22.
Das blitzende Licht der Warnleuchten konnte Ben ertragen. Und das Zirpen und Heulen der Alarmsirenen hatte er bereits mit einigen wohlplatzierten Blastersalven zum Schweigen gebracht. Doch gegen den beißenden Rauch, der aus den Ausrüstungsschränken aufstieg, konnte er nichts tun. Ganz gleich, wie schlecht die Luftaustauscher des Kontrollraums arbeiteten, ganz egal, wie sehr die Dämpfe in seinen Augen stachen oder in seiner Kehle brannten, er wagte es nicht, an solch fremdartiger Technologie herumzufummeln. Man konnte unmöglich sagen, was er dabei vielleicht in die Luft jagte: sich selbst, das gesamte Habitat... womöglich sogar den ganzen Schlund.
Und es gab einige Dinge, die ein guter Jedi einfach nicht riskierte.
Als Ben zu dem Schluss gelangte, dass er jede mögliche Sicherheitsmaßnahme getroffen hatte, kehrte er zur Einstiegsluke zurück. Er überprüfte ein letztes Mal die Schweißnähte, dann nickte er zufrieden und schaltete die Energiezufuhr des Plasmabrenners aus. Jetzt würde niemand mehr durch diese Tür geschlichen kommen, wenn er nicht aufpasste.
Ben warf die Schweißmaske und die Handschuhe im Gehen beiseite und entschied, zum vorderen Bereich des dreigeschossigen Kontrollraums hinabzusteigen. Dort lag sein abgemagerter Vater angeschnallt auf einer Schwebetrage aus der Medistation der Schatten, gebadet im flackernden violetten Licht des sich windenden Strahlens jenseits des Sichtfensters. In beiden Armen steckten frische [V-Katheter.
von denen ihn einer mit Flüssigkeit und der andere mit Nährstoffen versorgte, doch Ben wusste nicht, wie lange die Infusionen seinen Vater noch am Leben halten würden. Beide Führer waren bereits vor über einer Woche gestorben: der Givin, weil Ben keine Ahnung hatte, wie er durch das Exoskelett intravenös eine Kanüle einführen sollte, der andere schlichtweg deshalb, weil die Schatten keine der salzlosen Tropfbeutel an Bord hatte, die man brauchte, wenn man einen Gotal nicht vergiften wollte.
Mehrere Meter entfernt saß Rhondi Tremaine, die wieder menschlich aussah, mit recht sauberem gelbem Haar und Wangen, die lediglich ein bisschen eingefallen waren. Ein Paar Elektrohandschellen aus den Sicherheitsfächern der Schatten fesselten sie mit einem Handgelenk an einen metallenen Bodenträger, den Ben zu diesem Zweck freigelegt hatte. Ihre Stirn war vor Furcht in Falten gelegt und ihre Augen rot gerändert vom Weinen.
»Ben, bitte'«, flehte sie. »Was machst du da?«
Ben antwortete nicht, weil er sich da selbst noch nicht so sicher war. Die Anweisungen seines Vaters waren eindeutig gewesen: Ben sollte unter keinen Umständen hinter die Schatten gehen. Falls irgendetwas schiefging, sollte er sich bei den Meistern melden und sicherstellen, dass die Jedi von der dunklen Macht erfuhren, die sich im Schlund verbarg.
Allerdings war das gewesen, bevor Ben anfing durchzudrehen.
Er kannte die Symptome paranoider wahnhafter Störungen, und ihm war klar geworden, dass er unter den meisten davon litt: die unerschütterliche Überzeugung, dass sein Leben und das seines Vaters in Gefahr war, die alles verzehrende Furcht, die ihn mit jedem Gedanken heimsuchte, die Gründe, die er jederzeit fand, um jede Tatsache abzutun, die seinen eigenen Überzeugungen widersprach. Und dennoch versuchten die Geistwandler, ihn zu töten. Auch wenn er die eigene geistige Zurechnungsfähigkeit anzweifelte - daran zweifelte Ben nicht im Geringsten.
Selbstverständlich hatte ihn niemand direkt angegriffen. Dafür waren die Geistwandler zu gerissen. Stattdessen hatten sie die Medistation der Schatten bis zu dem Punkt geleert, dass er mittlerweile nicht einmal mehr eine einfache Infektion behandeln konnte. Sie hatten so viel Nutripaste aufgebraucht, dass Ben dazu gezwungen gewesen war, auf alte Dehydro-Vorräte aus den anderen Schiffen im Hangar zurückzugreifen. Und das Recyclingsystem der Schalten hatte durch die Leute, die kamen, tranken und dann wieder gingen, so viel Wasser verloren, dass das System jetzt Probleme hatte, die verbliebene Flüssigkeit zu reinigen.
»Ben«, sagte Rhondi, »du kannst Rolund nicht in diesem kleinen Raum dem Tod überlassen. Das ist einfach, krank.«
Obgleich Ben das nicht sagte, war er der Ansicht, dass Rhondi vermutlich recht hatte. Mit Sicherheit war es nicht normal, einen Mann in einer Schlafkabine einzuschweißen. Und es war auch nicht normal, die Tür mit einer Thermitsprengladung zu versehen, um zu verhindern, dass sich jemand daran zu schaffen machte.
Allerdings war all das notwendig, falls Ben beschloss, seinen Plan durchzuziehen. Und allmählich wurde ihm klar, dass ihm vermutlich keine andere Wahl blieb. So schlimm es auch war. dass beide Kinder von Meister Horn den Verstand verloren hatten, so würde es für den Jedi-Orden einer Katastrophe gleichkommen, wenn Ben Skywalker allein, wahnhaft und paranoid nach Coruscant zurückkehrte - einer so gewaltigen
Katastrophe, dass sie bloß noch von Luke Skywalkers Tod übertroffen werden würde. Und es konnte leicht noch schlimmer werden. In Bens verwirrtem Zustand vergaß er womöglich zu melden, was er und sein Vater im Schlund entdeckt hatten. oder man glaubte es ihm vielleicht nicht.
Rhondi schien Bens Schweigen als Absichtserklärung zu werten. »Tu das nicht!«, flehte sie. »Wenn Rolund da drin verhungert, ist er verloren, bis seine Präsenz mit der Macht verschmilzt. Bring ihn wenigstens hierher, wo er die Meditationskammer sehen und seinen Weg zurück in die Schatten finden kann.«
Ben runzelte die Stirn und fragte: »Habe ich dir das nicht alles schon mal erklärt?«
Trotz des zynischen Untertons war Bens Frage ernst gemeint. Er stand in jüngster Zeit ungeheuer unter Druck, hatte alles getan, was ihm einfiel, um seinen Vater in dessen Körper zurückzubringen, und irgendwie schien es ihm durchaus denkbar zu sein, dass er bei all dem Stress vergessen hatte, diesen entscheidenden Teil seines Plans in die Tat umzusetzen.
