1. Kapitel

 

Katharina war gerade über der Bezahlung von Rechnungen, als die Türklingel betätigt wurde.

»Ach komm schon. Ich hab bis jetzt nur Gutes von der Boutique gehört. Alle meine Freundinnen kaufen hier ihre Kleider für den Ball.« Oh je. Noch so eine reiche, verwöhnte Göre. Sie atmete tief durch und sah zur Tür.

Ein großer schwarz haariger Mann im edlen Anzug wurde von einer kleineren Ausgabe von ihm in den Laden gezerrt. Und es war wirklich ein Zerren. Für ihren Vater war er eindeutig noch zu jung, also musste es ihr Bruder sein. Sie stand von ihrem Hocker auf und trat hinter dem Tresen hervor.

»Schönen guten Tag. Wie kann ich ihnen helfen?« Das junge Mädchen sah mit großen, glänzenden Augen auf die vielen Kleider und wandte sich dann an Katharina.

»Hallo. Ich brauche ein Kleid für den Winterball an der Highschool. Am liebsten etwas in Rosa.« Der junge Mann stöhnte gequält auf. Sie musterte das Mädchen eindringlich und erwiderte dann: »Ich an deiner Stelle würde ein blasses blau nehmen. Das bringt deine wunderschönen Haare zur Geltung und mit dem richtigen Schnitt können wir dir auch noch ein paar Kurven hinzu mogeln.« Das Glänzen in den Augen des Mädchens nahm immer mehr zu und der Mann hob belustigt seine Augenbrauen.

»Als ich das Gleiche gesagt habe, wurde mir schlechter Geschmack vorgeworfen.« Katharina zuckte mit den Schultern und erwiderte gleichzeitig mit dem Mädchen: »Typisch Mann.« Sie wandte sich wieder dem Mädchen zu.

»Zieh mal bitte deinen Mantel aus.« Nachdem das erledigt war, umkreiste sie das Mädchen und nickte dann.

»Johanna?« Aus dem hinteren Teil des Ladens ertönten Schritte und ihre Freundin erschien. Ihre blonden Haare waren mit einem Haarreifen nach hinten frisiert und sie trug einen unförmigen gelben Pullover und eine noch schlimmere, braune Hose.

»Haben wir noch das blaue Kleid von dem Fotoshooting mit der Modezeitung?« Johanna sah das schwarz haarige Mädchen an und lächelte verstehend.

»Ja. Ich hol es gleich.« Und damit verschwand sie wieder. Sie war schon immer furchtbar schüchtern gewesen und hatte Katharina den ganzen Kundenkontakt überlassen. Natürlich übernahm sie selbst die Maßabnahme und die verschiedenen Anproben, hatte aber sonst keinen Kontakt mit anderen. Sie war glücklich in ihrem kleinen Schneckenhaus. Nur ein paar Momente später kam sie mit dem gewünschten Kleid wieder und reichte es Katharina.

»Das damalige Model war aber etwas kräftiger als die junge Dame hier. Wir werden auf jeden Fall etwas abnähen müssen.« Katharina nickte und zeigte dem jungen Mädchen das Kleid.

»Was meinst du?« Sie hätte sich die Frage getrost schenken können. In den Augen der jungen Frau stand Gier.

»Das ist traumhaft. Genau so etwas wollte ich.« Sie gab ihr das Kleid in die Hand und zeigte ihr, wo die Umkleide war. An den jungen Mann gerichtet sagte sie zuckersüß: »Keine Angst. Ich mache ihnen einen Sonderpreis.« Dieser lächelte charmant und winkte dann ab.

»Das brauchen sie nicht. Ich bin nur froh, dass sie endlich ein Kleid gefunden hat. Noch eine weitere Boutique hätte ich nicht überstanden. Sie zerrt mich seit Stunden durch alle möglichen Geschäfte.« Sie zuckte mit den Schultern und drehte sich dann zur Umkleidekabine.

»So sind Geschwister eben.« Die junge Frau lugte aus der Umkleide heraus.

»Könnten sie mir kurz helfen?« Katharina ging zu ihr in die Umkleide und schloss den Reißverschluss, der außerhalb der Reichweite der jungen Frau war.

