27.


Vestaras Befehle waren einfach: Sie sollte sich bei der schüsselförmigen Verbindungskammer verborgen halten, die die zentrale Sphäre der Station mit dem zylindrischen Arm verband. Falls die Skywalkers diesen Bereich lebend betraten, würde sie die Granaten scharf machen, die man ihr gegeben hatte, und sie in die Kammer werfen. Mit etwas Glück würde es ihr gelingen, die Luke zuzuziehen, bevor die Skywalkers die Granaten in ihren Korridor zurückschicken konnten. Mit viel Glück würde anschließend von den beiden noch genügend übrig sein, das sie Lord Vol präsentieren konnten, wenn sie ohne Schiff nach Kesh zurückkehrten.

Gleichwohl, wie bei jedem Sith-Plan mussten dabei Schichten von Verrat und Intrige bedacht werden, und deshalb hatte Vestara noch einen zweiten Auftrag. Nach dem Verlassen der Luftschleuse, durch die Schiff sie an Bord der Station gebracht hatte, fiel es Lady Rhea zu, als Erstes die noch lebenden Mitglieder ihrer Mannschaft aus Abeloths mentalem Griff zu befreien - genauso, wie Vestara sie befreit hatte.

Das Zweite, das Lady Rhea getan hatte, war, die Missionsvorgaben des Teams von »die Skywalkers gefangen nehmen« in »die Skywalkers töten« zu ändern. Das war das ursprüngliche Ziel des Einsatztrupps gewesen, und Lady Rhea befahl ihnen, genau das zu tun. Selbst, wenn sie nicht mehr ihre Kommandantin gewesen wäre, hätte es nur wenig Mühe gekostet, die kleine Gruppe für dieses Vorhaben zu gewinnen. Schiff nach Kesh zurückzubringen, lag eindeutig außerhalb ihrer Möglichkeiten, aber Lady Rhea war zuversichtlich, dass der Tod der Skywalkers und die Neuigkeiten über Abeloths sonderbare Fähigkeit ausreichen würden, um sich die Vergebung des Zirkels zu sichern. Und auch, wenn sie sich diesbezüglich irren sollte, hatte dennoch die ganze Mannschaft zugestimmt - zu Abeloth und auf ihren seltsamen Planeten zurückzukehren, kam nicht infrage.

Zur Überraschung aller - mit Ausnahme von Lady Rhea -hatte sogar Yuvar Xal diesem Plan bereitwillig zugestimmt. Tatsächlich hatte er verkündet, dass alle Überlebenden im Ruhm baden würden, wenn der Zirkel von Abeloths Kraft erfuhr. Natürlich hatte sein Enthusiasmus Argwohn erregt -größtenteils aufgrund der Tatsache, dass Schiff bloß Xal und Ahri erlaubt hatte, an Bord der Fregatte zu gehen, als die Mannschaft zuvor einen Zwischenstopp bei der Ewiger Kreuzfahrer eingelegt hatte, um Schutzanzüge und Waffen zu holen.

Deshalb hatte Vestara zusammen mit Baad Walusari den Auftrag bekommen, Xal und Ahri im Auge zu behalten. Falls die beiden versuchten, ihren zugewiesenen Posten zu verlassen, sollten sie sie töten. Falls sie versuchten, die Skywalkers auf eigene Faust gefangen zu nehmen, sollten sie sie töten. Falls sie versuchten, mit Schiff 'in Kontakt zu treten oder auch nur aussahen, als würden sie darüber nachdenken, Lady Rheas Befehle zu missachten, sollten sie sie töten.

Kurz gesagt, weder Lady Rhea noch irgendjemand sonst rechnete damit, dass Xal und Ahri die Mission überleben würden. Natürlich hoffte Vestara, dass Ahri sie eines Besseren belehren würde, was einer der Gründe dafür war, dass sie den Auftrag gern angenommen hatte. Wenn jemand im Zweifel für den »Angeklagten« war, wie es so schön hieß, dann war sie es. Vielleicht war es ihr sogar möglich, ihm eine zweite Chance zu geben, wenn keiner hinschaute.