Anstatt darauf zu antworten, begann Rhondi zu weinen. Ben gelangte zu dem Schluss, dass er seine Frage ein wenig behutsamer formulieren musste. Er streckte seine Machtsinne aus und drehte ihren Kopf zu sich herum.
»Habe ich dir das Ganze bereits erklärt?«, fragte er.
Rhondi nickte und weinte noch heftiger. Ihre Tränen sorgten dafür, dass er sich wegen dem, was er ihr und ihrem Bruder antat, ein bisschen leer und schuldig fühlte. aber andererseits war sie eine von den Leuten, die ihn umzubringen versuchten.
»Und erinnerst du dich daran, was ich gesagt habe?«, wollte Ben wissen. Es hatte keinen Sinn, irgendwelche Missverständnisse zu riskieren. »Sag's mir!«
»Du hast gesagt, dass Rolund in dieser Kammer sterben wird, wenn du jenseits der Schatten stirbst«, krächzte Rhondi.
»Das ist richtig«, erwiderte Ben, und ihm wurde klar, dass er seine Entscheidung schließlich getroffen hatte. Rhondi versuchte, ihn auszutricksen, ihren Bruder in Sicherheit zu bringen, damit es ihr freistehen würde, Ben zu töten. »Und werde ich sterben, während wir jenseits der Schatten sind?«
Rhondi schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
»Gut«, sagte Ben. Er kletterte auf eine Schwebetrage, die neben der seines Vaters stand, und schnallte rasch seine Beine fest. »Dann gibt es nichts, worüber wir uns Sorgen machen müssten.«
Ben stellte die Fließgeschwindigkeit seiner IV-Infusionen ein, dann legte er sich auf der Trage zurück und nutzte die Macht, um die Riemen über der Brust zu befestigen.
»Rolund hat genügend Essen und Wasser, um einen Monat durchzuhalten«, beteuerte Ben, gleichermaßen um Rhondi wie auch sich selbst zu beruhigen. »Ihm wird nichts passieren.«
Rhondi wirkte davon alles andere als überzeugt, doch sie wandte nur den Blick ab und machte sich nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. »Bist du bereit?«
Ben nickte. »Mehr als das«, antwortete er. »Was muss ich machen?«
»Wende dich einfach dem Licht zu«, erklärte Rhondi ihm. »Hör auf meine Stimme und atme! Wir werden zusammen gehen.«
Ben wandte sich dem violetten Licht zu.
»Es gibt kein Leben«, begann Rhondi.
Ben, der mit den Techniken der Machtmeditation mehr als vertraut war, atmete ein, während sie sprach, um dann in der
Schweigepause, die folgte, in das lila Licht auszuatmen, das sich jenseits des Sichtfensters krümmte.
»Es gibt nur die Macht.«
Ben atmete wieder aus und spürte, wie er auf das Licht zutrieb.
»Stell dir in Gedanken die Zahl eins vor!«, leitete Rhondi ihn an. »Das ist die erste Stufe des Aufstiegs. Es gibt kein Leben...« Erneut atmete Ben in das Licht aus. »Es gibt nur die Macht.« Ben atmete wieder aus.
»Jetzt siehst du die Nummer zwei«, sagte Rhondi. »Es gibt keine Zeit...«
Ben atmete ein weiteres Mal aus.
Einige Minuten später - oder vielleicht waren auch einige Stunden vergangen - erreichten sie die Nummer sieben, und Ben fühlte, wie er sich von allem löste. Anfangs hatte er tausend Fragen wegen dem, was mit ihm geschah, darüber, wie lange sie schon fortwaren und was aus seinem zurückgelassenen Körper werden würde. Als Rhondi jedoch neben ihm auftauchte und erfrischter und schöner aussah als jemals zuvor, beschäftigte ihn bloß noch eine einzige Frage.
»Wie finden wir meinen Vater?«
Rhondi streckte ihre Hand aus. »Nimm meine Hand!«, sagte sie. »Denk an deinen Vater und geh mit mir ins Licht!«
Ben tat wie geheißen, und gemeinsam schwebten sie in das knisternde violette Strahlen jenseits des Sichtfensters. Mit einem Mal war er von einer ewig währenden, grenzenlosen Glückseligkeit erfüllt, die alles übertraf, was er je erlebt hatte. Er wurde eins mit der Macht, verschmolz mit ihr und wurde von einer ruhigen Freude erfüllt, die so gewaltig war wie die Galaxis seihst. Wie lange er und Rhondi dort zusammen hingen, würde Ben niemals erfahren. Es währte kürzer als ein
I.id schlag und so lang wie die Ewigkeit. Dann sagte eine Stimme: Komm her!
Und plötzlich schweifte Bens Blick über einen schmalen Bergsee mit einer Oberfläche, so reglos wie schwarzes Glas. An einem Ufer erhob sich eine nackte Felswand, die zu einem kuppelförmigen Gipfel hin abstieg, der vom Azurschein einer blauen Sonne erhellt wurde. Längs des anderen Ufers lag eine von Felsbrocken übersäte Wiese voller kleiner Hügel aus kniehohem Moos und Bächen plätschernden Wassers. Direkt voraus stand sein Vater neben Ryontarr und dem Givin und schaute zu einer halb verborgenen weiblichen Gestalt hinüber, die in dem silbernen Dunst schwebte, der das andere Ende des Sees verhüllte.
Ben ließ Rhondis Hand los und bewegte sich vorwärts, ohne länger von demselben Gefühl von Dringlichkeit verzehrt zu werden, das ihm auf der Raumstation so zu schaffen gemacht hatte. Gewiss, sein Vater war im Laufe der letzten paar Wochen gefährlich schwach geworden. Und ja, auch sein eigenes Leben stand auf dem Spiel, da die Geistwandler versuchten, ihn zu töten. Gleichwohl, derart banale Bedenken hatte Ben zusammen mit seinem Körper zurückgelassen. Er war in der unbegreiflichen Unendlichkeit des Universums geschwommen, hatte von der schieren Freude der ewigen Existenz gekostet, und jetzt verstand er.
Leben und Tod waren dasselbe, weil Augenblicke nicht vergingen, nicht wie Luft, Wasser oder Nutripaste konsumiert werden konnten. Sie existierten jetzt und für immer, über die gesamte Kontinuität des Seins ausgebreitet, auf dieselbe Weise, wie Atome in der Weite des Universums verstreut waren. Genauso, wie sich Atome zu Gruppen zusammenballten, die lebende Wesen als Materie wahrnahmen, und Augenblicke zu Paketen von Minuten und Stunden gebündelt waren, die sterbliche Kreaturen als verstreichende Zeit gewahrten.
Allerdings waren diese Pakete ebenso wenig die Essenz der Zeit, wie das Sonnenlicht die Essenz eines Sterns war oder Hitze die Essenz von Feuer. Vielmehr waren sie bloß die Wahrnehmung, durch die der Verstand endlicher Wesen die Unendlichkeit erlebte, die Gefühle, anhand derer ihre Leiber die eigene Existenz und alles um sie herum entdeckten.
