4. Kapitel

 

Montagmorgen fuhren Johanna und Katharina gemeinsam zur Boutique. Es war Anprobetag. Einer der wenigen Tage, an denen Johanna die Wohnung verließ.

Anprobetag bedeutete, dass die Kundinnen, die Kleider bestellt hatten, zur ersten oder zweiten Anprobe kamen. Auch Neukundinnen, die heute zum ersten Mal vermessen werden sollten, wurden erwartet. Der Terminkalender war voll, doch das störte Katharina nicht im geringsten. Und Johanna war über jede Arbeit glücklich, die sie ablenkte.

Katharina sah ihr gern bei der Arbeit zu, schon allein wegen ihrer flüssigen und grazilen Bewegungen. Sie war wie eine Tänzerin und der Anproberaum, mit den ganzen Spiegeln und Stoffen, war ihre Bühne. Sie war eine exzellente Näherin, aber leider war sie nicht für den Verkauf und die Kundenbetreuung geschaffen. Dafür war sie einfach zu ruhig und zu schüchtern.

Das übernahm im Normalfall Katharina. Und sie schwatzte gerne und viel mit den Frauen. So hörte sie den neusten Klatsch und diverse Gerüchte. Das ersparte ihr die täglichen Nachrichten.

Als gegen zehn der erste Ansturm vorüber war, wurde plötzlich die Türglocke betätigt. Verwundert trat Katharina in den Verkaufsraum und sah einen Boten am Tresen stehen. Der allein war nicht so unerwartet, wie der riesige Blumenstrauß in seiner Hand.

»Katharina Sullivan?« Sie nickte perplex. Bisher hatte sie noch nie Blumen geschenkt bekommen. Der Bote reichte ihr den Strauß und zog dann einen Briefumschlag aus der Tasche.

»Einen schönen Tag noch«, und dann war er weg. Johanna kam dazu und nahm ihr den Strauß aus den Händen.

»Der ist ja schön. Rote Rosen und Tulpen. Wie das duftet!« Als sie ihr ins Gesicht sah, musste sie grinsen.

»Da hat wohl jemand einen Verehrer.« Katharina riss sich wieder am Riemen und öffnete den Briefumschlag.

 

Ich freue mich auf morgen. Ich hol dich gegen 18 Uhr in der Boutique ab. Dominic

 

Sollte das eine Erinnerung sein? Oder wartete er einfach auf eine Nachricht? Hätte sie ihm schreiben sollen? Als sie sich zu Johanna umdrehen wollte, war diese schon auf dem Weg nach hinten. Wahrscheinlich kümmerte sie sich darum, dass die Blumen Wasser bekamen.

Sie ging zum Tresen und nahm ihr Handy in die Hand. Sollte sie sich für die Blumen bedanken? Oder war es seinerseits nur eine Erinnerung und die Bekanntgabe einer Uhrzeit, wann er sie abholen würde?

Als die Tür ein weiteres Mal geöffnet wurde, legte sie ihr Handy wieder beiseite und begrüßte die Kundin. Der nächste Termin. Immerhin ersparte ihr das, eine Nachricht zu schreiben. Außer einem Dankeschön hätte sie sowieso nichts zu schreiben gehabt.

Gegen Mittag verabschiedeten sie eine Kundin und bestellten sich etwas zu essen. Die Anprobetage waren immer sehr anstrengend und kräftezehrend, vor allem für Johanna. Sie lief die ganze Zeit hin und her, nahm dort Maß, dann wieder an einer anderen Stelle. Dann holte sie verschiedene Stoffe, um der Kundin etwas zu zeigen oder durchwühlte ihre Nähkiste nach Kreide oder Nadeln. Ein Grund, warum sie so schlank war. Die Türglocke ertönte und Johanna sah Katharina fragend an.

»Das ging aber schnell.« Als Katharina in den Verkaufsraum ging, stand nicht der Pizzalieferant, sondern ein weiterer Bote vor dem Tresen.

»Miss Sullivan?« Katharina nickte und unterschrieb auf dem Gerät des Boten, dass er ihr das Paket übergeben hatte. Das Paket stellte sich als recht schwer heraus, und als der Bote verschwunden war, nahm Katharina es mit nach hinten.

