18.


Sie nannte sich selbst Abeloth und lebte in einer Höhle am Hang des Vulkans, weil die Pflanzen dort nicht so gefräßig seien, wie sie sagte. Allerdings liebte Abeloth das Wasser. Jeden Morgen führte sie den Suchtrupp hinunter zum purpurnen Fluss, und die gesamte Gruppe schwamm und plantschte stundenlang. Dann, sobald sie erschöpft waren, krabbelten sie aus dem Wasser und sonnten sich am Ufer, neben den riesigen Drendek-Echsen, die heruntergekommen waren, um mit ihren grünen, ausgebreiteten Schwingen die Sonne zu genießen. Und während sich die Gruppe ausruhte, musste sich niemand Gedanken über Aalranken machen, die sich verstohlen aus dem Fluss schlängelten, um sich um reglose Knöchel zu schlingen, oder um eine Dunsthecke, die die Luft mit einer Wolke giftiger Pollen erfüllte, oder auch nur um einen Schwärm durstiger Reißbolzen, der plötzlich hinter ihnen auftauchte. Wenn Abeloth in der Nähe war, griffen die Pflanzen niemals an.

Vestara war klar, dass sie das hätte beunruhigen sollen, aber das tat es nicht. Die Wahrheit war, dass sie nur allzu dankbar für jeden Aufschub war, um deshalb argwöhnisch zu sein. Die Sith-Disziplin des Suchtrupps blieb trotz allem stark genug, dass sie sich veranlasst sahen, sich aufzuteilen und zumindest einige Stunden des Tages mit dem Versuch zuzubringen, Schiff zu finden, und das schiere Grauen, das diese Patrouillen mit sich brachten, zehrte so an ihren Kräften, dass es niemanden kümmerte, warum sie zusammen mit Abeloth sicher waren. Wenn man mitansah, wie jemandem von einer Schicht toter Blätter, auf die er gerade getreten war, plötzlich der Fuß abgebissen wurde, oder man eine Begleiterin schreien hörte, weil eine wunderschöne weiße Blume ihr gerade Säure in die Augen gespritzt hatte, war alles, was man wirklich wollte, wieder bei Abeloth in der Höhle zu sein.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Vestara fühlte, wie Lady Rhea sie durch die Macht zu sich rief. Sie schaute zur Seite und musste feststellen, dass Ahri nach wie vor mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Die himmelblaue Färbung, die seine lavendelfarbene Haut unter der blauen Sonne angenommen hatte, machte ihn bloß noch schöner, und Vestara war dankbar für Lady Rheas Vorschlag, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Abgesehen davon, dass sie ihn gerne ansah, war er ihr bester Freund, und sein Meister war über ihre offenkundige Nähe so erfreut, dass er endlich aufgehört hatte, den armen Ahri zu verprügeln. Es machte Vestara nicht einmal etwas aus, dass Xal zweifellos hoffte, ihre Freundschaft nutzen zu können, um Lady Rhea auszuspionieren. Solange er ihre Bindung zueinander irgendwie für vorteilhaft hielt, war es unwahrscheinlich, dass er sich dafür rächen würde, dass Vestara ihn beim Anflug auf diesen sonderbaren Planeten in Verlegenheit gebracht hatte.

Ohne die Augen zu öffnen, sagte Ahri: »Sie ist heute recht früh dran. Gehen wir weiter raus als sonst?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Vestara. Lady Rhea hatte sie davor gewarnt, dass solche unschuldig klingenden Fragen kommen würden. Xal wollte damit ausloten, wie gewillt Vestara war. mit Ahri über die Pläne ihrer Meisterin zu sprechen. »Lady Rhea denkt nach wie vor, dass Schiffsich auf der anderen Seite des Höhlengrats versteckt.«

Ahri machte die Augen auf und stützte sich auf einen Ellbogen. »Und was denkst du?«

