Er wartete an der Hintertür auf sie. Er wusste, dass sie immer hier herauskam, wenn sie ging. Die Gasse war dunkel. Die hohen Backsteingebäude verhinderten, dass Mondlicht eindrang. Über einigen Hintertüren brannten nackte Glühbirnen. Sie waren blind von Fliegendreck und von Motten umschwärmt, trotzdem brannten ihm die Augen, wenn er direkt hinschaute. Er stopfte die Sonnenbrille in die Jackentasche und sah auf die Uhr.
Auf dem kleinen Parkplatz standen nur noch drei Autos. Eines gehörte ihm, und von den beiden anderen gehörte keines ihr, das wusste er. Heute Nacht fuhr sie nicht selbst. Deshalb würde er ihr anbieten, sie mitzunehmen. Ob sie darauf einging?
Er konnte sehr charmant sein. Das gehörte zum Spiel, war seine Tarnung. Wenn er die neue Identität annehmen wollte, musste er die dazugehörige Rolle spielen. Wenn sie die Wahl gehabt hatten, waren Frauen immer mehr auf ihn als auf Albert geflogen.
Ja, er wusste, was Frauen hören wollten, und er sagte es ihnen. Er tat das gern. Das gehörte zur Manipulation und war ein wichtiges Glied in der Kette, um die völlige Kontrolle zu erlangen. Er hatte herausgefunden, dass sogar starke, unabhängige Frauen charmanten Männern gern die Führung überließen. Was für alberne, wunderbare Kreaturen. Vielleicht erzählte er ihr die traurige Geschichte seines schwindenden Augenlichtes. Frauen kümmerten sich gern, sie spielten gern ihre eigenen Rollen.
Die Herausforderung erregte ihn, und er spürte die beginnende Erektion. Heute Nacht würde er keine Schwierigkeiten haben. Aber er musste noch warten. Er musste geduldig sein, geduldig und charmant. Ob er charmant genug sein konnte, eine Einladung zu ihr nach Haus zu ergattern? Er stellte sich bereits vor, wie ihr Schlafzimmer aussah.
Weiter vorn in der Gasse ging knarrend eine Tür auf, und er zog sich in den Schatten zurück. Ein kleiner, stämmiger Mann mit fleckiger Schürze kam heraus und stopfte mehrere Abfallsäcke in den Behälter. Er verweilte einen Moment, zündete sich eine Zigarette an, machte einige heftige Züge, trat den Stummel aus und ging wieder hinein.
Die meisten anderen Lokale hatten geschlossen. Er machte sich keine Sorgen, gesehen zu werden. Falls ihn jemand bemerkte, würde er irgendwas erzählen. Man würde ihm glauben. Die Leute glaubten, was sie glauben wollten. Manchmal war es zu einfach. Wenn er es richtig einschätzte, würde sie allerdings eine kleine Herausforderung sein. Sie war älter und viel erfahrener als die kleine Pizzafahrerin. Er würde ernsthaft mit ihr reden müssen, damit sie ihm vertraute. Er musste seinen Charme aufdrehen, ihr Komplimente machen und sie zum Lachen bringen. Wieder spürte er seine Erektion, als er überlegte, wie er sie für sich einnehmen konnte, und fragte sich, wie weit er gehen sollte.
Vielleicht begann er mit einer sachten Berührung, einer zärtlichen Geste im Gesicht. Er würde ihr eine Strähne des schönen Haares zurückstreichen oder behaupten, sie habe eine Wimper auf der Wange. Sie würde ihn dann für besorgt, aufmerksam und sensibel halten. Frauen mochten diesen Mist.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und da war sie. Sie zögerte und sah sich um, schaute zum Himmel. Seit einer Viertelstunde fiel leichter Niesel. Sie ließ den hellroten Schirm aufspringen und ging rasch zur Straße. Rot war definitiv ihre Farbe.
Er wartete und ließ sie vorgehen, während er hinabgriff zu seinem Skalpell. Es steckte im maßgefertigten Lederetui in seinem Stiefel. Er strich über den Griff, verharrte und ließ es stecken. Dann folgte er ihr die Gasse hinunter.