KAPİTEL 9

Zoe erfüllte Kaiser Michaels Auftrag und wandte sich dann erneut ihrem Racheplan zu. Sie hatte die bittere Lehre aus ihrer Begegnung mit dem Tod nicht vergessen. Die Zeit lief ihr davon, sie durfte nicht länger warten.

Über ihrer Tunika in dunklen Rottönen trug sie eine Dalmatika, die durch die schwarzen Kettfäden noch dunkler wirkte. Auf ihr spielte das warme Rot der Flammen, während sie an den brennenden Fackeln vorüberschritt. Sie bekreuzigte sich und trat, von Sabas gefolgt, in die Nacht hinaus.

Auf der Straße blieb sie einen Augenblick stehen und sprach leise mit gefalteten Händen ein Mariengebet. Dann schritt sie aus.

Tief sog sie die kühle Nachtluft ein. Endlich konnte sie darangehen, ihre Rache auszuführen. Schon am nächsten Tag würde der Erste von denen nicht mehr leben, deren Wappen auf der Rückseite des Kruzifixes an ihrer Wand eingraviert waren.

Sie ließ Sabas vor dem Haus warten, während Kosmas Kantakouzenos’ Diener sie einließ. Schon die Eingangshalle war überaus prunkvoll gestaltet. Ganz besonders fiel ihr die Marmorbüste eines älteren Mannes ins Auge, vermutlich ein römischer Senator, dessen Züge die Erfahrungen und Gemütsbewegungen eines langen Lebens spiegelten. Blaue venezianische Gläser auf einem Tisch glänzten im Lichtschein wie Edelsteine. Den Ehrenplatz im Raum nahm ein ägyptischer Alabasterhund mit riesigen Ohren ein, der auf einem geschnitzten Holzpodest stand.

Als Zoe zu Kosmas hineingeführt wurde, saß dieser vor einem mit Intarsien verzierten Tisch, auf dem ein halb geleerter Weinkrug neben einem Teller mit Datteln und Honigfrüchten stand – ein wohlbeleibter Mann, der dank der Gewinne, die er machte, das Leben in vollen Zügen genoss.

»Da ich Euch nichts schuldig bin«, sagte er mit säuerlicher Miene und ohne sich zu ihrer Begrüßung zu erheben, »nehme ich an, dass Ihr gekommen seid, um zu sehen, was es bei mir zu erbeuten gibt.«

Es genügte ihr nicht, sich an seinem Niedergang zu weiden; sie wollte Streit, und zwar einen von der Art, der bis zur Gewalttätigkeit ausarten konnte.

»Eure Gabe, den Charakter anderer Menschen einzuschätzen, ist beklagenswert schlecht«, sagte sie, nach wie vor stehend. »Ich bin nicht um eines materiellen Vorteils willen gekommen, wohl aber möchte ich Euch zu einem angemessenen Preis Ikonen abkaufen, die ich der Kirche zum Geschenk machen will, damit alle Gläubigen sie verehren und ihrer Segnungen teilhaftig werden können.«

Seine Schultern strafften sich, und er hob leicht den Kopf.

»Zuvor aber möchte ich sie sehen«, fügte sie mit einem angedeuteten Lächeln hinzu.

»Selbstverständlich. Wein?«

»Gern.« Sie dachte nicht im Traum daran, in diesem Hause auch nur einen Schluck zu trinken, ihr ging es lediglich um das Glas. Wirklich schade darum – es war von erlesener Qualität.

Er erhob sich steif, wobei seine Kniegelenke knackten, und holte ein Glas von einem Wandbord. Er füllte es zur Hälfte und stellte es vor sie auf den Tisch. »Lasst uns über Geld reden. Die Ikonen hängen dort drinnen an der Wand.« Er wies auf einen Türbogen, hinter dem ein schwach erleuchteter Raum lag.

Sie ging hinein und blieb stehen. Ihr Herzschlag stockte. Ein halbes Dutzend Ikonen an der Wand zeigten Christus, die Apostel Petrus und Paulus sowie die Jungfrau Maria. Zum Teil war deren Kleidung mit Juwelen besetzt oder mit Elfenbein eingelegt.

Sie waren von so atemberaubender Schönheit, dass Zoe einen Augenblick lang sowohl den Grund ihres Dortseins als auch den für ihren glühenden Hass vergaß.

Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, erstarrte sie. Dann drehte sie sich betont langsam um. Kosmas stand im Eingang, klein, mit einer krummen Nase, schweren Lidern und rot geäderten Augen, die tief in ihren Höhlen lagen.

