21.


Aus den Tiefen der Grotte drang das Geräusch von Wasser, von einem einzelnen Tropfen, der in eine Pfütze tropfte. Eine Woche später ein weiteres Tropf. Dann verging ein Monat, bevor drei Tropfen in ebenso vielen Sekunden fielen. oder vielleicht waren es auch Jahre. Ohne seinen Körper hatte Luke keinen Pulsschlag, keinen Lebensrhythmus, der ihm dabei geholfen hätte, das Verstreichen von Sekunden, Tagen oder Jahrhunderten zu bemessen. Er war einfach - eine ewige, reine Präsenz, die draußen vor dem Höhleneingang stand und zuließ, dass der beißende Atem des Berges, der aus der Grotte drang, über ihn hinwegwehte.

Sie war dort drin, dieselbe vertraute Präsenz, die beim Quell der Kraft ihre Finger nach ihm ausgestreckt hatte. Luke konnte sie in der feuchtkalten Düsternis voraus fühlen, wie sie ihn hereinrief wie eine Geliebte, die sich nach seinem Besuch sehnte. Doch sie war hungrig und verzweifelt, ganz Hunger und Beharrlichkeit, und er sorgte sich, dass es bedeutete, von ihr verschlungen zu werden, wenn sie ihrem Ruf nachkam.

»Ihr habt dort drinnen nichts zu befürchten«, sagte Seek Ryontarr, der ehemalige Jedi, der ihm als Führer gedient hatte. Der Gotal trat zusammen mit Luke in die überwucherte Senke. trat zur Seite und blieb neben einer der schattenhaften Säulen stehen, die den Höhleneingang stützten, dann wies er mit einer Hand auf die schwelende Dunkelheit jenseits davon. »Geht hinein und nehmt einen Schluck!«

Luke schüttelte den Kopf. »Das. was ich da drinnen fühle, gefällt mir nicht.«

Ryontarrs Givin-Gefährte, Feryl, stieg in die Senke hinab und

blieb vor der gegenüberliegenden Säule stehen.

»Das liegt daran, dass Ihr das fürchtet, was in Eurem eigenen Herzen ist«, sagte er mit seiner rasselnden Stimme. »Es ist schwer, sich der Wahrheit über sich selbst zu stellen.« Der totenschädelartige Kopf des Givin drehte sich und blickte in die Finsternis. »Es gibt nicht viele, die den Mut haben hineinzugehen.«

»Aber Jacen hat es getan«, vermutete Luke.

»Das bedeutet nicht, dass Ihr es auch tun müsst«, meinte Ryontarr. »Sobald man eine Wahrheit erst einmal erfahren hat, kann man sie niemals wieder vergessen.«

Luke legte die Stirn in Falten. »Falls ihr versucht, mich dazu herauszufordern, da reinzugehen, wird das nicht funktionieren.«

Ryontarr lächelte. Sein breiter Mund ließ gerade so die Spitzen seiner scharfen Zähne sehen. »Nun, ich schätze, dann können wir gehen«, erwiderte er. »Wo möchtet Ihr gern als Nächstes hin?«

Das war ein Bluff, und Luke wusste es. Doch wie Han gern zu ihm sagte, war der beste Moment, um zu bluffen, wenn man wusste, dass der andere Kerl einen nicht dazu zwingen konnte, seine Karten aufzudecken. Und Luke konnte seine Karten nicht aufdecken - nicht, wenn er herausfinden wollte, was Jacen hier widerfahren war.

Das bedeutete allerdings genauso wenig, dass er blind dort hineingehen musste.

Luke ließ seinen Blick zu Feryls geisterhaftem Antlitz schweifen. »Das, was mir von dort drinnen entgegenschlägt, ist Verlangen - rohe, ungezügelte Begierde.« Er setzte ein schiefes Lächeln auf. »Und ich bin jetzt in einem After, in dem intensive Gefühle dieser Art immer weitaus eher willkommen

als beängstigend sind.«

Feryl legte verwundert den Kopf auf die Seite und sah Ryontarr an, dessen amüsiertes Stirnrunzeln darauf hindeutete, dass die Gotal zumindest diesen bestimmten Aspekt des menschlichen .Alterungsprozesses teilten.

