12. Kapitel

 

 

Josh sah im Anzug einfach zum Anbeißen aus. Seit sie ihn kennengelernt hatte, trug er öfter nur ein Hemd und eine Abzugshose, was in seinen Augen schon sehr nonchalant war. Jeans zog er nur in Ausnahmefällen an oder, wenn sie ihn darum bat. Jeans sahen an diesem Mann einfach verboten gut aus. Und seit der Schwangerschaft war sie sowieso sehr aufgeheizt. Sie könnte ihren Mann alle paar Stunden anspringen.

»Hallo Mister groß und Dunkel. Ich hab dort hinten eine hübsche kleine Abstellkammer gefunden. Wollen wir uns die mal ansehen?« Er zog amüsiert die Augenbrauen hoch.

»Süße. Das ist nicht der richtige Ort und schon gar nicht die richtige Zeit für ein kleines Stelldichein.« Seine Hand wanderte zu ihrem Bauch. »Außerdem will ich meinem Sohn nicht weh tun.« Ja, ja. Das sagte er in letzter Zeit häufiger. Wenn die beiden Mal wieder intim wurden, dann nur im Schmusegang, ja nicht zu fest zupacken oder wie früher einen kleinen Marathon veranstalten. Gott bewahre. Millionen Schwangere haben normalen Sex in der Schwangerschaft, nur bei ihnen funktioniert das nicht. Und sie war wirklich frustriert darüber.

Sie löste sich von Josh und ging ohne ein weiteres Wort den Flur entlang zum Zimmer ihrer Mutter. Sie fand es zwar schön, dass er Rücksicht auf sie nahm, aber man konnte es auch übertreiben. Und das hatte überhaupt nichts mit einer Überreaktion durch ihre Schwangerschaftshormone zu tun.

Als sie das Ankleidezimmer betrat und sich suchend nach Carla umsah, war niemand da. Das Kleid lag noch immer auf dem Bett und war unter einer leichten Decke versteckt. Was war hier los? Hatte sich Derek irgendwie einschleichen können? War ihre Mutter in Gefahr? Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

»Carla?« Sie hörte im Bad etwas scheppern und danach ein fröhliches Kichern. Erleichterung durchflutete sie. Was trieb ihre Mutter da drinnen? So viel Champagner war doch noch gar nicht geflossen. Sie ging zu der Tür und klopfte an.

»Carla? Alles in Ordnung?« Etwas atemlos kam die nervöse Antwort: »Ja, ja. Ich, äh, brauche noch ein paar Minuten.« Im Bad kehrte wieder Ruhe ein und nach vielleicht fünf Minuten kam ein grinsender Richard aus dem Zimmer, gefolgt von einer knallroten Carla, die nur einen leichten Morgenmantel trug.

»Könnt ihr nicht bis nach der Trauung warten?« Cass verdrehte die Augen, als er seine Bald-Ehefrau in den Arm nahm und noch einmal leidenschaftlich küsste.

»Bei Carla werde ich nie warten können.« Cass nahm ihren Vater am Arm und führte ihn zur Tür.

»Wenn du dich noch einmal hier blicken lässt, trete ich dir in den Allerwertesten.« Wenn sie keinen Sex bekam, dann Carla auch nicht. Basta. Dann schloss sie die Tür und drehte sich zu Carla.

»Und du ziehst dich endlich an. Die Gäste warten schon. Charlott schüttet immer wieder das Blumenkörbchen aus und das Kindermädchen hat alle Hände voll zu tun, sie sauber zu halten, weil sie immer wieder zum Büffet geht und nascht.« Carlas Blick wurde weich, als sie sich zum Kleid umdrehte.

»Weißt du, dass sie mich Mama nennt? Ich bekomme jedes Mal so ein Flattern im Bauch, wenn sie es tut, und könnte den ganzen Tag nur noch grinsen.« Dann ging sie wieder zu Cass und umarmte sie liebevoll.

»Das hätte ich auch gern bei euch erlebt. Ihr habt mir so sehr gefehlt.« Cass stiegen die Tränen in die Augen und sie blieb einen Moment unbewegt in Carlas Armen. Sie genoss die Zuneigung, die Carla ihr gab und auch Richard hatte sich in den letzten Wochen und Monaten als sehr kuschelbedürftig herausgestellt. Nach ein paar Momenten löste sie sich von ihrer Mutter und zeigte auf das Kleid.

