14. KAPITEL
Tess McGowan lächelte den Weinkellner an, der geduldig wartete. Während er die Flasche entkorkt und den obligatorischen ersten Schluck zum Testen ins Glas gegossen hatte, telefonierte Daniel ununterbrochen auf seinem Handy. Da er Daniel telefonieren sah, hatte er Tess das Glas zum Probieren angeboten, doch die schüttelte rasch den Kopf und dirigierte den unerfahrenen jungen Mann mit dem geröteten Gesicht wortlos, nur mit einem Blick zu Daniel.
Jetzt warteten sie beide, dass der sein Telefonat beendete. Diese ständigen Störungen waren ihr verhasst. Schlimm genug, dass sie wegen Daniels Geschäften ein so spätes Sonntagsdinner zu sich nahmen. Warum konnte er sich nicht wenigstens die Sonntage freihalten? Sie berührte die langstielige Rose, die er ihr geschenkt hatte, und wünschte, er wäre wenigstens ein Mal kreativer gewesen. Warum nicht ein paar Veilchen oder einen Strauß Gänseblümchen?
Schließlich titulierte Daniel die Person am anderen Ende der Leitung ruhig, aber entschieden ein „inkompetentes Arschloch“. Zum Glück für Tess und den Kellner war das Gespräch damit zu Ende.
Daniel klappte das Telefon zu und ließ es in die Brusttasche gleiten. Ohne aufzublicken, schnappte er sich das Glas, nahm einen Schluck und spuckte ihn ins Glas zurück, ohne den Wein richtig zu probieren.
„Das ist Spülwasser! Ich habe einen 1984er Bordeaux bestellt. Was ist das für ein Zeug?“
Tess spannte sich innerlich an. Nicht schon wieder! Warum konnten sie nicht einmal ausgehen, ohne dass Daniel eine Szene machte? Sie sah den armen Weinkellner verzweifelt die Flasche umdrehen, damit er das Etikett lesen konnte.
„Es ist ein 1984er Bordeaux, Sir.“
Daniel riss dem jungen Mann die Flasche aus der Hand, um selbst zu sehen. Sofort schnaubte er verächtlich und gab sie zurück.
„Ich will keinen verdammten kalifornischen Wein.“
„Aber Sie sagten, amerikanischer Wein, Sir.“
„Ja, und soweit ich weiß, liegt New York immer noch in den Vereinigten Staaten.“
„Ja, natürlich, Sir. Ich bringe Ihnen eine neue Flasche.“
„Also“, begann Daniel und ließ sie wissen, dass er nunmehr bereit war, mit ihr zu reden, während er sein Besteck neu ordnete und die aufgefaltete Serviette auf den Schoß legte. „Du sagtest, wir hätten etwas zu feiern?“
Sie schob sich den Träger des Kleides hoch und fragte sich, warum sie zweihundertfünfzig Dollar für ein Kleid ausgegeben hatte, das dauernd rutschte. Für ein erotisches Schwarzes, das Daniel nicht mal beachtete. Als er zu ihr aufblickte, würdigte er nicht etwa ihr Kleid, sondern runzelte die Stirn, weil sie daran herumfummelte. Sie brauchte keine weitere Lektion über das Richten von Kleidung in der Öffentlichkeit. Schon gar nicht von jemand, der mehr Zeit mit dem Arrangieren seines Bestecks verbrachte als mit Essen. Sie ignorierte seine gefurchte Stirn und begann die gute Nachricht zu verkünden. Wenn sie genügend Begeisterung aufbrachte, würde er ihnen den Abend schon nicht verderben, oder?
„Ich habe letzte Woche das Haus der Saunders’ verkauft.“
Er zog wieder die Stirn kraus, was sie daran erinnern sollte, dass er sich nicht den Wohnort jedes ihrer Kunden merken konnte.
„Das große Haus im Tudorstil. Das Beste ist allerdings, dass Delores mir den gesamten Verkaufsbonus gibt.“
„Das ist wirklich eine gute Nachricht, Tess. Wir sollten Champagner trinken anstatt Wein.“ Er drehte sich in seinem Sessel um. „Wo zum Teufel steckt der inkompetente Dummkopf von Kellner?“
„Nein, Daniel, nicht.“
Dass sie seine noble Geste ablehnte, bescherte ihr einen finsteren Blick. Sie beeilte sich zu erklären: „Wie du weißt, mag ich Wein viel lieber als Champagner. Lass uns bitte bei Wein bleiben.“
Er gab sich mit erhobenen Händen geschlagen. „Wie du möchtest. Heute ist dein Abend.“
Er nahm sein Wasserglas, um einen Schluck zu trinken, stutzte und wischte mit der Serviette Wasserflecken vom Glas. Tess wappnete sich innerlich vor einer weiteren Szene mit dem Kellner. Doch Daniel gelang es offenbar, das Glas durch eigene Anstrengung in einen zufrieden stellenden Zustand zu versetzen. Er legte die Serviette zurück und stellte das Glas ab, ohne zu trinken.
„Und wie hoch ist der Verkaufsbonus? Ich hoffe, du hast nicht alles für dieses überteuerte Kleid ausgegeben, das dir ständig von der Schulter rutscht.“
„Natürlich nicht.“ Sie sprach mit fester Stimme und lächelte rasch, als gefalle ihr, was er für trockenen Humor hielt.
