8.
Im Weltraum voraus schwebte eine ferne Ansammlung feuriger Wirbel, jeder etwa so groß wie ein Fingerring, die jedoch rasch größer wurden, als die Ewiger Kreuzfahrer näher kam. Da die Ränder jedes Wirbels die des nächsten daneben gerade so berührten, war die Ansammlung zu dicht, um natürlichen Ursprungs zu sein. Gleichwohl, mit einem Durchmesser von mehr als einer Milliarde Kilometern war sie zu gewaltig, um etwas anderes zu sein als natürlichen Ursprungs. Um die Mitte der sonderbaren Formation herum verlief eine Linie größerer, hellerer Wirbel, die an einen Gürtel um einen dicken Bauch erinnerte. Im Zentrum dieses Gürtels hingen zwei Wirbel dicht beieinander, durch die charakteristisch gekrümmten Akkretionslinien eines dichten binären Systems miteinander verbunden.
Das Binäre war das einzig Unvollkommene in der gleichmäßigen Formation. Die Wirbel hatten sich von ihrer ursprünglichen Position entfernt und schienen Gefahr zu laufen, in mehrere ihrer Nachbarn zu krachen. Auf der anderen Seite der drohenden Kollision hatte sich zwischen dem Zwillingswirbel und den angrenzenden Wirbeln eine kleine Sichel der Dunkelheit gebildet, und durch diese Sichel, tief im Innern einer leeren Hülle der Finsternis vergraben, konnte Vestara Khai das glühende blaue Kunkeln eines fernen Sterns ausmachen.
Lady Olaris Rhea. Vestaras Meisterin, wies auf die dunkle Sichel. »Dort!«
Lady Rhea, eine blasse, blonde Frau mit mattblauen Augen, war von majestätischer, anmutiger Gestalt und einer strengen
Schönheit, die gleichermaßen imposant wie bemerkenswert war. Ihr Verhalten neigte dazu, zwischen selbstbewusst und arrogant zu schwanken - nicht, dass es sie scherte, was Vestara oder irgendjemand sonst über sie dachte. Sie gehörte zu den Sith-Lords von Kesh. und es waren die anderen, die sich darüber Gedanken machen mussten, was sie von ihnen hielt.
»Siehst du es?«, wollte sie wissen. »Dorthin muss Schiff geflogen sein.«
»Ja, Lady Rhea. Ich werde sehen, ob er jetzt dort ist.«
Vestara sagte nicht, dass sie versuchen würde, Schiff zu lokalisieren; noch erkundigte sie sich danach, ob sie das überhaupt tun sollte. Sith-Schüler unternahmen keine Versuche, und sie baten nicht um Erlaubnis, bevor sie handelten. Man erwartete von ihnen zu wissen, was ihre Meister von ihnen wollten, und es dann einfach taten. Falls sie in dieser Hinsicht einmal versagten, mussten sie dafür leiden. Falls sie zu häufig versagten, fand ihr Leid ein Ende -dauerhaft.
Vestara konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die dunkle Sichel, streckte ihre Machtsinne aus und nahm eine düstere, rastlose Präsenz wahr, die sie unverzüglich als Schiff identifizierte. Er schien überrascht, ihre mentale Berührung zu spüren, doch dieses Mal zuckte er nicht vor ihr zurück. Fr gestattete ihr einfach, den Kontakt aufrechtzuerhalten und seine Freude zu spüren, als wäre er der Reichweite des Vergessenen Stamms entkommen und würde nicht länger fürchten, nach Kesh zurückgebracht zu werden.
Und vielleicht traf das sogar zu. Tief im Innern der Kluft voraus gewahrte Vestara eine weitere Präsenz. Sogar noch älter und fremdartiger als Schiff selbst, war diese neue Präsenz vom Hunger und Verlangen der Dunklen Seite erfüllt - und
mächtig über jede Vorstellungskraft hinaus. Obgleich Schiff tatsächlich noch nie über so große Entfernungen hinweg zu ihr gesprochen hatte, konnte sie den Wunsch fühlen, seine Verbindung zu dieser sonderbaren Präsenz zu verstehen. Schiff war ein Geschöpf, das zum Dienen geschaffen worden war. Wenn ein Wesen mit starkem Willen ihm Befehle erteilte, wurde es ihm zum größten Vergnügen zu gehorchen - zu seinem einzigen Vergnügen. Schiff konnte ebenso wenig ungehorsam sein, wie Vestara zu atmen aufhören konnte.