Ryontarr senkte gedankenversunken den Blick und schien damit zufrieden, so lange über Lukes Erwiderung nachzudenken, wie sie sein Interesse fesselte. Natürlich ließ sich unmöglich sagen, wie lange das sein mochte, da sich jeder Augenblick wie eine Ewigkeit anfühlte und eine Ewigkeit bloß einen Moment zu währen schien. Doch während des langes Marschs vom Quell der Kraft hierher war Luke aufgefallen, dass seine Begleiter anfingen, sich in langsamerem, bedächtigerem Tempo zu bewegen, als würden sie jeden Schritt durch diese sonderbare Dschungelwelt genießen und seien entschlossen, sich darum zu kümmern, dass Luke das ebenfalls tat.

Wann immer Luke wissen wollte, wie viel Zeit für seinen Körper mittlerweile verstrichen war, hatte er dieselben Versicherungen zu hören bekommen: dass die Macht seinen Leib bewahren würde, solange er fort war, und dass er es wissen würde, wenn er irgendetwas brauchte. Auf dem Thema herumzureiten, machte die Sache nur schlimmer. Sie schlugen einfach vor, dass er zu seinem Körper zurückkehren solle, wenn er sich so sehr um ihn sorgte, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Außerdem merkten sie an, dass es den Aufenthalt der Skywalkers um mehrere Tage verlängern würde, wenn er diese Reise unternahm - das sei allerdings nicht weiter problematisch, versicherten sie ihm, da Zeit schließlich nichts anderes als eine Illusion sei.

Letzten Endes war Luke klar geworden, dass ihm kaum eine andere Wahl blieb, als weiterzumachen, bis sein Argwohn und das Gefühl drohender Gefahr zu stark wurden, um sie noch länger zu ignorieren, oder bis er erfahren hatte, weswegen er hergekommen war. Je mehr Zeit er mit Ryontarr und Feryl verbrachte, desto mehr wuchs seine Überzeugung, dass der Schlüssel zu Jacens Untergang irgendwo jenseits der Schatten verborgen lag - und dass es zweifellos angemessen war, einige Risiken auf sich zu nehmen, um dieses Geheimnis zu ergründen.

Schließlich sah Ryontarr ihn wieder an. »Vielleicht fürchtet Ihr nicht das, was Ihr fühlt, wie Ihr sagt. Vielleicht fürchtet Ihr die Ursache dessen, was Ihr fühlt.«

»So alt bin ich noch nicht«, meinte Luke. »Die Ursache für dieses Gefühl ist schlichtweg darin begründet, dass ich ein Mensch bin. Und ich habe bereits aufgehört, Angst vor natürlichem Verlangen zu haben, als ich noch Feuchtfarmer auf Tatooine war, als Jugendlicher.«

»Natürlich«, stimmte Ryontarr zu. »Aber Ihr seid auch ein Mensch, der vor nicht allzu langer Zeit seine Frau verlor.«

Luke runzelte die Stirn. »Du denkst, ich habe Angst davor, dass es Mara ist, die ich da drin wahrnehme?«

»Ist dem so?«, wollte Ryontarr wissen.