»Ich denke, dass wir uns lieber beeilen sollten.« Vestara war klar, dass er eigentlich wissen wollte, ob sie Schiff immer noch fühlen konnte, doch Lady Rhea hatte sie angewiesen, die traurige Wahrheit für sich zu behalten - dass sie seit dem Tag, an dem er sie zu Abeloths Höhle geführt hatte, in der Macht keine Spur von Schiff wahrgenommen hatte. Sie hob Ahris Hemd vom Sand auf und warf es ihm zu. »Wenn wir wieder als Letzte da sind, enden wir noch als Flankenpatrouille.«

Ahri war schlagartig auf den Beinen und nutzte die Macht, um sich das Hemd zu schnappen und es über seine hochgereckten Arme nach unten gleiten zu lassen. Auch Vestara kleidete sich mithilfe der Macht an, und weniger als eine Minute später gesellten sie sich zum Rest des Suchtrupps. Lady Rhea stand bereits auf dem großen Felsbrocken, den sie als Sprecherpodium verwendete. Glücklicherweise waren viele Leute von dem frühen Ruf überrascht worden, sodass immer noch weitere eintrudelten und sie kaum zu bemerken schien, wie Ahri und Vestara ihre Plätze einnahmen.

Meister Xal jedoch, der hinter dem Felsen am Flussufer stand, musterte das Paar mit einem schlitzäugigen Grinsen, was darauf hindeutete, dass er glaubte, ihre Beziehung sei weiter fortgeschritten, als es tatsächlich der Fall war. Glücklich darüber, Ahri eine weitere Woche ohne Schläge zu verschaffen, indem sie Xal in diesem Glauben ließ, zwang Vestara sich, verlegen zu erröten, und schaute zum Fuß des Felsens hinüber, wo Abeloth stand und den Blick über die sich versammelnden Sith schweifen ließ, als wäre sie diejenige, die das Kommando über den Suchtrupp innehatte.

Abeloth sah schön und mehr oder weniger menschlich aus. doch heute war dir Haar braun und lang anstatt honigfarben und schulterlang, wie es das gewesen war, als Vestara und Ahri sie in ihrer Höhle gefunden hatten. Auch ihre Nase war ein bisschen länger und gerader als gewöhnlich, und ihre Augen schienen ein wenig mehr silbern denn grau, mit einem ausgeprägten Aufwärtsschwung an den Außenrändern. Abeloths Gesicht veränderte sich ständig, als würde sie etwas vom Aussehen eines jeden übernehmen, mit dem sie Zeit verbrachte. Und irgendwie trug das lediglich dazu bei, sie noch bezaubernder zu machen, als würde jedes neue Detail dem Glanz ihrer Schönheit bloß noch mehr Intensität verleihen.

Vestara war so verzückt von ihrer Ausstrahlung, dass ihr erst bewusst wurde, dass Lady Rhea bereits das Wort ergriffen hatte, als Ahri sie anstieß.

»Warum ist sie so aufgebracht?«, flüsterte er. »Es ist ja nicht so, als hätten wir nicht gesucht.«

Vestara verbarg ihre Zerstreuung, indem sie den Finger an die Lippen legte, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Psst!«

Ahri runzelte irritiert die Stirn, ehe ihm aufzufallen schien, wie ihr Blick von Abeloth weghuschte, und er in gespielter Verzweiflung die Augen rollte. »Konzentrier dich!«, zischte er. »Du handelst dir noch Ärger ein.«

Vestara wusste, dass das angesichts ihres fortwährenden Versagens, Schiff in der Macht zu lokalisieren, nur allzu wahrscheinlich war. Sie nickte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Felsen zu.

». sind gescheitert«, sagte Lady Rhea gerade. Obwohl ihr wütender Blick schwerlich auf Vestara allein gerichtet war, war sie ebenso wenig davon ausgenommen. »Packt eure Sachen zusammen! Wir treffen uns in zwei Stunden mit dem Shuttle.«

Die Neuigkeit traf Vestara wie ein physischer Hieb. Sie war diejenige, die die Suchmission nach Schiff geführt hatte, und wenn sie ohne das unberechenbare Schiff nach Kesh zurückkehrten, würde dieser Fehlschlag sie in ein ebenso schlechtes Licht rücken wie Lady Rhea. Allerdings war es Abeloths Stimme, nicht Vestaras, die das verblüffte Schweigen durchbrach. »Ohne Schiff?«