Vestara verstand, was los war. Sie hatte gespürt, wie die uralte Präsenz ihre Machtsinne nach Kesh ausgestreckt hatte, so, wie Schiffes gespürt hatte - so, wie der gesamte Stamm es gespürt hatte. Aber Schiff hätte darauf warten sollen, dass Lord Vol ihm einen Piloten zuwies, bevor er abflog. Die Sith hatten Schiff geschaffen, und seine Loyalität galt den Sith. Aus diesem Grund würde Schiff zur Kreuzfahrer zurückkehren und Vestara als seine Pilotin akzeptieren, und dann würden sie ihre Mission alle gemeinsam fortsetzen.
Schiffs Vergnügen war unmissverständlich. Er besaß eine besondere Beziehung zu Vestara. Sie war die erste Tyro gewesen, auf die er daheim auf Kesh gestoßen war, und ihre Präsenz hatte für ihn stets heller gebrannt als die von anderen. Aber glaubte sie allen Ernstes, dass sie stark genug war, um Schiff jetzt zu befehligen? War sie wirklich töricht genug zu glauben, sie wäre einem Wesen in puncto Willenskraft ebenbürtig, das so alt und finster war wie der Schlund selbst?
Dann war Schiffs Präsenz fort.
Vestara schaute weiterhin zu dem dunklen Halbmond hinaus, während sie ihren Unmut mit einem Trick beruhigte, den sie von ihrem Vater gelernt hatte: mit einem verdammenden Fluch, gefolgt von dem Versprechen an sich
selbst, dass sie nicht auf Vergeltung verzichtete, sondern ihrem Zorn bloß Zeit gab, um zu wachsen. Indem Schiff erneut die Flucht ergriff, brachte er sie ihrer Meisterin Lady Rhea gegenüber in eine heikle Lage - in eine, die Versagen gefährlich nahe kam.
Natürlich rührte ein Teil von Vestaras Groll von dem Wissen her, dass sie ihre Fähigkeiten überschätzt hatte. Sie hatte gehofft. Lady Rhea und die anderen Sith damit zu beeindrucken, dass sie Schiff befahl, zur Kreuzfahrer zurückzukehren. Doch sie hatte irrtümlicherweise geglaubt, es mit der uralten Präsenz aufnehmen zu können, die auf Kesh ihre Machtsinne nach ihnen ausgestreckt hatte - und Vestara gestattete sich nicht, Fehler zu machen. Fehler brachten Schüler um. Schlimmer noch, sie verhinderten, dass Sith-Schüler zu Sith-Schwertern aufstiegen.
Nach einem Moment sagte Lady Rhea: »Du hast es wieder verloren.« Das war eine Feststellung, keine Frage, und in ihrer Stimme lag Enttäuschung. »Schiff spielt weiterhin mit dir.«
Vestara schüttelte rasch den Kopf. Sie mochte es nicht, ihre Meisterin zu enttäuschen - insbesondere dann nicht, wenn der Grund dafür war, dass sie einen Fehler gemacht hatte -, und dieses Mal gab es ihrer Ansicht nach auch keinen Anlass dafür.