»Und jetzt machen wir dich fertig.« Auch Susan kam kurz darauf wieder ins Zimmer und lächelte die beiden Frauen ergeben an.

»Es ist so schön, dass so vieles wieder wie früher ist. Die Prinzessin ist glücklich und verliebt, Derek ist weg und bald wird die Familie noch größer.« Cassandra legte die Hand auf ihren Bauch. Diese Geste machte sie immer automatisch, wenn sie an das kleine Wesen darin dachte.

Carmen war damals in ihrer Schwangerschaft auch sehr schlank gewesen, sodass sie auch von Charly manchmal überbehütet wurde. Dein Bauch müsste viel größer sein. Du siehst nicht aus wie schwanger. Hoffentlich geht es dem Baby gut. Auch ihre Schwester hatte sich das Geschlecht des Babys nicht verraten lassen. Sie war der Ansicht, dass es viel schöner sei, wenn man es bei der Geburt erfährt. Und früher hatte man auch keinen Ultraschall gehabt, um so etwas Persönliches herauszufinden. Und als Cassandra vor ihrer Schwangerschaft erfuhr, hielt sie es genau so. Die Geburt würde noch früh genug das Geschlecht des kleinen Wunders in ihr offenbaren.

»Cassandra, Schatz?« Sie war völlig in Gedanken gewesen, sodass sie es nicht mitbekommen hatte, als Susan ihrer Mutter ins Kleid geholfen hatte. Jetzt sah sie Carla an und diese leuchtete förmlich vor Glück. Ja, Carla war überglücklich. Und sie sah in ihrem Brautkleid überirdisch schön aus. Auch das schlichte Diadem auf ihrem Kopf wirkte sehr hoheitsvoll. Eben ganz die Prinzessin.

»Ich bin völlig aus dem Häuschen. Ich konnte gestern Abend nicht einschlafen und ich hab die ganze Zeit das Gefühl, dass ich etwas vergessen hätte.« Cassandra lächelte ihre Mutter an.

»Das ist ganz normal. Mir ging es vor meiner Hochzeit genau so.« Carlas Blick wurde weich und sie nahm Cass in den Arm.

»Ich bin so froh, dass Josh mich dazu überredet hat, das Kloster zu verlassen.« Und Cassandra war froh, dass Richard nicht lange gewartet hatte, um Carla zu heiraten. Die beiden gehörten einfach zusammen. Wer nach über dreißig Jahren immer noch so verliebt war, der musste einfach glücklich werden. Die Hochzeit verlief im Großen und Ganzen recht gut, bis auf ein paar kleinere Pannen.

Charlott beschmierte Carlas Kleid, kurz nach der Trauung, mit Himbeereis, wobei Carla sogar darüber lachen konnte. Richard ließ niemanden mit seiner neuen Frau tanzen und trug sie förmlich über das Parkett. Es war richtig süß. Als Cassandra selbst tanzen wollte, zog Josh sie zu einem Stuhl und stellte ihr ein Glas Wasser vor die Nase.

»Überanstreng dich nicht. Das ist nicht gut für unser Kind.« Wie sehr sie diese Überfürsorglichkeit hasste. Jetzt wusste sie auch, wie sich Carmen damals gefühlt haben musste. Auch sie hatte einen ängstlichen Mann gehabt, der sie mehr oder weniger zwang, kürzer zu treten und sich ständig auszuruhen. Bei Josh hatte ihr das am Anfang noch gefallen. Aber mittlerweile übertrieb er es unheimlich. Sie lächelte ihn gezwungen an.

»Keine Angst. Mit dir an meiner Seite kann ich mich doch gar nicht überanstrengen.« Sie sah zu den anderen Pärchen auf der Tanzfläche. William und seine Frau waren da, genau so wie viele von Carlas ehemaligen Freunden, die auch durch die Bank weg Wölfe waren. Dann natürlich alle aus ihrem Rudel und viele von Joshs Rudel.

Lydia und Emily hatten sich entschuldigt, wobei ihr Josh erzählt hatte, dass Lydia nie das Haus verließ. Und mit nie meinte er wirklich nie. Als sie ihn nach dem Grund gefragt hatte, meinte er nur, dass das ein privates Detail aus Lydias Vergangenheit wäre, das nur sie selbst erzählen sollte. Also hatte sie nicht weiter nachgebohrt. Seit der Hochzeit war zum Glück einigermaßen Funkstille. Wobei sie sich eigentlich nur aus dem Weg gingen. Würden sie sich öfter sehen, gäbe es bestimmt auch Streit.

