KAPİTEL 34
Zoe hatte das Halsgeschmeide betrachtet, das beinahe fertig war, hatte im Laden des Goldschmieds gestanden und ihm zugesehen, wie er das Metall bearbeitete, es langsam erhitzte, bog und in genau die Form brachte, die er vor Augen hatte. Sie hatte die Edelsteine gesehen, die vor ihm lagen, damit er ihre Fassungen herstellen konnte: blasser Goldtopas, fast wie der Sonnenschein im Frühling, dunkle, rauchige Citrine und nahezu in Bronzetönen schimmernder Quarz. Einen solchen Schmuck konnte nur eine Frau mit Feuer in den Augen, deren Haar wie Herbstlaub leuchtete, tragen, ohne blass zu wirken.
Der Goldschmied würde sich geschmeichelt fühlen, dass sie das von ihm angefertigte Halsgeschmeide trug, denn damit würde sie seine Kunstfertigkeit bekannt machen und ihm weitere Kundschaft zuführen.
Sie kam um die Mitte des Vormittags zu seinem Laden, die Goldstücke hatte sie in einem kleinen Lederbeutel bereit. Sabas hatte sie nicht mit der Abholung beauftragen wollen, da sie sehen wollte, ob alles genau so war, wie sie es wünschte, bevor sie dem Goldschmied das Geld gab.
Verärgert sah sie, dass bereits jemand dort war, ein hagerer Mann in mittleren Jahren mit schütterem, leicht ergrautem Haar. Lächelnd händigte er dem Goldschmied Münzen aus, der dankte ihm, nahm das für sie angefertigte Halsgeschmeide, wickelte es vorsichtig in ein Stück elfenbeinfarbene Seide und übergab das Päckchen dem Mann. Dieser schob es unter seine Dalmatika, dankte dem Goldschmied, wandte sich um und ging davon, vor Befriedigung strahlend.
Wilde Wut übermannte Zoe. Der Mann hatte ihr Halsgeschmeide haben wollen, und der Goldschmied hatte es ihm verkauft.
Erst als der Mann an ihr vorüberkam, erkannte sie in ihm Arsenios Vatatzes – einen angeheirateten Verwandten Irenes. Es war viele Jahre her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er war Oberhaupt einer der Familien, deren Wappen auf der Rückseite ihres Kruzifixes eingraviert waren.
Es waren Angehörige der Familie Vatatzes, die Zoes Vater im Jahre 1204 bestohlen hatten. Erst hatten sie versprochen, ihm bei der Flucht behilflich zu sein, und ihn dann hintergangen, indem sie alle Reliquien, Ikonen und historischen Dokumente für sich behielten, die im ganzen byzantinischen Reich nicht ihresgleichen hatten. Sie waren nach Ägypten ins Exil gegangen, hatten ihre Beute in Alexandria verkauft und sich mit dem Erlös behaglich dort eingerichtet, während sich Zoes Vater als Witwer mit seinem Töchterchen auf die Erträge seiner Hände Arbeit angewiesen sah, um überleben zu können.
Jetzt also war Arsenios nach Konstantinopel zurückgekehrt, und er schien reich zu sein. Die Zeit war reif. Sie wandte sich ab, damit er sie nicht ebenfalls erkannte.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Zwar gab es Dutzende von Möglichkeiten, einen Menschen zugrunde zu richten, doch wo er am ehesten verwundbar war, hing von so manchen Faktoren ab: seinen Lebensumständen, seinen Stärken und Schwächen, seinen Freunden und Feinden, seinen Angehörigen oder anderen Menschen, die ihm nahestanden. Arsenios war gerissen, wohlhabend und mächtig – immerhin hatte das Haus Vatatzes Byzanz zur Zeit des Exils in den Jahren zwischen 1221 und 1254 regiert. Arsenios’ Vetter Grigorios war Irenes Gemahl, die durch ihre Abkunft aus der Dynastie der Doukas ebenfalls dem Hochadel angehörte. In diesem Fall kam ausschließlich eine Rache infrage, die tiefste Schande über die Familie brachte. Doch was konnte das sein?