»Ich würde sie eher in Stücke schlagen, als mich bei ihrem Verkauf übervorteilen lassen«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Ich kenne Euch, Zoe Chrysaphes. Ihr tut nichts ohne Grund. Warum also seid Ihr gekommen?«

»Sie sind von unvergleichlicher Schönheit«, sagte sie, als sei das eine Antwort.

»Und äußerst wertvoll.« An seinem Gesicht war abzulesen, was in seiner Krämerseele vorging.

»Dann sollten wir uns über den Preis unterhalten«, sagte sie, außerstande, die Verachtung zu unterdrücken, die sie für ihn empfand, während sie so dicht an ihm vorüberging, dass sie an seinen vorgewölbten Bauch stieß. »Lasst uns feststellen, wie viele Silberstücke das Gesicht der Jungfrau Maria wert ist.«

»Es handelt sich um eine von Menschenhand aus Holz und Farbe geschaffene Ikone«, sagte er mit höhnisch verzogenem Gesicht.

»Und aus Blattgold, Kosmas; vergesst keinesfalls das Blattgold oder die Edelsteine«, gab sie zurück.

Er runzelte die Stirn. » Wollt Ihr nun eine kaufen oder nicht?«, blaffte er.

» Wie viele Silberstücke, Kosmas, im Namen der Heiligen Jungfrau? Dreißig scheint mir angemessen.« Sie nahm eine kleine Börse aus der Tasche ihres Gewandes und zählte das Geld auf den Tisch.

Wut verzerrte sein Gesicht. »Es ist eine Ikone, dummes Weib! Das Werk eines Künstlers, nichts weiter. Ich verkaufe doch nicht Christus!«

» Lästerung! «, kreischte sie. Ihre Wut war nur zum Teil gespielt. Sie griff nach einem der Gläser und hob es hoch, um zu zeigen, dass sie es zerschmettern und als Waffe benutzen würde.

Er stürzte sich darauf und griff danach, wobei sich der herrliche goldene Rand löste und das Glas splitterte, so dass nur noch gezackte Enden aus dem Stiel ragten. Er hielt es mit geöffnetem Mund wie einen Dolch. In seinen weit aufgerissenen Augen lag Angst.

Sie zögerte. Sie kannte Schmerzen aus Erfahrung, und der Gedanke daran war für sie schwer erträglich. Aber hier ging es um Rache, um etwas, wofür sie all die langen, trostlosen Jahre gelebt hatte. Erneut ging sie gegen ihn vor, benutzte das Ende ihres Umhangs, um die scharfen Zacken zumindest teilweise unschädlich zu machen, wenn er zustieß, damit sie ihr nicht ins Fleisch drangen.

Von Furcht getrieben, griff er sie an. Sie spürte, wie das Glas ihre Haut ritzte, zuckte zurück, ergriff dann seine Hand und schrie dabei, so laut sie konnte, weil sie wollte, dass die Diener sie hörten. Sie würde deren Aussage brauchen. Er musste der Angreifer sein, nur ein Glas durfte zerbrechen. Auf keinen Fall durfte sie die Angreiferin sein – sie musste sich verteidigen.

Er fühlte sich überrumpelt. Statt blutüberströmt zu Boden zu sinken, wie er erwartet hatte, ging sie gegen ihn vor, drehte seine Hand, die den Stiel des Glases hielt, und drückte mit ihrem Körpergewicht dagegen. Die gezackte Kante traf seine Haut und riss sie auf.

Dann ließ sie von ihm ab und zeigte sich überrascht, als die Diener hereinstürzten.

»Es ist nichts weiter«, sagte Kosmas wütend und schrie seine Diener an, ohne den Blick von Zoe zu wenden. Sein Gesicht war rot, seine Augen blitzten.

Sie wandte sich den beiden Männern und der Frau zu und zwang sich zu einem entschuldigenden Ton. Das war ganz besonders wichtig. »Mir ist ein Glas hingefallen und dabei zerbrochen«, sagte sie mit einem bezaubernden und bedauernden Lächeln, als schäme sie sich deswegen ein wenig. » Wir haben im selben Augenblick danach gegriffen und … sind aneinandergestoßen. Dabei haben wir uns offenbar beide geschnitten. Es wäre gut, wenn Ihr Wasser und etwas zum Verbinden bringen könntet.«

Sie zögerten.