„Also? Wie viel?“ erkundigte er sich.
„Fast zehntausend Dollar“, erwiderte sie mit stolz erhobenem Kinn.
„Nun, das ist ein nettes kleines Trinkgeld, was?“
Diesmal trank er von seinem Wasser, ohne das Glas zu säubern. Er sah sich bereits im Raum um und suchte nach bekannten Gesichtern. Das war eine professionelle Angewohnheit von ihm, keine Unhöflichkeit. Trotzdem war ihr dabei jedes Mal zu Mute, als erhoffe er, Rettung vor der belanglosen Unterhaltung mit ihr.
„Denkst du, dass ich es investieren sollte?“ fragte sie, um mit dem einzigen Thema, das ihn wirklich interessierte, wieder seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
„Was?“ Er streifte sie lediglich mit einem Blick, da er ein Paar, das er zu kennen schien, an der Bar auf einen Tisch warten sah.
„Der Bonus. Denkst du, ich sollte ihn in Aktien investieren?“
Diesmal sah er sie mit jenem Lächeln an, das stets eine Belehrung einläutete.
„Tess, zehntausend Dollar reichen wirklich nicht aus, groß in den Markt einzusteigen. Vielleicht eine schöne kleine Anleihe oder weniger riskante Papiere. Du willst dich doch nicht in etwas stürzen, von dem du nichts verstehst.“
Ehe sie etwas einwenden konnte, klingelte sein Handy. Daniel riss es geradezu aus der Tasche, als sei es das Wichtigste auf der Welt. Tess schob den Träger hoch. Warum gab sie es nicht zu: Das Telefon war das Wichtigste auf der Welt.
Der Weinkellner kehrte zurück, sah, dass Daniel wieder telefonierte, und sein gequältes Gesicht hätte sie fast zum Lachen gebracht.
„Warum ist es so verdammt schwer, das richtig zu machen?“ blökte Daniel so laut ins Telefon, dass andere Gäste sich zu ihm umdrehten. „Nein, nein vergessen Sie’s. Ich mache es selbst!“
Er klappte das Telefon zu und war schon aufgestanden, ehe er es in die Tasche gleiten ließ. „Tess, Süßes, ich muss mich persönlich um etwas kümmern. Diese verdammten Idioten können nichts richtig machen.“ Er holte eine Kreditkarte heraus und blätterte aus seiner Geldscheintasche zweihundert Dollar hin. „Bitte, gönn dir ein schamlos teures Dinner, um deinen Bonus zu feiern. Und du hast doch nichts dagegen, im Taxi nach Haus zu fahren?“
Er übergab ihr die Kreditkarte und die gefalteten Dollarnoten. Nach einem flüchtigen Kuss auf die Wange ging er, bevor sie protestieren konnte. Sie bemerkte jedoch, dass er genügend Zeit hatte, mit dem Paar an der Tür zu reden, das ihm vorhin aufgefallen war.
Plötzlich merkte sie, dass der Weinkellner immer noch verblüfft an ihrem Tisch stand und auf ihre Anweisungen wartete.
„Ich hätte gern die Rechnung.“
Er sah sie unschlüssig an und hielt die entkorkte Flasche hoch. „Ich habe nicht mal ein Glas ausgeschenkt.“
„Gönnen Sie ihn sich später zusammen mit Ihren Kollegen.“
„Ist das Ihr Ernst?“
„Mein völliger Ernst. Es geht auf meine Kosten. Und bevor Sie die Rechnung bringen, setzen Sie bitte noch zwei der teuersten Vorspeisen darauf.“
„Möchten Sie sie mit nach Hause nehmen?“
„Nein, nein, ich will sie gar nicht. Ich will nur dafür bezahlen.“
Sie hielt lächelnd die Kreditkarte hoch. Er schien die Botschaft endlich zu verstehen und eilte schmunzelnd davon, um die Rechnung auszustellen.
Wenn Daniel sie unbedingt wie eine Nutte behandeln wollte, konnte sie ihm gern entgegenkommen. Vielleicht begriff ihr alberner kleiner Verstand etwas so Komplexes wie den Aktienmarkt tatsächlich nicht. Dafür wusste sie vieles, von dem Daniel keine Ahnung hatte.
Sie unterzeichnete die Rechnung des Weinkellners und gab ihm ein üppiges Trinkgeld. Dann verließ sie das Restaurant, winkte ein Taxi heran und hoffte, auf der Heimfahrt verfliege ihr Zorn. Wie konnte Daniel ihr derart den Abend verderben? Sie hatte sich auf die Feier gefreut. Für Daniel waren zehntausend Dollar vielleicht ein Klacks, für sie waren sie ein großer Schritt auf dem langen Weg nach oben. Sie verdiente einen lobenden Klaps auf die Schulter. Sie verdiente eine Feier. Stattdessen bekam sie eine lange einsame Taxifahrt von Washington nach Haus.
„Verzeihen Sie“, sagte sie und beugte sich in dem schal riechenden Wagen zu dem Fahrer vor. „Bringen Sie mich bitte nicht zur genannten Adresse in Newburgh Heights, sondern zu Louies Bar und Grill an der 55sten Ecke Laurel.“