Ben erreichte den See und blieb neben seinem Vater stehen, gegenüber von Ryontarr und dem Givin. Die weibliche Gestalt war nicht mehr als fünfzig Schritte entfernt, nah genug, dass Ben erkennen konnte, dass sie nicht ganz menschlich war, mit wallendem safrangelben Haar, das bis ins Wasser hinunterzuhängen schien, und zwei winzigen, hellen Augen, die in so tiefen Höhlen saßen, dass sie wie Brunnen wirkten.
Als sein Vater ihn nicht sofort zu bemerken schien, sagte Ben: »Meine Güte, Dad. Das war ein abenteuerlicher Trip.«
Luke schnaubte amüsiert, ehe er sich mit einem trockenen Lächeln an Ben wandte. »Eigentlich solltest du das doch überhaupt nicht rausfinden.«
Ben nickte, und mit einem Mal hatte er das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Wenn die Zeit und das Leben eine Illusion waren, was spielte es dann für eine Rolle, wenn er verrückt wurde? Was spielte es dann für eine Rolle, ob sein Vater starb und Ben den Meistern niemals Bericht erstattete? Beides war bereits passiert oder würde nie geschehen. Letzten Endes war alles, was er getan hatte, einen Befehl zu missachten.
Ben senkte den Blick. »Tut mir leid«, sagte er. »Es wäre keine gute Idee gewesen, wenn ich einfach nach Coruscant zurückgekehrt wäre - nicht solange die Dinge so sind, wie sie es dank Daala sind.«
Luke war verwundert. »Und warum nicht?«
»Denk mal daran, wo wir sind, Dad«, meinte Ben, der sich zwang, dem Blick seines Vaters zu trotzen, »oder zumindest daran, wo unsere Körper sind, und was alle, die verrückt geworden sind, gemeinsam haben!«
Luke nickte. »Die Zuflucht.« Er legte den Kopf zur Seite und musterte Ben einen Moment lang. »Wurdest du. ?«
»Ich glaube schon.« Ben schaute zu Rhondi hinüber, ehe er die Stimme senkte: »Dad, niemand hat mich konkret angegriffen. Aber ich habe dieses Gefühl - dieses wirklich starke Gefühl -, dass die versuchen, mich zu töten.«
Luke schenkte ihm ein Lächeln. »Ben, wenn etwas wahr ist, hat das nichts mit Paranoia zu tun.« Er wies mit dem Kopf in Richtung seiner beiden Begleiter. »Diese beiden haben mich in eine Falle nach der anderen geführt, seit wir die Station verlassen haben.«
Ben sah stirnrunzelnd zu Ryontarr und dem Givin hinüber. »Und du bist trotzdem noch hier? Warum?«
Luke zuckte die Schultern, bevor er zu der Frau im Nebel zurückschaute. »Ich habe noch einige Fragen.«
»Diese Fragen können warten.« Nicht Ben sagte das, sondern Rhondi. Sie streckte hinter Ben die Hand nach vorn und ergriff ihn am Arm. »Nimm deinen Vater! Ich habe meinen Teil unserer Abmachung gehalten, jetzt müssen wir gehen.«
»Abmachung.« Ryontarr lehnte sich zur Seite, um mit düsterer Miene an den Skywalkers vorbeizuschauen, während der Givin hinter Rhondi glitt. »Warum solltest du so was tun?«
Die eindeutige Feindseligkeit in der Stimme des Gotal rief Ben die Dringlichkeit ins Gedächtnis zurück, die er auf der
Station gefühlt hatte.
»Das stimmt, Dad.« Er nahm seinen Vater am Arm und zog daran. »Du bist kurz davor zu sterben. Wir müssen hier verschwinden.«
Luke befreite sanft seinen Arm. »In einer Minute, Ben.« Er wandte sich an Ryontarr und fügte dann hinzu: »Ich weiß bereits seit einer ganzen Weile, dass ihr versucht, mich hinzuhalten. Warum ihr das tut, darauf kann ich mir allerdings keinen Reim machen.«
»Und Ihr erwartet von mir, dass ich Euch diesbezüglich aufkläre?«, fragte der Gotal. »Weil wir beide Jedi waren, einstmals?«
»Das wäre ausgesprochen zuvorkommend«, bestätigte Luke. »Allerdings ist der wahre Grund dafür, dass du es mir sagen wirst, weil ich gehen werde, wenn du es nicht tust.«
Ryontarr warf Rhondi einen vernichtenden Blick zu, dann nickte er und wies mit einem krallenversehenen Finger widerwillig auf die Frau im Dunst. »Weil sie es verlangt.«
Luke wandte sich wieder dem See zu. »Die Herrin im Nebel?«
Als sein Vater dies fragte, schaute Ben zu der Frau hinüber, und sofort überkam ihn das Gefühl drohender Gefahr. Sie besaß dieselbe gierige Präsenz, die er auf dem Weg in den Schlund wahrgenommen hatte, und dieselbe habgierige Berührung, vor der er als Zweijähriger zurückgewichen war.
Ben packte seinen Vater erneut am Arm. »Dad, ich denke wirklich, dass es Zeit ist zu verschwinden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es war, die ihre Sinne nach mir ausgestreckt hat, als ich in der Zuflucht war.«
»Das würde mich nicht überraschen«, meinte Luke, ohne zuzulassen, dass Ben ihn fortzog. Er wandte sich an Ryontarr.
»Wir gehen, sobald wir wissen, was sie von uns will.«
»Ich habe keine Ahnung«, versicherte Ryontarr und breitete die Hände aus. »Vielleicht solltet Ihr hingehen und sie fragen?«
Rhondi sagte: »Ben, das ist keine gute...« Doch sie brach den Satz ab. als der Givin dicht hinter sie trat. Ben versuchte von neuem, seinen Vater vom See wegzuziehen, aber büke wirkte beinahe, als wäre er an Ort und Stelle verwurzelt.
»Ich muss dieser Sache auf den Grund gehen. Diese Frau. Ich denke, sie weiß. was Jacen verdorben hat, ja. vielleicht sogar, was unsere Jedi-Ritter in den Wahnsinn treibt.« Luke trat in das flache Wasser dicht am Ufer. »Es wird nicht lange dauern, Ben. Geh schon mal zurück!«
»Ohne dich gehe ich nirgendwo hin.« Ben schaute zu Rhondi zurück und fügte hinzu: »Und du gehst nirgendwo ohne mich hin - und ohne einen besseren Führer als Ryontarr.«
Rhondi schüttelte bestürzt den Kopf, doch sie trat vor und packte ihn am Handgelenk. »Nimm deines Vaters Arm!«
Ben folgte ihr ins Wasser und tat wie geheißen. Als sein Vater keine Einwände erhob, führte sie sie nach vorn, wobei sie dicht bei der Wiese blieb. Zu Bens Überraschung - und Unbehagen - warfen die Felsbrocken und Mooshügel entlang des Ufers keine Spiegelungen von sich selbst aufs Wasser, sondern von Wookiees, Barabel. Menschen, Chadra-Fan und von einigen Spezies, die Ben nicht einmal kannte. Allerdings schienen sich diese Spiegelbilder nicht direkt auf der Wasseroberfläche zu befinden. Stattdessen hatte es den Anschein, als befänden sie sich ungefähr ein Dutzend Zentimeter darunter, genau da. wo das Wasser zu dunkel wurde, um tiefer hinabzuschauen.