»Natürlich nicht.«

Luke wollte hinzufügen, dass er sofort in die Höhle gehen würde, wenn er glaubte, Mara dort wiedersehen zu können. Als er seine Aufmerksamkeit jedoch wieder dem Verlangen zuwandte, das aus der Grotte drang, der ungestümen, egoistischen Gier, die ihn hineinzuziehen versuchte, gab ihm das zu denken. Die Mara, die er kannte, wäre niemals so fordernd gewesen, wäre nie so egoistisch und verzweifelt gewesen. Allerdings war die Mara, die er kannte, tot - was auch immer das wirklich bedeutete. Und es lag zumindest im Bereich des Möglichen, dass das, was er jetzt nach sich greifen fühlte, irgendein sehnsüchtiger, primitiver Teil von ihr war, irgendein kindlicher Instinkt, der bloß Verlangen kannte, der lediglich wusste, was sie brauchte, ohne sich um die Bedürfnisse anderer zu scheren.

Aber wenn das alles war, was von seiner geliebten Mara übrig war, wollte er damit dann wirklich konfrontiert werden? Er sah zu Ryontarr hinüber, der mit der Geduld eines Baums auf Lukes Entscheidung zu warten schien.

»Ist Mara da drin?«, wollte Luke wissen. Er fragte sich allmählich, ob es sich bei diesem Ort um so eine Art spiritueller Vorhölle handelte, in der die Präsenzen der Toten gebrochen wurden, damit sie wieder in die Macht eingehen konnten. »Wollt ihr mir das damit sagen?«

Ryontarr breitete die Hände aus. »Wir sagen Euch nicht das Geringste«, erwiderte er. »Wir können Euch helfen, die Wahrheit zu finden, aber wir können Euch nicht sagen, wie sie aussieht, weil wir es nicht wissen.«

Luke war sicher, dass zumindest das stimmte. Wenn man die Frage einmal außer Acht ließ, ob er hier war, weil er tatsächlich tot war - oder im Sterben lag -, fiel ihm kein logischer Grund ein, warum die Geistwandler ein Wissen über das Jenseits besitzen sollten, das zutreffender war als das von unzähligen anderen Religionen in der Galaxis.

Nach einigen Sekunden - oder nach einigen Stunden - sagte Feryl: »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden, nicht wahr?«

Ryontarr nickte. »Geht hinein und seht selbst! Hinterher werdet Ihr froh darüber sein, dass Ihr es getan habt.«

Luke blieb weiterhin drei Schritte von der Höhle entfernt stehen. »So froh, wie ich gewesen wäre, wenn ich, sagen wir, vom Quell der Kraft getrunken hätte?«

»Das war ein Test«, sagte Ryontarr. Der Gotal neigte seine Hörner in Richtung der Dunkelheit. »Das hier ist ein Angebot.«

»Was wird mir hier denn angeboten?«, wollte Luke wissen.

»Das, weswegen Ihr hergekommen seid«, antwortete Feryl. »Badet in diesem Teich, und Ihr werdet die Antworten finden, die Ihr sucht.«

Luke hob eine Augenbraue. »In Bezug auf Jacen?«, fragte er. »Oder in Bezug auf Mara?«

»In Bezug auf alles, was Ihr wissen wollt«, entgegnete Ryontarr. »Dies ist der Teich des Wissens, in dem Ihr alles sehen werdet, was war, und alles, was kommt.«

»Das alles zu erfassen, ist ein bisschen viel für einen einzelnen Verstand, meint ihr nicht?« Luke fing an, ihre Falle zu erkennen - und auch, dass sie für einen geplagten jungen Jedi-Ritter auf einer galaktischen Suche nach Weisheit eine unwiderstehliche Versuchung dargestellt haben musste. »Habt ihr Jacen ebenfalls hierhergebracht?«

»Jacen musste nicht hergebracht werden«, erwiderte Ryontarr. »Aber er war hier, ja.«

»Seht selbst!«, drängte Feryl. »Ihr müsst nicht hineingehen, aber vielleicht erfahrt Ihr dann, was Ihr über Mara wissen müsst.«

»Und über Jacen.« Ryontarr streckte seine Hand in die Dunkelheit aus und fügte hinzu: »Wir wissen alle, dass Ihr im Grunde genommen keine Wahl habt, Meister Skywalker. Und Ihr seid derjenige, der ständig Fragen nach der Zeit stellt.«

In diesem Moment wusste Luke, dass er in eine Falle tappte. Bis jetzt hatten die beiden Geistwandler alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihn davon abzuhalten, sich wegen der

Zeit zu sorgen, ihm zu versichern, dass es keinen Grund gab, sich deswegen Gedanken zu machen. Doch jetzt waren sie hier und benutzten die Zeit als Druckmittel, um ihn zu einer gefährlichen Entscheidung zu drängen.