»Schiff fliegt. nun, dort hinein.« Sie deutete zur dunklen Sichel. »Da hindurch.«
Lady Rhea hob eine dünne Augenbraue. »Und woher weißt du das?«
»Ich spüre es«, erklärte Vestara. »Was auch immer Schiff wem Kesh fortgerufen hat, verbirgt sich dort drinnen.«
Lady Rhea kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und musterte das halbmondförmige Dunkel einen Moment lang, ehe sie sagte: »Schiff hat dir gestattet, es zu finden.«
»So fühlt es sich an«, bestätigte Vestara. Sie hätte es nicht gewagt, Lady Rhea zu widersprechen, selbst wenn dem nicht so gewesen wäre. »Ich sehe keinen anderen Grund, warum ich imstande sein sollte, ihn wahrzunehmen, wenn Lords und Meister es nicht können.«
»Sofern Vestara es überhaupt wahrhaftig spürt.«
Die Bemerkung kam von Lady Rheas anderer Seite, wo auch Meister Yuvar Xal an der Kommandobrüstung stand. Mit den grünen, tief sitzenden Augen und dem schwarzen Haar, das bis auf seinen Kragen herabhing, waren Xals Gesichtszüge eine Winzigkeit zu scharf geschnitten, um tatsächlich als attraktiv gelten zu können - ein Makel, der zweifellos Anteil an seinem nur langsamen Aufstieg auf dem schönheitsbewussten Kesh trug.
»Ich finde es, ahm, interessant«, fuhr Xal fort, »dass sich Schiff dazu entschließt, sich bloß durch eine Schülerin zu erkennen zu geben.«
Lady Rhea wandte sich ihm zu und blickte ihn finster an. »Meister Xal, wollt Ihr damit andeuten, dass meine Schülerin uns hier nur zum Spaß hergeführt hat?«
»Nicht im Geringsten, Lady Rhea«, entgegnete Xal. »Ich bin lediglich besorgt, dass sie das, was sie in der Macht wahrnimmt, womöglich falsch gedeutet hat.«
Vestara warf einen Blick hinter Lady Rhea und sah, dass Xals Schüler, Ahri Raas, zu ihr schaute. Ahri, ein Keshiri, war genauso wunderschön wie die meisten Angehörigen seiner Spezies, mit blasslila Haut, schulterlangem, weißem Haar und großen, ausdrucksstarken Augen - mit denen er jetzt rollte, um seine überdrüssige Ungeduld zu zeigen.
Vestara schenkte ihm ein schwaches Lächeln und nickte. Man hatte Xal dem Sith-Schiff Ewiger Kreuzfahrer als Lady
Rheas Ersten Offizier zugewiesen. Den Traditionen des Stammes zufolge hieß das, dass er damit überdies zu ihrem Hauptkonkurrenten um die Befehlsgewalt über das Schiff geworden war. Aller Voraussicht nach würde die Auseinandersetzung auf die Art und Weise ausgetragen werden wie jetzt, auf einer Ebene konstanter Anspielungen und politischer Winkelzüge. Allerdings bestand jederzeit die Möglichkeit, dass es zu Gewalttätigkeiten kam, und das war etwas, worüber Vestara nicht nachzudenken versuchte. Falls es zu einem schiffsweiten Blutvergießen kam. würden sie und Ahri auf verfeindeten Seiten stehen, und das Letzte, woran sie denken wollte, war, ihren besten Freund töten zu müssen.
Zu Vestaras Überraschung entschied Lady Rhea, die Angelegenheit auf ihrem Rücken auszutragen, anstatt Xal weiterhin direkt die Stirn zu bieten. »Was denkst du. Vestara? Sind wir Schiff gefolgt oder irgendeinem Hirngespinst deiner Fantasie?«
Vestara, die Lady Rheas Aufforderung verstand, beugte sich ein wenig vor und sah Xal fest in die Augen. Für einen gewöhnlichen Schüler war es ein schrecklicher Affront, einem Meister auf diese Weise entgegenzutreten. Und dieser Affront würde der gesamten Mannschaft zeigen, dass Lady Rheas Macht so gewaltig war, dass nicht einmal ihre Schützlinge davor zurückschreckten, Xal die Stirn zu bieten.
