17. Kapitel
Mitten in der Nacht, zumindest war es draußen noch dunkel, klingelte sein Handy und der unverkennbare Klingelton von Snow erklang.
»Ja?«
»Hallooo mein kleines Wööölfchen.« Oje. Snow lallte und im Hintergrund hörte er wahrscheinlich Annika lachen.
»Ich wollte dir nur eine gute Nacht wünschen. Hast du gewusst, dass Annika eine Hexe ist? Und ihr Zimmer! Alles rosa!« Sie hielt das Telefon kurz weg vom Mund und sagte zu Annika: »Warum ist hier eigentlich alles rosa?« Annika kicherte nur.
»Ich dachte, Hexen stehen nur auf Schwarz?« Er hörte etwas rascheln. Anscheinend war ihr das Handy runter gefallen.
»Ich hab keinen Pyjama mit.« Annika kicherte wieder.
»Kein Problem. Dann schlafen wir halt nackt.« Heilige ...
»Ich hab aber unter dem Kleid keinen BH an.« Nun kicherte Snow.
»He. Das war nicht als Einladung gemeint.« Als er sich die beiden Frauen nackt und betrunken vorstellte, wurde ihm plötzlich heiß. Dann war Snow wieder am Telefon.
»Bist du noch dran?«
»Ähm, ja.«
»Gut. Ich wollte dir nur sagen, dass ich bei Annika schlafe. Weil du ja gerne mal in mein Zimmer kommst und so.« Im Hintergrund hörte er Annika fragen: »Wirklich? Und das lässt du dir gefallen?«
»Na ja. Er sieht gut aus. Und küssen kann der!« Anscheinend hatte sie vergessen, dass er immer noch am Telefon war.
»Ich muss unbedingt mal wieder bei Cassy vorbei schauen.« Die beiden kicherten wie die Kinder und dann wurde das Gespräch beendet. Na toll. Jetzt war er von den erotischen Bildern seiner schmutzigen Fantasie erregt. Und Snow? Sie war völlig ahnungslos, was sie ihm mit diesem Anruf angetan hatte.
Ein Kribbeln überzog ihren Körper, als sie das Zimmer betrat, das vor ihr lag. Ein nackter Mann lag auf dem Bett. Gefesselt. Ein Hitzeschauer durchlief ihren Körper und sie spürte, wie sich ihr Brustwarzen aufstellten. Wie von selbst bewegte sie sich auf ihn zu und strich mit der Hand über das Bett. Dann über sein Bein, seinen Oberschenkel und schließlich über seine Brust.
»Du warst ein böses, kleines Wölfchen.« Und ihre eigene Stimme klang erregt.
Sie schreckte mit einem Mal im Bett auf. Nur ein Traum. Erleichtert ließ sie sich wieder in die Kissen sinken und sah an die Decke. Das war so real gewesen. Dann stutzte sie. Seit wann war die Decke in ihrem Zimmer rosa? Und auch das Bett roch nicht nach ihrem.
Sie drehte sich zur Seite und sah eine blonde Frau, die nur einen knappen String trug. Auch Snow selbst war nur mit einem Höschen bedeckt. Sie versuchte, den vergangenen Abend zu rekapitulieren. Gar nicht so einfach, wenn sich ein Kater in ihrem Kopf breitmachte.
Trotzdem kamen die Erinnerungen langsam wieder. Cassandras Weiberabend, Annika, die eine echte Hexe war, der Anruf bei Sylvester. Verflucht. Jetzt würde er denken, dass er ihr etwas bedeutete. Die Blondine neben ihr regte sich.
»Bist du schon wach?« Snow hörte nur ein Zustimmendes brummen.
»Ich muss mich langsam auf den Weg machen.« Wieder ertönte nur ein Brummen. Also stieg sie aus dem Bett und sah sich nach ihren Sachen um. Alles lag auf dem Boden verstreut. Sie hob ihre Kleidungsstücke auf und ging ins angrenzende Bad. Als sie schließlich wieder so passabel aussah, um unter Leute gehen zu können, schlich sie sich auf Annikas Zimmer, damit diese noch etwas schlafen konnte.
Auf dem Weg nach unten kam ihr eine grinsende Frau entgegen.
»Guten Morgen.« Die Brünette sah auf und in plötzlichem Wiedererkennen weiteten sich ihre Augen.
»Maya? Bist du das?«
»Sie kennen mich?« Die Frau stutzte.
»Natürlich. Du hast mir immer mal Pizza geliefert und eine meiner Zöglinge hat mit dir studiert.« Sie hob fragend ihre Augenbrauen. »Zumindest, bis du einfach so verschwunden bist.« Snow blieb wie angewurzelt stehen. Bis jetzt hatte sie sich immer noch eingeredet, dass sich Sylvester vielleicht einfach irrte, wenn er in ihr seine ehemalige Freundin sah. Aber da nun auch diese Frau bestätigte, dass sie Maya war ...
»Wissen sie sonst noch etwas über mich?« Sie schüttelte den Kopf.
»Aber ich kann Sorina fragen. Sie war in deiner Betriebswirtschaftsklasse.« Dann fügte sie noch hinzu: »und bitte nenn mich Jeanette. Ich bin noch nicht alt genug, um gesiezt zu werden.«
Es war schon gegen zwölf, als Snow das Herrenhaus betrat. Weit und breit niemand zu sehen. Gut. Also würde auch niemand Fragen stellen. Sie lief schnell die Treppen hinauf in den ersten Stock und fühlte sich beflügelt und leicht.