Lady Rheas Tonfall wurde sanfter - so, wie der von jedem, der mit Abeloth sprach. »Der Kreuzfahrer gehen Treibstoff und Vorräte aus. Wenn wir noch viel länger hierbleiben, werden wir überhaupt nicht mehr abreisen.«

Diese Erklärung schien Abeloth nur umso mehr zu beunruhigen. »Aber ihr könnt nicht ohne Schiff abreisen.« Sie wandte sich an die Mitglieder des Suchtrupps, als könnten eine Handvoll einfacher Schwerter eine Sith-Lady überstimmen. »Lord Vol wird von euch enttäuscht sein.«

Lady Rhea schien von ihrer Reaktion genauso überrascht zu sein wie Vestara. Einen Moment lang zeigte sich Verwirrung in ihren Augen, dann verhärtete sich ihre Miene, als sie schließlich wohl ihre Gedanken gesammelt hatte. »Hast du uns nicht erzählt, dass du hier seit dreißig Jahren von der Außenwelt abgeschnitten bist, Abeloth?«

Abeloth nickte. »Das ist richtig.«

»Dann würde man doch annehmen, dass du nur zu begierig darauf bist, in die Zivilisation zurückzukehren.«

»Und das bin ich auch.« Abeloth sah weiterhin den Rest des Suchtrupps an. »Aber ich denke dabei bloß an euch, meine Freunde. Euer Zirkel der Lords wird dieses Versagen nicht gern sehen.«

»Um die werde ich mich schon kümmern.« Lady Rhea schaute mit einem Blick stiller Abschätzung auf Abeloth herab, ehe sie fragte: »Du hast es dir doch nicht anders überlegt und willst immer noch mit uns nach Kesh zurückkehren, oder?«

»Absolut«, versicherte Abeloth. Lady Rheas

Gesichtsausdruck wurde merklich sanfter, als sich die Gestrandete umdrehte und sie wieder ansah. »Ich bin ebenso erpicht darauf, diesen Ort zu verlassen wie ihr.«

»Es freut mich, das zu hören.«

In Lady Rheas Lächeln lag nach wie vor etwas von seiner raubtiergleichen Schärfe, und Vestara konnte die Gedanken, die ihrer Meisterin durch den Kopf gingen, beinahe lesen: Abeloth würde ein angemessener Ausgleich für den Verlust von Schiff sein.

So verzaubert, wie sie von ihr waren, wusste jeder Sith des Suchtrupps, dass Abeloth keine gewöhnliche Frau war - wenn sie überhaupt eine Frau war. Manchmal hatte Vestara den Eindruck, als wäre Abeloth nichts weiter als ein Nimbus wirbelnder Machtenergie, der sich ihnen als Frau präsentierte, weil ihr sterblicher Verstand seine wahre Gestalt nicht erfassen konnte. Bei anderen Gelegenheiten indes schien Abeloth genau das zu sein, was zu sein sie vorgab: eine einsame Schiffbrüchige, die sich so verzweifelt nach Geselligkeit sehnte, dass sie sich weigerte, allein zu sein; eine Frau, die von ihrer langen Isolation so nah an den Rand des Wahnsinns getrieben worden war, dass sie zu halluzinieren glaubte, als Vestara und Ahri ihre Höhle betraten, um Xal zu retten.

Natürlich gab es bei beiden Möglichkeiten eine Menge Dinge, die keinen Sinn ergaben. Erstens: Abeloth hatte ihnen nie genau erklärt, wie sie Xal - einen Sith-Meister - in dem Kokon gefangen hatte. Sie behauptete, keine Ahnung zu haben, warum Vestara Schiff auf dem Felsgrat in der Nähe ihres Heims gespürt hatte, fand es jedoch vollkommen logisch, dass es Schiff gewesen war, der sie überhaupt erst zu ihr geführt hatte. Und als Vestara etwas über das Tentakelding wissen wollte, das sie an der Höhlendecke gesehen hatte, bestand Abeloths einzige Antwort in der Erklärung, dass sie von keinem Tier auf diesem Planeten etwas zu befürchten hatten.