Offensichtlich rechneten sie nicht damit, dass er der Versuchung widerstehen würde, die sie ihm boten, was darauf hinwies, dass Jacen ihr ebenfalls nicht widerstanden hatte. Und das bedeutete natürlich, dass Luke keine andere Möglichkeit blieb, als hineinzusehen.

Luke zuckte die Schultern. »In Ordnung, ihr habt gewonnen«, meinte er. »Lasst uns gehen!«

Er war nicht sonderlich überrascht, als seine beiden Begleiter ihn durch den Eingang winkten, selbst jedoch bei den Säulen stehen blieben. Als er an ihnen vorbeiging, sah er, dass die Höhle klein war, und das Innere war nicht so dunkel, wie es von draußen den Anschein hatte. Ein weiches, silbriges Licht stieg vom spiegelartigen Schimmer eines Teichs in der Mitte der Grotte auf. Winzige Felsspalten säumten die Wände, aus denen Fahnen gelber Dämpfe sickerten, die die Höhle mit dem Gestank von Schwefel erfüllten. Die Luft roch so widerlich, dass Luke selbst dann nichts davon eingeatmet hätte, wenn er dazu gezwungen gewesen wäre.

Das drängende Verlangen zerrte weiterhin an ihm, zog ihn näher an den Teich heran. Er ging zum Rand und sah, dass sich der Teich nicht in einer flachen Senke befand, wie er angenommen hatte, sondern in einem tiefen Becken mit steilen Wänden und einer Kante, die wie eine groteske, serpentinenartige Borte gemeißelt war. Durch reine Willenskraft blieb er einen halben Schritt von dem Wasser entfernt stehen - er vermutete, dass es sich um Wasser handelte - und blickte auf sein eigenes Spiegelbild hinab.

Was Luke sah, war nicht so sehr ein Mann, sondern vielmehr der geisterhafte Schemen von einem, mit blauen Augen, die aus Höhlen loderten, die tief Wie Brunnen wirkten. Sein Fleisch war gelb und ausgezehrt, so verschrumpelt und schuppig, dass es an brüchiges Leder gemahnte. Seine Lippen waren zu zwei weißen Würmern verkümmert, so aufgeplatzt und blutig, dass sie kaum die Zähne bedeckten. Der Teich war nicht dunkel, argumentierte er. also sah er sich vielleicht gar keiner Reflektion gegenüber. Er hob eine Hand, und der Geist hob ebenfalls eine.

»Ist das.« Luke drehte sich zum Ausgang um, wo Ryontarr stand und sich gegen eine schemenhafte Säule lehnte. »Bin ich das?«

»Das ist die Wahrheit, die Euch zeigt, wie Ihr jetzt seid«, entgegnete Ryontarr. »Ein Mann, von Pflichtgefühl und Opfern zu einem Nichts verschlissen, eine sterbende Hülle, die allein von der Macht und durch Willenskraft angetrieben ward.«

»Was ist mit Mara?« Luke wandte sich wieder dem Teich zu. Anstatt sich selbst, sah er jetzt das honigfarbene Phantom aus dem Quell der Kraft. Die winzigen Augen brannten vor Verlangen, der breite Mund zeigte von Ohr zu Ohr nadelgleiche Zähne. »Ist sie das?«

»Wenn Ihr das jetzt nicht wisst«, meinte Feryl, »dann gibt es bloß noch einen Weg, das herauszufinden.«