Jeanette hatte diese Sorina angerufen und für Snow ein Treffen ausgemacht. Vielleicht konnte ihr Sorina etwas über sich erzählen, was Sylvester nicht wusste. Als sie am oberen Treppenabsatz war, blieb sie kurz stehen und lauschte.
Bei Emily war Ruhe, Josh und Cass redeten etwas lauter Miteinander und aus Lydias Zimmer hörte sie das Klimpern der Tastatur. Auch in Sylvesters Zimmer herrschte ruhe. Sie ging schnell den Gang entlang und verschwand in ihrem Zimmer. Geschafft.
»Und? War dein Abend schön?« Bei Sylvesters belustigter Stimme drehte sie sich um und sah zu ihrem Bett. Mit unter dem Kopf verschränkten Armen lag er entspannt da und schien schon auf sie gewartet zu haben.
»Ja. Mein Abend war sehr schön. Wir haben uns gut amüsiert.« Er streckte alle vier von sich und dehnte sich ausgiebig. Sie konnte die Muskeln unter seinem T-Shirt sehen und schaute schnell weg. Um sich von seiner Anwesenheit etwas abzulenken, zog sie ihre Jacke und Schuhe aus und legte ihre Handtasche auf den kleinen Stuhl neben ihrem Bett.
»Das hab ich diese Nacht gehört. Ihr hattet ganz schön einen sitzen, oder?« Sie grinste dümmlich.
»Ja. Alkohol ist reichlich geflossen. Und Cassandras Freundinnen sind wirklich nett. Besonders Annika.« Er stand von ihrem Bett auf und kam auf sie zu.
»Was habt ihr zwei gestern Abend noch so getrieben?«
»Das geht dich nichts an.« Er stand nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt und sie konnte seine Körperwärme fast schon auf ihrer Haut spüren. Komischerweise sehnte sie sich sogar danach.
»Ich hab von dir geträumt.« Er hatte die Worte nur geflüstert, aber sie trafen Snow bis ins Mark.
»Ich auch von dir.« Das Blut stieg ihr ins Gesicht. Das hatte sie überhaupt nicht sagen wollen. Wie würde er reagieren? Doch allen Erwartungen zum Trotz sah er sie nur forschend an. Diese Gelegenheit nutzte sie für einen schnellen Themenwechsel.
»Die Cousine von Annika hat mich erkannt und für mich ein Treffen mit einer ehemaligen Kommilitonin ausgemacht. Möglicherweise erinnere ich mich an etwas, wenn ich sie sehe oder mit ihr rede.« Plötzlich zog Sylvester sie an sich. Sein Körper war trotz der zwei Stofflagen, die sie trennten, heiß und fest. Die Sehnsucht nach ihm keimte erneut in ihr auf.
»Vielleicht erinnerst du dich wieder an mich, wenn du meinen Körper betrachtest.« Sie legte eine Hand auf seine Brust und sah ihm in die Augen.
»Ich habe dich doch schon angesehen.« Ein Lächeln blitzte auf.
»Aber nicht nackt.« Sie stieß ihn lachend von sich.
»Du Idiot. Ich sagte schon, dass ich nicht mit dir schlafen werde.« Er nahm ihre Hand in seine.
»Das hab ich auch nicht gesagt. Du sollst nur meinen Körper ansehen. So wie Gott mich schuf.« Neugier wallte in ihr auf. Sie verspürte wieder dieses gewohnte Kribbeln auf der Haut, als sie ihn ansah. Etwas in ihr schrie förmlich danach, sich ihm hinzugeben. Sie verwarf den Gedanken schnell wieder.
»Sei gefälligst nicht so ein böses Wölfchen!« Sie spürte den Stimmungsumschwung eher, als sie ihn ihm ansah. Böses Wölfchen. So hatte sie ihn auch in ihren Traum genannt. Oder war das gar kein Traum gewesen, sondern eine Erinnerung? Sylvester kam wieder näher und legte ihr sanft die Hand auf die Wange.
»Ich würde alles dafür geben, wenn du dich wieder erinnern könntest.« Seine Hoffnung traf sie mitten ins Herz. Wenn sie sich nie wieder erinnern könnte, würde es ihm früher oder später das Herz brechen. Sie beschloss, gleich jetzt für klare Fronten zu sorgen.
»Selbst wenn, werde ich nicht das Gleiche für dich empfinden, was du für mich empfindest.« Er ließ seine Hand sinken und trat ein paar Schritte von ihr zurück.
»Ich werde nicht ewig auf dich warten.« Sie sah ihm tief in die Augen.
»Das musst du auch nicht.« Mit einem Knurren drehte er sich zur Tür und sagte im hinaus gehen: »Ich hab noch viel Arbeit auf dem Tisch. Bis später.« Hatte sie ihn gekränkt? Dabei war ihr kleines Geplänkel doch ganz harmlos und unverfänglich gewesen. Wölfchen.
Vielleicht sollte sie ihn fragen, ob das eine Erinnerung war. Aber wenn nicht, würde er sich hineinsteigern und es, als einen geheimen Wunsch von ihr auslegen. Aber warum sonst hätte er auf diese zwei Worte so stark reagieren sollen?
Sie ließ sich vornüber auf ihr Bett fallen und schon umfing Sylvesters Geruch ihre Sinne. Verdammter Mist! Nach einem kurzen innerlichen Monolog, indem sie das Für und Wider einer Beziehung mit Sylvester abwog, schlief sie schließlich ein.