»Dies ist der See der Erscheinungen«, erklärte Ryontarr, der Ben nachfolgte. »Vielleicht seht ihr, wie er zu diesem Namen
kommt.«
»Ja«, erwiderte Ben. Tatsächlich hätte er nichts dagegen gehabt, den Namen nicht zu kennen - allerdings war er sich ziemlich sicher, dass dem Gotal das durchaus bewusst war. »Danke für den Hinweis.«
»War mir ein Vergnügen«, behauptete Ryontarr. »Und dieses Ende des Sees nennen wir den Spiegel der Erinnerung.«
»Einprägsame Namen«, sagte Ben. »Ich werde das im Reiseführer vermerken.«
Als sie vorwärts wateten, verursachten sie keine platschenden Geräusche oder störten auch bloß die Oberfläche des Sees. Und warum hätten sie das auch tun sollen? Sie waren lediglich geistig und nicht körperlich anwesend, und Machtpräsenzen hatten normalerweise keinen Einfluss auf die physische Welt. vorausgesetzt, dies war eine physische Welt.
Jedenfalls wirkte sie wie eine. Das Wasser war nicht mehr als wadentief, doch es war dunkel, und er konnte seine Füße nicht sehen. Schon nach ein paar Schritten trat er unter Wasser auf einen Stein und stolperte, und Rhondi befahl hastig: »Tretet nur dahin, wo ich hintrete. Der See ist grundsätzlich flach, aber es gibt Stellen, wo er steil abfällt.«
»In die Tiefen der Ewigkeit«, rasselte der Givin vom anderen Ende der Schlange. »Wenn ihr darin versinkt, können selbst wir euch nicht wieder herausziehen.«
»Klasse.« Ben stieß seinen Vater sanft vorwärts, direkt hinter Rhondi her, bevor er selbst in die Schlange rutschte und nach vorn griff, um weiterhin den Arm seines Vaters festzuhalten. »Hast du das gehört, Dad?«
»Gewiss, mein Sohn.« Luke klang mehr amüsiert denn besorgt. »Aber danke, dass du noch mal nachgefragt hast.«
»Kein Problem«, entgegnete Ben. »In deinem Alter lässt das Gehör allmählich nach.«
Während Ben sprach, schaute er nach unten, um sicherzugehen, dass er genau den Schritten seines Vaters folgte - dann keuchte er laut auf, als er das Gesicht erkannte, das zu ihm aufblickte. Er hatte dieses Gesicht das letzte Mal gesehen, als er noch zu jung gewesen war. um sich daran zu erinnern, aber er hatte sich Unmengen von Holos davon angeschaut, und diese eisblauen Augen und das wuschelige, sandbraune Haar ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wen er hier vor sieh hatte. Anakin Solo.
Beim Klang von Bens Keuchen blieb sein Vater stehen, drehte sich um und stieß ebenfalls ein Keuchen aus. »Anakin?«
Anakins Bild schwebte nach oben, als würde es aus der Spiegelung eines Felsens am Ufer aufsteigen. Seine Lippen durchbrachen knapp die Oberfläche des Sees, und seine eisblauen Augen schwangen in Lukes Richtung.
»Onkel... Luke?« Anakins Stimme klang gurgelnd und unartikuliert, wie die eines Mon Calamari. »Bist du es wirklich?«
Luke nickte, und seine Machtaura wurde kalt und schwer von den Schuldgefühlen, die er selbst jetzt, anderthalb Jahrzehnte später, noch empfand, weil er Anakin auf die Mission geschickt hatte, von der er nicht wieder zurückgekehrt war.
»Ja, Anakin. Ich bin es. «
Lukes Stimme überschlug sich, und er wirkte zu aufgewühlt, um fortzufahren. Ben konnte den Grund verstehen - er selbst hatte Anakin nicht einmal gekannt und fühlte sich dennoch fassungslos, verwirrt, glücklich, traurig. und voller Argwöhn. Alles, was die Geistwandler taten, diente dem Zweck, ihn und seinen Vater so lange jenseits der Schatten zu halten, bis sie starben. Es schien vollkommen unmöglich, dass sie tatsächlich mit Anakin Solo sprachen - fast so unmöglich, wie es war. seinen Körper zurückzulassen, um als reine Machtpräsenzen durch den Schlund zu reisen.
Ben, der zu dem Schluss gelangte, dass es am besten sein würde, seinem Vater etwas Zeit zu verschaffen, um sich von dem Schock zu erholen, ganz gleich, was es hiermit in Wahrheit auf sich hatte, sagte: »Hallo. Anakin! Es ist mir eine Ehre, dich, äh. kennenzulernen.«
Anakins Blick wanderte zu Ben hinüber. »Ben?«, fragte er. »Ist es schon so lange her?«
Ben nickte. »Ich fürchte ja. Ich bin jetzt im selben After, in dem du warst.« Er zögerte, fragte sich, ob es klug war, eine Erscheinung an ihren Tod zu erinnern, dann entschied er, dass es beleidigend gewesen wäre, nicht vollkommen aufrichtig zu sein. ». als du gestorben bist.«
Zu Bens Erleichterung wirkte Anakin darüber nicht im Mindesten überrascht. Er lächelte bloß und sagte dann: »Versuch ja nicht, dir ein Beispiel an mir zu nehmen, in Ordnung?«
Ben prustete, ohne dass er es wollte, und sagte: »Ich tue mein Bestes.«
»Gut.« Anakins Miene wurde ernst. »Sei viel vorsichtiger, als ich es war, Ben! Lerne aus meinen Fehlern!«
»Das habe ich - nicht aus deinen Fehlern, meine ich, sondern von all dem, was du sonst getan hast.« Ben schaute zur Seite, und als er sah, dass sein Vater wirkte, als hätte er seine Fassung wiedererlangt, fügte er hinzu: »Du bist eine Legende, Anakin. Dein Opfer hat die Jedi gerettet. Seitdem gab es keinen Jedi-Ritter mehr, der so stark war wie du.«
Anakin runzelte die Stirn, ehe er wieder zu Luke schaute. »Du scheinst sie zu verhätscheln.«
Luke lächelte, schüttelte jedoch den Kopf. »Nicht im Geringsten. Ben hat recht.« Er hockte sich hin, sodass er näher bei Anakins Gesicht sein konnte. »Ich setze große Hoffnungen in Ben, aber einen Jedi-Ritter wie dich hat es seit damals nicht wieder gegeben. Dich zu verlieren, war für den Orden ein ebenso großer Verlust wie für deine Familie.«
Sorge trat in Anakins Blick. »Das hätte nicht so sein sollen. Der Orden kann nicht darauf warten, von einem großen Jedi-Ritter geführt zu werden. Alle dachten, dass ich das sei, und als ich starb, ist zu viel mit mir gestorben.« Fr wandte sich an Ben. »Mach nicht den Fehler, den ich gemacht habe, lass dich von niemandem in diese Rolle drängen! Jeder Jedi-Ritter muss für sich selbst erstrahlen, weil das Licht nicht erlöschen sollte, wenn ein einzelner Jedi stirbt.«
Ben nickte. »In Ordnung, Anakin«, sagte er. »Ich denke, das verstehe ich.«
»Weil weise Worte stets leicht zu begreifen sind«, meinte Luke. »Ich werde mir deinen Rat zu Herzen nehmen, Anakin. Aber ich möchte, dass du weißt, dass das, was du auf der Baanu Raas getan hast, den ganzen Orden gerettet hat. Dafür danke ich dir.«
»Das war ich nicht allein.« Anakin schloss die Augen. Einen Moment lang schien es, als würde er wieder unter die Wasseroberfläche versinken, doch dann fragte er: »Was ist mit Tahiri? Geht es ihr gut?«
Lukes Lippen strafften sich, und Ben wusste, dass sein Vater Angst hatte zu antworten - dass die ganze schreckliche Wahrheit herauskommen würde, wenn er jetzt zu sprechen begann, darüber, was Jacen ihr angetan hatte, wozu Jacen geworden war - wozu Jaina gezwungen gewesen war, um ihn aufzuhalten.