»Hast du was bestellt?« Johanna schüttelte den Kopf. Sie nähte nur. Alles andere überließ sie Katharina. Sie nahm sich einen Brieföffner vom Tisch und schnitt das Paket am Klebeband entlang auf.

»Gummibärchen?« Was sollte das denn? Wer schickte ihr Gummibärchen? Und dann auch noch so viele verschiedene. Johanna fischte einen Umschlag heraus und öffnete ihn.

 

Hallo Katharina. Bekomme ich im Gegenzug für die Gummibären eine Bestätigung unserer Verabredung? Ich sitze auf heißen Kohlen und du lässt mich absichtlich schmoren. :) Übrigens hab ich noch viele Ideen, die dich alle mindestens fünf Minuten von der Arbeit abhalten. Dominic.

 

Sie konnte Johannas Grinsen förmlich spüren.

»Da hat es aber jemanden ganz schön erwischt.« Katharina zuckte nur mit den Schultern. Sie wusste nicht recht, ob sie sich über diese Aufmerksamkeit freuen oder ärgern sollte.

»Erlös ihn schon, sonst stehen die armen Boten bald Schlange vor unserem Laden.« Sie seufzte genervt auf, obwohl sie sich eigentlich über einen Vorwand ihm zu schreiben freute. Und dass er sich solche Mühe machte, nur um ein Ja zu ihrer Verabredung zu bekommen, war auch irgendwie schön. Etwas nervig, aber schön. Sie ging wieder nach vorne und nahm ihr Handy in die Hand.

 

Danke für die Blumen und die Gummibärchen. 18 Uhr geht klar. Katharina.

 

Sie legte den Kopf schief und zog unbewusst die Augenbrauen hoch. War das zu kurz? Zu gefühlskalt? Distanziert? Immerhin kannte sie ihn ja noch nicht. Was hätte sie sonst schreiben sollen? Sie schickte die Nachricht ab und legte das Handy wieder beiseite. Kurz darauf kam auch schon die Pizza und sie setzte sich mit Johanna nach hinten.

Erst am späten Nachmittag, als endlich alle Kundinnen zufrieden und bedient waren, sah sie wieder auf ihr Handy. Es war mehr eine Gewohnheit, als die vage Hoffnung auf eine Nachricht. Aber es war wirklich eine ungelesene SMS im Speicher.

 

Gern geschehen. Die Blumen waren fürs Auge und die Gummibärchen für die Nerven. Manchmal können die Arbeitstage sehr anstrengend und lang sein. Vor allem, wenn man sich wünscht, dass sie schnell vergehen. ;) Dominic

 

Erwartete er darauf eine Antwort? Wenn ja, fiel ihr eben in diesen Moment keine ein. Sie packte das Handy in ihre Tasche und half Johanna dann bei den Stoffen und den diversen Bestellungen. Sie hatte nicht noch einmal nach Dominic gefragt, wohl aber wie ein Honigkuchenpferd gegrinst.

Zum Glück waren die beiden sich damals einig gewesen, dass ihre kleine Bettgeschichte auch nur das blieb: eine Geschichte. Wobei es eine sehr schöne und romantische Geschichte gewesen war. Katharina hatte damals die Beziehung beendet und Johanna hatte ihr zugestimmt.

Katharina wäre nie mit einer Frau allein glücklich geworden. Es hätte immer etwas gefehlt. Aber ihre Männerbekanntschaften waren bis jetzt auch noch nicht das Wahre gewesen. Wobei es zeitweise eine gewisse Ablenkung versprach, wenn ein Mann in ihr Leben trat.

Wie würde es dieses Mal mit Dominic werden? Wie lange würde es gehen, bevor er sich wegen der Boutique und der Arbeitszeit, die sie investierte, aufregen würde und sie vor die allgegenwärtige Frage stellte: die Boutique oder ich. Und Katharina antwortete immer das Gleiche.

Kein Mann war ihren Traum von der Boutique gleich zu setzen.

 

Ende der Leseprobe

 


Wölfe der ewigen Nacht
titlepage.xhtml
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_000.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_001.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_002.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_003.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_004.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_005.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_006.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_007.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_008.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_009.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_010.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_011.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_012.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_013.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_014.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_015.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_016.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_017.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_018.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_019.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_020.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_021.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_022.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_023.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_024.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_025.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_026.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_027.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_028.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_029.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_030.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_031.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_032.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_033.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_034.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_035.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_036.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_037.html