»Wie ich schon dachte. Das müssen wir etwas enger machen.« Dann schmunzelte sie das Mädchen an.

»Oder du nimmst etwas zu. Unser Model war schon schlank, aber du bist sogar noch dünner.« Etwas Schmeichelei tat dem Geschäft immer gut. Aber in diesem Fall brauchte sie es gar nicht. Die Kleine war wirklich unheimlich schlank. Und hübsch. Was eindeutig in der Familie zu liegen schien. Sie zog den Vorhang beiseite und ließ die Kleine heraustreten. Und ihr Bruder machte große Augen.

»Sieht das Kleid gut an mir aus, Nici?« Nici? Sie musste ein Grinsen unterdrücken. Er hasste diesen Spitznamen bestimmt.

»Unglaublich. Wenn du das kaufst, werde ich dir eine Anstandsdame mit auf dem Ball geben müssen.« Die Kleine kicherte und Katharina deutete auf den hinteren Bereich, wo Johanna arbeitete.

»Johanna wird noch schnell die überschüssigen Zentimeter abstecken und dann kannst du es morgen abholen.« Die Kleine ging nach hinten und der junge Mann blieb vorne bei ihr im Laden.

»Wollen sie eine Rechnung oder bezahlen sie bar?« Er folgte ihr zum Tresen.

»Ich bezahle bar.« Sie tippte den Preis für das Kleid und die Näharbeiten ein und sagte dann: »Das wären dann 210 Dollar.« Als er die Augenbraue hob, dachte sie erst, er würde wegen dem Preis etwas meckern, aber er gab ihr anstandslos die schwarze American Express Karte.

»Ich hatte gedacht, es würde mehr kosten. Die Kleider in den anderen Läden sahen nicht halb so gut aus und waren drei Mal so teuer.« Katharina grinste.

»Wir machen alles selber. Bis auf den Lieferanten für unsere Stoffe haben wir keinen weiteren Zwischenhändler oder so.« Er runzelte die schöne Stirn.

»Und woher bekommt ihr die Designs?« Und plötzlich übermannte sie eine Welle des Stolzes.

»Ich entwerfe die Kleider und Johanna setzt die Ideen um. Wir haben viele Kundinnen, die ein Unikat möchten. Dann setzen wir uns zusammen und entwerfen das Passende.« Er sah sich nochmals im Laden um und schien die Kleider nun kritischer zu beäugen.

»Sie haben Talent, genau wie ihre Freundin.« Katharina hatte es sich schon vor Jahren abgewöhnt rot zu werden, doch das Kompliment aus seinem Mund ließ ihr eine leichte Röte in die Wangen steigen.

»Danke.« Sie reichte ihm die Karte und sah dann nach hinten, wo er das Kichern der jungen Frau hörte.

»Woher wusste sie, dass Melanie meine Schwester ist?«

»Sie sehen sich viel zu ähnlich, um irgendetwas anderes annehmen zu können. Für einen Freund sind sie zu alt und als Vater zu jung.« Er lächelte verschmitzt.

»Danke für das Kompliment.«

»Gern geschehen.« Sie löste sich von seinem Anblick und ging nach hinten, um nach den beiden Frauen zu sehen. Melanie war schon wieder angezogen und sah sich ein paar von Katharinas Entwürfen an.

»Haben sie die wirklich alle selbst gemacht?« Katharina nickte und erwiderte lächelnd: »Aber die Hauptarbeit hat Johanna, die meine Entwürfe umsetzen muss. Und das ist nicht immer so leicht, wie es aussieht.« Johanna erwiderte nichts, sondern lächelte nur. Sie konnte überhaupt nicht mit Lob umgehen. Ein Wesenszug, der sie sehr liebenswürdig machte. Sie begleitete die junge Frau nach vorn und verabschiedete dann die beiden.

Der Monat lief bisher ganz gut für Johanna und sie. Durch den Winterball und ihre normalen Stammkunden hatten sie ein sehr gutes Plus einfahren können. Sie hoffte, dass es für die nächsten Monate und das neue Jahr so weitergehen würde.

 


Wölfe der ewigen Nacht
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