»Das wird es, Anakin«, sagte Ben. »Das verspreche ich dir.«
Falls Lukes Zögern Anakin irgendetwas verraten hatte, zeigte er es nicht. Er nickte bloß.
»Gut. Sag ihr, dass ich sie immer noch liebe!« Sein Kopf neigte sich nach hinten, und er sagte: »Geht jetzt! Euch bleibt nicht viel Zeit.«
Anakins Gesicht versank so rasch, wie es an die Oberfläche gekommen war, um Ben und seinen Vater im kalten Wasser stehend zurückzulassen, während sie sich fragten, was sie gerade gesehen hatten, ob die Erscheinung real gewesen war oder ein Phantom. und ob dieser Unterschied überhaupt eine Rolle spielte.
Schließlich fragte Ben: »War das. War das ein Machtgeist?«
Luke dachte einen Moment nach, ehe er einfach die Schultern zuckte. »Ich habe keine Ahnung, Ben.« Er wandte sich wieder der Frau im Nebel zu und bedeutete Rhondi weiterzugehen. »Aber was auch immer es war, er war es.«
Rhondi ging weiter, und trotz Anakins Warnung war Ben klug genug, keinen Versuch zu unternehmen, seinen Vater zum Umkehren zu überreden. Wer auch immer - was auch immer -die Frau im Nebel war, sie war ein Teil dessen, was seinen Orden bedrohte, den Orden, den zu beschützen Anakin gestorben war, und Luke Skywalker würde nicht eher umkehren, bis sie ihm gesagt hatte, was sie wusste.
Sie gingen länger geradeaus, als die Entfernung zur Frau Bens Schätzung zufolge überhaupt betrug - mindestens hundert Schritte weiter. Dann machte sein Vater einen Satz nach vorn, als sein vorderes Bein unvermittelt bis zum Oberschenkel im dunklen Wasser versank.
»Dad!« Ben packte ihn am Arm und wurde beinahe mit runtergezogen, dann fing er sie beide mit der Macht ab und hob sie wieder auf den Pfad, den Rhondi für sie gewählt hatte. »Bist du in Ordnung?«
Anstatt zu antworten, schaute sein Vater nur in das Wasser. Einen schrecklichen Moment lang fürchtete Ben, dass er nicht schnell genug gewesen war, dass irgendein Teil von der Essenz seines Vaters bereits in den Tiefen der Ewigkeit verschwunden war.
Dann sah Ben, was sein Vater so intensiv betrachtete.
Als Ben Anakins Antlitz unter der Oberfläche entdeckt hatte, war er erstaunt gewesen, verwirrt, sogar verängstigt. Dieses Mal war er bloß bekümmert.
»Mom?«, keuchte er.
Die grünen Augen seiner Mutter öffneten sieh ruckartig. Sie schwebte zur Oberfläche und wirkte weder glücklich noch verwirrt, bloß besorgt. Voller Furcht. Vielleicht sogar wütend.
Ihr Blick wanderte von Ben zu Luke und wieder zurück. »Ihr beide solltet nicht hier sein«, sagte sie. »Was ist mit euch los?«
Ben konnte nicht antworten. Der Kloß, der in seinem Hals saß, war groß wie seine Faust, und die Worte wollten einfach nicht herauskommen. Doch zu seinem Erstaunen lächelte sein Vater bloß und ging wieder in die Hocke.
»Hallo Mara«, grüßte er sie. »Es ist schön, dich zu sehen.«
Ihre Miene wurde sanfter. »Dich auch, Skywalker«, entgegnete sie. »Aber ich meine es ernst. Ihr könnt nicht.«
»Uns geht es gut«, versicherte Luke ihr.
»Nicht, wenn ihr hier seid.« Ihr Mund zog sich in einem plötzlichen Anflug von Entsetzen zusammen. »Ihr seid doch nicht. «
»Wir leben, Mara, und sind auf einer Mission.« Luke ließ den Blick über den See schweifen und fügte dann hinzu: »Auf einer der seltsamsten, die ich je erlebt habe, aber wir kommen schon zurecht. Kannst du mir sagen, was genau dies für ein Ort ist?«
»Das habe ich euch doch gesagt«, rasselte der Givin hinter Ben. »Der See der Erscheinungen.«
»Das meinte er nicht, Knochenkopf«, sagte Ben. Seine Verärgerung riss ihn aus seiner Überraschung. »Hi, Mom. Ahm. lange nicht gesehen.«
Seine Witzelei brachte endlich das strahlende Lächeln zurück, nach dem sich Ben jetzt seit mittlerweile drei Jahren sehnte. »Ben! Du bist gewachsen. und damit meine ich nicht bloß, dass du größer geworden bist.«
Ben nickte und kniete sich neben seinen Vater. »In vielerlei Hinsicht.«
Er sehnte sich danach, sich vorzubeugen und die wässrige Wange seiner Mutter zu küssen oder zumindest die Hand auszustrecken und sie zu berühren. Doch sie war bloß ein Spiegelbild, und er wagte nicht, das Risiko einzugehen, aus Angst, dass er damit vielleicht den Augenblick zunichtemachte oder sie wieder unter die Oberfläche zurücksinken ließ.
Stattdessen fragte er: »Mom, kannst du uns etwas über diesen Ort erzählen? Hier ist es ziemlich seltsam.«
»Du sprichst mit einer toten Frau, Ben. Natürlich ist es hier seltsam.« Sie schaute einen Moment lang nachdenklich zur Seite und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich euch sagen soll. Ich könnte mir vorstellen, dass es hier für jeden anders ist.«
»Und wie ist es für dich?«, fragte sein Vater.
