KAPİTEL 20

Bei Annas nächstem Besuch führte Konstantinos’ Diener sie in den Raum mit den Ikonen, allem Anschein nach ohne zu wissen oder daran zu denken, dass der Bischof gleich nebenan im Hof mit einem Besucher sprach.

Sie trat ans andere Ende des Raumes in der Annahme, dort nichts von der Unterhaltung oder der Beichte des Besuchers zu hören, denn das gebot ihr Glaube.

Doch als der Bischof und sein Besucher näher kamen und in den Eingang traten, sah sie, um wen es sich handelte. Sie kannte den knapp dreißigjährigen, selbstsicheren Mann von ziemlich gewöhnlichem Aussehen, der bei passender Gelegenheit durchaus bezaubernd sein konnte, denn sie hatte seine Mutter behandelt. Es war Manuel Synopoulos, Angehöriger einer äußerst begüterten Familie. Er nahm einen prall mit Münzen gefüllten Lederbeutel aus seiner Dalmatika und gab ihn dem Bischof.

»Kauft damit Brot für die Armen«, sagte er dazu.

Konstantinos dankte ihm mit warmen Worten, zu denen eine gewisse Schärfe in seiner Stimme nicht so recht passte.

»Ihr seid ein guter Mensch und werdet die Schar derer vergrößern, die um Christi willen auf der Seite unserer Kirche kämpfen.«

»Und zwar in gehobener Stellung«, gab Synopoulos mit selbstzufriedenem Lächeln zurück.

Anna mochte nicht glauben, dass sie soeben Zeugin eines Ämterkaufs geworden war. Unmöglich konnte der Bischof jemandem ein Kirchenamt gegen Geld zuschanzen. Auch nicht, wenn dieses Geld für die Armen bestimmt war, wie Synopoulos gesagt hatte.

Manuel Synopoulos war ebenso wenig ein Gottesmann, ein würdiger Priester, wie irgendein anderer junger Mann aus gutem Hause, einer von denen, die nichts gelernt hatten, sich nach Gesetzesübertretungen mit Geld von der Schuld freikauften und es für ihr angestammtes Recht hielten, sich hemmungslos den Freuden des Daseins hinzugeben.

Zweifellos würde sich seine Familie erkenntlich zeigen, zumal ein hohes Amt in der griechisch-orthodoxen Kirche deren Vermögen noch vergrößern würde, solange diese ihre Unabhängigkeit von der römischen bewahrte. Aber noch weit wichtiger als das Geld waren die mit diesem Amt einhergehende Würde und die Achtung der anderen.

Mit einem Ausdruck von Hochstimmung auf seinem leicht geröteten Gesicht trat der Bischof jetzt auf Anna zu. »Soeben habe ich eine weitere beträchtliche Spende für die Armen bekommen. Unsere Stärke nimmt zu, Anastasios. Die Menschen in der Stadt bereuen ihre Sünden, beichten und lassen das Vergangene hinter sich. Sie sind nicht bereit, sich auf die Seite Roms zu schlagen; stattdessen werden sie gemeinsam mit uns für die Wahrheit kämpfen.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist gut.«

Offenbar hörte er ihrer Stimme das Gezwungene an, denn er erkundigte sich, ob etwas nicht in Ordnung sei.

»Es ist nichts«, log sie im Bewusstsein, dass er ihr nicht glauben würde. »Nur ist es ein so entsetzlich langer Weg bis dorthin.«

»Fortwährend stoßen neue Verbündete zu uns. Die Familie Skleros hat stets getreulich zu uns gehalten, und jetzt haben wir auch die Familie Synopoulos auf unserer Seite.«

Sie wollte fragen, um welchen Preis, war aber noch nicht so weit, ihn herausfordern zu können. »Ich bin wegen einer Patientin gekommen, um die ich mir Sorgen mache …«, erklärte sie den Anlass ihres Besuchs.

Er hörte ihr zwar geduldig zu, doch sie merkte, dass er innerlich nach wie vor über die mit Manuel Synopoulos getroffene Vereinbarung frohlockte.



Als Anna eintrat, lag Zoe bequem auf der straff mit Schafwolle gefüllten Matratze ihres Bettes. Die dicke, mit Gänsedaunen gefüllte Decke umhüllte ein sauberer bestickter Bezug. Zoe, die erschöpft und schlecht gelaunt zu sein schien, klagte, dass sie kaum Luft bekomme, weshalb sie nicht schlafen könne. Sie behauptete, Helena habe ihr das Leiden ins Haus gebracht.

»In dem Fall muss auch Eure Tochter krank sein«, sagte Anna. »Das tut mir leid. Soll ich sie ebenfalls mit Kräutern behandeln, oder wäre ihr ein Heilkundiger lieber, der … mit herkömmlicheren Mitteln arbeitet?« Auf diese Weise erkundigte sie sich gleichsam durch die Hintertür, ob der Patientin eine medizinische Behandlung oder die Beichte, verbunden mit den Gebeten eines Priesters, lieber sei.