Ahris Stimme drang über ihren Helmlautsprecher. »Hey, Ves?«

»Ja?«

»Etwas gibt mir an dieser ganzen Skywalker-Mission zu denken«, sagte er. »Warum?«

Vestara verzog das Gesicht. Augenblicklich zweifelte sie seine Beweggründe an. »Ahri, nicht!« Sie spähte durch den Spalt ihrer geöffneten Luke und schaute quer durch die Kammer zu dem teilweise offenen Schott, bei dem sich Ahri versteckte. »Lady Rhea hat uns unsere Befehle gegeben.«

»Ja, und diese Befehle machen Sinn«, erwiderte Ahri. In dem Spalt offenen Raums hinter seiner Luke tauchte sein Helm auf; das Visier war oben, sodass sie ein blasses Auge sehen konnte. »Was ich nicht verstehe, ist, warum Abeloth die Skywalkers haben wall?«

»Darüber habe ich mir wirklich keine Gedanken gemacht«, log Vestara. Tatsache war, dass sie und Lady Rhea jede Menge über dieses Problem nachgedacht hatten und trotzdem nicht dahintergekommen waren, warum Abeloth das Risiko eingehen sollte, ihre ganzen Sith-Spielzeuge im Austausch für zwei mickrige Jedi zu verlieren. Es gab bloß einen einzigen Grund, der diesbezüglich zumindest ein bisschen Sinn ergab -und Vestara war nicht gewillt, den zu glauben. »Vielleicht denkt Abeloth, dass sie stärker als wir sind und länger überleben können?«

»Ja, genau«, spottete Ahri. »Zwei Jedi sind stärker als fünfzehn Sith. Das ist.«

Seine Stimme wurde von einer Explosion statischen Verbindungsrauschens überlagert. Eine Sekunde lang hoffte Vestara, dass es Xal war. der ihnen befahl, still zu sein. Weil Ahris Fragen dann vielleicht nicht das waren, was sie fürchtete, dass es sie waren: der Eröffnungsschachzug irgendeines hinterhältigen Verrats von Xal.

Als sich das Rauschen legte, war es jedoch Lady Rheas Stimme, die Vestara hörte. »Sie kommen in eure Richtung«, meldete sie. »Seid vor.«

Die Übertragung wurde von einer Eruption von Detonationsrauschen unterbrochen, und das Deck bockte so heftig, dass Vestara glaubte, die Raumstation sei dabei auseinanderzubrechen.

». sind sehr gut«, brachte Lady Rhea den Satz zu Ende.

»Bestätigt«, sagte Vestara. »Und vielen Dank.«

Xals scharfe Stimme schnitt ihr das Wort ab: »Ruhe! Du hast deine Anweisungen!«

Vestara bestätigte die Zurechtweisung mit einem Kom-Klick. Xals Tonfall - und ihre eigene Intuition - verrieten ihr, dass Lady Rhea vollkommen recht gehabt hatte, was den Verrat des Meisters anging. Sie nahm zwei spezielle Granaten von ihrem Ausrüstungsgeschirr und zog die Sicherheitsstifte, dann kauerte sie sich bei dem Schott nieder, spähte durch den Spalt, den sie offen gelassen hatte, und wartete darauf, dass die Skywalkers auftauchten. Sie brauchte keinen Kom-Kontakt zu Baad Walusari aufzunehmen, um zu wissen, dass die Granaten in seinen Händen mit ihren identisch waren. Lady Rhea hatte ihnen beiden deutlich gemacht, dass sie keinerlei Risiken eingehen sollten und dass sie zuerst die Spezialgranaten einsetzen sollten, wenn sie bei Xal auch nur den geringsten Hauch von Verrat witterten.

Einige Atemzüge später öffnete sich eine Luke, etwa ein Drittel des Weges rings um den Kreis. Zwei dunkle Gestalten schossen in die Kammer und benutzten die Macht, um sich in Richtung der sonderbaren, membranartigen Luftschleuse im oberen Teil der Kammer hochzukatapultieren. Die Visiere ihrer Helme waren geschlossen, sodass es unmöglich war, mit Gewissheit zu sagen, ob dies tatsächlich Luke und Ben Skywalker waren, deren Gesichter sie bei Trainingsbesprechungen so viele Male gesehen hatte. Allerdings trugen die beiden dieselben eng anliegenden Jedi-Schutzanzüge, die sie bei diesen Besprechungen gesehen hatte, und hielten sowohl Lichtschwerter als auch Blaster in den Händen. »Narren!«, zischte Xal über Kom.