»Für mich ist dies ein Ort der Besinnung«, antwortete sie. »Um darüber nachzudenken, was ich getan habe.«
Lukes Augenbrauen glitten beunruhigt und auch bekümmert in die Höhe. »Mara, leidest du?«
»Ich habe einige Dinge getan, die mir Kummer bereiten, ja«, sagte sie.
Luke schüttelte den Kopf. »Aber du wusstest es nicht besser«, wandte er ein. »Palpatine hat dich ausgetrickst.«
Mara schenkte Luke ein trauriges Lächeln und sah aus, als hätte sie ihn ebenso gern berührt, wie Ben sie berühren wollte.
»Ich habe meinen Frieden mit Palpatine schon vor langer Zeit geschlossen. Das weißt du.« Sie wandte sich an Ben. »Aber ich habe ihm nicht mein ganzes Leben lang gedient, und das war zugleich mein Segen und mein Fluch.«
Ben runzelte die Stirn. »Mom, ich verstehe nicht recht.«
»Jacen«, sagte sie schlicht. »Ich habe ihm nicht als Jedi nachgestellt, Ben. Ich habe ihn wie eine Jägerin gejagt. wie eine Mörderin.«
Ben hatte das Gefühl, einen Stich ins Herz zu bekommen. »Aber er war ein Sith-Lord!«
»Nicht, als ich ihn gejagt habe«, erwiderte sie. »Und du weißt, dass das nicht der Grund dafür war, dass ich es getan habe.«
Bens Beine gaben nach. Hätte sein Vater ihn nicht am Arm gepackt, wäre er ins Wasser gefallen. Weil er es wusste. Seine Mutter hatte wegen dem Jagd auf Jacen gemacht, was er Ben antat, weil Ben sich zu sehr geschämt hatte, die Wahrheit mit seinem Vater zu teilen, und seine Mutter gebeten hatte, sein Geheimnis für sich zu behalten.
»Mom, es tut mir so leid«, sagte er. »Das ist alles.«
»Ist es nicht, Ben. und ich sage dir das nicht, weil ich möchte, dass du traurig bist.« Sie lächelte zu ihm empor. »Darüber bin ich nun ein wenig hinaus, denkst du nicht?«
Ben zwang sich, ihr Lächeln zu erwidern. »Ja, ich schätze schon.«
»Ich möchte, dass du aus dem lernst, was ich getan habe, Ben. Es ist nicht das Ergebnis, das zählt, sondern wie man es erreicht hat.« Ihr Blick wurde hart und zornig, dann sagte sie: »Jacens Ziele waren nobel. Er hat zum Wohl der Galaxis gehandelt. Seine Taten jedoch waren grauenhaft, und nichts kann daran etwas ändern. Selbst wenn er der Galaxis Frieden gebracht hätte, bleibt dieser Makel bestehen, der ihn für alle Ewigkeit besudeln wird. Verstehst du das?«
Wieder saß Ben dieser Kloß im Hals, jetzt so groß und fest, dass er bloß imstande war, ein einfaches »Ja« zu krächzen.
»Es kommt nicht auf das Vermächtnis an, das du hinterlässt, sondern auf das Leben, das du führst«, fuhr sie fort. »Denk daran, lebe danach!«
»Ich werde es nicht vergessen. Mom. Ich versprech's.«
»Gut.« Die Hand seiner Mutter glitt höher und berührte die Oberfläche des Wassers, eine Gefangene, die durch die Wand einer Transparistahlzelle zu greifen versuchte. »Darum muss ich dich bitten, Ben. Wenn du das tust, habe ich meinen Frieden. Das ist mein Versprechen.«
Sie begann zu versinken. »Geht jetzt!«
»Mara«, bat Luke, »warte!«
»Ihr habt keine Zeit.« Sie hörte auf zu sinken, und bloß ihre Lippen verweilten an der Oberfläche. »Vergiss sie!«
Luke schaute zu der Frau im Nebel hinüber, sagte aber: »Das ist nicht das, was ich wissen wollte.«
»Luke, ich weiß«, sagte Mara. »Aber sie ist eine von den Alten. Lass sie in Ruhe. vertrau mir!«
Luke schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht«, erwiderte er. »Noch nicht.«
»Dann kann ich nichts für dich tun«, sagte sie. »Ich liebe dich, Luke. Und wenn du das tun musst, möge die Macht mit dir sein!«
Damit schloss sie die Augen und sank unter die Oberfläche.
Luke blieb eine Stunde lang mit geschlossenen Augen und gesenktem Kinn über ihrem Spiegelbild hocken. Oder möglicherweise waren es auch bloß einige Sekunden, Ben vermochte es nicht zu sagen. Das Wichtige war, dass weder Ryontarr noch der Givin Anstalten machten, ihn zu stören, was auch Ben nicht wagte.
Rhondi war nicht so geduldig. Nach einer Weile zog sie Luke auf die Füße und wandte sich dann wieder dem anderen Ende des Sees zu.
»Nein!« Luke löste sich von ihr und wandte sich wieder dem Nebel zu. »Ich muss weiter vorwärtsgehen.«
Bevor Ben protestieren konnte, schüttelte Rhondi den Kopf. »Ich weiß, wer Mara Jade war und wer sie für Euch war. Wenn sie nicht will, dass Ihr in den Nebel des Vergessens geht, dann ist es an der Zeit umzukehren.«
Bei dem Namen, den sie dem Nebel gab, legte sich Lukes Stirn in Falten, aber er wandte sich nicht ab. »Wahrscheinlich hast du recht.« Ohne sich umzudrehen und Ben anzusehen, verlangte er: »Sohn, du gehst zurück! Wenn ich nicht nachkomme - nun, bald-, nimm die Schatten und.«
»Dad, der Nebel des Vergessens!«, unterbrach Ben ihn. »Welcher Teil davon schreit nicht: >Mom hat recht -verschwinden wir schleunigst von hier!<?«
Nicht der kleinste Anflug von Belustigung hellte die Machtaura seines Vaters auf. »Ben, das hier ist keine Diskussion.«
»Da hast du verkrifft noch mal recht«, meinte Ben. »Wenn du verrückt genug bist weiterzugehen, bist du zu verrückt, um mir Befehle zu erteilen. Und ich bin noch nicht so verrückt, sie zu befolgen. Ich komme mit dir.«
Sein Vater ließ den Kopf sinken, entweder, um Bens Worte abzuwägen oder Entschlossenheit zu sammeln. Dann sagte er: »Schön. Komm mit!«
Rhondi warf Ben einen wütenden Blick zu, dann ergriff sie Lukes Arm und ging wieder in Richtung des Nebels voraus. Während sie gingen, spähte die Galerie der Spiegelbilder weiter aus den Tiefen des Wassers empor, und Ben dachte an den geschwächten Körper seines Vaters an Bord der Schatten, fragte sich, wie viel Zeit ihnen tatsächlich noch blieb - falls sie überhaupt noch welche hatten.
