9. Kapitel

 

 

Irgendetwas stimmte nicht, als sie langsam aufwachte. Ihr war viel zu warm, dabei war sie sich sicher, dass sie sich nur mit einer leichten Decke ins Bett gelegt hatte. Vielleicht war das auch dem milderen Klima zu Schulden. Sie war Schnee und Eis gewöhnt und ihr Kreislauf musste sich erst einmal an die warmen Temperaturen in Virginia anpassen.

Als sie ihre Augen aufschlug, sah sie einen schlafenden Sylvester neben sich. In ihrem Bett! Sie saß sofort aufrecht und klammerte sich an ihre Decke, die sie mittlerweile bis zum Kinn hochgezogen hatte. Dann holte sie tief Luft, um gleich im nächsten Moment so laut wie möglich zu schreien. Er war augenblicklich wach und sprang vom Bett, um sich im Zimmer umzusehen.

»Was ist los? Warum schreist du wie am Spieß?«

»Das fragst du noch? Du hast in meinem Bett gelegen!« Er entspannte sich sichtlich und kam wieder zum Bett zurück. Erst jetzt sah sie, dass er noch komplett angezogen war. Er trug ein schwarzes T-Shirt und eine dunkelblaue Jeans. Auch sie selbst hatte noch ihren Pyjama an.

»Ach Süße. Früher haben wir bedeutend mehr im Bett gemacht, als nur zusammen geschlafen.«

»Hör auf! Ich kenne dich nicht und ich ...« Und plötzlich lagen seine Lippen auf ihren und er drückte sie mit seinem Körper aufs Bett. Sein Kuss war wild und leidenschaftlich. Dennoch unternahm er keinen Versuch, sie auszuziehen oder in anderer Weise sexuell zu benutzen. Er küsste sie einfach nur.

»Ich hab gedacht, dass ich dich für immer verloren hätte.« Das klang so tief traurig, dass sie sich beinahe schuldig fühlte, als sie ihr Knie nach oben schnellen ließ und sein bestes Stück traf.

»Teufel!« Er ließ sich auf die Seite fallen und hielt sich den Schritt. Dann begann er plötzlich zu lachen. »Wenigstens hast du nichts von deiner Wildheit verloren.«

»Raus aus meinem Zimmer.«

»Das geht nicht.«

»Wieso geht das nicht? Du musst nur aufstehen, deine Beine bewegen und die Türklinke betätigen.«

»Du bist so niedlich, weißt du das?« Snow stöhnte entnervt auf und verließ das Bett Richtung Tür. Wenn er nicht ging, würde sie es tun.

»Du erinnerst dich wirklich nicht mehr an mich, oder?« Der Schalk war aus seiner Stimme verschwunden und die Art, wie er diese Frage gestellt hatte, verursachte ihr eine unangenehmes Gefühl im Magen. Es war ihm ernst.

»Nein. Ich erinnere mich nicht an dich.« Komischerweise klang es sehnsuchtsvoll. Sehnte sie sich nach ihm oder der Erinnerung? Er lag immer noch auf dem Bett und sie stand mitten im Raum.

»Ich habe dich geliebt.« Snow sah ihn fragend an. »Und weil du mir und meinem Rudel helfen wolltest, bist du gestorben. Zumindest dachte ich das.« Er musterte sie von oben bis unten und streckte ihr anschließend seine Hand entgegen, um sie zu berühren. Sie wich ihm aus.

»Fass mich nicht an.« Sie starrte auf seine große Hand und fuhr fort: »Ich kann mich nicht an eine Explosion erinnern. Ich weiß nur, dass Robert mich im Schnee gefunden hat und ich ... geblutet habe.« Aus seiner Brust ertönte ein Knurren, das sie ein paar Schritte zurückweichen ließ. »Ich bin ein Wolf. Die Frau, die du geliebt hast, war ein Mensch. Das hast du selbst gesagt.« Als sie von seiner Hand aufsah und in sein Gesicht blickte, sah sie Schmerz und Wut. Und Verwirrung. Sie wollte ihm nicht weh tun, aber sie konnte einfach nicht seine Freundin gewesen sein.

Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen und Robert stand mit Josh zusammen im Raum.

»Was ist hier los?« Robert sah zwischen Snow und Sylvester hin und her. Snow wollte sich eben auf Robert zubewegen, als Sylvester laut knurrte.

»Fass ihn an und es wird hier ein Blutbad geben!«

 

Robert zog die Augenbrauen verwundert hoch. Was sollte denn das? Aber plötzlich erkannte er in dem Mann das wilde Tier aus dem Keller wieder. Mittlerweile war er rasiert und geduscht. Und in ihrem Zimmer.

»Du kennst Snow?« Sylvesters Augen verengten sich.