Ein stummeliger Arm durchbrach die Oberfläche des Teichs und griff nach Luke, die Tentakelfinger fuchtelten so dicht vor seinen Augen herum, dass er die winzigen Schlitzmembranen unten an ihren Saugnapffingerspitzen ausmachen konnte. Die hungrige Präsenz wurde vertrauter, irgendwie ein Teil von Luke, und in diesem Moment wollte er nichts mehr, als nach vorn in diesen Teich zu treten und die Wahrheit über ihre

Identität zu erfahren - zu erfahren, ob hier das Jenseits begann und die Geister der Toten von hier aus ihre Reise zurück in die Macht antraten.

Luke wollte wissen, was Jacen widerfahren war und was ihn dazu gebracht hatte, der Dunkelheit zu verfallen, und er wollte wissen, was aus seinem Sohn werden würde, ob Ben einen guten Großmeister abgeben würde und wie viel Zeit ihm blieb, um Ben auf diese schreckliche Bürde vorzubereiten. Mehr als alles andere jedoch wollte Luke wissen, ob sein eigenes Leben einen Sinn gehabt hatte, ob der Funken, den er geschlagen hatte, indem er den neuen Jedi-Orden gegründet hatte, bestehen und gedeihen würde, um zu dem hellen goldenen Licht anzuwachsen, das er sich stets vorgestellt hatte, zu dem Signalfeuer, das stets da sein würde, um die Galaxis sicher durch dunkle Zeiten zu führen.

Und die hungrige Präsenz konnte ihm dieses ganze Wissen und noch mehr verschaffen. Alles, was Luke dafür tun musste, war, die Tentakelhand vor sich zu ergreifen und sich davon in das warme, silbrige Wasser ziehen zu lassen, sich von ihr im flüssigen Vergessen absoluten, grenzenlosen Wissens ertränken zu lassen.

Aber was Luke bereits wusste, war Folgendes: Die Wahl, die Jacen hier getroffen hatte, war sein Verderben gewesen. Die Zukunft war nicht das Reich der Lebenden, und kein menschlicher Verstand konnte alles wissen und zurechnungsfähig bleiben. Luke wusste, dass er nach wie vor Bens Vater und der Begründer des Jedi-Ordens war, und er wusste, dass beide ihn immer noch brauchten. Er wusste, dass Mara tot war; dass das Ding, das sich jetzt nach ihm verzehrte, mit Sicherheit nicht der beste Teil von ihr gewesen war, wenn es überhaupt je zu ihr gehört hatte. dass er niemandem einen

Gefallen tun würde, indem er versuchte, sich daran zu klammern, wenn das hier alles war, was von Mara übrig war.

Luke wich von dem Teich zurück.

Luke!

Die Stimme erscholl kalt und halb vertraut in Lukes Geist, das letzte Flüstern einer verlorenen Liebe. Die Hand glitt in den Teich zurück, die Tentakelfinger bedeuteten ihm, ihr zu folgen.

Komm zurück!

Luke schüttete den Kopf und wandte sich ab. »Ich kann nicht.«

Er sah, dass Ryontarr und Feryl vor ihm standen, den Ausgang versperrten. Das flachnasige Gesicht des Gotal blickte finster drein, und der Givin schüttelte enttäuscht seinen knochigen Kopf.

»Meister Skywalker, Ihr kommt mir nicht wie jemand vor, der gehen würde, ohne die Antworten erhalten zu haben, wegen derer Ihr gekommen seid«, sagte Ryontarr. »Ich glaube nicht, dass Ihr bereits gesehen habt, was Jacen sah.«

»Ich habe genug gesehen.« Luke ging weiter vor und rief sich bereits das ausgezehrte Bild von sich ins Gedächtnis, das er als Spiegelbild in der Oberfläche des Teichs gesehen hatte. »Ich kehre in meinen Körper zurück.«

»Bevor Ihr gesehen habt, was Euer Neffe sah?«, fragte Feryl.