Als Vestara über das alles nachgrübelte - und darauf wartete, dass der seltsame Willenswettstreit zwischen Abeloth und Lady Rhea eine Siegerin fand -, fühlte sie die Berührung einer vertrauten Präsenz.

Du hättest niemals hierherkommen sollen! In ihrem Geiste sprach Schiff wieder zu ihr. Jetzt kann ;t du nie wieder gehen.

Vestara ließ den Blick hinunter zum Fluss schweifen und holte tief Luft, als sie in der Ferne einen vertrauten, kugelförmigen Umriss mit Schwingen schweben sah, dicht über dem Wasser.

»Vestara?«, fragte Ahri, der sich ihr zuwandte. »Was ist los?«

»Es ist.« Vestara wollte hinzeigen, stellte jedoch fest, dass Abeloth sie beobachtete, und ihr wurde bewusst, dass die Gestrandete sie belauschte. Abgesehen davon würde Lady Rhea es nicht gern sehen, zu einer weiteren sinnlosen SchiffJagd aufbrechen zu müssen, wo sie doch bereits den Befehl gegeben hatte, von hier zu verschwinden. Vestara senkte den Blick. »Nichts.«

»Was war nichts?« Abeloths Stimme glich einer kalten Klinge, die durch Vestaras Lüge schnitt. »Hast du flussabwärts irgendetwas gesehen?«

»Das dachte ich.« Vestara warf verstohlen einen Blick den Fluss hinab, und zu ihrer großen Erleichterung sah sie, dass die winzige Silhouette bereits verschwunden war. »Aber ich habe mich.«

Vestara wurde vom Piepsen von Lady Rheas Komlink unterbrochen. Sie drehte sich um und sah, wie ihre Meisterin den Stift von ihrem Gürtel zog, während sie gleichzeitig die freie Hand hob, um für Ruhe zu sorgen. Lady Rhea hatte kaum den Einschaltknopf betätigt, als auch schon Baad Walusaris aufgeregte Stimme aus dem winzigen Lautsprecher tönte.

»Auf Peilung eins sechzig, tausend Meter von Euch entfernt«, sagte der Keshiri. »Schiff hat soeben den Fluss überquert und scheint Kurs auf die Shuttle-Lichtung zu nehmen.«

Lady Rheas Augen weiteten sich vor Überraschung. »Schiff lässt zu, dass ihr es anpeilt?«

»Wenn es über den Baumwipfeln ist, empfangen wir eine Wärmesignatur«, erklärte Walusari. »Wenn Schiff im Dschungel ist, können wir seine Spur anhand der Schäden verfolgen, die es verursacht. Solange Schiffsich bewegt, können wir es orten.«

»Gut. Haltet mich auf dem Laufenden!« Lady Rhea schaltete ihr Komlink aus und wandte sich an Vestara. »Versuch, es dazu zu bringen, zu uns zurückzukommen!«

Ohne auf Vestaras Bestätigung zu warten, zog Lady Rhea ihre Waffen und erteilte Befehle. Als Vestara Schiff schließlich wieder in der Macht lokalisiert hatte, war der Suchtrupp auf einer Front von tausend Metern verteilt und rannte mithilfe der Macht über den Fluss. Abeloth blieb dicht hinter Lady Rhea und überquerte das Wasser so leichtfüßig wie ein Sith-Lord. Vestara machte sich ihre Anwesenheit zunutze, um sich auf Schiff 'zu konzentrieren anstatt auf gefährliche Pflanzen.

Vestara konfrontierte Schiffs Präsenz mit der ganzen Willenskraft, die sie aufbringen konnte, um ihm zu befehlen, zum Fluss zurückzukehren und auf ihre weiteren Anweisungen zu warten. Schiff wollte gehorchen - so viel konnte sie spüren, auch wenn ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Versuch aufgeteilt war, das eigensinnige Schiff aufzuspüren und sich die Macht zunutze zu machen, um dafür zu sorgen, dass ihre Füße auch weiterhin über das Wasser hüpften.