»He, Dad?«
»Ich kehre nicht um.«
»Ich weiß«, sagte Ben. »Aber keine weiteren Zwischenstopps, okay? In deinem Alter kennst du vermutlich eine Menge toter Leute. Wenn wir stehen bleiben, um mit denen allen zu reden, werden wir bald da unten bei ihnen sein.«
Lücke lachte innerlich. »In Ordnung, Ben. Nicht mit allen.«
Sie waren vielleicht zweihundert Schritte weitergegangen, als Ben aufsah und feststellte, dass der Nebel genauso weit weg war wie eh und je. Teils davon überzeugt, dass sie sich gar nicht wirklich bewegten, wandte er seinen Blick gerade lange genug von den Fersen seines Vaters ab, um über die Schulter zurückschauen zu können - dann krachte er mit dem Kopf voran in den Rücken seines Vaters.
»Stang! Tut mir leid, Dad«, sagte Ben. »Aber ich glaube nicht, dass wir jemals da hinkommen werden. Dieser Nebel lockt uns einfach nur.«
Ben ließ den Satz unvollendet, als er sich wieder nach vorn wandte und sah, dass sein Vater wieder in das Wasser hinabblickte. »Kriff«, murmelte er. Er wollte nicht noch jemand anderes sehen. Nach der Warnung seiner Mutter, mit niemandem mehr zu sprechen, wäre ihm alles andere wie Verrat vorgekommen. Was er wirklich tun musste, war, seinen Vater dazu zu bringen, sich wieder in Bewegung zu setzen, damit sie endlich umdrehen und zurückgehen konnten, so, wie sie es ihnen aufgetragen hatte.
Ben wappnete sich, um grob - oder zumindest schnell - zu sein, bewegte sich vor. und fühlte, wie das Blut in seinen Adern gefror. Aus dem See blickte ein hageres, vertrautes Gesicht mit braunem Haar, einer schmalen Solo-Nase und den gelben Augen eines Sith-Lords empor.
Ais er sich daran erinnerte, dass weder seine Mutter noch Anakin reagiert hatten, bis ihre Namen laut ausgesprochen worden waren, verkniff er es sich, den Namen seines ehemaligen Meisters zu äußern. Das Letzte, was Ben in diesem Moment wollte, war, mit Darth Caedus zu sprechen. Es gab eine Zeit, in der er vielleicht mit Jacen hätte reden wollen -aber selbst dieses Verlangen war ihm im Kathol-Rift unter den Fittichen seines Aing-Tii-Ausbilders, Tadar'Ro, ausgetrieben worden.
Was Bens Vater anging, sah das allerdings anders aus. Luke kauerte sich nieder, ehe er wohlüberlegt sprach: »Jacen.«
Schlagartig verdunkelten sieh die gelben Augen zu braun, und das Spiegelbild wirkte weniger hager und heimgesucht, als es durch das Wasser nach oben stieg. Als das Gesicht die Oberfläche erreichte, schauten die Augen, die jetzt so traurig waren, wie sie eben noch von Härte erfüllt gewesen waren, von Luke zu Ben.
»Ich werde euch nicht um eure Vergebung bitten«, stellte Jacen klar.
»Gut.« Lukes Stimme war nicht unfreundlich, bloß fest. »Weil ich nicht glaube, dass ich sie dir zugestehen würde.«
Ein kleines Lächeln kroch über Jacens Lippen. »Aufrichtig bis zum Ende. Onkel Luke. Das ist eins der Dinge, die ich an dir immer geschätzt habe.« Sein Blick ging zu Ben zurück. »Ich möchte, dass du weißt - all dieser Zorn und der Hass sind verflogen. Sag Jaina, dass ich ihr verzeihe.«
Sofort begann Bens Gemüt zu kochen. »Du verzeihst ihr?«, spie er hervor. »Hast du irgendeine Ahnung, was sie wegen dir durchgemacht hat? Du aufgeblasener, selbstgerechter.«
»Ben!«, rief Luke. »Aus diesem Grund habe ich dich nicht mitkommen lassen. Vergiss nicht, was du gerade deiner Mutter versprochen hast!«
Der Tadel war mehr ein Knuff als ein Schlag - eine sanfte, bedächtige Erinnerung, die bei Ben keinen Zweifel daran ließ, dass sein Vater dieses Treffen von dem Moment an erwartet hatte, als sie Anakin Solos Erscheinung begegnet waren. Dies war der Grund dafür, dass sein Vater darauf bestanden hatte, dass sie weitergingen. Ben fand nur einfach nicht, dass das eine gute Idee war. Was auch immer Jacen - oder Caedus - zu ihnen sagte, war mit Sicherheit eine Lüge - oder bestenfalls eine Halbwahrheit. Doch Ben hielt den Mund. Er zweifelte nicht daran, dass sein Väter einen Plan hatte, und wenn Ben zuließ, dass seine Empörung und sein Abscheu Jacen vorzeitig vertrieben, würde er ihm dabei bloß in die Quere kommen.
Also nickte er und sagte: »Du hast recht, Dad.« Er wandte sich an Jacen. »Ich hoffe, du wirst mir vergeben.«
Das höhnische Lächeln, zu dem sich Jacens Mund verzog, ließ keinen Zweifel daran, dass die Wahrscheinlichkeit dazu eher gering war. »Denkst du nicht, dass wir über diese Art von Unfug hinaus sind, Ben? Was ich getan habe, habe ich nun mal getan, und du hast jedes Recht, dich so zu fühlen, wie du es tust. Alles, worum ich bitte, ist. dass du mir die Höflichkeit erweist, diesbezüglich ehrlich zu sein.«
Bens Brustkorb schnürte sich zusammen. »Schön«, sagte er. »Ganz ehrlich, ich denke, dass du noch derselbe verkriffte Sleemo bist, der du zu Lebzeiten warst, und ich bin froh, dass du tot bist.«
Jacen ließ dieses schiefe Solo-Grinsen aufblitzen. »Schon besser«, meinte er. »Ich hoffe, du erinnerst dich noch daran, was du mit dieser Wut machen sollst.«
»Dafür hat Ben einige alternative Techniken entwickelt«, sagte Luke mit monotoner Stimme. »Aber da wir hier ja alle ehrlich zueinander sein wollen, würdest du mir eine Frage beantworten?«
Jacen hielt seinen Blick auf Ben gerichtet. »Warum nicht?«, fragte er. »Du bist einen weiten Weg gekommen, um sie zu stellen.«
Einen weiteren, als dir klar ist, dachte Ben.
