68. KAPITEL

Tully riss das Fax ab und fügte die vier Teile zusammen. Die „Maryland Parks Commission“ hatte eine Luftaufnahme von Hardings Besitz geschickt. In Schwarzweiß konnte man durch die dichten Baumwipfel nicht viel erkennen. Von oben sah das Gebiet fast wie eine Insel aus. Nur durch einen schmalen Landsteg mit dem Festland verbunden, ragte es ins Wasser hinein, an zwei Seiten vom Potomac und auf der dritten von einem Nebenfluss begrenzt.

„Das Einsatzkommando ist versammelt und starklar“, sagte Cunningham, als er den Konferenzraum betrat. „Die Polizei von Maryland nimmt Sie auf der anderen Seite der Mautbrücke in Empfang. Sind die hilfreich?“ Er kam um den Tisch und blickte auf die Karten, die Tully gerade zusammengeklebt hatte.

„Ich kann keine Gebäude erkennen. Zu viele Bäume.“

Cunningham schob seine Brille den Nasenrücken hinauf und beugte sich hinunter, um die Karte zu studieren. „Soweit ich das verstanden habe, befindet sich das Gebäude mit dem Generator in der oberen nordwestlichen Ecke.“ Er fuhr mit dem Zeigefinger über eine schwarzgraue Masse. „Ich denke, das Haus ist ganz in der Nähe. Haben Sie eine Ahnung, wie lange Harding schon dort lebt?“

„Mindestens vier Jahre. Was bedeutet, dass er die Gegend bestens kennt. Es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwo auf dem Grundstück einen Bunker hätte.“

„Scheint mir ein bisschen paranoid, oder?“ Cunningham zog die Brauen hoch.

„Der Typ war schon Einsiedler, lange bevor er und Stucky ihre Firma gründeten. Ein paar von den Computerspielen, die er vertreibt, sind seine eigene Entwicklung. Der Typ ist vielleicht ein Computergenie, aber mindestens so abgedreht wie der Teufel. Viele der Spiele richten sich gegen die Regierung mit reichlich faschistoidem Gequatsche. Eines heißt ,Rache für Waco‘. Jede Menge Weltuntergangsszenarien. Wahrscheinlich hat er 1999 Wagenladungen davon verkauft. Deshalb würde es mich nicht wundern, wenn er bestens vorbereitet ist.“

„Was sagen Sie da, Agent Tully? Soll das heißen, wir haben vielleicht eine Menge mehr Probleme als nur zwei Serienkiller? Glauben Sie, Harding hat ein Waffenarsenal gehortet oder schlimmer noch, das Anwesen vermint?“

„Ich habe keine Beweise, Sir. Ich denke nur, wir sollten auf alles vorbereitet sein.“

„Auf was? Eine Belagerung etwa?“

„Auf alles. Ich sage nur, wenn Harding so extrem ist, wie seine Spiele vermuten lassen, könnte er beim Anblick des FBI schlichtweg durchknallen.“

„Na wunderbar.“

Cunningham streckte den Rücken und ging zur Pinnwand, an der Tully die Ausdrucke von Hardings Website neben die Bilder der Tatorte gepinnt hatte.

„Wann soll Agentin O’Dell hier sein?“

Tully sah auf seine Armbanduhr. O’Dell kam bereits eine halbe Stunde zu spät. Er wusste, was Cunningham dachte.

„Sie muss jede Minute kommen, Sir“, sagte er ohne Andeutung von Zweifeln. „Ich denke, wir haben alles, was wir brauchen. Habe ich noch etwas vergessen?“

„Ich möchte die Leute des Einsatzkommandos noch informieren. Wir sollten sie über unseren Verdacht unterrichten“, erwiderte Cunningham und sah auf seine Armbanduhr. „Wann hat O’Dell D.C. verlassen?“

„Ich weiß nicht genau. Braucht die Truppe eine besondere Vorbereitung?“ Er vermied es, seinen Boss anzusehen, damit der nicht merkte, dass er bewusst ablenkte, um seinen Verdacht, O’Dell würde gar nicht auftauchen, nicht doch noch zu verraten.

„Nein, keine besondere. Aber es ist wichtig, dass sie wissen, auf was sie sich einlassen.“

Als Tully aufblickte, sah Cunningham ihn mit gerunzelter Stirn an. „Sind Sie sicher, Agentin O’Dell ist auf dem Weg hierher?“

„Natürlich, Sir. Wohin soll sie denn sonst fahren?“

„Tut mir Leid, ich habe mich verspätet“, kam Maggie O’Dell wie aufs Stichwort herein.

Tully unterdrückte einen tiefen Seufzer der Erleichterung. „Sie kommen gerade recht“, sagte er ihr.

„Ich brauche ein paar Minuten für das Einsatzkommando, und dann ab mit Ihnen“, sagte Cunningham im Hinausgehen.

Sobald er draußen war, fragte Tully: „Wie nah waren Sie an der Mautbrücke, bevor Sie umgekehrt sind?“

„Woher wissen Sie?“

„Geraten.“

„Weiß Cunningham das?“ Sie wirkte eher verärgert als besorgt.

„Warum sollte ich es ihm sagen?“ Er tat gekränkt. „Einige Geheimnisse sollten nur Partner miteinander teilen.“ Er nahm ein Bündel aus der Ecke, reichte ihr die kugelsichere Weste und wartete an der Tür auf sie. „Kommen Sie?“