»Ich kenne Schiffs Präsenz so gut wie jeder andere«, sagte Vestara. »Und was ich wahrnehme, ist Schiff.«
Xals Augen blitzten smaragdgrün vor Zorn, und auf der bereits ruhigen Brücke wurde es vollkommen still, als schockierte Schwerter auf seine Reaktion warteten. Vestara war sich ziemlich sicher, dass diese Reaktion in einem Machtstich durch ihr Herz bestanden hätte, wenn Lady Rhea nicht dort gestanden hätte. Allerdings konnte Xal sie nicht in aller Öffentlichkeit attackieren, ohne dass die Tat als Angriff auf Lady Rhea persönlich aufgefasst würde, und es war kaum denkbar, dass er sich bereits eine derartige Unterstützung gesichert hatte, die er für solch ein Unterfangen gebraucht hätte. Die Unzulänglichkeiten seines Äußeren ließen schlichtweg nicht zu, dass er so schnell vorankam.
Die beste Reaktion in einer derartigen Situation wäre gewesen, von ihrer Meisterin zu verlangen, sie zu maßregeln. Doch Xal versuchte immer noch, Vestara mit seiner finsteren Miene dazu zu bringen, sich zu entschuldigen, als Lady Rhea ihn dieser Möglichkeit beraubte.
»Ich habe vollstes Vertrauen in die Schärfe deiner Machtsinne, Vestara«, sagte Lady Rhea. »Aber ich frage mich, ob du je darüber nachgedacht hast, warum Schiff zugelassen hat, dass wir es finden?«
»Das habe ich«, antwortete Vestara, die aufgrund der Art und Weise, wie Lady Rhea die Frage formuliert hatte, zu wissen glaubte, was ihrer Meisterin durch den Kopf ging. »Aber ich glaube nicht, dass Schiff uns in eine Falle lockt - zumindest nicht absichtlich. Ich glaube, er will einfach bloß, dass wir verstehen, warum er Kesh verlassen hat.«
Lady Rhea zögerte und schaute zu Xal hinüber. »Meister Xal, wie lautet Eure Meinung hierzu?«
»Wer bin ich, das Wort Eurer Schülerin infrage zu stellen, Lady Rhea?« Xals abfällige Erwiderung war eine nicht sonderlich subtile Ablehnung des eleganten Waffenstillstands, den Lady Rhea ihm gerade anbot. »Wenn das Mädchen denkt, eine besondere Verbindung zu Schiff zu haben, und wenn Ihr bereit seid, ihr zu glauben, wer bin ich dann, dass es mir zustünde. Eure Anweisungen infrage zu stellen?«
»Ich verstehe«, entgegnete Lady Rhea.
Unterm Strich hatte Xal ihr damit zu verstehen gegeben. dass er die Absicht hatte, sieh ihren Fehler zunutze zu machen, um das Kommando über die Ewiger Kreuzfahrer an sich zu reißen, wenn es sich als falsch erwies, dass sie auf Vestara vertraute. Das war ein schlimmer Patzer. Er ließ sich aus dem Zorn heraus zu einem Seitenhieb verleiten, und sein armseliges Urteilsvermögen würde ihm bei der Mannschaft einen schweren Stand einbringen. Jetzt bestand seine einzige Möglichkeit, sich wieder in eine Position zu bringen, in der er Lady Rhea herausfordern konnte, darin, Vestara auf eine Art und Weise zu töten, die nicht zu ihm zurückverfolgt werden konnte - und mit seinen Worten tat er im Grunde die Absicht kund, genau das zu tun.