Gleichwohl, Schiffs Stimmung haftete etwas Geschlagenes und Verlorenes an. wie einem Uvok mit durchtrennten Flügelsehnen. Er hatte. Angst, von einem Willen erdrückt, der so stark war, dass es Vestaras Vorstellungsvermögen überstieg. Ihr zu gehorchen hieß, sich ihr zu widersetzen, einer Macht, die Zeit und Raum überwunden hatte, um Schiff bloß, aus einem einzigen Grund hierherzurufen, nämlich, weil sie einsam war.

Vestara begriff, wie hoffnungslos es war zu glauben, dass sie die Willenskraft besaß, den Griffeines solchen Wesens zu brechen. Dennoch klammerte sie sich weiterhin an Schiffs Präsenz, und wenn auch nur, weil ihr das dabei helfen würde, die Meditationssphäre zu lokalisieren, falls Walusari und die Kreuzfahrer ihre Spur verloren. Sobald sie bei Schiff waren, würde Lady Rhea diejenige sein, die Schiffs Gehorsam verlangte.

Und dieser Gedanke war es, der Vestara fast umbrachte.

Sie hatte den Fluss beinahe überquert, als sich voraus ein Strudel auftat und Lady Rhea zur Gänze verschlang. Da Vestaras Aufmerksamkeit auf Schiff konzentriert war anstatt auf die Risiken der Situation, wurde sie völlig davon überrascht und trat in dieselbe wirbelnde Wassergrube, bevor Abeloth sie am Arm packte.

»Saugschilf«, sagte sie und stieß Vestara vom Strudel fort. »Geh weiter, oder es kriegt dich ebenfalls!«

Die meisten Schüler in Vestaras Lage hätten vermutlich genau das getan, was Abeloth sagte, mit der Begründung, dass es wesentlich einfacher war, einen neuen Meister zu bekommen als ein neues Leben. Ahri wäre mit Sicherheit erfreut gewesen, wenn sein Meister von nahezu jeder beliebigen Pflanze auf dem Planeten gefressen worden wäre. Aber wenn Lady Rhea tot war, wurde Xal zum neuen Anführer dieser Mission, und das bedeutete, dass Vestaras Tod beinahe ebenso sicher war, als würde sie von dem Saugschilf verschlungen werden - obwohl er in ersterem Fall vermutlich wesentlich langsamer und schmachvoller sein würde.

Deshalb riss Vestara den Arm aus Abeloths Griff, aktivierte ihr Lichtschwert und ließ sich unter die Oberfläche des Flusses sinken. Das Wasser war so voller blutrotem Schlick, dass sie fast augenblicklich nichts mehr sehen konnte. Hauchdünne Fäden feuchter Zellulose wickelten sich um ihre Beine, drückten ihre Waden so fest zusammen, dass Füße und Knöchel anzuschwellen begannen. Sie streckte ihre Knie durch, zog das Parang und fing an, auf die Pflanzen einzuschlagen, nicht sicher, ob sie das Unkraut zu sich hochzog oder davon runtergezogen wurde.

Gleichzeitig streckte Vestara ihre Machtsinne aus und nahm Lady Rhea rechts von sich wahr, ein Stückchen unter ihr. Sie schlug mit dem Lichtschwert zu; Wasser zischte und blubberte, als die Hitze ihrer karmesinroten Klinge es in Dampf verwandelte. Sie spürte, wie die Waffe durch etwas hindurchglitt, das den Umfang ihrer eigenen Taille hatte. Sie zog die Klinge in die Gegenrichtung zurück und stieß auf ein weiteres dieser Riesenrohre, ehe sie rasch um ihre eigene Achse wirbelte und ein halbes Dutzend weitere von den Dingern kappte, bis der Bereich sicher wirkte.

Im Wasser unter ihr zeigte sich jedoch kein Lichtschein, und Lady Rheas Machtaura schien bloß immer verängstigter und bestürzter zu werden, als sich das Saugschilf zurückzog und sie tiefer in den Fluss hinunterzerrte. Der Schmerz in ihrer eigenen

Brust - und das zunehmende Verlangen zu atmen - verrieten Vestara, dass auch ihr die Luft ausging.

Doch das spielte keine Rolle. Es war besser, hier zu ertrinken, als die Strafen über sich ergehen lassen zu müssen, die Xal ihr auferlegen würde, wenn er zum Missionskommandanten wurde. Vestara packte ihre Meisterin mit der Macht und zog fest.

