4. Kapitel

 

 

Joel saß in seinem Sessel und genoss die Show. Er hatte die hübsche Blondine mit den langen Beinen am vergangenen Abend in einem Club kennengelernt und sie fürs Wochenende in sein Haus eingeladen. Leider entfiel ihm andauernd ihr Name. Also benutzte er die üblichen Floskeln. Püppchen, Süße, Schatz.

Sie hatte ihn nicht mit dem üblichen Modegeplänkel gelangweilt, sondern war erfrischend offen und vor allem hübsch. Obwohl ihn das nicht sonderlich wunderte. Er war ein Rabe. Also von Natur aus dunkel, geheimnisvoll und sexy. Frauen liebten ihn.

Die Blondine war vor ein paar Momenten einfach aufgesprungen, hatte gesagt, dass das ihr Lieblingslied war, und hatte begonnen, sich auszuziehen. Jetzt trug sie nur noch ihren BH und ihren Rock. Ihr Blick war auf seinen Mund gerichtet und mit schwingenden Hüften kam sie auf ihn zu. Als sie nur noch wenige Schritte vor ihm war, griff sie hinter sich, um den Rock zu öffnen.

»Weißt du, ich steh auf schwarzhaarige Männer. Das gibt immer so einen schönen Kontrast zu meinen blonden Haaren.« Sie setzte sich auf seinen Schoß, immer noch an ihrem Rock fummelnd.

»Soll ich dir bei dem Verschluss helfen?« Plötzlich grinste sie ihn an. Nicht sexy oder lasziv sondern gefährlich.

»Es ist wirklich zu schade ...« Im nächsten Moment wurde sie von ihm herunter gerissen und mit dem Gesicht voran auf den Boden geknallt.

»Amam! Was zum Teufel soll das?« Sein Leibwächter und Freund stieß der Blondine sein Knie in den Rücken und griff nach ihrer Hand.

»Ich erledige nur meinen Job.« Er entwand ihr einen Dolch. Silbern. Na toll. Jetzt wurden schon Frauen auf ihn gehetzt. Amam fesselte die Blondine und hob sie dann hoch.

»Wer ist dein Auftraggeber?« Doch sie grinste nur und sah Joel direkt in die Augen.

»Es werden noch mehr nach mir kommen. Wir wissen alles über deine Familie und eure Rolle im letzten Kampf. Deswegen musst du sterben, genau wie die anderen deiner Linie. Die Zeichen sind da und der Ragnarök steht kurz bevor.« Ihre Kiefer spannten sich an, dann sackte sie in sich zusammen.

»Scheiße. Was ist mit ihr?« Amam ließ sie zu Boden gleiten und öffnete ihren Mund.

»Sie hatte eine Zyankali-Kapsel im Mund.« Joel ließ sich in seinen Sessel sinken.

»Das war schon das dritte Attentat auf dich. Wie wäre es mit einer kleinen Reise?« Joel nickte nur. Die letzten beiden Attentäter waren Männer gewesen und er lebte nur noch, weil Amam immer in seiner Nähe war. Würden diese Feiglinge einen offenen Zweikampf ausfechten wollen, könnte er sich gut selbst verteidigen. Aber gegen Präzesionsgewehre und Bomben konnte er nichts ausrichten. Das war Amams Gebiet. Er verschlang das Wissen um neue Waffentechnik genau so, wie neue Kampfsportarten.

»Du hast wahrscheinlich recht.« Er sah aus dem Fenster. »Wir sollten mal wieder nach L.A. Dort waren wir schon mindestens zehn Jahre nicht mehr.« Amam nickte und hob die Blondine hoch.

Diese verflixten Dämonen. Man erkannte sie einfach nicht. Konnten sie nicht eine große Warze auf der Stirn haben? Die Wölfe, Raben und Hexen hatten alle eine gewisse Ausstrahlung und Düfte, die auf deren Herkunft schließen ließen. Sogar den Nymphen sah man an, was sie waren. Nur Dämonen konnten sich perfekt tarnen.

