeichen seiner Würde eine Art von Goldfäden durchwirkten Kragen, der vorn in etwas auslief, was dem Brustgehänge eines Hohepriesters ähnlich sah. Auch er war mit Edelsteinen besetzt und an den Säumen mit Perlen bestickt. Bei diesem Anblick kam Palombara unwillkürlich der Gedanke, dass die Byzantiner ihren Kaiser als ›auf einer Stufe mit den Aposteln stehend‹ ansahen. Sicher wäre es äußerst töricht, diesen Mann zu unterschätzen, dem es als glänzendem Heerführer gelungen war, mit eigener Hand sein Reich zurückzuerobern und sein Volk nach harten Kämpfen aus dem Exil in seine angestammte Hauptstadt zurückzuführen.

Der Kaiser begrüßte die beiden Abgesandten des Papstes mit allem herkömmlichen Zeremoniell und forderte sie auf, Platz zu nehmen. Alles war für die Unterzeichnung des Abkommens bereit, und es sah nicht so aus, als gebe es noch etwas zu besprechen, denn in dem Fall hätten sie es lediglich mit untergeordneten Hofbeamten zu tun gehabt.

»Die Fürsten und Prälaten der orthodoxen Kirche sind sich der schwierigen Situation ebenso bewusst wie der uns offenen Wahlmöglichkeit«, sagte Michael ruhig und ließ den Blick zwischen Palombara und Vicenze wandern. »Der Preis ist für uns hoch, und nicht alle sind bereit, ihn zu zahlen.«

» Wir sind hier, um Euch zu helfen, wo wir können, Majestät«, fühlte sich Vicenze zu sagen verpflichtet.

»Das ist mir bekannt.« Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen des Kaisers. »Und Ihr, Bischof Palombara?«, fragte er. »Bietet auch Ihr uns Eure Unterstützung an? Oder spricht Bischof Vicenze für Euch beide?«

Palombara spürte, wie sein Gesicht blutrot wurde. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass der Kaiser ohne weiteres einen Keil zwischen sie trieb.

Kaiser Michaels schwarze Augen lachten. Er nickte. »Gut. Wir arbeiten also auf dasselbe Ziel hin, aber aus unterschiedlichen Gründen und wohl auch auf unterschiedliche Weise. Mir geht es um die Sicherheit meines Volkes, wenn nicht gar um das Überdauern meiner Stadt; Ihr hingegen wollt Euren Ehrgeiz befriedigen und auf keinen Fall mit leeren Händen nach Rom zurückkehren, denn bei einem Scheitern winkt kein Kardinalspurpur.«

Palombara zuckte zusammen. Der Mann erschien ihm ein wenig zu pragmatisch, doch dürfte ihm das Leben kaum Gelegenheit gegeben haben, anders zu sein. Für den Zusammenschluss unter dem römischen Primat hatte er sich ausschließlich deshalb entschieden, weil er darin die einzige Möglichkeit zu überleben sah, keinesfalls aber, um die beiden Glaubensrichtungen zusammenzuführen. Das hatte er den Abgesandten des Papstes unmissverständlich zu verstehen gegeben, für den Fall, dass sie der Ansicht gewesen sein sollten, sie könnten ihn zu ihrem Glauben bekehren. Zwar war er orthodox bis ins Mark, aber auch fest entschlossen zu überleben.

»Ich verstehe, Majestät«, gab Palombara zurück. »Wir sehen uns schwierigen Entscheidungen gegenüber und werden versuchen, die vorteilhaftesten Lösungen zu finden.«

Vicenze deutete eine so leichte Verneigung an, dass sie kaum zu erkennen war. » Wir werden tun, was recht ist, Majestät. Es ist uns klar, dass Übereilung nur schaden würde.«

Der Kaiser sah ihn zweifelnd an. »In hohem Maße«, stimmte er ihm zu.

Vicenze sog scharf die Luft ein.

Palombara erstarrte, weil er fürchtete, sein Begleiter werde etwas Plumpes und Ungehöriges sagen. Zugleich wünschte eine leise Stimme in ihm Vicenzes Untergang.

Der Kaiser wartete.

»Ein Scheitern kommt auf keinen Fall infrage«, sagte Palombara. Es war ihm wichtig, dass der Kaiser den Unterschied zwischen ihm und Vicenze erkannte.

»So ist es.« Der Kaiser nickte. Dann machte er über die Köpfe der beiden hinweg jemandem ein Zeichen, woraufhin eine sonderbare Gestalt mit eigenartig anmutigen Schritten nähertrat. Das Gesicht des Mannes war breit und bartlos, und er sprach, nachdem ihn der Kaiser mit einer Handbewegung dazu aufgefordert hatte, mit einer Stimme, die weiblich klang, ohne die einer Frau zu sein. Der Kaiser stellte ihn als Bischof Konstantinos vor.

Die Abgesandten des Papstes und der orthodoxe Bischof begrüßten einander förmlich und nicht ohne Unbehagen.

Dann wandte sich Konstantinos dem Kaiser zu. »Majestät«, sagte er mit Nachdruck. »Man müsste wohl auch die Meinung des Patriarchen Kyrillos Choniates einholen. Seine Billigung würde uns von großem Nutzen sein, wenn wir wollen, dass Eure Untertanen der Union mit Rom zustimmen. Möglicherweise hat man Euch noch nicht davon in Kenntnis gesetzt, wie nah diese Sache ihrem Herzen ist?« Auch wenn das als Frage formuliert war, machte die innere Bewegung, die in seiner Stimme lag, klar, dass er es als mahnenden Hinweis meinte.