Lady Rhea schoss nicht aus dem durchtrennten Stängel hervor. Alles, was geschah, war, dass Vestaras Ohren und Stirnhöhlen sehmerzten, als sie sich weiter nach unten zog. und das Wasser wurde noch dunkler, als das Sonnenlicht in dem aufgewühlten Schlamm verschwand. Lady Rheas Präsenz wurde allmählich ruhiger, auch wenn sich unmöglich sagen ließ, ob das daran lag, dass sie Vestara kommen fühlte oder weil sie das Bewusstsein verlor.

Dann stieß Vestara gegen den Stumpfeines gekappten Stängels und wusste, dass sie die sich zurückziehenden Schilfrohre eingeholt hatte. Sie konnte Lady Rhea in der wirbelnden Dunkelheit unter sich wahrnehmen, weniger als einen Meter entfernt, doch es war unmöglich festzustellen, ob sie sich auf dem Grund des Flusses befand oder noch weiter nach unten sank.

Vestara kümmerte es nicht, was von beidem zutraf. Sie streckte ihr Lichtschwert aus und riss es herum, wie um Lady Rhea an der Seite zu berühren. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf etwas Braunes, als die Klinge das Rohr aufschlitzte, und drückte sofort auf den Aus-Schalter.

Eine Sekunde später krachte ein menschlicher Körper gegen ihre Brust, und die letzte Luft, die sie noch hatte, entwich ihrer Lunge in einem Strom aufsteigender Blasen. Ohne zu wissen, ob Lady Rhea bei Bewusstsein war oder nicht, schlang sie ihre

Arme um den Körper - und spürte, wie sie nach oben schossen, als ihre Meisterin die Macht nutzte, um sie zur Oberfläche zu befördern.

Als sich das Wasser von einem tiefen Schwarz zu Purpur wandelte, musste Vestara gegen den Drang ankämpfen, erleichtert auszuatmen. Lady Rhea hatte offensichtlich überlebt und war nach wie vor bei Bewusstsein - es sei denn, Abeloth war diejenige, die sie zur Oberfläche zog. Obwohl die Gestrandete den meisten Fragen des Suchtrupps über ihre Ausbildung ausgewichen war, war die Macht offenkundig stark in ihr, und sie war imstande.

Die blaue Scheibe der Sonne drang durch das purpurne Wasser nach unten, doch Vestara war zu geistesabwesend - zu verängstigt —, dass sie es erst bemerkte, als sie die Oberfläche durchbrachen.

Abeloth war doch bei ihnen gewesen. Mit einem Mal wurde ihr klar, was das zu bedeuten hatte.

Das Saugschilf hatte Lady Rhea angegriffen, und Abeloth hatte nichts getan, um es aufzuhalten. Tatsächlich war niemand je von einer Pflanze attackiert worden, während sie sich in Abeloths Gegenwart befanden.

Vestara vernahm ein lautes, hustendes Keuchen und spürte eine Flut körperlicher Erleichterung, als sich ihre Lunge mit frischer Luft füllte. Lady Rhea gab ein ähnliches Geräusch von sich, als sie ebenfalls wieder zu atmen begann. Dann wand sie sich aus Vestaras Griff und drehte sich um, um sie zu küssen.

»Ich schulde. dir. mein Leben«, hustete sie. »Was auch immer du begehrst, Vestara, du wirst es bekommen.«

»Zunächst mal würde ich diesen Fluss gern lebend verlassen«, meinte Vestara. Als sie sah, dass ihre Meisterin in keiner Hand eine Waffe hielt, drückte sie Lady Rhea ihr Parang

in die Finger. »Abeloth versucht uns zu.«

Vestaras Erklärung wurde von einem lauten Aufschrei am Ufer unterbrochen, bevor sie spürte, wie sie selbst und Lady Rhea aus dem Wasser aufstiegen.