»Sie heißt Maya. Und ja, ich kenne sie. Wir waren ein Paar.« Sylvester schien ihn nicht sonderlich zu mögen. War das Eifersucht? Oder sah er in jedem Mann einen potenziellen Rivalen?

»Was ist passiert? Warum wurde sie verletzt?« Vergewaltigt ließ er mal lieber weg. Das würde die Stimmung seines Gegenüber noch mehr anheizen.

»Wir wissen es nicht. Damals überwachte sie für mich ein fremdes Rudel, dass unser Revier unsicher machte. Als wir dort ankamen, wo sie uns erwarten sollte, rief sie mich an, dass im Gebäude eine Bombe wäre.« Sylvester sah abwartend zu Snow, als würde sie im nächsten Moment wieder vor seinen Augen verschwinden.

»Sie war im Gebäude, als die Bombe hochging.« Erik trat vor und warf seine Theorie ein. Robert hatte gar nicht mitbekommen, wann der blonde Hüne dazu gekommen war.

»Vielleicht hat Derek sie verschleppt und dann irgendwo abgelegt, weil er dachte, sie würde das nicht überleben.« Wer war Derek?

»Nein. Sie hatte uns aus dem Gebäude angerufen. Als die Bombe hochging, brach die Verbindung ab. Und wieso hätte er uns warnen sollen?«

»Hast du eine bessere Idee?« Sylvester sah auf den Boden.

»Früher war sie ein Mensch. Jetzt ist sie ein Wolf.« Robert bekam große Augen.

»Wir hatten ebenfalls den Verdacht, dass sie direkt von Hekate oder Odin verwandelt wurde.« Josh erhob fragend die Augenbrauen.

»Wieso?«

»Sie kann sich in einen richtigen Wolf verwandeln.« Plötzlich wurde es still im Raum und alle sahen Snow an.

»Das ist nur einmal passiert«, versuchte sie sich zu verteidigen.

»Als du schlafgewandelt bist. Du hast es nur nicht unter Kontrolle. Aber du kannst dich verwandeln.« Josh und Erik musterten Snow neugierig, während Sylvester eher nachdenklich aussah. Snow schmollte, weil sie hier bleiben sollte.

Er hatte ihr auf dem Weg hierher begreiflich machen wollen, dass von seiner Seite nie amouröse Gedanken oder Gefühle vorhanden gewesen waren. Dass er seine Frau liebt und sie nie verlassen würde. Und das es ihr eigener Fehler gewesen war, dass sie aus dem Rudel ausgeschlossen wurde, als sie sich Vivien entgegen gestellt hatte. Er hatte vor der Abreise auch mit Vivien gesprochen, die immer noch schwesterliche Gefühle für Snow hegte. Sie hatte geweint. Und das brach ihm das Herz.

Wäre Snow nicht so engstirnig gewesen und hätte versprochen, keine weiteren Annäherungsversuche zu starten, wäre sie weiterhin willkommen gewesen. Aber so wie die Sachlage war, gab es keine Zukunft für Snow in seinem Rudel.

Zumindest konnte er Vivien dahingehend beruhigen, dass Snow oder Maya hier gut aufgehoben war. Und sie wussten endlich, wo sie herkam.

»Ihr kümmert euch gut um sie?« Sylvesters Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.

»Da kannst du Gift drauf nehmen. Ich werde sie nicht mehr aus den Augen lassen.«

»Mich fragt wohl niemand, was ich will.« Sie klang wütend. Und verletzt. Sie musste sich wie ein kleines Kind vorkommen. Alle entschieden über ihren Kopf hinweg für sie. Eigentlich hätte sie froh sein müssen, dass sie nun endlich etwas Licht in ihre Vergangenheit bringen konnte. Erik wandte sich an die kleine Blondine.

»Was willst du denn?« Wahrscheinlich gegen ihren Willen wurde sie rot.

»Ich will wieder in Roberts Rudel.« Robert schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht. Und du weißt auch sehr genau warum.« Er hatte es absichtlich etwas schroffer hervor gebracht. Vielleicht würde ihr die Trennung besser bekommen, wenn sie ihn nicht mehr so verehrte.

»Es ist deine eigene Schuld. Aber hier bist du gut aufgehoben. Sie kennen dich. Du kannst dir deine Vergangenheit zurückholen.« Sie sah zu Boden. Nach allem, was sie Vivien über ihre Träume erzählt und was er selbst mitbekommen hatte, schien ihre Vergangenheit kein Zuckerschlecken gewesen zu sein.

Aber dieser Sylvester schien Snow immer noch zu lieben. Josh hatte ihm erzählt, dass der große dunkelhaarige Mann völlig durchgedreht war, als Snow damals angeblich in der Fabrik getötet wurde. Und sie hatte ihn auch wieder aus diesem animalischen Zustand zurückgeholt. Er würde sie schon wieder für sich gewinnen. Das brauchte nur etwas Zeit.


Wölfe der ewigen Nacht
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