Luke lächelte bloß dankbar. »Das weiß ich zu schätzen.«
Ben dachte, sein Vater würde ihn etwas wegen der Frau im Nebel fragen oder was sie mit der Geisteskrankheit zu tun hatte, die die Jedi-Ritter des Ordens plagte. Er dachte, dass sich sein Vater womöglich danach erkundigen würde, ob sie selbst Jacen irgendwie verdorben hatte, oder sogar, ob Darth Caedus etwas mit den Problemen zu schaffen hatte, die dem Orden derzeit Sorgen bereiteten.
Stattdessen fragte Luke: »Wen hast du auf dem Thron des Gleichgewichts sitzen sehen, als du den Teich des Wissens besucht hast?«
Das gelbe Aufblitzen, das Jacens Augen für einen Moment färbte, verriet seine Überraschung. Seine Miene jedoch blieb gelassen, wände beinahe gütig. Ben wurde klar, dass das eine Frage war, die Jacen beantworten wollte, eine, von der er nie angenommen hatte, dass man sie ihm jemals stellen würde.
Statt zu antworten, zog Jacen allerdings bloß eine Augenbraue hoch. »Würde es dir etwas ausmachen, mir zuerst zu sagen, wen du gesehen hast?«
»Nicht im Geringsten«, entgegnete Luke. »Allana, umgeben von einem Gefolge von Spezies aus allen Teilen der Galaxis. Sie wirkte überaus glücklich.«
Ein Lächeln der Erleichterung - oder vielleicht auch des Triumphs - trat in Jacens Gesicht. »Dann spielt es keine Rolle, wen ich gesehen habe«, sagte er. »Aber du warst es nicht. falls das zufällig das ist, was du gedacht hast.«
Natürlich konnte Ben mit ihrer Unterhaltung nicht das Mindeste anfangen. Er wusste ebenso wenig, was der Thron des Gleichgewichts war, noch, was es mit dem Teich des Wissens auf sich hatte. Und um ehrlich zu sein, klang das alles nach der Art von verrücktem Zeug, das jemanden einen dunklen Pfad hinabführen konnte, bevor ihm bewusst wurde, dass er in die Schatten trat.
Die Erleichterung in der Machtaura seines Vaters hingegen verstand Ben sehr wohl - und er verstand auch seine Dankbarkeit. Und für diese beiden Dinge war er Jacen dankbar, wenn schon für sonst nichts.
Luke schenkte Jacen ein halbherziges Lächeln, ehe er den Kopf zur Seite legte und sagte: »Das war es nicht, aber trotzdem danke.«
Wäre Ben nicht so auf Lukes Machtaura abgestimmt gewesen, wäre ihm nicht aufgefallen, dass sein Vater soeben etwas getan hatte, von dem er geglaubt hatte, dass sein Väter es niemals tat. Luke Skywalker hatte gelogen.
Jacen erwiderte Lukes Lächeln. »Nicht der Rede wert.«
Er schloss die Augen und sank unter die Oberfläche, und mit einem Mal wurde Ben klar, dass er seinen Cousin nicht so gehen lassen konnte - nicht, wenn er das Versprechen halten wollte, das er seiner Mutter gegeben hatte.
»Jacen, warte!«, rief er.
Jacen öffnete die Augen und hielt inne.
»Ich, äh, ich wollte bloß, dass du das weißt«, meinte Ben. »Jacen, ich vergebe dir.«
Jacen kehrte an die Oberfläche zurück, damit er sprechen konnte. »Das ist gut, Ben. Diese Bürde wirst du nun nicht mehr durch dein Leben tragen müssen. Geh mit der Macht!«
»Danke.« Ben war von der Aufrichtigkeit in Jacens Stimme so überrascht, dass er fast nicht wusste, was er sagen sollte. »Du auch, schätze ich.«
Jacen schnaubte belustigt. »Ben, ich bin eins mit der Macht.« Er hielt inne, als würde er darauf warten, dass Ben noch etwas anderes sagte, bevor er schließlich fragte: »Gibt es da nicht eine Frage, die du mir stellen möchtest?«
»Nun ja.« Ben warf einen nervösen Blick auf die Frau im Nebel. Obwohl er sich nicht sicher war, dass sein Vater irgendetwas von dem glauben würde, das Jacen ihnen über die geheimnisvolle Gestalt erzählte, schien die Frage es wert zu sein, gestellt zu werden. »Aber ich wollte nicht, dass es so aussieht, als würde ich versuchen, mir eine Antwort darauf zu erkaufen.«
Jacen schüttelte den Kopf. »Ben, habe ich dir nicht gerade gesagt, dass du ehrlich zu mir sein sollst?« Fr wandte sich dem Nebel des Vergessens zu. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen,
aber ich habe keine Ahnung, wer das ist.«
Bens Herz sackte nach unten. Halb argwöhnte er. dass Jacen ihn anlog, doch er sah keinen Sinn darin, sich dermaßen verbitterten Gefühlen hinzugeben. Entweder hatte er Jacen vergeben oder er hatte es nicht getan, und es war besser für ihn, wenn er es getan hatte. Zumindest glaubte er, dass es das war. was seine Mutter ihm mit auf den Weg geben wollte.
»Kein Problem, Jacen«, sagte Ben. »Hab eine friedvolle. was auch immer.«
»Verdammnis«, bot Jacen an. Er wandte sich dem Nebel des Vergessens zu und fügte hinzu: »Aber falls du wirklich wissen musst, wer sie ist, Ben, dann erstreckt sich der See nicht in alle Ewigkeit. Geh einfach weiter - du hast alle Zeit im Universum!«
Ben wurde nachdenklich. Jetzt war er sicher, dass Jacen mit ihm spielte. »Danke, Jacen.« Er sah zu seinem dickköpfigen Vater hinüber. »Das ist wirklich eine große Hilfe.«
Jacen bedachte ihn mit einem grausamen Grinsen. »Triff einfach deine Wahl und handle danach, Ben!« Er sank wieder unter die Wasseroberfläche, seine Augen verwandelten sich in helles, brennendes Weiß. »Triff deine Wahl und handle danach!«
»Ein guter Rat«, meinte Ben. Er sah zu, bis sein Cousin wieder im Wasser versunken war und die Augen schloss, ehe er sich an seinen Vater wandte. »Dad, ich habe gerade eine logische Entscheidung getroffen. Wenn Jacen uns sagt, dass wir alle Zeit im Universum haben.«
»... stecken wir in Schwierigkeiten. Ich weiß.« Luke kehrte dem Nebel den Rücken zu, dann bedeutete er Rhondi und ihren anderen Führern mit einem Wink, sich zurück zum nächstgelegenen Ufer des Sees zu begeben. »Gehen wir nach Hause!«
»Aber was ist mit der Herrin im Nebel?«, fragte der Givin. der vortrat, um ihnen den Weg zu versperren. »Ihr könnt nicht gehen, bevor Ihr wisst, wer sie.«
»Eines weiß ich.« Luke hob die Hand, legte seine Handfläche mitten auf die Brust des Givin und setzte einen machtverstärkten Stoß ein, um ihn zur Seite fliegen zu lassen, aus ihrem Weg. »Es ist an der Zeit, zur Schatten zurückzukehren.«