Mit kratzig klingendem Lachen fuhr Zoe sie an: »Redet nicht um den heißen Brei herum, Anastasios!« Dabei setzte sie sich ein wenig auf. »Helena ist feige. Sie beichtet jede Kleinigkeit und nimmt die Kräuter, wenn sie ihr behagen. Das ist Euch auch durchaus bekannt. Behandelt Ihr nicht die meisten Menschen, indem Ihr deren schlechtes Gewissen mit den Worten beschwichtigt, die sie von Euch erwarten, und ihnen dann das Medikament gebt, das die Krankheit heilt?«

Es durchfuhr Anna, als sie merkte, dass Zoe sie so genau durchschaut hatte. Sie suchte nach einer Antwort. »Manche Menschen sind ehrlicher als andere«, sagte sie ausweichend.

»Nun, zu denen gehört Helena nicht«, sagte Zoe kalt. »Was redet Ihr überhaupt von ihr? Ich habe Euch gerufen, nicht sie. Hat es damit zu tun, dass sie Bessarions Witwe ist? Ihr habt Euch von Anfang an auf, wie ich finde, ungewöhnlich neugierige Weise nach ihm erkundigt.«

Zoe gegenüber war Leugnen sinnlos. »Das stimmt«, sagte Anna kühl. »Nach allem, was ich gehört hatte, wurde er ermordet, weil er ein glühender Gegner der Union mit Rom war. Es ist mein innigster Wunsch, dass wir uns und alles, woran wir glauben, nicht durch etwas verlieren, was letztlich eine Eroberung durch Irreführung wäre. In dem Fall könnten wir uns gleich freiwillig ergeben. Dem gegenüber würde ich es vorziehen, dass wir im Kampf unterliegen. «

Zoe stützte sich auf die Ellbogen. »Angesichts einer solch bemerkenswerten Tapferkeit wäret Ihr von Bessarion sicherlich enttäuscht gewesen.« In ihrer Stimme lag tiefer Abscheu. »Er war weniger mannhaft als Ihr, Gott steh Euch bei.«

»Und warum hat man sich dann die Mühe gemacht, ihn aus dem Weg zu räumen?«, erkundigte sich Anna. »Oder geschah das, um einen Besseren an seine Stelle zu setzen?«

Reglos blieb Zoe auf einen Ellbogen gestützt, so unbequem diese Stellung für sie auch sein mochte. »Wer hätte das sein können?«, fragte sie.

Anna fasste sich ein Herz und sagte: »Antonios? Oder Ioustinianos Laskaris? Ich habe manche sagen hören, er wäre dafür Manns genug gewesen. Was ist Eure Meinung – hat er den nötigen Mut besessen oder nicht?« Sie bemühte sich, ihre Worte beiläufig klingen zu lassen, doch war ihr ganzer Körper erwartungsvoll angespannt, und ihre Hände waren so verkrampft, dass sie zu zittern begannen. Anfangs hatte sie lediglich gesprochen, weil sie hören wollte, ob Zoe bestritt, was sie sagte, und vielleicht weitere Einzelheiten von sich gab. Inzwischen war ihr diese Situation als durchaus möglich vor das innere Auge getreten.

»Meint Ihr, ich weiß das?«, kam Zoes Antwort mit messerscharfer Stimme.

Anna hielt ihrem Blick stand. »Alles andere würde mich sehr überraschen.«

Zoe lehnte sich erneut in die Kissen zurück, wobei sich ihre schimmernde Haarpracht zu beiden Seiten des Kopfes ausbreitete. »Natürlich weiß ich es. Bessarion war ein Einfaltspinsel. Er hat allen möglichen Leuten vertraut – und Ihr seht ja, was er damit erreicht hat! Esaias Glabas ist ein sympathischer Mensch, aber eine Spielernatur, und er neigt dazu, sich anderer zu bedienen. Nur ein Schafskopf will, dass alle ihn lieben. Das ist zwar angenehm und kann nützlich sein, ist aber in keiner Weise notwendig. Antonios war treu und verlässlich, einer von denen, die im zweiten Glied Hervorragendes leisten. Ioustinianos war in der Tat der Einzige, der die nötige Klugheit und innere Kraft besaß, zu tun, was zu tun war. Wie dumm von Bessarion, sein Amulett in den Zisternen zu verlieren. Gott weiß, was er dort getrieben hat! Ich wollte, ich wüsste es auch.«

»In den Zisternen?«, wiederholte Anna, um Zeit zu gewinnen. »Heißt es nicht, er sei auf dem Meer umgekommen? Hat jemand das Amulett gestohlen?«

Zoe zuckte die Achseln. »Wer weiß das schon? Man hat es erst mehrere Tage später gefunden. Gut möglich, dass der Dieb es dort von sich geworfen hat.«

»Was für ein Amulett war das?«, fuhr Anna fort.