»Wenn das bedeuten würde, in eurem Teich zu baden, dann ja.« Luke erreichte den Höhleneingang und blieb einen halben Schritt von dem Duo entfernt stehen. »Ich bin lediglich bereit, ihm bis hierher zu folgen. Ich werde nicht wie er über die Schwelle treten.«

Ryontarr hob seine buschigen Brauen, und Feryl neigte enttäuscht sein knochiges Haupt.

»Die Schwelle zu übertreten ist auch überhaupt nicht notwendig, Meister Skywalker«, erklärte Ryontarr. »Auch Jacen hat nicht im Teich gebadet.«

Luke runzelte die Stirn. »Hat er nicht?«

»Er hat es nicht einmal in Erwägung gezogen«, berichtete Feryl. »Er hat gesagt, kein sterblicher Verstand könne alles wissen, und das Letzte, was er wollte, war, zu einem Himmlischen zu werden.«

Bevor Luke sich danach erkundigen konnte, was sie über die Himmlischen wussten, fügte Ryontarr hinzu: »Allerdings hatte Jacen keine Angst, am Teich zu verweilen, bis er gesehen hatte, was er sehen wollte.« Der Gotal wies mit seinen Hörnern auf das Wasser hinter Luke. »Seht noch mal hinein!«

Luke schüttelte den Kopf. »Eure Hinhaltetaktik könnt ihr euch sparen«, erklärte er. »Ich weiß nicht, was ihr damit bezweckt, aber ich weiß, dass ihr versucht, mich hier festzuhalten.«

Selbst ohne den Schauder der Schuld, der durch die Macht rieselte, hätte Luke angesichts ihrer verstohlenen Blicke gewusst, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Entschlossen, seinen Nutzen aus diesem Vorteil zu ziehen, solange er ihn hatte, verlangte er: »Sagt mir: Was glaubt ihr, wird passieren! Und behauptet nicht, ihr würdet bloß versuchen, mir zu helfen! Das habe ich euch im Habitat nicht geglaubt, und jetzt werde ich es auch nicht tun.«

Ryontarr sah Feryl an.

Der Givin rasselte: »Was haben wir zu verlieren?«

Ryontarr nickte. »In der Tat, was?« Er wies auf den Teich. »Vielleicht verbirgt sie es vor Euch. Vielleicht möchte sie nicht, dass Ihr so leidet, wie Jacen gelitten hat.«

»Sie?« Luke drehte sich langsam, um wieder zum Teich zu schauen. Er konnte das Ding nicht ausmachen, das vorhin die

Hand nach ihm ausgestreckt hatte, bloß den silbrigen Spiegel der Wasseroberfläche. »Wer ist diese Sie? Das Hirngespinst, das ich immer wieder sehe?«

»Die Herrin im Nebel ist kein Hirngespinst«, entgegnete Feryl. »Sie ist so real wie Ihr oder ich.«

»Haltet nach einem Thron Ausschau«, riet Ryontarr ihm.

»Das ist der Thron des Gleichgewichts, auf dem der Verlauf der Zukunft sitzt.«

Luke zögerte, da er bloß eine weitere Hinhaltestrategie argwöhnte. Gleichwohl, das, was sie in Bezug auf Jacen andeuteten, nämlich, dass er sowohl mutiger als auch weiser als Luke gewesen war, war eine zu große Herausforderung, um sie einfach zu ignorieren. Es war Lukes Pflicht herauszufinden, was seinem Neffen zugestoßen war und ob das, was er hier erlebt hatte, zu seinem Untergang geführt hatte oder nicht -und das bedeutete, dass er einfach tun musste, was Ryontarr vorschlug.