»Keine Sorge«, sagte Lady Rhea. »Wir sind sicher.«

Vestara schüttelte den Kopf. »Nein. Sie hat uns betrogen.«

»Natürlich sind wir sicher«, unterbrach Lady Rhea sie, die nicht zu verstehen schien, was sie damit meinte. Sie deutete flussaufwärts. »Dein Freund Ahri hat uns.«

Vestara wandte sich in die Richtung, in die Lady Rhea zeigte. Ahri stand etwa fünfzig Meter entfernt am Ufer, seine Waffen zu den Füßen und beide Hände zu ihnen ausgestreckt. Die meisten Mitglieder des Suchtrupps eilten zum Strand hinunter, um Lady Rhea zu beschützen, falls sie erneut angegriffen wurde. Meister Xal verweilte an Ahris Seite. Sein Kiefer war verkrampft, und die dunklen Augen brannten, als würde er erwägen, das Parang seines Schülers zu packen und ihn damit zu enthaupten. Vestara wusste, dass Ahri heute Nacht eine Tracht Prügel dafür einstecken würde, dass er sie und Lady Rhea gerettet hatte. falls Abeloth sie so lange am Leben ließ.

Hinter Xal und Ahri stand. irgendetwas Großes und vage Menschliches, mit langem, wallendem gelben Haar, das beinahe bis zum Boden hinunterreichte. Die Augen der Gestalt waren winzig und tief eingesunken, wie zwei Sterne, die einem aus zwei schwarzen Brunnen entgegenleuchteten, und sie besaß einen großen Mund mit vollen Lippen, der so breit war, dass er von einem Ohr zum anderen reichte. Ihre stummelartigen Arme ragten nicht mehr als zehn Zentimeter aus ihren Schultern hervor, doch anstelle von Fingern wiesen ihre Hände sich windende Tentakel auf, die so lang waren, dass sie über ihre Knie hinaus nach unten hingen. Der Körper war so gerade wie ein Baumstamm, und als sie sich flussabwärts bewegte, um sich zu der Stelle zu begeben, wo Vestara und Lady Rhea ans Ufer kommen würden, schienen ihre Beine nicht so sehr nach vorn zu schwingen, sondern vielmehr irgendwie zu wogen.

Vestara wurde kalt und mulmig zumute, als Ahri sie und Lady Rhea auf dem Strand absetzte. Dann kniete sie an einer seichten Stelle, spie würgend schwarzes, verschlammtes Wasser in den Fluss und zitterte so heftig, dass ihr Körper schmerzte. So grauenvoll dieses Ding auch war, das hinter Ahri und Xal stand, so kam es ihr doch vertraut vor. Die lange Adlernase, die hohen Wangenknochen, das wohlgeformte Kinn, all das machte das Gesicht von Abeloth aus. Just an diesem Morgen hatte eben dieses Antlitz schöner gewirkt, als sie es je zuvor gesehen hatte. bis Lady Rhea verkündet hatte, dass es an der Zeit war, nach Hause zurückzukehren, und Abeloth ihre wahre Natur preisgegeben hatte.

»Das ist bloß Flusswasser«, sagte Lady Rhea, die Vestara am Arm ergriff. »Steh auf! Dann geht es dir besser.«

Vestara ließ sich hochziehen. In der Hoffnung, dass das Ding, das sie bei Ahri gesehen hatte, bloß das Produkt eines unter Sauerstoffmangel leidenden Verstandes war - oder dass ihr zumindest erspart bleiben würde, es noch einmal in seiner wahren Gestalt zu sehen -, schaute sie wieder das Ufer hinauf.

Und begann erneut zu zittern. Das Ding war immer noch da, so schrecklich wie zuvor - und es kam auf sie zu. Die winzigen silbernen Augen brannten ein Loch durch sie, der grausame Mund lächelte von Ohr zu Ohr und offenbarte einen Rachen voller scharfer Zähne.