In einer Ecke sah sie Sylvester stehen, der vor sich hinstarrte. Sie wusste noch nicht so genau, wie sie ihn einschätzen sollte. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, war die Luft voller Spannung und ein innerer Instinkt warnte sie, ihm zu nahe zu kommen. Wenn Snow in der Nähe war, beruhigte er sich sichtlich und Cassandras Nerven hörten auf zu flattern. Vor dem Vorfall in der Fabrik hatte sie ihn nur einmal gesehen und das auch nur kurz, als er Josh abgeholt hatte.

Aber ihr Göttergatte hatte in der kurzen Zeit ihrer Ehe schon einiges von seinem Bruder erzählt. Dass er selbst alte Häuser sanierte und diese dann für gemeinnützige Projekte versteigern ließ. Dass er ein Architekturstudium abgeschlossen und ein Kunststudium begonnen hatte. Wobei Letzteres nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt gewesen war. Er brauchte für die farbliche Gestaltung der Häuser immer Hilfe, da sonst nichts zusammenpassen würde.

Neben ihr tauchte plötzlich Snow auf, die heute Abend ein hübsches blaues Kleid von Emily anhatte. Zum Glück hatten die beiden Frauen fast die gleiche Größe. Obwohl Emily erst etwas komisch gewesen war. Sie schien Snow einerseits dankbar zu sein, dass Sylvester wieder er selbst war, und zum anderen war Emily böse auf sie, weil sie Sylvester nicht als ihren Gefährten akzeptieren wollte.

»Hallo Cassandra.« Josh war gerade mit einem anderen Mann im Gespräch, sodass Cass die Chance ergriff und mit Snow auf die Tanzfläche ging. Diese war etwas überrumpelt, ging aber mit.

»Du bist meine Rettung. Josh denkt, dass ich mich wegen etwas tanzen gleich überanstrenge.« Als Snow nur gezwungen lächelte, merkte sie, dass die Blondine wegen etwas anderen zu ihr gekommen war. »Wie kann ich dir helfen?«

»Es ist wegen Sylvester. Er ist wirklich nett und er bemüht sich sehr um mich, aber ich fühle mich nicht unbedingt wohl in seiner Gegenwart. Es ist nicht so das ich Angst hätte. Aber ...«

»Du willst erstmal den Abschied von Robert verarbeiten, oder?« Snow bekam große Augen, dann lächelte sie.

»Du verstehst mich. Aber ich weiß nicht, wie ich es ihm beibringen soll.« Am liebsten hätte Cass jetzt gesagt, dass das Snows Problem wäre, aber sie war nun die Alpha des Rudels. Sie hatte Verantwortung gegenüber den anderen.

»Ich rede mal mit ihm.« Völlig überraschend nahm Snow die Schwangere in den Arm und bedankte sich leise. Dann war sie auch schon verschwunden. Jetzt kam der schwierige Teil. Sie sah sich kurz nach Josh um, der immer noch redete, und ging dann zielstrebig auf Sylvester zu.

»Hallo Schwager. Wie geht es dir?«

»Was hat Snow dir gesagt, was sie mir nicht selbst sagen kann?« Nette Begrüßung.

»Hör mal! Du bist der Bruder meines Mannes, aber wenn du frech wirst, trete ich dir in deinen Allerwertesten, verstanden?« Das schien ihn überrascht zu haben. Aber er nickte zustimmend.

»Entschuldige. Ich bin nur etwas gereizt.«

»Kein Problem. Ich wollte dir nur meinen Standpunkt klar machen.« Dann seufzte sie. »Snow wird in deiner Gegenwart etwas nervös. Könntest du es langsam angehen lassen und einen Gang zurück schalten? Sie hat eben so viele Veränderungen zu verarbeiten, dass sie nicht auch noch einen Mann braucht, der ihr die ganze Zeit hinterher läuft und überwacht.« Ein leises Knurren drang aus seiner Brust und ohne darüber nachzudenken, boxte sie ihm gegen die Schulter.

»Hör auf, mich anzuknurren!«

Wölfe der ewigen Nacht
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