Nach Hause zurückgekehrt, ging sie unruhig auf und ab, trat vor das große Kreuz, richtete den Blick darauf und sah dessen Rückseite vor ihrem inneren Auge. Eines ihrer Ziele hatte sie bereits erreicht, eines der vier Wappen hatte jede Bedeutung verloren. Jetzt war die Reihe an den Vatatzes.
Für wen mochte Arsenios das Halsgeschmeide erworben haben? Zweifellos für eine Frau, die ihm nahestand. Doch wer war das?
Es dauerte nicht lange, bis sie in Erfahrung gebracht hatte, dass er verwitwet war und seine Tochter Maria demnächst den Spross der nicht nur überaus reichen, sondern auch mächtigen und ehrgeizigen Familie Kalamanos heiraten sollte. Ihr Kapital waren ihre Schönheit und ihre Abstammung, und damit gedachte Arsenios zu trumpfen. Hier sah Zoe einen Ansatz für ihr Vorhaben, sich für die Demütigung zu rächen, die sie in all den Jahren in Syrakus durchlebt hatte.
Langsam entwickelte sie ihren Plan, wie sie Arsenios nicht nur dafür würde zahlen lassen, sondern auch dafür, dass seine Familie Byzanz verraten und im Stich gelassen hatte.
In Anastasios Zarides sah sie das vollkommene Werkzeug ihrer Rache. Als sie aber an ihre letzte Begegnung mit ihm dachte, überkam sie eine sonderbare Mischung aus Empfindungen. Anfangs hatte sie angenommen, es sei ihm gelungen, den Mönch Kyrillos durch einen bloßen Zufall zu retten. Solche Zufälle gab es von Zeit zu Zeit. Doch dann hatte sie in seinen Augen etwas erkannt, was sie argwöhnen ließ, ihr Versuch, Kyrillos zu vergiften, sei ihm ebenso bewusst gewesen wie die Art und Weise, auf die sie das hatte bewirken wollen.
Sie sah Anastasios förmlich vor sich, wie ein Spiegelbild auf einer polierten Oberfläche: sie selbst und doch nicht sie selbst. Die Kleidung unterschied sich, die Gestalt, die ohne die üppigen Rundungen von Busen oder Hüfte war. Doch die Linie des Halses, das fein gezeichnete Gesicht schienen ihr einen winzigen Augenblick lang dieselben zu sein.
Natürlich war es eine Sinnestäuschung. Die Ähnlichkeit bestand im inneren Feuer, in der Härte des Wesens.
Freilich hatte Anastasios bedenkliche Schwächen. Er sah über Fehler anderer hinweg, war versöhnlich und trug niemandem etwas nach. Das würde ihm früher oder später zum Verhängnis werden. Wer unfähig war zu hassen, lebte nur halb. Zwar konnte Zoe ihn, von alldem abgesehen, recht gut leiden, doch reizte sie ein solcher Charakterfehler bis zur Weißglut. Für sie war das so, als hätte jemand das Gesicht eines ansonsten vollkommenen Standbildes durch eine Kerbe im Stein entstellt. Zwar war die Verstümmelung seiner Mannheit schlimm, doch war er zu jung, als dass sie sich für ihn als Mann interessiert hätte. Andererseits ließ sich bei einem Eunuchen nie genau sagen, wie alt er war.
Ungeduldig rief sie sich zur Ordnung. Wichtig war jetzt einzig und allein, dass sich für dieses Vorhaben – und unter Umständen auch für andere in der Zukunft – niemand besser eignete als er. Überrascht merkte sie, wie sehr sie es bedauern würde, wenn er dabei zugrunde ginge.
Die Sonne, die bunte Muster auf den Marmorfußboden malte, wärmte ihre Schultern. Was mochte der Grund dafür sein, dass Helena Anastasios seit neuestem hasste? Hatte er sich in irgendetwas als ihr überlegen erwiesen, und war sie so töricht, ihm das übelzunehmen, statt darüber zu lachen? Sie ließ sich von ihren Gefühlen beherrschen, statt sich gleich der Mutter ihrer zu bedienen.