»Ziemlich einfallslos und ganz im Geist der orthodoxen Lehre. Genau genommen ziemlich scheußlich. Ioustinianos besaß ein weit schöneres, und er hat es ständig getragen. Er hatte es noch, als man ihn fortgebracht hat.«

»Tatsächlich?« Anna konnte das Zittern in ihrer Stimme kaum unterdrücken. »Wie sah es aus?«

Zoe musterte sie wachsam. »Petrus, der auf dem Wasser zu wandeln versucht, und Christus, der ihm die Hände entgegenstreckt«, gab sie zurück. Einen Augenblick lang lag in ihrer Stimme eine Art Rührung, eine Mischung aus Schmerz und Staunen.

Anna kannte das Amulett. Katharina hatte es ihm geschenkt, als Symbol für den bis an die Grenze getriebenen Glauben, der verlangt, dass man seine Schwäche überwindet. Er trug es also nach wie vor. Auf keinen Fall durfte sie vor Zoe weinen, und so schluckte sie ihre Tränen tapfer herunter.

»Er hatte mit Freunden unweit der Zisternen zu Abend gegessen«, erklärte Zoe. »Ich nehme an, dass man ihn deshalb der Mittäterschaft bezichtigt hat. Außerdem stammten die Netze, in denen man den ertrunkenen Bessarion fand, von seinem Boot.«

»Bessarions Amulett könnte aber doch zu jedem beliebigen anderen Zeitpunkt in die Zisternen gelangt sein«, wandte Anna ein.

Zoe setzte sich noch ein wenig aufrechter hin. »Er hat es am Tag seiner Ermordung getragen. Das hat nicht nur Helena bestätigt, sondern auch seine Diener. Selbst wenn sie womöglich die Unwahrheit gesagt hat, wären die Diener nicht alle miteinander in der Lage gewesen, die Lüge konsequent durchzuhalten.«

»Ioustinianos! Und ich hatte gedacht …« Anna hielt inne. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, ohne sich zu verraten. Nichts von dem, was sie von Zoe erfahren hatte, entsprach dem, was sie zu hören gewünscht hatte. »Wie … wie war dieser Ioustinianos?« Sie hätte es lieber nicht gewusst, konnte aber die Frage nicht länger hinauszögern. Sie erinnerte sich an ihn, wie er früher gewesen war, dachte an ihre gemeinsamen Erlebnisse, an die Zeit, da sie nahezu Spiegelbilder im Denken und Handeln gewesen waren.

»Ioustinianos?«, sagte Zoe gedehnt. »Manchmal musste ich über ihn lachen. Er war unbeirrbar bis hin zur Schroffheit, aber alles andere als schwach.« Ihre Lippen spannten sich an. »Ich hasse Schwäche! Traut nie einem Schwächling, Anastasios, ganz gleich, ob Mann, Frau – oder Eunuch. Traut niemandem, der sich vergewissern will, was andere von ihm halten. So jemand schlägt sich, wenn es hart auf hart kommt, immer auf die Seite der Sieger, ganz gleich, welchen Standpunkt diese vertreten. Auch traut niemandem, der gelobt werden will. Solche Leute erkaufen sich die Zuwendung anderer und zahlen dafür jeden Preis.« Mahnend hob sie ihren langen schlanken Zeigefinger. »Vor allem aber traut niemandem, der es nicht aushält, allein zu sein. Er verkauft seine Seele für alles, was nach Zuwendung aussieht, ganz gleich, was es in Wirklichkeit ist.« Im Schein der Fackeln war ihr hartes Gesicht schmerzlich verzogen, als habe sie soeben ihre erste große Enttäuschung erlebt.

»Und wem soll ich trauen?«, fragte Anna und bemühte sich um einen munteren Klang in ihrer Stimme.

Zoe sah sie an, musterte jede Linie in ihrem Gesicht, die Augen, den Mund, die unbehaarten Wangen, den weichen Hals. »Traut Euren Feinden, sofern Ihr wisst, wer sie sind. Bei ihnen ist man sich im Klaren darüber, was man von ihnen zu erwarten hat. Und seht mich nicht so an! Ich bin nicht Eure Feindin – aber auch nicht Eure Freundin. Bei mir werdet Ihr nie wissen, was Ihr von mir zu erwarten habt, denn ich tue ausschließlich das, was ich tun muss, um mein jeweiliges Ziel zu erreichen. Ob es Gott oder dem Teufel dient, ist mir dabei gleich.«

Anna glaubte ihr aufs Wort, ohne das zu sagen.

Zoe erkannte das auf ihrem Gesicht und lachte.

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
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