Er hatte auch mal mit Amam darüber gesprochen, da dieser weder Wolf noch Rabe war, aber trotzdem die Unsterblichkeit besaß. Er hatte ihm genau das Gleiche gesagt, wie damals, als er zu ihm gestoßen war.

Dass er ein von Odin geschickter Krieger wäre, der ihn beschützen soll. Zuerst hatte Joel ihn nur ungläubig angeschaut. Dann gelacht. Aber als Amam ihm nicht mehr von der Seite wich, wurde ihm klar, dass es dieser Kerl ernst meinte.

Außerdem schien er ein ziemlich hässliches oder entstelltes Gesicht zu verbergen oder eine alte Wunde. So genau wusste er es nicht. Amam hatte sich selbst in der größten Hitze Ägyptens nicht seines Mantels entledigt. Er trug ihn immer, genau wie diesen Schal, der nur seine Augen unbedeckt ließ.

Vom Beistelltisch neben dem Sessel nahm er sein iPhone und rief seinen Stellvertreter an.

»Wir machen eine kleine Reise. Packt sommerliche Klamotten ein.«

 

Ein paar Tage später kam Vivien gut gelaunt ins Gästezimmer und legte Snow neue Kleiderstücke hin. Zu warme Kleidungsstücke, als dass sie diese im Haus tragen könnte.

»Hast du Lust auf einen Spaziergang? Ich könnte dir das Dorf zeigen und ein paar Leute aus dem Rudel vorstellen.« Snow strahlte sie erfreut an.

»Ja. Gerne. Ich brauche unbedingt etwas Bewegung.« Und Abwechslung von diesem Zimmer. Es war wirklich schön eingerichtet und so. Und Vivien brachte ihr immer wieder Bücher und Zeitschriften mit, aber es war einfach nur langweilig im Bett zu liegen und nichts tun zu können. Bewegung war genau das Richtige für sie. Nachdem sie sich angezogen hatte, folgte sie Vivien nach draußen. Es war ein schöner, sonniger Tag, aber trotzdem ziemlich kalt. Überall lag Schnee und hier und da war ein Schneemann oder eine Eishöhle zu sehen.

Das Dorf von Robert und Vivien bestand aus etwa zwanzig oder dreißig Hütten, die weit verteilt waren. In der Mitte befand sich die Hütte der Alphas, am Rand die der Omegas. Alles soweit übersichtlich. Vivien nahm Snow an die Hand und zeigte ihr alles. Immer wieder wurden sie von neugierigen Blicken verfolgt, vor allem die Männer schienen Snow besondere Aufmerksamkeit zu schenkten. Vivien hatte ihr am Morgen zwei Zöpfe geflochten, die nun rechts und links ihre Ohren bedeckten, was aber ihrer Fähigkeit, selbst das kleinste Geräusch vernehmen zu können, keinen Abbruch tat. »He. Schau mal die Kleine an.«

»Scheiße ist die hübsch.«

»Und dieser Arsch! Zum Niederknien.«

»Ist das die Unbekannte aus dem Wald?"

Vivien sah ermutigend und gleichzeitig entschuldigend zu Snow. »Hier passiert nicht so oft etwas Interessantes. Da ist ein neues Gesicht erst mal das Gesprächsthema Nummer eins.« Das verstand Snow und nickte kurz. Nachdem sie etwas durch das Dorf spaziert waren, überkam Snow ein komisches Gefühl. Sie taumelte und vor ihr wurde alles dunkel. Wie aus weiter Ferne konnte sie Viviens »alles in Ordnung?« vernehmen und hielt sich dann an der nächsten Hauswand fest, um nicht umzufallen. Dann verlor sie den Boden unter ihren Füßen.

»Es ist noch viel zu früh für einen Spaziergang.« Als sich der Nebel klärte, erkannte sie Roberts Stimme. Er trug sie mal wieder durch die Gegend, als würde sie nicht mehr als ein Sack Kartoffeln wiegen.