Der Plan, der allmählich in Zoes Kopf Gestalt annahm, bot Möglichkeiten, die weit mehr versprachen als lediglich Arsenios’ Vernichtung. Damit, dass sie sich dabei Anastasios zunutze machte, konnte sie möglicherweise auch die Antworten auf verschiedene Fragen erfahren, die sich in jüngster Zeit immer mehr aufdrängten. Er legte nach wie vor eine sonderbare Wissbegierde in Bezug auf die Umstände des Mordes an Bessarion an den Tag. Ursprünglich hatte Zoe angenommen, dass der Urteilsspruch, demzufolge Antonios ihn getötet und Ioustinianos ihm geholfen hatte, die Tat zu vertuschen, auf der Wirklichkeit basierte. Sie hatte die Gründe dafür zu kennen geglaubt, sich aber möglicherweise geirrt. Es konnte sich als gefährlich erweisen, Unrecht zu haben.
Ebenso gefährlich wäre es, wenn Kaiser Michael dahinterkäme, dass sie Arsenios mit voller Absicht getötet hatte. In dem Fall würde er möglicherweise erkennen, dass sie auch Kosmas auf dem Gewissen hatte, und versuchen, ihr Einhalt zu gebieten.
Dazu durfte es auf keinen Fall kommen. Michael war klug und einfallsreich, ein echter Byzantiner. Er würde alles tun, um zu verhindern, dass die Kreuzfahrer Konstantinopel noch einmal in Schutt und Asche legten, alles unternehmen, was nötig war, um sein Land und sein Volk zu retten – wenn es sein musste, sogar gegen dessen Willen.
Solange er annahm, dass er auf Zoe angewiesen war, um das Vorhaben des Grafen von Anjou zu durchkreuzen, würde er sie vor dem Teufel persönlich bewahren, von irgendwelchen Gesetzen ganz zu schweigen.
Während sich die Sonne allmählich dem Meer entgegensenkte, gewann der Plan in ihrem Kopf immer genauere Umrisse.
Erst nach mehr als zwei Wochen suchte der Sizilianer Scalini Zoe
allein und zur Nachtzeit auf, wie sie es verlangt hatte. Er war
heimtückisch, gerissen, aber nicht ohne Humor, eine Eigenschaft,
die sie zu schätzen wusste.
»Ich habe einen Auftrag für Euch«, teilte sie ihm mit, kaum dass er ihr gegenüber Platz genommen hatte. Es war weit nach Mitternacht, und nur eine Fackel brannte.
Er nickte und griff nach dem Glas Wein, das sie ihm hingestellt hatte, hielt es unter die lange, scharf geschnittene Nase und roch daran. »Aus Askalon, mit Honig – und was noch?«
»Den Samen wilder Kamille.«
Er lächelte. »Und wohin soll es gehen? Nach Sizilien, Neapel, Rom …«
»Wo immer sich der König beider Sizilien aufhält«, gab sie zur Antwort. »Immer vorausgesetzt, er ist nicht hier – das wäre zu spät.«
Scalini lächelte breit. Dabei blitzten seine weißen Zähne. »Das wird er nicht«, sagte er und leckte sich die Lippen, als schmecke er etwas Köstliches. »Als Seine Majestät erfuhr, dass der Papst dem byzantinischen Kaiser verziehen hat, war er vor Wut so außer sich, dass er die Spitze seines Zepters abgebissen hat!«
Zoe lachte, dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Scalini stimmte in ihr Lachen ein, und sie tranken den Wein aus. Zoe öffnete eine zweite Flasche, die sie ebenfalls leerten.
Es war gegen drei Uhr morgens, als sie sich schließlich mit plötzlich ernstem Gesicht vorbeugte. »Aus Gründen, die Ihr nicht zu wissen braucht, benötige ich etwas äußerst Wertvolles für den Kaiser. Vielleicht erst in einem Jahr, aber ich muss ganz sicher sein, dass ich es dann habe.«
Er schürzte die Lippen. »Michael Palaiologos kennt keinen anderen Wunsch, als dass Konstantinopel sicher ist und sein Thron fest steht. Dafür würde er alles auf der Welt hergeben – sogar die Kirche.«
»Und wer bedroht ihn?«, flüsterte sie.
»Charles von Anjou – aber das ist allgemein bekannt.«
»Ich möchte so viel wie möglich über ihn wissen. Alles! Habt Ihr mich verstanden, Scalini?«
Seine kleinen braunen Augen musterten aufmerksam ihr Gesicht. »Ganz und gar.«