Luke spähte in das Wasser, suchte nach irgendetwas, das einem Thron ähnelte, und kurz darauf sah er ihn, einen schlichten weißen Thron in einer strahlend hellen Kammer. Niemand saß auf dem Thron, doch er war umringt von hundert Wesenheiten, die allesamt majestätisch genug wirkten, um auf den Sitz zu gehören. Sie gehörten sämtlichen Spezies an, Bothaner und Hutts, Ishi Tib und Mon Calamari, sogar Wookiees und Trandoshaner - und sie alle legten das zwanglose Verhalten alter Freunde an den Tag.

Was Luke jedoch besonders ins Auge fiel, was ihn näher an die Kante des Teichs zog, war die großgewachsene, rothaarige Frau in der Mitte der Menge. Sie besaß Tenel Kas schmale, geschwungene Brauen und einen Mund mit vollen Lippen, doch ihre Nase war die ihrer Großmutter, klein und nicht allzu lang, mit dem fast unmerklichen Anflug eines Stupses am Ende.

Allana.

Luke sprach den Namen nicht laut aus - er hatte schon Schuldgefühle, ihn bloß zu denken -, aber jeder Zweifel daran war ausgeschlossen. Er hatte eine Vision von Jacens Tochter vor sich, vielleicht dreißig Jahre in der Zukunft. Und sie machte sich bereit, den Thron zu besteigen, nicht von dem üblichen Verrat und der Intrige umgeben, die für hapanische Politiker so typisch waren, sondern von Freunden aus allen Teilen der Galaxis, in einer Zeit von beispielloser Kameradschaft und Vertrauen.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Luke, der sich zu Ryontarr umdrehte. »Warum sollte Jacen eine Vision Sorge bereiten, in der seine Tochter ihren Platz auf dem Thron einnimmt?«

»Weil er das nicht gesehen hat.« Es war der Givin, Feryl, der diese Antwort rasselte. »Er sah einen dunklen Mann in dunkler Rüstung auf einem goldenen Thron sitzen, umringt von Gefolgsleuten in dunklen Gewändern.«

Lukes Inneres wurde kalt. »Einen dunklen Mann?«, fragte er und dachte an die Visionen des dunklen Mannes, die er selbst gehabt hatte, als Jacen aufstieg, um zu einem Sith-Lord zu werden. »Sich selbst?«

Ryontarr sah stirnrunzelnd zu Luke hinüber. »Ich bezweifle, dass eine Vision seiner eigenen Zukunft ihn dazu gebracht hätte, zurück in die Galaxis zu fliehen«, entgegnete er. »Euer Neffe muss das Gesicht von jemand anderem erblickt haben.«

Luke kam ein entsetzlicher Gedanke, so schmerzhaft wie eine Vibroklinge in die Eingeweide und genauso Furcht einflößend. »Meinst«

Ryontarr gab sich ahnungslos. »Wer weiß das schon?«

»Wir haben das Gesicht hinter der Maske nicht gesehen«, fügte Feryl hinzu. »Jacen allerdings schon, und als er zurückkam, war er so bleich wie mein Exoskelett.«

»Und was dann?«, wollte Luke wissen. »Ist er zum Quell der Kraft zurückgekehrt? Hat er es sich anders überlegt und im Teich des Wissens gebadet?«

Die beiden Geistwandler sahen einander an und schüttelten verärgert die Köpfe, als wäre Lukes Uneinsichtigkeit für sie eine große Enttäuschung. Schließlich sagte Ryontarr: »Er ging fort.«

»Er kehrte dem Teich den Rücken?«, fragte Luke, der sich noch immer bemühte zu begreifen, was seinen Neffen auf die Dunkle Seite gestoßen hatte. »Oder meinst du damit, dass Jacen in seinen Körper zurückgekehrt ist?«

»Er verließ den Schlund«, erklärte Ryontarr. »Er sagte, er müsse seine Ausbildung beenden.«

»Er sagte, er müsse das ändern, was er im Teich gesehen hatte«, ergänzte Feryl. »Er sagte, dass ihn das vermutlich umbringen würde.«