»Ich hab mich stark genug gefühlt. Ich brauch nur ein Glas Wasser.« Das Blut rauschte durch ihre Ohren und ihre Augen taten ihr plötzlich weh. Als sie wieder ins Haus gebracht wurde, war sie über die angenehme Dunkelheit der Holzhütte erleichtert.

»Das war erst einmal genug Bewegung für heute. Den Rest des Tages bleibst du im Bett.« Snow sah zu Vivien, die genervt die Augen verdrehte. Allerdings lächelte sie gleich danach wieder. Diese Frau war wirklich super. Sie war nett, geduldig und sie kümmerte sich wie eine Mutter um Snow. Robert legte sie in ihrem Bett ab und Vivien streifte ihr die Stiefel von den Füßen.

»Ich kann mich auch allein ausziehen.« Keiner von beiden beachtete ihren Einwand. Nachdem sie wieder den Pyjama anhatte, reichte ihr Robert ein Glas Wasser und scheuchte Vivien dann aus dem Raum. Snow konnte ihre Unterhaltung trotzdem gut hören.

»Was hast du dir nur dabei gedacht? Sie ist noch viel zu schwach um sich das ganze Dorf anzusehen.« Vivien klang trotzig.

»Sie liegt seit Wochen in diesem Bett. Irgendwann muss sie sich wieder etwas bewegen.«

»Dann wandre mit ihr im Haus herum, aber doch nicht gleich so eine lange Strecke.« Und dabei hatte es Vivien nur gut gemeint.

 

Am nächsten Morgen beim Frühstück druckste Robert eine ganze Weile herum, bis er schließlich die Frage der Fragen stellte.

»Wo willst du Snow unterbringen, wenn es ihr besser geht?« Vivien sah auf ihre Hände.

»Ich will sie noch etwas hier behalten. Über eine Bleibe können wir uns später Gedanken machen.« Er ging langsam auf sie zu und setzte sich neben sie auf die Bank.

»Benjamins Hütte steht leer. Er wird noch mindestens zwei Jahre in Australien sein, also können wir sie erst einmal dort wohnen lassen. In dieser Zeit wird sie schon einen Partner finden.« Vivien sah ihren Mann nachdenklich an.

»Lass sie noch etwas hier bleiben. Bitte.«

»Es geht mir gut. Ihr braucht euch keine Gedanken zu machen.« Das Pärchen drehte sich um und Snow betrat das Zimmer. Sie sah immer noch viel zu blass aus und diese Nacht hatte sie sie wieder im Schlaf wimmern gehört.

»Nein, dir geht es noch nicht gut. Ich will dich noch ein wenig in meiner Nähe haben.« Snow kam näher und setzte sich den beiden gegenüber auf einen Stuhl.

»Vivien. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich bin in der Lage, für mich selbst zu sorgen. Und meine Verletzungen sind schon fast alle verheilt.« Vivien sah ihr nicht in die Augen. Sie konnte nicht. Wenn sie es getan hätte, wäre sie vor den beiden in Tränen ausgebrochen.

»Wenn du meinst. Ich werde die Hütte morgen für dich herrichten lassen.« Plötzlich spürte sie Snows Hand auf ihrer.

»Das ist nicht böse gemeint, Vivien. Ich danke euch beiden wirklich für alles, was ihr für mich getan habt. Aber ich will euch nicht ewig zur Last fallen.«

»Das tust du doch nicht. Ich freue mich, dich hier zu haben.« Robert legte seinen Arm um Viviens Schultern.

»Wir beide freuen uns, dich hier zu haben. Und du kannst so lange bleiben, wie du willst.«

 


Wölfe der ewigen Nacht
titlepage.xhtml
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_000.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_001.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_002.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_003.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_004.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_005.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_006.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_007.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_008.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_009.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_010.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_011.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_012.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_013.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_014.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_015.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_016.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_017.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_018.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_019.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_020.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_021.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_022.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_023.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_024.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_025.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_026.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_027.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_028.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_029.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_030.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_031.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_032.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_033.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_034.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_035.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_036.html
CR!9M1Y9TY1KD4MDCZMT5327AZ1RPJY_split_037.html