»Macht schon!«, brüllte Kosmas sie an und hielt die Hand auf die Wunde, deren Blut sein Gewand zu färben begann.

»Ich habe hier ein Mittel, das Schmerzen lindert«, sagte Zoe hilfreich und griff in die Tasche ihrer Tunika, in der sie das Päckchen aus Ölhaut mit dem Gegengift aufbewahrte.

»Nein«, gab er sogleich zurück. »Ich benutze mein eigenes. « In seiner Stimme lag Triumph. Er schien überzeugt zu sein, dass er einer Falle ausgewichen war, die sie ihm gestellt hatte.

» Wie Ihr wollt.« Sie schüttete sich ein wenig von dem Pulver in den Mund und nahm einen Schluck Wein aus dem Glas, das auf dem Tisch stand.

»Was ist das?«, wollte er wissen.

»Wie ich gesagt habe – ein Pulver, das den Schmerz lindert«, gab sie zurück und hielt ihren blutenden Arm hoch. » Wollt Ihr auch etwas davon?«

»Nein!« In seinen Augen lag Spott.

Die Diener kehrten zurück und säuberten sorgfältig die Wunden beider.

»Ich habe eine Salbe …« Mit der freien Hand nahm Zoe den kleinen Porzellantiegel mit den aufgemalten Chrysanthemen heraus und strich ein wenig davon auf ihre Wunde. Die Salbe linderte den Schmerz nur leicht, aber sie entspannte sich so sehr, als sei er mit einem Schlag verschwunden. Sie hielt Kosmas den Tiegel so gleichmütig hin, wie sie konnte.

»Herr?«, fragte einer der Diener.

»Mach schon!«, gebot ihm Kosmas ungeduldig. Jetzt, da seine Diener wieder im Raum waren, durfte er keine Furcht zeigen, weil ihn das in ihren Augen herabgesetzt hätte.

Der Diener gehorchte und trug eine große Menge davon auf.

Beide Wunden wurden verbunden, und die Diener holten mehr Wein, weitere Gläser und einen blauen Porzellanteller mit Honigkuchen.

Eine Viertelstunde später begann Kosmas stark zu schwitzen, und das Atmen fiel ihm schwer. Das Glas entglitt seiner Hand und rollte davon, während sich der Wein auf dem Boden ausbreitete. Er griff nach seiner Kehle, als wolle er ein zu eng sitzendes Kleidungsstück lösen, aber da war nichts. Dann begann er zu zittern, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.

Zoe stand auf. »Schlaganfall«, sagte sie knapp und sah auf ihn herab. Dann wandte sie sich um, ging mit langsamen Schritten zur Tür und rief die Diener. »Er hat einen Anfall. Ihr solltet besser nach einem Arzt schicken«, teilte sie ihnen mit.

Nachdem sie ihrer Anweisung mit vor Panik bleichen Gesichtern gefolgt waren, kehrte sie dorthin zurück, wo Kosmas am Boden lag. Das Gift wirkte rasch, aber er würde mindestens noch eine Stunde leben.

Er keuchte und schien sich ein wenig zu erholen. Obwohl es sie anwiderte, seinen unmäßig dicken Leib zu berühren, beugte sie sich vor und half ihm, eine Stellung einzunehmen, in der ihm das Atmen leichter fiel. Falls sie das unterließ, würde man sie später fragen, warum sie es nicht getan hatte.

»Das ist Euer Werk!«, stieß er mit wutverzerrtem Gesicht hervor. »Ihr wollt meine Ikonen stehlen. Diebin!«

Während sie sich noch näher über ihn beugte, spürte sie, wie ihre Angst sie verließ. »Euer Vater hat sie dem meinen gestohlen«, zischte sie ihm ins Ohr. »Ich möchte, dass sie wieder ihren Platz in den Kirchen einnehmen, damit Pilger kommen und in Byzanz erneut Wohlstand und Sicherheit einkehren. Ihr, Eure Familie und Euer Blut seid die Diebe. Ja, ich habe Euch das angetan! Merkt es Euch gut, Kosmas. Glaubt es!«

»Mörderin!«, stieß er hervor, doch es kam kaum lauter als ein Seufzer aus seinem Mund.

Sie ging in den Raum mit den Ikonen, nahm die Darstellung der Jungfrau Maria ab und schlug sie in ihr Gewand ein.

Mit einem Lächeln ging sie zur Tür, wo die Diener warteten, um sie hinauszugeleiten.

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
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