Lady Rhea bedachte ihn mit einem enttäuschten Kopfschütteln, ehe sie sagte: »Ich werde Euch sagen, was ich denke.« Sie machte sich nicht einmal die Mühe, Xal anzusehen, während sie sprach; stattdessen wandte sie sich geradewegs an die Brückenbesatzung. »Ich denke. Schiff gestattet bloß Vestara, es zu finden, weil sie jung ist. Jemand Älteres hätte womöglich einen stärkeren Willen - einen Willen, der machtvoll genug ist, um es zur Rückkehr zu zwingen.«
Ein verstohlenes, zustimmendes Murmeln ging über die Brücke, und mehrere Besatzungsmitglieder nickten offen. Sie waren alle Sith-Schwerter, größtenteils Menschen, die von der gestrandeten Mannschaft der ursprünglichen Omen abstammten. Allerdings war da außerdem eine beträchtliche Zahl lilahäutiger Keshiri. die sich - wie Vestaras Freund Ahri -von einem sozial benachteiligten Status hochgearbeitet hatten, um zu vollwertigen Angehörigen des Sith-Stamms zu werden. Obwohl es an Bord der Kreuzfahrer keine separate
Offiziersklasse gab, hatten die drei wichtigsten Positionen auf der Brücke allesamt Keshiri-Schwerter inne, da auf dem Schiff - wie in sämtlichen Hierarchien des Stammes - eine strikte Meritokratie herrschte, was bedeutete, dass verantwortungsvolle Posten ausschließlich aufgrund der Leistung der zur Verfügung stehenden Anwärter vergeben wurden.
»Wenn Schiff nicht will, dass man es zur Rückkehr zwingt«, fragte ein Keshiri mit wohlklingender Stimme, »warum wollte es dann zulassen, dass irgendjemand es findet?«
Vestaras Köpf ruckte herum.
»Ich meine, wenn es sich vor Euch verstecken kann«, fuhr Ahri fort, »kann es sich auch vor Vestara verbergen.«
Er warf ihr einen verängstigten Blick zu. und Vestara schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Es war nicht Ahri, der gegen Lady Rhea aufbegehrte, es war Xal, der versuchte, seinen Schüler dazu zu benutzen, sie in Verlegenheit zu bringen. Falls sie sich entschied. Ahri selbst zu bestrafen, war Xal nicht stark genug, um seinen Schüler zu beschützen, und der Rest der Mannschaft würde dieses Versagen als weiteres Zeichen für seine Schwäche werten - was selbstverständlich der Grund dafür war, dass Lady Rhea Ahri mit ziemlicher Sicherheit töten würde.
Lady Rhea musste allerdings eine Falle gewittert haben, die Vestara verborgen geblieben war, denn anstatt Ahri dafür zu bestrafen, dass er ihr die Stirn bot, drehte sie sich um und lächelte ihn an.
»Sehr gut, Schüler Raas«, sagte sie.
Vestara zuckte innerlich zusammen. Der arme Ahri; jetzt würde Xal ihn mit Sicherheit züchtigen.
Lady Rhea fuhr fort: »Es freut mich, dass zumindest einer von euch an etwas anderes denkt als daran, mir das Kommando abspenstig zu machen.«
»Ach, tut es das?«, fragte Ahri.
»Gewiss. Sag mir. was glaubst du, warum Schiff solche Anstrengungen unternimmt, dass wir ihm folgen können?« Lady Rhea warf Xal einen verächtlichen Blick zu. »Was glaubst du. warum es diesen Ort ausgewählt haben könnte, um sich wieder von uns finden zu lassen?«
Ahri schluckte, dann sagte er: »Weil Vestara sich irrt«, meinte er. »Es lockt uns sehr wohl in eine Falle.«
»Präzise«, entgegnete Lady Rhea. »Und kennst du auch den Grund?«
Ahri verfiel in nachdenkliches Schweigen, offensichtlich bemüht, sich über dieselbe Frage klar zu werden, die Vestara beschäftigte. Falls Schiff das war, was die Aufzeichnungen an Bord der Omen nahelegten, war er ein Diener der uralten Sith. Und alles, was er getan hatte, seit er den Stamm gefunden hatte - selbst die Tatsache, dass er Nachforschungen über die Schlacht von Kirrek angestellt und sich die Mühe gemacht hatte, sie aufzuspüren -, bekräftigte zweifellos diese Annahme. Also, warum sollte Schiff die Ewiger Kreuzfahrer dann in eine Falle locken? Dafür gab es schlichtweg keine vernünftige Erklärung.