Palombara fühlte sich in der Gegenwart dieses Bischofs von unbestimmter Männlichkeit unbehaglich. Es kam ihm so vor, als unterdrücke jener sonderbare Mensch irgendeine Leidenschaft. Doch obwohl er sie nicht zeigen mochte, schien sie mächtig zu sein, denn sie äußerte sich in den lächerlichen Bewegungen seiner bleichen schweren Hände und bisweilen auch darin, dass er seine Stimme nicht zu beherrschen vermochte.

Das Gesicht des Kaisers verfinsterte sich. »Kyrillos Choniates ist nicht mehr Patriarch.«

Bischof Konstantinos ließ sich dadurch nicht von seiner Linie abbringen. »Innerhalb der Kirche dürften die Mönche am schwierigsten davon zu überzeugen sein, dass wir unsere altüberlieferten Bräuche aufgeben sollen, um uns Rom zu unterwerfen, Majestät«, erklärte er. »Kyrillos könnte uns helfen, sie auf unsere Seite zu ziehen.«

Der Kaiser hielt den Blick unverwandt auf ihn gerichtet, wobei sich sein Gesichtsausdruck von Gewissheit zu Zweifel wandelte. »Ich muss mich über Euch wundern«, sagte er schließlich. »Erst sprecht Ihr Euch mit Nachdruck gegen den Zusammenschluss aus, und jetzt versucht Ihr mir klarzumachen, auf welche Weise man den Weg dafür am besten bereitet. Mir scheint, mit Euren Überzeugungen verhält es sich wie mit Wasser im Wind.«

Schlagartig fiel es Palombara wie Schuppen von den Augen. Wieso hatte er das nicht gleich begriffen? Bischof Konstantinos war Eunuch! Unwillkürlich wandte er den Blick ab, weil er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg, während ihm zugleich seine eigene Männlichkeit bewusst wurde. Für ihn waren Leidenschaftlichkeit und Stärke gleichbedeutend mit Männlichkeit, und stets hatte er fehlenden Mut, mangelnde Entschlossenheit sowie Schwäche und Wankelmut für weibisch gehalten. Diesen Standpunkt schien auch der Kaiser zu vertreten.

»Das Meer besteht aus Wasser, Majestät«, sagte Konstantinos leise, während er den Kaiser ansah, ohne den Blick zu senken. »Christus ist auf dem See Genezareth gewandelt, aber uns stünde Besonnenheit gut an, damit wir nicht ertrinken, weil wir im Glauben schwach sind wie der Jünger Petrus, und das, ohne dass uns jemand eine rettende Hand reichen würde.«

Ein unbehagliches Schweigen legte sich über den Saal.

Der Kaiser atmete betont langsam ein und aus. Lange sah er den Bischof angespannt an, den das aber nicht zu beeindrucken schien.

Als Vicenze zum Sprechen ansetzte, stieß ihm Palombara den Ellbogen so scharf in die Rippen, dass Vicenze keuchte.

»Ich bin nicht überzeugt, dass Kyrillos Choniates die Notwendigkeit der Union mit Rom einsehen wird«, sagte der Kaiser schließlich. »Er ist Idealist, ich hingegen sehe die Dinge, wie sie sind.«

»Das muss man auch, wenn man etwas bewirken will, Majestät«, gab ihm Bischof Konstantinos Recht. »Zugleich aber seid Ihr, wie ich weiß, ein zu guter Sohn der Kirche, als dass Ihr die Meinung vertreten würdet, der Glaube an Gott bewirke nichts.«

Palombara trat unwillkürlich ein Lächeln auf die Züge, aber niemand sah zu ihm hin.

»Sollte ich mich entscheiden, Kyrillos um seine Mitwirkung zu ersuchen«, sagte der Kaiser gemessen mit festem Blick, »werdet Ihr der Mann sein, den ich zu ihm schicke. Bis dahin erwarte ich, dass Ihr Eure Herde dazu bringt, sowohl auf Gott als auch auf Euren Kaiser zu vertrauen.«

Bischof Konstantinos verneigte sich, doch lag darin nur wenig Ehrerbietigkeit. Kurz darauf wurde Palombara und Vicenze bedeutet, dass die Audienz zu Ende sei.

»Der Eunuch könnte uns Ärger machen«, sagte Vicenze auf Italienisch, während die Waräger-Wache sie aus dem Palast geleitete. Er kräuselte angewidert die Oberlippe. » Wenn wir so jemanden nicht bekehren können«, es war offenkundig, dass er das Wort Mann betont vermied, »müssen wir nach Mitteln und Wegen suchen, seine Macht zu untergraben.«

»Auf dem Höhepunkt ihrer Macht haben einst die Palasteunuchen bestimmt, was am Hof und weitgehend auch, was in der Regierung geschah«, teilte ihm Palombara mit hämischer Befriedigung mit. »Sie waren Bischöfe, Generäle, Minister, Rechtsgelehrte, Mathematiker, Philosophen und auch Ärzte.«

»Nun, dem wird Rom ein Ende bereiten!«, gab ihm Vicenze mit tiefer Befriedigung zu verstehen. »Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen.« Er schritt kräftig aus, so dass Palombara rascher gehen musste, um ihn wieder einzuholen.

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
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