Vestara musste ihm zustimmen. Sie bewegten sich schnell, was immer gescheit war, wenn man den Ort eines potenziellen Hinterhalts durchquerte. Jedoch standen Machtnutzern so viele andere Möglichkeiten zur Verfügung, dass es für die Art von Risiken, die sie eingingen, keine Entschuldigung gab -abgesehen vielleicht von Überheblichkeit. Womöglich waren die Skywalkers einfach so daran gewöhnt, als Einzige den Vorteil der Macht zu haben, dass sie sich nicht mehr die Mühe machten, auch nur die grundlegendsten taktischen Vorsichtsmaßnahmen walten zu lassen. Falls diese beiden das Beste waren, was die Jedi zu bieten hatten, verdienten die Jedi das, was ihnen widerfahren würde, wenn der Stamm mit seiner Expansion begann.

Die Skywalkers hatten ungefähr zwei Drittel des Weges zu der Membran hinter sich gebracht - weit genug weg, dass sie nicht sehen würden, wie die Luken hinter ihnen aufschwangen -, als Xal den Befehl gab.

»Jetzt!«

Vestara öffnete ihr Schott und schickte die beiden Spezialgranaten. die sie ausgewählt hatte, zu den Skywalkers hinauf. Als sie sich anschickte, das Schott zuzuziehen, um sich selbst zu schützen, sah sie, dass Baad Walusaris Granaten ihre

Flugbahn änderten, umdrehten und zu seinem Versteck zurückflogen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen. In der nächsten Nanosekunde erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf Ahri, der in ihre Richtung sah. Ihre eigenen Granaten änderten den Kurs und segelten in den Korridor, in dem sie sich befand, und das Letzte, was sie sah - unmittelbar, bevor sie das Schott schloss -, war Ahri. der seine Granaten zu den Skywalkers emporschleuderte.

Vestara fiel auf ihre Knie. Ihr Magen zog sich zusammen, und ihr wurde flau zumute, als sie verfolgte, wie die Spezialgranaten - die ohne Zünder - harmlos den Korridor hinunterkullerten. Da Lady Rhea vorhergesehen hatte, dass Xal versuchen würde, Vestara und Baad mit ihren eigenen Granaten zu töten, hatte sie sie beide mit zwei harmlosen Granaten ausgestattet, die sie zuerst werfen sollten. Jetzt, wo der Beweis für die Klugheit ihrer Meisterin hinter ihr über den Boden rollte, war Vestara gleichermaßen von Wut wie von Enttäuschung erfüllt. Es war nicht Ahris Verrat, der sie verzagen ließ. Sie standen auf gegensätzlichen Seiten eines Konflikts, sodass das etwas war, womit man rechnen konnte -ja, sogar etwas, das man respektieren konnte. Vielmehr war es die Dummheit daran, die sie unerträglich fand. Glaubte Ahri allen Ernstes, dass Abeloth die Absicht hatte, Xal zurück nach Kesh zu begleiten, mit Schiff und den Skywalkers als Trophäen? Oder war er bloß ein solcher Feigling, dass er eher bereit war, auf Abeloths Planet zu sterben, als seinen Meister zu verraten und eine Abmachung mit Lady Rhea zu treffen?

Draußen in der Kammer ertönte der schwache Knall zweier Betäubungsgranaten, und Vestara wusste, dass die Zeit gekommen war. Ahri von seiner Misere zu erlösen. Sie zog zwei weitere Granaten von ihrem Ausrüstungsgeschirr - beides

Splittergranaten, beide vollkommen tödlich. Dann kehrte sie zur Luke zurück und stieß sie einen Spalt weit auf.

Es war bloß ein Skywalker zu sehen: er schwebte weiter oben, in der Nähe der sonderbaren Membran. Einen Moment lang glaubte Vestara, Xal und Ahri hätten nicht bloß ihr doppeltes Spiel mit ihnen getrieben, sondern auch den Hinterhalt selbst vermasselt. Sie wappnete sich, die Flucht von einem der Skywalkers zu melden, zog die Sicherheitsbolzen der zwei Splittergranaten ab und wartete, während Xal und Ahri aus ihren Verstecken hervorkamen und bereits die Elektrofesseln aufschnappen ließen, mit denen sie ihren Gefangenen dingfest zu machen beabsichtigten.