Einen Moment später gelangte Ahri zur selben Schlussfolgerung. »Es tut mir leid, Lady Rhea.« Seine Stimme zitterte, als rechne er damit, geschlagen zu werden. »Ich habe keine Ahnung.«
»Nein?« Ein amüsiertes Lächeln trat in Lady Rheas Züge. »Schade. Ich hatte gehofft, dass es irgendjemand weiß.«
Schweigen senkte sich über die Brücke, als die Sith nervöse Blicke austauschten, auf der Suche nach jemandem, der die
Antwort auf Lady Rheas Frage wusste.
Lady Rhea ließ die Anspannung noch einen Moment ansteigen, dann schüttelte sie verzagt den Kopf. »Lacht, Leute!«, befahl sie. »Das war ein Scherz.«
Eine Woge des Gelächters - umso heftiger angesichts der Anspannung, die sich damit löste - rollte über die Brücke. Lady Rhea wartete, bis das Lachen nachließ und die ganze Besorgnis der Mannschaft davon hinfortgespült worden war, damit sie wieder mit optimaler Effizienz arbeiten konnte, ehe sie schließlieh die Hand hob. um für Ruhe zu sorgen.
»Ganz im Ernst, ich habe keine Ahnung, was Schiff hier macht«, sagte sie. »Aber Ich glaube, dass Vestara recht hat, und Lord Vol hat uns befohlen, Schiff zurück nach Kesh zu bringen. Also alle Mann auf Gefechtsstation, und bleibt wachsam! Wir fliegen rein.«
Die Brücke erwachte schlagartig wieder zum Leben, und der winzige Halbmond voraus schwoll rasch zu einem riesigen, sichelförmigen Abgrund an. Als sie näher kamen, hellte sich das blaue Glühen darin zu einem blauen Punkt auf, und die dunkle Präsenz, die Vestara zuvor gespürt hatte, wurde zunehmend ausgeprägter und mächtiger. Einen Moment lang fragte sie sich, ob es sich bei dieser Präsenz womöglich um Schiff handelte, der mit ihr spielte und bloß vorgab, etwas anderes zu sein. Dann bemerkte sie den Ausdruck auf den Gesichtern der Besatzungsmitglieder, und ihr wurde klar, dass sie nicht die Einzige war, mit der gespielt wurde, wenn das stimmte. Einige ihrer Sith-Gefährten schauten besorgt drein, andere wirkten verwirrt, und zwei Keshiri sahen sogar verzückt aus. Allerdings zeigte keiner irgendeinen Hinweis darauf, dass sie die Präsenz erkannten, die sie fühlten.
Vestara schaute zu Lady Rhea hinüber und stellte fest, dass sie konzentriert die Stirn runzelte. Der Blick ihrer Meisterin war jedoch nicht auf die dunkle Sichel fixiert, in die die Kreuzfahrer flog. Stattdessen waren Lady Rheas Augen auf die beiden Schwarzen Löcher gerichtet, die in dem Binärsystem umeinander rotierten. Ihre Miene war argwöhnisch und wachsam, wenn auch nicht ganz feindselig, und Vestara war sich sicher, dass ihre Meisterin dort irgendetwas wahrnahm -etwas, das sie selbst nicht bemerkt hatte.
Vestara verlagerte ihr Machtbewusstsein in Richtung des Binärsystems und streifte eine dritte Präsenz. Sie war gewaltig und diffus, dunkel und einladend, aber mit ein paar strahlenden Keimen, die sich in ihrer Intensität beinahe bedrohlich anfühlten. Irgendwie wirkten sie reiner als der Nebel, in dem sie schwebten, feste Knoten, die in einem Ozean aus Dunst trieben.
Dann wich alle Farbe aus Lady Rheas Antlitz, und sie stützte sich auf dem Brückengeländer ab; ihre Knöchel wurden weiß, als sie zudrückte.