»Ist schon gut, Vestara«, sagte Lady Rhea und ergriff sie an den Schultern. »Du kommst wieder in Ordnung.«

»Ich. Ich weiß.« Vestara nickte, schaute jedoch weiterhin an Lady Rhea vorbei. »Lady Rhea, seht! Seht Ihr dieses. dieses Ding hinter Ahri und Xal?«

Lady Rhea schaute hin und runzelte dann die Stirn. »Du meinst Abeloth?«

Vestaras Kraft schwand, und sie wäre gestürzt, wenn Lady Rhea sie nicht mit der Macht aufgefangen hätte. »Vestara, was ist los? Du scheinst erschöpft zu sein.«

Als Vestara bewusst wurde, dass sie die Einzige war, die das Ding sah, zwang sie sich zu einem Nicken. »Das bin ich, aber damit komme ich schon klar.«

Und vielleicht tat sie das tatsächlich, sagte Vestara sich. Es gab keinen Grund zu verzweifeln. Jetzt, wo sie Abeloths wahre Natur erkannt hatte, konnte sie sie bezwingen. Ein Sith konnte alles bezwangen, wenn er verstand, womit er es zu tun hatte.

Lady Rhea musste die Rückkehr von Vestaras Entschlossenheit gespürt haben, denn sie lächelte und lockerte ihren Griff.

»So ist es besser.« Sie klopfte Vestara auf die Schultern, ehe sie sich flussaufwärts wandte. »Meister Xal, ich brauche ein Lichtschwert und einen Lagebericht. Haben wir immer noch Schiffs Position?«

Die Antwort darauf war unnötig. Noch als Lady Rhea ihre Worte rief, tauchte Schiff in der Lerne auf, ein winziger Fleck, der aus Richtung der Shuttle-Lichtung über den Dschungel schwebte. Allerdings waren alle zu sehr mit Lady Rhea beschäftigt, um das Gefährt zu entdecken, erkundigten sich nach Verletzungen und boten ihr Lichtschwerter an, die sie den Leichen ihrer gefallenen Gefährten abgenommen hatten. Also tat Vestara so, als würde sie nicht sehen, wie Schiff näher kam, und streckte einfach ihre Machtsinne danach aus.

Warum? Warum hast du uns verraten?

Weil es mir befohlen wurde, und Maschinen müssen gehorchen.

Na gut, entgegnete Vestara. Ich befehle dir, jetzt zu mir zu kommen. Ich befehle dir, zu landen und uns von hier wegzubringen, uns zurück nach Kesh zu bringen.

Als Schiff näher kam, baute sich allmählich ein dumpfes Knistern auf, und einen Moment lang glaubte Vestara, dass er wirklich aufsetzen würde. Dann jedoch, als Lady Rhea und die anderen zu dem Geräusch herumwirbelten, beschleunigte Schiff und schoss so dicht über ihre Köpfe hinweg, dass Vestara tatsächlich die Hitze seiner Schubeinheiten fühlen konnte.

Dummes Kind, sagte Schiff zu ihr. Die Macht ist stark in dir -aber stark ist nichts, verglichen mit allmächtig.

Lady Rhea fing an, Anweisungen zu brüllen, um den Trupp wieder über den Fluss zurück in Richtung des Höhlengrats zu führen. Vestara folgte ihnen nicht. Stattdessen verweilte sie am Ufer und verfolgte, wie das grausige Ding, das Abeloth war, weiter auf sie zukam.

Du hast meine Warnungen missachtet, erinnerte Schiff sie. Und nun bist du genauso verloren, wie ich es bin.

Vestara schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht verloren.« Die Worte laut auszusprechen, schien bloß dafür zu sorgen, dass sie sich noch falscher anhörten, doch sie ließ sich davon nicht beirren. »Sith geben niemals auf. Sith verzagen niemals.«

Grimmige Belustigung wogte durch die Macht. Du bist ein kluges Mädchen, Vestara, meinte Schiff. Warum glaubst du, dass irgendetwas, das du tun könntest, dich jemals von diesem Planeten wegbringen würde?

Schiff schrumpfte zu einem dunklen Fleck, der vor dem Felsgrat zusehends kleiner wurde, verschwand aus der Macht und ließ Vestara am Flussufer allein mit Abeloth zurück. Ein Fächer schleimiger Tentakel glitt um ihre Schultern, und sie drehte sich um, um in die kalten Sterne zu blicken - die Augen des Dings.

»Komm mit mir, Vestara!«. sagte es. »Ich werde dich sicher über den Fluss bringen.«