Gleichwohl, anstatt sich dem künftigen Gefangenen gemeinsam zu nähern, drehte Xal ab und kam in Vestaras Richtung. Sie befürchtete bereits, dass er ihr Überleben gespürt hatte - dann bemerkte sie, dass sein Blick auf die Wand unmittelbar über ihrer Luke gerichtet war. Ihr wurde klar, dass die Betäubungsgranaten einen der Skywalkers auf sie hatten zutreiben lassen.

Vestara entschied, dass sie sich das Recht auf ein wenig egoistische Nachsicht verdient hatte, und nutzte die Macht, um den Shikkar aus ihrem Gürtel zu ziehen. Der schmale Glasdolch, der auf Kesh ebenso sehr als Kunstwerk wie als Waffe geschätzt wurde, war so entworfen, dass die Klinge im Körper des Gegners abbrach, um ihn mit so viel Schmerzen wie nur möglich zu töten. Sie ließ den Dolch geradewegs auf Xals Unterleib zufliegen.

Der Angriff traf Xal vollkommen unvorbereitet. Die Klinge bohrte sich volle zehn Zentimeter in seine Magengrube und sank bis zum Griffschutz in Xals Leib. Wieder setzte Vestara die Macht ein, brach das Heft ab und ließ die Glasklinge in seinem

Körper vergraben zurück.

Hätte Xal seinem Schüler die Gefälligkeit erwiesen, lautlos zu sterben, wäre Vestara womöglich imstande gewesen, ihren Freund Ahri zu retten. Doch sein Meister schrie seine Überraschung und Qualen genau so heraus, wie man es von einem Feigling wie ihm erwartete. Und das lenkte Ahris Aufmerksamkeit von dem bewusstlosen Skywalker ab, dem er gerade Fesseln anlegen wollte.

In der nächsten Sekunde erwachte zischend ein Lichtschwert zum Leben, und Ahri wurde sein Rückgrat entlang entzweigeteilt.

Vestaras Verblüffung währte bloß einen Herzschlag lang, bevor ihr bewusst wurde, dass die Skywalkers dem Betäubungsgranatenangriff gänzlich entkommen waren. Selbst dann war sie immer noch einen Herzschlag langsamer als Baad Walusari, dessen langer Arm hinter seiner Luke hervorschoss, zwei scharfe Splittergranaten mit einer Hand umklammert.

Der Skywalker neben Ahri streckte bereits die freie Hand in Walusaris Richtung aus. Sobald sich die Hand des Keshiri öffnete, flogen die Granaten in den Korridor zurück und verschwanden außer Sicht. Ein halbes Keuchen später krachte die Luke gegen Walusaris Arm und knickte ihn in einer Art ab, in der von Natur aus kein Arm gebeugt werden sollte.

Für Vestara war es bereits zu spät, noch aus Walusaris Fehler zu lernen. Obwohl sie es vermied, ihre Granaten loszulassen, schnellte ein dunkler Handschuh hernieder. Die Hand darin packte ihr Handgelenk und riss sie aus ihrem Versteck. Eine zweite schnappte ihr die Granaten aus der Hand und warf sie in den Korridor hinter ihr. Dann schrammte das Schott an ihr entlang und schloss sich, während sie nach oben in ein geöffnetes Visier blickte, hinter dem sie die blassblauen

Augen von Luke Skywalker ausmachte.

Er schob rasch ihr Visier hoch, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. Dann packte er ihre freie Hand mit der seinen.

»Du sollest wissen«, sagte er auf Basic, »dass Betäubungsgranaten Jedi nichts anhaben können.«

»Narr!«, entgegnete sie auf Keshiri.

Selbst mit zwei festgehaltenen Händen war Vestara alles andere als hilflos. Sie setzte die Macht ein, um ihr Parang aus der Scheide zu ziehen, und ließ die Klinge nach oben zischen, auf Lukes Gesicht zu.

Skywalker reagierte unglaublich flink und warf den Kopf seitlich zurück. Doch selbst ein Jedi-Großmeister war der Schnelligkeit der Dunklen Seite nicht gewachsen. Die Klinge traf ihn an Wange und Nase, und fügte ihm eine tiefe Wunde zu, aus der Vestara heißes Blut ins Gesicht spritzte, das wie Säure brannte.

Skywalker ließ ihre Hand los. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf vier große, schwarz behandschuhte Fingerknöchel, die durch ihr offenes Visier donnerten, und als sie ihr Ziel trafen, versank alles in Dunkelheit.