»Lady Rhea?«, fragte Vestara. »Was ist los?«
Lady Rhea starrte weiterhin zum Binärsystem hinaus. »Ich bin mir nicht sicher. Es hat sich angefühlt wie.« Sie ließ ihren Satz unvollendet, dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist schwer zu sagen. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte eine Präsenz erkannt.«
»Was für eine Präsenz glaubt Ihr, erkannt zu haben, Lady Rhea?«, fragte Xal. »Falls Ahri recht damit hat, dass es sich hierbei um eine Falle handelt.«
»Das ändert nichts«, unterbrach Lady Rhea ihn. »Wir haben unseren Auftrag.«
»Bloß, wenn wir wissen, dass Schiff dort drin ist«, erinnerte Xal sie. »Lord Vol sagte nichts davon, unsere Leben bei der
Jagd auf Hirngespinste wegzuwerfen.«
Die wachsende Besorgnis der Mannschaft ließ die Macht aufwallen, und Vestara wusste, dass Lady Rhea einen seltenen Fehler gemacht hatte, indem sie zugab, dass Schiff sie möglicherweise tatsächlich in eine Falle lockte. Jeder an Bord konnte die sonderbare Präsenz wahrnehmen, die voraus lauerte, und sie war sicher, dass nicht wenige von ihnen auch die kleinere Präsenz nahe der Zwillingslöcher gespürt hatten. Womöglich genügte ein überzeugendes Argument von Xal, um die Crew an Lady Rheas Urteilsvermögen zweifeln zu lassen. Und wenn Sith das Urteilsvermögen eines Anführers anzuzweifeln begannen, dauerte es selten lange, bis sie sich einen neuen suchten.
Vestara wusste, dass Lady Rhea stark genug war. um die Befehlsgewalt zu behalten, bis die Kreuzfahrer drinnen war. Aber falls sie Schiff nicht schnell fänden oder auf Schwierigkeiten stießen, bevor es so weit war, befand sich Xal womöglich in einer Position, die stark genug war, ihre Autorität infrage zu stellen. Und falls er damit Erfolg hatte? Dann würde es keinen Zweifel geben, welches Schicksal Vestara selbst blühte.
Sie richtete die Aufmerksamkeit auf den wachsenden Abgrund voraus, der jetzt praktisch alles war, was sie sehen konnte, wie ein breites Lächeln, das seitwärts im Weltraum hing und sich weit öffnete, um sie zu verschlingen und runterzuschlucken, während die winzige blaue Kugel einer fernen Sonne hell auf dem Grund ihres Magens brannte. Vestara streckte ihre Machtsinne nach Schiff 'aus, öffnete sich der Macht und flehte ihn an, auf ihren Ruf zu reagieren, sich nicht bloß ihr zu offenbaren, sondern ebenso dem Rest der Mannschaft.
Anstelle von Schiff spürte Vestara einen dunklen Tentakel des Verlangens, der in die Lücke glitt, die sie erzeugt hatte, kalt, einsam und voller Hunger nach ihr. Der Tentakel wollte sie dicht zu sich heranziehen und sie sicher behüten, sie vor Xal und ihren eifersüchtigen Rivalen auf Kesh beschützen, vor den Besatzungsmitgliedern, gegen die sie bei Überfällen auf Piraten kämpfte, und vor den Jedi, gegen die in die Schlacht zu ziehen sich der Stamm vorbereitete. Der Tentakel wollte, dass sie zu ihm in den Abgrund kam, um ihm in seinem uralten Versteck Gesellschaft zu leisten, wo Vestara in Sicherheit sein würde. auf ewig.
Erschrocken und verwirrt versuchte Vestara. ihr Bewusstsein fortzuziehen, ihre Machtsinne zu sich zurückzuholen und ihre Aufmerksamkeit wieder der Brücke der Kreuzfahrer zuzuwenden. Es war, als würde sie versuchen, sich von ihren eigenen Eingeweiden loszureißen. Das Ding war jetzt in ihr verwurzelt, zog sie beinahe körperlich auf sich zu - nein, nicht beinahe. Sie konnte tatsächlich spüren, wie es sie gegen das Geländer drückte, wie es die Macht nutzte, um sie tiefer in den Abgrund zu ziehen.
Dann ging vom Rest der Mannschaft ein kollektives Keuchen aus. und Vestara wusste, dass sie es ebenfalls fühlten.